Reputationsrisiko Fernsehwerbung
Immer deutlicher zeigt sich die Unverträglichkeit von Service public und Werbung. Die vergangenen Wochen lieferten weitere Gründe gegen eine Mischfinanzierung der SRG bestehend aus Abgabe und kommerziellem Ertrag.
Es war ein Zufall. Aber ein dummer, denn er stellte die Unabhängigkeit in Frage. In der Wirtschaftssendung «SRF Börse» steht am 16. Dezember die BKW-Chefin Susanne Thoma Red und Antwort. Im Werbeblock nach der Sendung folgt ein Spot derselben BKW. Das eine hat mit dem anderen freilich nichts zu tun. Doch die zufällige Nähe kann kritische Zuseherinnen verunsichern, die mit den internen Abläufen nicht vertraut sind. So entsteht der böse (aber falsche) Verdacht, es könnte sich um ein gekauftes Interview gehandelt haben.
Das zeigt: Werbung (und auch Sponsoring) kann die Glaubwürdigkeit gefährden. Das Schweizer Fernsehen nimmt dieses Risiko in Kauf und damit auch die Kollateralschäden, die zwangsläufig entstehen. Werbung sucht die Nähe zum Programm. Und auch umgekehrt. So wurde das Format «SRF Börse» einst eigens als Vehikel für lukratives Sponsoring geschaffen.
Solche Reputationsrisiken wegen zu grosser Nähe von Werbung und Programm zu vermeiden, hiesse auf kommerzielle Einnahmen zu verzichten. Hier steht das Schweizer Fernsehen und die SRG als Ganzes vor einem Dilemma: Aufgrund erodierender Werbeeinnahmen zählt jeder Rappen, der noch reinkommt. Aufgrund abwandernder Publikumsgruppen muss alles getan werden, um möglichst keine Ausschaltimpulse zu generieren (und Werbung ist ein Ausschaltimpuls).
Schleichwerbung am Schweizer Fernsehen
Mitte Dezember erliess das Bundesamt für Kommunikation Bakom eine Verfügung gegen die SRG. Darin stellte die Aufsichtsbehörde fest, dass das Deutschschweizer Fernsehen SRF im «Sportpanorama plus» vom 25. Juli letzten Jahres Schleichwerbung betrieben habe. In der Interview-Sendung mit Roger Federer waren regelmässig der Name eines Schuhherstellers zu sehen sowie ein Schuhmodell derselben Firma, das den Vornamen des Tennisstars trägt.
SRF muss nun die werberischen Elemente unkenntlich machen. Oder, wenn das nicht geht, den Beitrag löschen. Ausserdem trägt die SRG die Verfahrenskosten. So weit hätte es nicht kommen müssen.
Ob das Bakom ein Aufsichtsverfahren eröffnet, entscheidet letztlich der Zufall. Die Behörde reagiert nur auf Hinweise aus der Öffentlichkeit. Im Fall Federer/SRF stammten die «aus den (sozialen) Medien bzw. Medienanfragen, die sich direkt an das Bakom richteten», schreibt ein Bakom-Sprecher auf Anfrage. Dringen solche Hinweise nicht bis nach Biel durch, unternimmt das Amt nichts.
Eine vergleichbare Situation wie beim nun gerügten Federer-Auftritt ergab sich Ende 2018 beim Westschweizer Fernsehen RTS. Ein Interview mit dem französischen Starfussballer Kylian Mbappé drehte RTS in den gleichen Räumlichkeiten, in denen zuvor ein Luxusuhrenhersteller Mbappé als Markenbotschafter vorgestellt hatte. Während des Gesprächs stand auf dem Salontischchen gross das Logo der Uhrenfirma. Nach der Erstausstrahlung am Fernsehen erkannte RTS den Fehler und machte das Zeichen unkenntlich. War das trotzdem ein Verstoss gegen das Schleichwerbeverbot? Wir werden es nie erfahren. «Eine permanente Überprüfung sämtlicher Schweizer Radio- und Fernsehprogramme auf die Einhaltung der Werbe- und Sponsoringbestimmungen wäre mit einem unverhältnismässig hohen Aufwand verbunden», gibt der Bakom-Sprecher zu bedenken.
