«Clubhouse»: Jetzt mal alle zuhören!
Der Hype um die Audio-App «Clubhouse» ist in Europa angekommen: Wie sich die Social-Audio-Plattform weiterentwickeln wird, hängt vom Geschäftsmodell ab und von den Aktivitäten der Konkurrenz. So setzt Twitter auch verstärkt auf Audio. Als Stolperstein auf dem Weg zum Erfolg von «Clubhouse» könnte sich der mangelhafte Datenschutz erweisen.
Pandemiebedingt sitzen gerade viele Menschen zu Hause. Theatervorstellungen, Konzerte, Stadionbesuche – alles abgesagt. Einen Ersatz dafür bieten virtuelle Räume. Neuerdings auch «Clubhouse». Um die Social-Media-App, die seit einigen Tagen auch in Europa zum Download zur Verfügung steht (vorerst nur für iPhone), ist ein riesiger Hype entstanden.
«Clubhouse» ist eine Mischung aus sozialem Netzwerk, Mitmachradio und Livechat. Dahinter steckt die Firma Alpha Exploration, die von dem ehemaligen Pinterest-Mitarbeiter Paul Davison und dem früheren Google-Mitarbeiter Rohan Seth gegründet wurde. Wer eine Einladung erhält zu dem exklusiven Club, kann, ähnlich wie bei Twitter, anderen Personen folgen. Nutzerinnen und Nutzer können unzähligen Gesprächsräumen beitreten und dort Diskussionen zuhören und selbst mitreden. Die Themenpalette der Gesprächszirkel ist so breit gefächert wie die Herkunft der Teilnehmenden. Da geht es von Aktienmärkten über Lebenshilfe bis hin zu Politik und Zukunftsvisionen. Man kann es sich wie eine Konferenz vorstellen, wo man verschiedene Podien mit mehr oder weniger prominenten Rednerinnen und Rednern besuchen kann.
Es gibt grosse, frei zugängliche Räume mit hunderten, teils sogar tausenden Teilnehmern, geschlossene Zirkel, aber auch kleinere Gruppenchats wie etwa «Felix & Coffee Friends», eine kleine Kaffeehausecke, wo man mit einem Inder, einer Australierin und einem Amerikaner ins Gespräch kommt – ganz ungezwungen. Willkommen im elektronischen Dorf.
Anders als bei Facebook oder Twitter delegiert «Clubhouse» die Moderation der Inhalte direkt an die Nutzer.
Im Raum «Selbsthilfegruppe digitale Lehre» klagen Erstsemester über die Schwierigkeiten im Online-Studium. Im Raum «Was heute wichtig war» plaudern Sascha Lobo und Sophia Thomalla übers Rauchen. Und im «Kein cooler Raum» diskutieren Jugendliche über Snowboard und Wakeboards. Was man halt so für Themen hat, wenn man im Lockdown ist.
Während die Millennials sprechen, als wären sie gerade auf einer Party, hört sich der Talk im Raum «Shutdown 2.0 und der Schweizer Handel» an wie eine Radiodiskussion. Anders als bei Facebook oder Twitter delegiert «Clubhouse» die Moderation der Inhalte direkt an die Nutzer. Der Moderator eines Raums erteilt das Wort und Rederecht (ähnlich wie bei einer Zoom-Konferenz).
Smart Speakers mit ihrer Sprachsteuerung befeuern den Audio-Trend, von dem nun auch «Clubhouse» profitiert.
Noch ist die App in der Betaphase, doch die Erwartungen sind bereits riesig. Denn «Clubhouse» bringt zwei Megatrends zusammen: Social und Audio. Schon seit einiger Zeit erleben Audio-Formate, allen voran Podcasts, einen Boom. Smart Speakers mit ihrer Sprachsteuerung befeuern diesen Trend. Im Silicon Valley haben sie marktschreierisch die «Voice Revolution» ausgerufen. So überrascht es auch nicht, dass die bekannte Risikokapitalfirma Andreessen Horowitz frühzeitig in «Clubhouse» investierte.
Noch vor ein paar Jahren hiess es, Facebook sei das neue Fernsehen. Auch der Erfolg von Instagram und TikTok basiert auf (bewegten) Bildern. Doch nun kommt der Ton. Die Leute senden und empfangen Informationen verstärkt auf Audio-Kanälen. Allein Whatsapp hat im ersten Lockdown im März 2020 im Durchschnitt 15 Milliarden Anrufminuten pro Tag registriert.
