von Nick Lüthi

GAV als Rettungsring? Impressum zerrt SRG vor Gericht

Der Journalistenverband impressum klagt gegen die SRG: Ein Gericht soll die SRG dazu verpflichten, auch mit impressum einen Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen. Das finden die SRG und deren langjährige Sozialpartnerin SSM keine gute Idee. impressum erhofft sich Geld und neue Mitglieder, muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, mit seinem Vorgehen den Interessen des SRG-Personals zu schaden.

Schon jetzt ist klar, dass sich das Verfahren in die Länge ziehen wird. In diesem Jahr sei nicht mehr mit einem Urteil zu rechnen, sagte der Gerichtspräsident. Am vergangenen Mittwoch standen sich vor dem Berner Regionalgericht der Journalistenverband impressum und die SRG gegenüber.

Mit einer Klage will impressum erreichen, dass das Gericht die SRG dazu verpflichtet, mit ihnen einen Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen. Die SRG will das aber nicht. Sie stellt sich auf den Standpunkt, der bestehende Vertrag mit der Gewerkschaft SSM reiche aus, um den sozialpartnerschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Ein Parallel-GAV, wie ihn impressum für seine Mitglieder bei der SRG anstrebt, sei ein arbeitsrechtliches Unding und gar nicht praktikabel, hielt der SRG-Anwalt vor Gericht fest. Auch sieht er in der GAV-Frage keinen Spielraum für Kompromisse. SRG-Sprecher Edi Estermann erklärt auf Anfrage, es gebe «viele offene Fragen, wie dies zu bewerkstelligen wäre und gehandhabt werden könnte und wäre ohne Einbezug des heutigen Sozialpartners auch nicht lösbar».

Für die klagende Partei geht es um viel. Michael Burkard sagt es angesichts der Umwälzungen in der Medienbranche ganz unverblümt: «Es ist ein Kampf der Ertrinkenden um die rettende Holzplanke.» Als Zentralsekretär des Journalistenverbands impressum arbeitet Burkard für eine Organisation, die den Strukturwandel der Branche sehr direkt spürt: Immer weniger Journalistinnen und Journalisten bedeuten weniger Verbandsmitglieder und damit auch weniger Geld in der Kasse. Aber die Kosten für das Sekretariat, die Mitgliederbetreuung, die Dienstleistungen lassen sich nicht einfach so herunterfahren. Denn stimmt einmal die Qualität des Angebots nicht mehr, wechseln die Mitglieder zur Konkurrenz – oder verzichten gar ganz auf eine Mitgliedschaft.

Mit den beiden Gewerkschaften Syndicom und SSM – Schweizer Syndikat Medienschaffender, sowie dem Berufsverband impressum – Die Schweizer Journalistinnen buhlen in der Schweiz trotz schrumpfendem Medienmarkt weiterhin drei Organisationen um die Gunst der Angestellten in der Medienbranche. In vielen Fällen spannen sie zusammen. Etwa bei Arbeitskonflikten, bei medienpolitischen Fragen oder bei berufsethischen Anliegen. Mehrere Fusionsversuche scheiterten in der Vergangenheit aus teils irrationalen, teils nachvollziehbaren Gründen.

Jede Geldquelle weckt Begehrlichkeiten – umso mehr, wenn man selbst nicht auf Rosen gebettet liegt.

Als wichtiges Argument für die Mitgliederwerbung dienen die wenigen noch verbliebenen Gesamtarbeitsverträge. Wer bei der SRG arbeitet, entscheidet sich in der Regel für eine Mitgliedschaft beim Schweizer Syndikat Medienschaffender SSM. Die Gewerkschaft, die massgeblich Angestellte von Radio und Fernsehen organisiert, ist seit Jahrzehnten sozialpartnerschaftlich mit der SRG verbunden. SRG und SSM handeln jeweils gemeinsam einen GAV aus.

Der Gewerkschaft dient der GAV auch als Einnahmequelle. Als Abgeltung für den Aufwand, der durch den Vollzug des sozialpartnerschaftlichen Vertragswerks entsteht, wird allen SRG-Mitarbeiterin und -Mitarbeitern, die dem GAV unterstehen, pro Monat 13 Franken vom Lohn abgezogen. Die SSM-Mitglieder erhalten den Betrag wieder zurückerstattet. Reich wird die Gewerkschaft damit also nicht.

Doch jede Geldquelle weckt Begehrlichkeiten – umso mehr, wenn man selbst nicht auf Rosen gebettet liegt. Darum möchte der Journalistenverband impressum auch einen GAV mit der SRG abschliessen. «Wir sind das unseren Mitgliedern schuldig, die bei der SRG arbeiten», argumentiert impressum-Sekretär Michael Burkard. Tatsächlich arbeiten derzeit rund 200 der gut 3000 impressum-Mitglieder bei der SRG (das SSM zählt dort um die 2000 Mitglieder), meist ehemalige Print-Journalistinnen und -Journalisten, die im Laufe ihres Berufslebens zum öffentlichen Radio und Fernsehen gewechselt haben. Auch von ihrem Lohn fliesst der Vollzugskostenbeitrag heute zum SSM.

Vor Gericht wirft impressum vor allem seine Bedeutung als nationaler Journalistenverband in die Waagschale.