Gewiss gibt es gute Gründe, die für eine Teilfinanzierung des Service public durch Werbung sprechen. Der Wichtigste betrifft die Unabhängigkeit. «Der politische Druck auf die SRG dürfte bei einer reinen Gebührenfinanzierung deutlich zunehmen, wie historische und aktuelle Vergleichsfälle zeigen», gab der in Chur lehrende Medienprofessor Edzard Schade zu bedenken anlässlich einer Twitter-Diskussion im vergangenen Oktober. Werbefinanzierung als Unabhängigkeitsgarantie? In guten Zeiten mag das funktionieren. Aktuell ist der Schaden aber grösser als der Nutzen. Daran dürfte sich in nächster Zeit nichts ändern. Das zeigen auch zwei Vorgänge, die Ende Dezember bekannt wurden.
Unter dem finanziellen Druck hat die SRG diese Goodwill-Geste zurückgenommen und die Attraktivität des Programms geschmälert.
Bereits seit 1. September unterbrechen die Fernsehprogramme der SRG ihre Filme und Serien in der Hauptsendezeit und zeigen wieder Werbeblöcke. Das soll fünf Millionen Franken pro Jahr einbringen, schreibt CH Media. Nach der «No Billag»-Abstimmung hatte SRG-Generaldirektor Gilles Marchand versprochen, abends auf Unterbrecherwerbung zu verzichten, um sich von den Privatsendern zu unterscheiden. Das Publikum schätze «die klare Unterscheidbarkeit von TV-Angeboten privater und öffentlicher Anbieter», steht in der Medienmitteilung vom 4. März 2018. Unter dem finanziellen Druck hat die SRG diese Goodwill-Geste zurückgenommen und die Attraktivität des Programms geschmälert.
Auch ein aktueller Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR illustriert die Risiken der Werbefinanzierung. Wie zuvor schon das Bundesgericht fand auch Strassburg, das Schweizer Fernsehen SRF hätte einen Werbespot des «Vereins gegen Tierfabriken» VgT ausstrahlen müssen. SRF weigerte sich 2011 den Spot zu zeigen, weil die radikalen Tierschützer darin auch das Fernsehen kritisierten. Eine Ausstrahlung sei geschäfts- und rufschädigend. Die Gerichte sehen das anders. Aufgrund der «besonderen Stellung in der Schweizer Medienlandschaft» sei die SRG verpflichtet, «kritische Meinungen zu akzeptieren und ihnen auf seinen Rundfunkkanälen Platz zu bieten, auch wenn es sich um Informationen oder Ideen handelte, die beleidigen, schockieren oder verstören», begründet der EGMR seinen Entscheid. Eine bemerkenswerte Begründung. Und eine unbefriedigende Situation für das Schweizer Fernsehen, das die Kontrolle über die Inhalte der Werbung verliert, zumindest punktuell. Genauso gilt aber: Ohne TV-Werbung wäre es gar nie zu dieser Situation gekommen.
Es ist davon auszugehen, dass die Frage nach einer werbefreien SRG derzeit keine Priorität geniesst in der Bundespolitik.
Ob Werbung und Service public noch zusammenpassen, muss am Ende die Politik entscheiden. Der Bundesrat hält bisher an seiner Haltung fest, wonach die SRG nur mit Werbung ausreichend finanziert werden könne. Er begründete dies, ähnlich wie der EGMR, mit der besonderen Stellung der SRG im Werbemarkt: «Sollten Werbemöglichkeiten in den Programmen der SRG in grösserem Umfang wegfallen, würde dies gemäss Experteneinschätzungen den TV-Werbemarkt in der Schweiz schwächen und zu einem Verlust von Wirtschaftspotenzial führen.»
Derweil finden sich, vornehmlich auf der politischen Linken, vermehrt Politikerinnen und Politiker, welche einen werbefreien Service public propagieren. Mit Blick auf die anstehenden medienpolitischen Geschäfte ist allerdings davon auszugehen, dass die Frage nach einer werbefreien SRG derzeit keine Priorität geniesst in der Debatte.