Die Diskussionen auf «Clubhouse» scheinen auch ein durch Corona verstärktes Mitteilungsbedürfnis zu befriedigen.
Ein Grund dafür ist die mediale Reizüberflutung. Einen Text auf einem kleinen Smartphone-Display zu lesen ist auf Dauer anstrengend und ermüdend, und auch die zahlreichen Fotos und Videos, die man jeden Tag geschickt bekommt, überfordern die visuelle Informationsverarbeitung im Gehirn. Ohnehin starrt man den ganzen Tag auf irgendwelche Bildschirme, noch dazu in Corona-Zeiten.
Ein Podcast verheisst dagegen Entspannung: Man kann die Augen schliessen und zuhören. Gleichzeitig scheinen Audio-only-Apps wie «Clubhouse» ein durch Corona verstärktes Mitteilungsbedürfnis zu befriedigen, das sich in Ton statt Schrift und Bild artikuliert. Viele reden lieber, als dass sie schreiben – vor allem, wenn sie zu Hause keinen Ansprechpartner haben.
Die Audio-Expertin Nithya Thadani hat in einem Beitrag für das Tech-Portal «Venture Beat» noch einen weiteren Grund für den Audio-Boom ausgemacht: Im Englischen ist Sprechen dreimal schneller als Tippen (was freilich auch für das Deutsche gilt, was zwar im Vergleich zum Japanischen oder Italienischen eher langsam ist, aber im mündlichen Medium immer zackiger als im schriftlichen). Es sei schneller, einem digitalen Assistenten eine Frage zu stellen als diese in eine Suchmaschinenmaske oder in ein Textfeld einzugeben. Hinzu kommt: Die auditive Reaktionszeit sei vier Mal schneller als die visuelle, das heisst, wir können Informationen mit unserem Ohr viel schneller verarbeiten.
Derzeit testet Twitter eine Live-Transkription, mit der Chats als Tweets geteilt werden könnten.
Und das versuchen Tech-Konzerne zu kapitalisieren. Amazon hat das Podcast-Netzwerk «Wondery» aufgekauft, und auch Twitter ist auf den Audio-Zug aufgesprungen und hat im letzten Jahr einen Voice-Chat («Spaces») ausgerollt und zudem die Podcast-App Breaker übernommen. Deren Team soll nun bei Twitter dabei helfen, «Spaces» als Konkurrenten zu «Clubhouse» aufzubauen. Derzeit testet Twitter eine Live-Transkription, mit der Chats als Tweets geteilt werden könnten. Umgekehrt sollen auch Tweets in «Spaces» eingespeist werden können. So eine Verzahnung von Text und Audio gibt es bei «Clubhouse» (noch) nicht.
Bislang ist die Social-Audio-App werbefrei. Möglich wäre das Ausspielen gruppenspezifischer Anzeigen in den einzelnen Diskussionsräumen. So könnte ein Kosmetikartikelhersteller in einer Beauty-Gruppe werben. Interessanter, aber technisch anspruchsvoller, wären zielgruppengerechte Werbeblöcke: Wenn sich beispielsweise ein Diskussion überraschenderweise um Snowboards dreht, könnte die Werbung eines Sportartikelherstellers ausgespielt werden. Dafür bräuchte es allerdings ein KI-basiertes Audio-Mining, um die Gespräche zu analysieren. Vorstellbar wäre aber auch eine Finanzierung über Abonnements oder Premium-Mitgliedschaften: Wer nicht zahlt, kann nur zuhören. Wer zahlt, darf auch reden und wer mehr zahlt, darf auch einladen und moderieren. Doch vorerst zehrt das Start-up noch von den Investitionen.
Haben die Diskussionen auf «Clubhouse» den Charakter von Hintergrundgesprächen, aus denen man – zumindest nicht namentlich – zitieren darf?
Klar ist indes schon heute: In «Clubhouse» steckt ein grosses Potenzial – auch und gerade für Medienunternehmen; etwa als Dialogwerkzeug. So hat beispielsweise der Berliner «Tagesspiegel» zu einer Debatte mit seinen Redaktoren geladen. Aber auch die Politik experimentiert mit der App: So hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer eine Art digitale Bürgersprechstunde auf «Clubhouse» abgehalten. Wobei sich mancher durch die allzu lockere Gesprächsatmosphäre zu Peinlichkeiten hinreissen liess: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow plauderte in einem Talk mit einer Influencerin aus, dass er während der stundenlangen Ministerpräsidenten-Konferenzen Zerstreuung auf dem Smartphone suche («bis zu zehn Level Candy Crush schaffe ich»), was prompt die «Welt am Sonntag» aufgriff und eine Debatte über die Zitierfähigkeit solcher Äusserungen auslöste.
