von Marko Ković

«Lügenpresse!» Warum die Medien mitverantwortlich sind für den Vertrauensverlust

Immer weniger Menschen vertrauen journalistischen Medien. Verschwörungstheorien über die «Lügenpresse», die das Volk manipuliere, befinden sich im Aufwind. In der neuen Folge unseres Podcasts «Das Monokel» besprechen Christian Caspar und Marko Ković, warum sich Medien diesen Schlamassel zum Teil selber eingebrockt haben – und wie sie wieder da rauskommen.


Im Zuge der Coronavirus-Pandemie wurden «Lügenpresse»-Vorwürfe, die in den letzten Jahren US-Präsident Trump massiv befeuert hatte, wieder lauter. Corona-Skeptikerinnen und -skeptiker glauben, dass die ganze Pandemie eine Nebelpetarde für die Einführung einer totalitären Diktatur ist. Und sie sehen journalistische Medien als Komplizen dieser Verschwörung: Die Medien belügen und manipulieren systematisch das Volk. Sie sind die «Lügenpresse».

Menschen, die an solche Verschwörungstheorien glauben, dürften eine zwar laute, aber eher kleine Minderheit darstellen. Doch sie sind die Spitze eines grösseren Problems: Das allgemeine Vertrauen in journalistische Medien sinkt weltweit. Das ist einer der Befunde des von der Universität Oxford veröffentlichten Reuters Digital News Report 2020. In der Schweiz geben nur rund 44 Prozent an, dass man den Medien «meistens vertrauen» könne. In Deutschland und Österreich sind die Werte mit 45 Prozent und 40 Prozent ähnlich tief. Gemäss einer Langzeitstudie der Universität Mainz ist zwischen 2008 und 2019 der Anteil der Menschen, die Medien in Deutschland eher nicht oder gar nicht vertrauen, von 9 Prozent auf 28 Prozent gestiegen.

Warum stecken Medien in dieser Vertrauenskrise? Heute befinden wir uns im Zeitalter der Online-Desinformation.

Auf Social Media rotieren schier endlos viele Verschwörungstheorien und Fake-News-Kaskaden, bei denen auch journalistische Medien pauschal diffamiert werden. Das zeigt sich nicht zuletzt aktuell in der Coronavirus-Pandemie. Corona-Falschinformationen und -Verschwörungstheorien gehen auf sozialen Medien ähnlich viral wie das Coronavirus in der physischen Realität. Ein stärkerer Glaube an Corona-Missinformation und -Verschwörungstheorien geht denn auch mit höherer Social Media-Nutzung und tieferem Konsum klassischer journalistischer Medien einher.

Doch das alleine erklärt den Vertrauensverlust der Medien nur unvollständig. Es ist nämlich durchaus möglich, dass auch die journalistischen Medien selber etwas falsch machen und das Vertrauen ihres Publikums verspielen. Mindestens drei Thesen als mögliche Erklärungen sind zu diskutieren.

Erstens wird der alte Vorwurf, in den Medien gebe es ja eh nur Einheitsbrei, immer treffender.

Die Medienkonzentration schreitet nämlich in vielen Ländern voran. Auch in der Schweiz besitzen Medienkonglomerate immer mehr Medientitel, und immer mehr Medientitel veröffentlichen identische Inhalte.

In ökonomischer Hinsicht mögen diese Trends nachvollziehbar sein (Medienunternehmen sparen damit viel Geld), aber Einheitsbrei tut der Glaubwürdigkeit des Journalismus einen Abbruch.

Zweitens fristet Medienkritik in der heutigen Medienlandschaft bestenfalls ein Nischendasein. Medienkritik sollte eigentlich zum Kerngeschäft des Journalismus gehören, denn in seiner Funktion als kritischer Spiegel der Gesellschaft muss Journalismus auch sich selbst kritisch reflektieren. Dies gerade darum, weil Medien eine so zentrale Rolle für den öffentlichen Diskurs und die Demokratie einnehmen.

