von Nick Lüthi

Jonas Projer: der Chefredaktor als Statthalter

Mit Jonas Projer als Chefredaktor der «NZZ am Sonntag» hatte niemand gerechnet, zuletzt die Redaktion der Zeitung. Der langjährige Fernsehmann soll nun den Kurs des Blatts anpassen. Ein schwieriges Unterfangen ohne den Rückhalt beim Personal.

Zuerst glaubte man an einen verfrühten Aprilscherz. Jonas Projer, hiess es in einer unbestätigten Meldung am letzten Donnerstagabend, verlasse nach nur zwei Jahren den Chefposten von «Blick TV» und wechsle an die Spitze der «NZZ am Sonntag».

Einen vergleichbar überraschenden Personalentscheid gab es in den Schweizer Medien zuletzt vor elf Jahren, als Roger de Weck zum SRG-Generaldirektor gewählt wurde.

Wobei die Überraschung diesmal umso grösser war, weil niemand mit einem neuen Chefredaktor für die «NZZ am Sonntag» gerechnet hatte, nicht einmal die Redaktion selbst. Sie erfuhr erst am Freitagmorgen von ihrem neuen Chef, als Ringier und die NZZ-Mediengruppe die Personalie je in einer Medienmitteilung bestätigten.

Bald war auch klar, dass Luzi Bernet, der amtierende Chefredaktor, nicht freiwillig geht. Der NZZ-Verwaltungsrat setzte ihn ab, «wegen unterschiedlicher Auffassungen über die weitere Entwicklung der ‹NZZ am Sonntag›». Wie persoenlich.com schreibt, ging es bei diesen Differenzen um das Projekt «Futura», mit dem die Redaktion ihren Weg in die Zukunft aufzeigen wollte. In diesen Überlegungen hätte die gedruckte Zeitung weiterhin eine wichtige Rolle gespielt, wie die MEDIENWOCHE erfahren hat.

Doch die Zeichen bei der NZZ-Mediengruppe stehen auf Digital. Bei der Bewirtschaftung des zunehmend wichtigeren Markts in Deutschland spielt Papier keine Rolle mehr.

So dürfte der starke Print-Fokus im Zukunftsprojekt der «NZZ am Sonntag» wenn nicht der Grund, dann zumindest der Anlass für die Auswechslung des Chefredaktors gewesen sein.

Mit Jonas Projer soll nun «die Digitalisierung weiter verstärkt werden». Wobei das nur ein Teil der Erklärung für die Neubesetzung ist.

Zwar unterscheidet sich die «NZZ am Sonntag» weiterhin deutlich wahrnehmbar von der wochentäglichen NZZ. Aber das «unverwechselbare inhaltliche und gestalterische Profil», mit dem das Blatt vor 20 Jahren gestartet war, erodiert zunehmend.

Gestalterisch kommt das Mutterblatt an einzelnen Tagen inzwischen fast so bunt daher wie die jüngere Schwester, inhaltlich verlor die «NZZ am Sonntag» ihre redaktionelle Eigenständigkeit in zentralen Bereichen. Seit Anfang Jahr werden die Ressorts International und Wirtschaft gemeinsam geführt mit der NZZ-Redaktion.

In einem zentralen Punkt unterscheiden sich die beiden Publikationen aber weiterhin. Während die NZZ unter Chefredaktor Eric Gujer ein liberal-kulturkämpferisches Profil entwickelt hat (gerade auch im Zusammenhang mit der starken Orientierung nach Deutschland), fiel die «NZZ am Sonntag» bisher nicht mit einer eindeutigen politischen Blattlinie auf. Das liegt auch am bisherigen und nun abgesetzten Chefredaktor.

Luzi Bernet fiel weniger auf mit pointierten Leitartikeln als durch sein umsichtiges Wirken als Chef einer Redaktion, der er seit der Gründung der Zeitung angehört.

Mit der Installation von Jonas Projer ändert sich zwar nichts am Organigramm. Die NZZ am Sonntag erhält den dritten Chefredaktor seit der Gründung 2002. Aber er kommt diesmal von aussen und wurde ohne Rückhalt in der Redaktion ernannt. Das lässt ihn als Statthalter des Verwaltungsrats erscheinen, der im Auftrag von oben den Kurs korrigieren soll. Ideale Startbedingungen sind das nicht, um vertrauensvoll miteinander arbeiten zu können. Dazu passt der lakonische Kommentar eines Redaktionsmitglieds anlässlich der ersten Vorstellung des künftigen Chefredaktors. «Jonas sagt, er freue sich. – Immerhin einer.»

So überraschend der Neuzugang für die «NZZ am Sonntag» kam, so unerwartet erfolgte der Abgang bei «Blick TV». Jonas Projer informierte Ringier-CEO Marc Walder nur wenige Tage vor der Bekanntgabe des Wechsels, schreibt die «Sonntagszeitung».

Wer die Karriereplanung von Jonas Projer ein bisschen kennt, überrascht den Wechsel allerdings nicht. Im letzten Sommer sagte er dazu im Gespräch mit der MEDIENWOCHE: «Irgendjemand schenkt dir das Vertrauen und du sagst ja oder nein.» Diesmal sagte er ja. Bleibt für die NZZ zu hoffen, dass ihm nicht bald schon jemand anderes das Vertrauen schenkt. Denn Jonas Projer sagte auch, dass ihn «beruflich sehr vieles interessiert».