Haben die Diskussionen den Charakter von Hintergrundgesprächen, aus denen man – zumindest nicht namentlich – zitieren darf? Oder sind das eher Talkshows ohne Bild, in denen das gesprochene Wort gilt? Mangels Archiv lassen sich die Zitate nicht nachprüfen. Anders, als es in manchen Berichten zu lesen ist, statuiert «Clubhouse» kein generelles Zitierverbot, sondern verbietet es lediglich, Aussagen zu verbreiten, die der Sprecher explizit als «off the record» verstanden wissen will. Wobei die Frage ist: Gibt es das in einer Plapper-App überhaupt?
«Clubhouse» zwingt seine Nutzer, ihr Adressbuch mit dem Dienst zu teilen.
Das führt zu einem weiteren Problem: dem Datenschutz. «Clubhouse» zwingt seine Nutzer, ihr Adressbuch mit dem Dienst zu teilen, wenn sie Leute aus ihrem Kontaktverzeichnis einladen wollen. Die Weitergabe von Telefondaten an US-Server ist nach Ansicht von Experten nicht mit der EU-Datenschutzgrundverordnung vereinbar. Dass Alpha Exploration zu Sicherheitszwecken Gesprächsinhalte aufzeichnet, wie es in den Nutzungsbedingungen heisst, ist wohl selbst dann nicht datenschutzkonform, wenn diese verschlüsselt gespeichert werden, zumal der Zweck («Trust & Safety purposes») nicht hinreichend definiert ist.
Auch die Durchsetzung des Hausrechts scheint «Clubhouse» noch einige Schwierigkeiten zu bereiten. So entgleiste vor einigen Monaten in einem Raum eine Diskussion über Antisemitismus in schwarzen Communitys. Einige Teilnehmer, so berichtet das Tech-Blog «The Verge», verbreiteten antisemitische Parolen. Der Aktivist Ashoka Finley, der die Gesprächsrunde moderierte, soll die Diskussionsteilnehmer vorab nicht gescreent haben. Zwar versuchte er, einige Teilnehmer stummzuschalten, doch als einige die virtuelle Bühne stürmten, geriet die Veranstaltung ausser Kontrolle.
«Clubhouse» erscheint im Moment noch wie eine wilde Quasselbude, in der sehr viel und sehr durcheinander geredet wird.
Das zeigt, wie schwierig die Moderation von Inhalten auf einer Audio-Plattform ist. Im Gegensatz zu Facebook oder Twitter kann «Clubhouse» nicht einfach Suchalgorithmen durch sein Netzwerk laufen lassen, um rassistische oder antisemitische Äusserungen oder Bilder aufzuspüren. Was sich in den einzelnen Räumen abspielt, entzieht sich weitgehend der Kontrolle. Zuletzt sorgte eine «Clubhouse»-Diskussion zum Thema «Lügenpresse» mit der rechtspopulistischen Influencerin Anabel Schunke für Unruhe. Gewiss, auch der Staat weiss nicht, was an den Stammtischen oder Mitgliederversammlungen von Vereinen geredet wird, doch eine private Plattform trifft hier nochmal eine ganz andere Verantwortung (derer sich Alpha Exploration auch nicht durch einen Haftungsausschluss entziehen kann).
«Clubhouse» erscheint im Moment noch wie eine wilde Quasselbude, in der sehr viel und sehr durcheinander geredet wird. Klar, die App ist noch in der Betaversion, doch die Entwickler müssen eine Strategie vorlegen, wie sie Diskussionen moderieren und mittelfristig profitabel sein wollen. Denn nur mit einem klaren Geschäftsmodell werden Investoren weiter Geld nachschiessen. Rasantes Nutzerwachstum allein reicht nicht. Gut möglich, dass am Ende Twitter mit seinem Konkurrenzdienst «Spaces» das Rennen macht. Fakt ist: Das Thema Audio wird nicht so schnell vom Markt verschwinden.