Wäre impressum auch GAV-Partner der SRG, könnte der Verband die Beträge seiner Mitglieder selbst einkassieren. Stand heute erhielte impressum damit um die 30’000 Franken pro Jahr. Das ist nicht viel, gemessen am administrativen Aufwand, der mit einem GAV entsteht. Das SSM unterhält heute Sekretariate an allen grossen Studiostandorten der SRG in der ganzen Schweiz und wendet für deren Betrieb jährlich über eine Million Franken auf. impressum findet, das liesse sich auch schlanker und günstiger bewerkstelligen. Das SSM hält das für eine Ausrede. «2010 haben wir impressum vorgerechnet, was ein GAV alles mit sich bringt. Sie sagten uns damals, dass sie weder finanziell noch personell in der Lage wären, diesen Aufwand leisten zu können – auch nicht mit dem Geld aus den Vollzugskostenbeiträgen», sagt Stephan Ruppen, Rechtsanwalt und pensionierter Zentralsekretär des SSM im Gespräch mit der MEDIENWOCHE.

Vor Gericht wirft impressum vor allem seine Bedeutung als nationaler Journalistenverband in die Waagschale. «Ein Berufsverband von nationaler Bedeutung kann Anspruch auf einen GAV geltend machen», zeigte sich der Anwalt des Berufsverbands überzeugt. Keine andere Organisation in der Schweiz vertrete so viele Journalisten wie impressum. Das stimmt zwar, aber die SRG beschäftigt nicht nur Journalistinnen und Journalisten, sondern noch viele andere Berufsgruppen. Diese Breite deckt impressum gerade nicht ab, sehr wohl aber das SSM.

Ebenso steht die Frage im Raum, ob impressum mit seinen gut 200 Mitgliedern bei der SRG überhaupt als repräsentativ gelten könne. Welche Schwelle für die GAV-Tauglichkeit überschritten sein muss, hat bisher noch kein Schweizer Gericht beurteilt. Frühere Urteile betreffen nur die Repräsentativität innerhalb einer Branche, aber nicht innerhalb eines einzelnen Unternehmens.

Schon vor drei Jahren wollte impressum zuletzt auf dem Rechtsweg einen Beitritt zum SRG-GAV erzwingen, liess aber die Klagefrist verstreichen.

Das laufende Verfahren ist die x-te Episode in einer über dreissigjährigen Geschichte. Seit Anfang der 1990er-Jahre versucht impressum immer wieder auf unterschiedlichen Wegen, sich als Sozialpartner der SRG zu etablieren – bisher erfolglos. In der Vergangenheit richtete impressum sein Begehren um Aufnahme in den SRG-GAV jeweils an die Gewerkschaft SSM. Für die Gewerkschaft kam und kommt das aber nicht in Frage. Zwar skizzierten die Spitzen der beiden Organisationen vor rund zehn Jahren einmal einen Fahrplan hin zu einem möglichen GAV-Beitritt von impressum. Die SSM-Gremien setzten diesem Annäherungsversuch allerdings ein Ende. Das einzige Zugeständnis gewährte das SSM 1992, als impressum einen Beobachterstatus erhielt. Seither sind Verbandsvertreter bei den GAV-Verhandlungen dabei. In anderen Gremien, wo sie auch beobachtend hätten Einsitz nehmen können, verzichteten sie aus Kapazitätsgründen darauf.

Vor drei Jahren wollte impressum zuletzt auf dem Rechtsweg einen Beitritt zum SRG-GAV erzwingen, liess dann aber die Klagefrist von drei Monaten tatenlos verstreichen. Bei den eigenen Mitgliedern kam dieses Vorgehen nicht nur gut an. Darum entschied sich impressum nun, gegen die SRG zu klagen und so den Abschluss eines Parallel-GAV zu erreichen. «Wir wollen keinen Streit mit dem SSM», begründet impressum-Zentralsekretär Burkard den Strategiewechsel.

Nach dem ersten Verhandlungstermin steht komplett offen, wie das Gericht in dieser Sache entscheiden wird. Klar ist aber schon jetzt, dass es Neuland betritt. Noch hat kein schweizerisches Gericht eine Klage behandelt, die von einem Unternehmen den Abschluss eines Parallelvertrags zu einem bestehenden GAV einfordert. Nicht nur für die beklagte SRG wäre das ein Unding, sondern auch für ihren Sozialpartner SSM. «Wenn es ein Gerichtsurteil gäbe, das einen Parallel-GAV ermöglicht, dann bräche das Chaos aus, weil sich dann jeder Kleinstverband darauf berufen und auch seinen eigenen GAV fordern könnte», befürchtet der SSM-Anwalt vor Gericht. Das Ergebnis wären Verhandlungsblockaden und letztlich die Schwächung der Interessen des SRG-Personals, befürchtet das SSM.

Sogar regionale Funktionsträger von impressum wussten nichts von der Klage gegen die SRG und zeigten sich auf Anfrage erstaunt bis irritiert.

So nachvollziehbar die Gründe dafür auch sein mögen, so fragwürdig erscheint das Vorgehen von impressum. Zum einen generiert der Rechtsstreit Kosten und beansprucht Personalressourcen bei allen involvierten Parteien. Zum anderen ist unklar, inwiefern die Mitgliedschaft von impressum den eingeschlagenen Weg gut findet. Sogar regionale Funktionsträger wussten nichts von der Klage gegen die SRG und zeigten sich auf Anfrage erstaunt bis irritiert.

Impressum täte darum gut daran, dieses Unterfangen mit ungewissem Ausgang abzubrechen und sich in den angestammten Gefilden um Mitglieder zu bemühen. Warum nicht all die Heerscharen von Berufsleuten, die in die Kommunikation abwandern (aber gleichzeitig angeben, im Herzen Journalistinnen und Journalisten zu bleiben), als Verband organisieren? Das wäre vermutlich erfolgversprechender als weiter einen Kampf zu führen, der nun schon über 30 Jahre lang nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hat und bei einem Partner, mit dem man in anderen Fragen zusammenspannt, nur für unnötigen Ärger sorgt.