von Marko Ković

«Vieles läuft subtil ab»: ein Gespräch über Sexismus in der Medienbranche

Ein offener Brief von 78 Tamedia-Redaktorinnen, in dem diskriminierende Praktiken auf den männlich dominierten Redaktionen angeprangert werden, sorgte Anfang März für Aufsehen. In der neuen Folge unseres Podcasts «Das Monokel» diskutieren Christian Caspar und Marko Ković mit Aleksandra Hiltmann vom «Tages-Anzeiger», Nicole Döbeli vom «Landboten» und Nadine Brügger von der «Neuen Zürcher Zeitung» über den offenen Brief und allgemeiner über Sexismus in der Schweizer Medienbranche.

 

 

Spätestens seit dem Startschuss der #MeToo-Bewegung in den USA im Jahr 2017 berichten auch Schweizer Medien vermehrt über sexuelle Ausbeutung und sexistische Diskriminierung von Frauen. Bisher richtete sich der kritische Blick meist auf gesellschaftliche Bereiche ausserhalb der Medien. Mit einem offenen Brief, den inzwischen 115 Frauen unterschrieben haben, prangern Tamedia-Redaktorinnen systematische Benachteiligung von Frauen an. Damit wird nun auch die Situation in der Medienbranche selber zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte.

Der offene Brief kritisiert, dass männliche Redaktoren für gleiche Arbeit und zum Teil bei weniger Erfahrung einen deutlich höheren Lohn erhielten; dass Themen und Themenbereiche, die eher von Redaktorinnen vorgeschlagen und bearbeitet werden, einen schweren Stand haben; dass sexistische Bemerkungen und ein sexistisches Klima bisweilen an der Tagesordnung seien. In einer Replik auf den offenen Brief haben Priska Amstutz, Co-Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers», und Arthur Rutishauser, Chefredaktor der Redaktion Tamedia Deutschschweiz und der «Sonntagszeitung», erklärt, sie wollten das Betriebsklima verbessern und die Förderung von Frauen stärken.

Doch das Anliegen des offenen Briefes stösst nicht überall auf Verständnis. Lucien Scherrer argumentiert in der «Neuen Zürcher Zeitung», dass es bei Tamedia in Tat und Wahrheit um interne Konflikte und «Generationenprobleme» gehe, die lediglich mit «Sexismusvorwürfen moralisch aufgeladen» worden seien. Diese Auslegung findet Aleksandra Hiltmann, «Tages-Anzeiger»-Redaktorin im Ressort Kultur und Gesellschaft sowie Mitunterzeichnerin des offenen Briefes, problematisch. Da schwinge ein Unterton mit, dass den betroffenen Frauen nicht geglaubt wird:

«Es ist schwierig, wenn jemand von aussen kommt und sagt, ich erkläre euch was Sexismus ist und entscheide für euch, das ist hier nicht der Fall, weil bei euch, wo ich nicht arbeite, das Betriebsklima das Problem ist.»

Nadine Brügger, Chefin vom Dienst im Nachrichtenressort der «Neuen Zürcher Zeitung», ergänzt, dass Probleme wie Sexismus, Mobbing, Machtgefälle und dergleichen oft zusammenhängen und gar nicht getrennt gedacht werden sollten. «Das so klar trennen zu wollen, ist ein Versuch, zu schützen, was man sich gewohnt ist.»

Dass struktureller Sexismus nicht isoliert, sondern mit anderen Problemen verwoben ist, zeigt auch der ökonomische Druck bei der Themenauswahl. Themenvorschläge von Frauen über gesellschaftliche Ereignisse und Probleme, die Frauen betreffen, haben es gemäss dem offenen Brief schwer. Die Begründung dafür laute regelmässig, dass das Publikumsinteresse dafür zu gering sei und es zu wenig Klicks gebe.

Doch diese Sicht der Dinge erachtet Nicole Döbeli, Ressortleiterin Region beim «Landboten», Co-Präsidentin des Vereins Medienfrauen Schweiz und ebenfalls Mitunterzeichnerin des offenen Briefs, als einen ganz grundlegenden Fehlschluss, auch in ökonomischer Hinsicht:

«Die meisten Medienhäuser nehmen sich explizit vor, mehr Leserinnen und junge Leserinnen zu gewinnen. Gleichzeitig haben es Themen, die diese Zielgruppen ansprechen würden, schwerer, Gehör zu finden.»

Auslöser für die aktuelle Sexismus-Debatte ist zwar der offene Brief der Tamedia-Redaktorinnen. Aber das bedeute nicht, erklärt Aleksandra Hiltmann, dass strukturelle Benachteiligung von Frauen allein in den Redaktionen der Tamedia-Mediengruppe ein Problem sei: «Im Vorfeld des Frauenstreiks haben wir uns medienübergreifend zum Medien-Frauenstreik zusammengeschlossen. In diesem Kontext haben wir gesehen, dass schweizweit Frauen in den Medien dieselben Erfahrungen teilen. Es ist kein Tamedia-Problem.»

Was ist die Folge von Sexismus in Medienhäusern? Weil Sexismus nicht aus anekdotischen Einzelfällen besteht, sondern ein strukturelles Problem des Journalismus darstellt, reproduziert sich diese Benachteiligung von Frauen in den journalistischen Inhalten, was wiederum einen Einfluss auf die Gesellschaft hat. In Anlehnung an das Buch «Invisible Women» der britischen Autorin Caroline Criado Perez stellt Nicole Döbeli fest, dass die Medien Teil eines Kreislaufes sind, der bestehende diskriminierende Strukturen in der Gesellschaft festige: «Wir nehmen die Welt aus einer männlichen geprägten Sicht wahr und geben sie dann auch so wieder.» Diesen Effekt des Sexismus innerhalb von Medienorganisationen auf die Gesellschaft erkennt auch Nadine Brügger:

«Was wir in unseren Blättern, auf unseren Plattformen berichten, hilft mit, die Struktur der Gesellschaft zu formen.»

Tatsächlich ist in zahlreichen Studien dokumentiert, dass Frauen systematisch weniger oft Gegenstand oder aktive Stimme in der Berichterstattung sind (zum Beispiel hier, hier, hier oder hier). Dass die auf diese Art vielleicht subtil, aber systematisch verzerrte Berichterstattung wiederum einen Einfluss darauf hat, wie die breite Bevölkerung die Welt wahrnimmt, liegt auf der Hand.

Auch wenn struktureller Sexismus in Medienorganisationen tief verankert ist, kann etwas dagegen unternommen werden. Nadine Brügger plädiert für Anlaufstellen, die ausserhalb der Redaktionen stehen: «Wir brauchen HR-Abteilungen, die sensibilisiert sind und die tatsächlich auch proaktiv etwas verändern.» Nicole Döbeli erklärt, dass in Sachen Karrierechancen und Beförderungen Transparenz geschaffen werden muss, weil Diskriminierung oft latent abläuft:

«Das fiese an diesen Strukturen ist, dass vieles sehr subtil abläuft.»

Auch verbindliche Vorgaben zu Diversität könnten in dieser Hinsicht hilfreich sein.

Einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Lage, so Aleksandra Hiltmann, könnte auch das Publikum leisten: «Lest unsere Artikel über sogenannte Frauenthemen. Über weibliche Kulturschaffende, Regisseurinnen, Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen, Interviews mit Expertinnen, Kommentare von uns Frauen. Lest das, unterstützt das, teilt das. So macht man Journalistinnen sichtbar – und die Frauen, über die sie schreiben.»