Signale müssten aber auch von der SRG kommen, wenn es ihr ein Bedürfnis wäre, die publizistische Unabhängigkeit und Qualität nicht mehr durch kommerzielle Interessen kompromittieren zu lassen. Aussagen in diese Richtung hörte man bisher höchstens hinter vorgehaltener Hand. Wie die Wiedereinführung der Unterbrecherwerbung zeigt, geht es offiziell aber in Richtung Auspressen der Werbezitrone bis zum letzten Tropfen. Vorläufig kommen so immer noch erkleckliche Summen zusammen. Bei einem Verzicht auf Werbung müsste entweder noch mehr gespart oder der Betrag mit einem höheren Abgabenanteil kompensiert werden. Ob sich dafür eine politische Mehrheit finden liesse, darf man derzeit mit Fug bezweifeln. Seit «No Billag» hat die SRG bei der Politik viel Kredit verspielt.
Ueli Custer 06. Januar 2021, 07:48
Es ist schon erstaunlich, wie die Werbung einzig als Finanzierungsmöglichkeit betrachtet wird. Werbung ist auch ein wichtiges Instrument für die Wirtschaft. Dies gilt ganz besonders für die TV-Werbung. Gäbe es auf den reichweitenstärksten Kanälen in den drei Sprachregionen keine TV-Werbung mehr, wären gleichzeitig die private TV-Kanäle noch stärker als bisher gefährdet. Denn dank dem zeitversetzten Fernsehen überspringen jetzt schon immer mehr Zuschauerinnen und Zuschauer die Werbeblöcke. Diesen Negativtrend jetzt noch durch Abschaffung der TV-Werbung auf den zuschauerstärksten Kanälen zu beschleunigen wäre schlicht fahrlässig.
Thomas Kron 06. Januar 2021, 08:31
Der Begriff «Ausschaltimpuls» trifft die Problematik nur teilweise. Grösser ist die Gefahr des «Wegschaltimpulses». Der Nutzer/die Nutzerin wechselt zu einem der anderen zahlreichen (deutschsprachigen) Sender und kehrt nicht mehr zurück, weil die dort angetroffene Thematik bzw. der Unterhaltungsaspekt seinen/ihren Bedürfnissen besser entspricht (was speziell für SRF ein Problem darstellen dürfte). Diesen Sachverhalt verdrängen sowohl die privaten wie die öffentlichrechtlichen Sender. Werbeunterbrechungen werden also nicht nur dankbar genutzt, um das WC aufzusuchen, das Bierglas nachzufüllen, ein noch notwendiges Telefongespräch zu führen oder sich im elektronischen Kalender über die Aufgaben des kommenden Tages zu informieren, Werbung gibt uns auch einen guten Grund, uns auf die Schnelle über die «aktuelle Lage» auf andern Kanälen zu orientieren. Tragisch ist, dass die Anbieter den Werbetreibenden die Komplexität der Vielzahl bzw. der Interaktionen von Mechanismen verheimlichen oder diese vernebeln.
Ueli Custer 06. Januar 2021, 10:58
Die Veranstalter „vernebeln“ nur das, was sie selber auch nicht wissen weil es nicht messbar ist. Also alle Aktivitäten eines Panelteilnehmenden in der Umgebung des TV-Gerätes ohne dass er sich korrekt beim Messgerät abmeldet. Hingegen können Werbeblocks, die gar nicht geschaut werden, auch nicht gemessen werden.
Ruedi Beglinger 10. Januar 2021, 12:36
SRF soll auf die Herzformate, den Ich-vergeb-einen-Preis-wegem-Sendegefäss-Füllen Samstag Abend und das Ausleuchten von Berghütten verzichten und sich auf Nachrichten, Wissen, Bildung, Kultur, Politik und Wirtschaft konzentrieren. Werbung abschaffen, Gebühren behalten, weniger niedliche JournalistInnen, dafür mehr Recherche und kritische Begleitung der Politik auch dann, wenn die SVP motzt. Fürs Doofe sind die Privaten zuständig.
Ueli Custer 12. Januar 2021, 08:54
Mit andern Worten: Ruedi Beglinger bestimmt, was die Leute schauen dürfen. Ist schon ziemlich anmassend, oder?