Tamedia: Der Sparzauber geht nicht auf
Tamedia, ein Unternehmen der TX Group, vollzieht mit ihren Tageszeitungen im Kanton Zürich den letzten Integrations- und Konzentrationsschritt: Auch die Lokalberichterstattung wird fortan zentral organisiert. Das sei ein Gewinn für die Leserinnen und Leser. Wirklich?
Als die Zürcher TX Group im letzten Sommer das nächste Sparziel von 70 Millionen Franken für ihre Tamedia-Zeitungen ausgegeben hatte, war klar, was folgen würde. Nach dem Vorbild der bisherigen Konzentrations- und Integrationsschritte sollten alle noch bestehenden eigenständigen Strukturen zusammengeführt werden. In der Deutschschweiz betrifft das die Tamedia-Titel in der Stadt Bern und im Kanton Zürich.
Diese Woche hat nun das Unternehmen bekanntgegeben, dass fünf Zürcher Tageszeitungen unter der Führung des «Tages-Anzeigers» neu in einem Redaktionsnetzwerk zusammenspannen werden. Unter dem Strich sei das ein Gewinn für die Leserinnen und Leser, denn sie erhielten künftig «bessere und relevantere Geschichten zur Lektüre», sagte Benjamin Geiger gegenüber persoenlich.com.
Ist der Leiter des neuen Zeitungsverbunds ein Zauberer, der mit weniger mehr machen kann? Natürlich nicht. Wo gespart wird, fehlt danach etwas. Dieses Naturgesetz können auch Medien nicht aushebeln.
Aber Geiger hat trotzdem nicht unrecht mit seinem Qualitätsversprechen. Je einzeln betrachtet, profitieren die Zeitungen, News-Sites und Apps, die Tamedia nun redaktionell zusammengeschlossen hat, vom neuen Verbund. Die gelungene Reportage oder Recherche, die bisher nur in einem der Tamedia-Regionalblätter erschienen ist, kann künftig auch der Kunde des Tages-Anzeigers in der Stadt lesen. Und umgekehrt kriegt auch die Abonnentinnen der Landzeitungen Stoffe aus der Stadt serviert. Für die einzelnen Nutzenden bedeutet das einen Mehrwert. Das muss so sein, denn schliesslich spart Tamedia nicht als Selbstzweck, sondern will mit ihren Zeitungen weiterhin Geld verdienen. Ein wahrnehmbarer Leistungs- und Qualitätsabbau wäre dem Geschäft abträglich.
In der regionalen Berichterstattung wirkt sich das Verstummen unabhängiger publizistischer Stimmen gravierender aus als auf nationaler Ebene.
Doch der Preis für diese vermeintliche Quadratur des Kreises ist hoch. Konzentration bedeutet immer auch einen Verlust an Vielfalt. Im Fall der Zürcher Tamedia-Zeitungen bedeutet das etwa, dass gewisse kantonale Themen «überall von derselben Autorin, demselben Autor geschrieben» werden. Damit verschwinden unterschiedlich gefärbte Blickwinkel aus den verschiedenen Ecken des Kantons. Das mag auf den ersten Blick als geringfügiger Verlust erscheinen. Doch in der regionalen Berichterstattung wirkt sich das Verstummen unabhängiger publizistischer Stimmen gravierender aus als auf nationaler Ebene, wo es weiterhin Konkurrenz gibt, wenn auch weniger als auch schon.
Es ist noch nicht allzu lange her, da verstanden sich «Landbote», «Zürcher Unterländer» und «Zürichsee-Zeitung» als bürgerliche Gegenstimme zum urbanen «Tages-Anzeiger». «Der Tagi berichtet und kommentiert tendenziell aus einer linken Warte. Das bietet Spielraum, um mit politisch anderen Aussagen entgegenzuhalten», sagte 2006 Michael Schoenenberger, damals stellvertretender Chefredaktor der «Zürichsee-Zeitung», gegenüber dem Medienmagazin «Klartext». Auch nachdem Tamedia 2010 die Zeitungen übernommen hatte, bekräftigte der neue Verlag mehrfach die publizistische Unabhängigkeit der drei Titel. Doch damit ist nun definitiv Schluss.
Eine antriebslose Redaktion ist das Letzte, was sich ein Verlag wünschen kann.
Dass Wettbewerb und Konkurrenz für Tamedia nur Schönwetterphrasen sind, zeigt sich auch in der Stadt Bern. Hier sollen «Berner Zeitung» und «Bund», ähnlich wie die Zürcher Tamedia-Zeitungen, nun auch für die lokale Berichterstattung zusammenspannen. Mit der publizistischen Vielfalt schwindet auch die zentrale Arbeitsmotivation der heute noch unabhängigen Lokalredaktionen. «Unser Antrieb war stets, besser zu sein als die Konkurrenz», zitiert «Journal B» einen «Bund»-Mitarbeiter. Eine antriebslose Redaktion ist das Letzte, was sich ein Verlag wünschen kann.