Einer der Gründe, warum Medienkritik ein Schattendasein fristet, ist die oben erwähnte Medienkonzentration.

Journalismus zu kritisieren, der in der eigenen Medienorganisation gemacht wird, ist tabu; Journalismus einer konkurrierenden Medienorganisation zu kritisieren, bedeutet, sich beim potenziellen zukünftigen Arbeitgeber (viele Alternativen gibt es ja nicht mehr) unbeliebt zu machen.

Und drittens üben sich Medien heute viel zu wenig in fundierter Gesellschaftskritik. Im Journalismus werden «Neutralität» und «Ausgewogenheit» als zentrale Werte gehandelt, aber diese vermeintliche Neutralität bedeutet allzu oft, dass einfach die Machtstrukturen des gesellschaftlichen Status Quo reproduziert werden.

Das ist keine neue Erkenntnis: Edward Herman und Noam Chomsky haben die Status-Quo-stützende Funktion der Massenmedien in ihrem Klassiker «Manufacturing Consent» bereits Ende der 1980er Jahre kritisiert. Ein Problem in diesem Zusammenhang ist die starke journalistische Orientierung an politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten. Diese bilden die Lebenswelt nur eines kleinen Teils der Bevölkerung ab, dominieren aber im öffentlichen Diskurs. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung, die beispielsweise materiell gerade so über die Runden kommt, sieht die eigenen Anliegen und Sorgen in einem solchen Diskurs nicht wirklich abgebildet.

Diese Thesen zeigen weitreichende Probleme auf, die zum Teil auch struktureller Natur sind.

Doch wenn wir die Probleme ernst nehmen, verheissen sie indirekt auch etwas Gutes. Medienhäuser und einzelne Journalistinnen und Journalisten haben es zumindest ein Stück weit selber in der Hand, das Vertrauen der Öffentlichkeit wieder zurückzugewinnen. Das können sie, indem sie sich auf das besinnen, was ihre eigentliche Kernaufgabe als vierte Gewalt ist: Kritik an Eliten, Kritik an Machtstrukturen, und nicht zuletzt auch Kritik an der Arbeit der Medien selbst.

Bild: Jametlene Reskp auf Unsplash

Leserbeiträge

Rudolf Steiner 26. Dezember 2020, 11:32

Der Artikel verfehlt das eigentliche Problem mit den Medien komplett. Die Menschen haben es in erster Linie satt, dass die linken Leitmedien (NYT, CNN) ideologiegetriebene Meinungsmache statt neutraler Berichterstattung betreiben, analog zu den Rechten mit Fox.

Marko Kovic 28. Dezember 2020, 22:41

Grüezi Herr Steiner

Die Milliardenunternehmen NYT und CNN, die seit Jahrzehnten einen recht klar dokumentiertem neoliberalen Einschlag haben, sind „links“? Was bedeutet denn „links“ für Sie? Und was ist „neutrale Berichterstattung“ für Sie? Zu letzterem Stichwort kann ich übrigens unsere Folge 1 empfehlen:
https://dasmonokel.xyz/folge-1-die-versteckte-ideologie-des-neutralen-journalismus/

Bester Gruss

Marko Kovic

Graf Peter 16. Januar 2021, 16:56

Peter Graf, 14. Januar 2021,16.50

Ich sehe noch anderde Thesen:

1.Es fehlt in den sozialen Medien die dafür nötige Selbstdisziplin. Unabdingbare Selbstdisziplin der Nutzer.

2. Viele Medien (immer stärker auch SRF in ihrer Tagesschau) die uns ihre Diskussionen und Antizipierungsvorschläge der Redaktionskonferenz von den Moderatoren vorlesen lässt. Kassandra statt News-Lieferant wenn diese vorhanden ist. Die Korrespondenten im In- und Ausland werden zu Wahrsagerinnen degradiert.

Dafür sind fast alle Medien zu teuer.