von Nick Lüthi

«Von Zensur zu reden, ist in diesem Zusammenhang verfehlt»

Wird es künftig leichter sein, missliebige Medienberichte vorsorglich verbieten zu lassen? Ein Vorschlag zu einer Gesetzesänderung aus der ständerätlichen Rechtskommission weist in diese Richtung. Manuel Bertschi, der als Rechtsanwalt regelmässig Medienbetroffene vertritt, sieht darin keine staatlichen Zensurgelüste, sondern den Versuch eines Machtausgleichs zwischen den Medien und den Betroffenen der Berichterstattung.

Attentat auf die Medienfreiheit, gegängelte Medien oder schlicht Zensur: Glaubt man den Schlagzeilen der letzten Tage, droht dem Journalismus in der Schweiz ein ganz grober Eingriff: Mit einem hinterhältigen Foul, so der Tenor der Berichterstattung, säbelt die Rechtskommission des Ständerats die Grundfesten der Medienfreiheit um.

Was ist geschehen? Im Zuge der Revision der Zivilprozessordnung ZPO machte sich die kleine Kammer jüngst auch an Artikel 266 zu schaffen. Die Ständerät:innen wollen die Hürden für vorsorgliche Massnahmen gegen Medien ein Stück weit senken. Muss heute die drohende Rechtsverletzung, wegen der jemand ein Erscheinungsverbot beantragt, einen «besonders schweren Nachteil» verursachen, soll künftig ein «schwerer Nachteil» als Voraussetzung ausreichen.

Es würde also grundsätzlich einfacher werden, gegen missliebige Medienberichte vorzugehen. Manuel Bertschi, Medienanwalt in der Kanzlei Zulauf Partner in Zürich, hat hierzu eine differenzierte Meinung. Im Gegensatz zu den vielen Stimmen, die jetzt «Zensur!» rufen, hält er die geplante Anpassung im Gesetz für nicht sehr einschneidend. Das Grundrecht der Medienfreiheit gelte zudem nicht grenzenlos, gibt Bertschi zu bedenken. Auch Medienbetroffene hätten Rechte, die respektiert und sogar gestärkt werden müssten. Die Debatte über die Grenzen der Medienfreiheit müsse zudem ehrlicher geführt werden, findet er. Als ehemaliger BaZ-Journalist und Vorstandsmitglied von «Bajour» kennt Bertschi auch die Perspektive der Medien.

MEDIENWOCHE:

Wussten Sie davon, dass die Rechtskommission des Ständerats die Hürden für vorsorgliche Massnahmen gegen die Medien senken will?

Manuel Bertschi:

Die konkrete Idee war mir nicht bekannt. Fest steht, dass die Zivilprozessordnung derzeit punktuell revidiert wird. In diesem Zusammenhang ist die Idee der ständerätlichen Rechtskommission bezüglich Artikel 266 ZPO zu verstehen.

MEDIENWOCHE:

Warum denken Sie, dass die Politik hier Regulierungsbedarf sieht?

Bertschi:

Es geht wohl darum, zumindest teilweise einen Machtausgleich zu schaffen zwischen den Medien einerseits und den Medienbetroffenen andererseits. Auch das Parlament dürfte bemerkt haben, dass der Ton in manchen Medien rauer geworden ist und es manchmal zu schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen kommt.

MEDIENWOCHE:

Woran machen Sie dieses Machtgefälle fest?

Bertschi:

Das liegt alleine schon deshalb auf der Hand, weil Medien die Möglichkeit haben, jederzeit etwas über jemanden zu publizieren. Dass insbesondere im Bereich des Persönlichkeitsschutzes ein gewisser Ausgleich geschaffen werden muss, zumindest in Bezug auf den entsprechenden Rechtsschutz, scheint mir deshalb logisch.

MEDIENWOCHE:

Seit die Pläne aus dem Ständerat bekannt geworden sind, hagelt es empörte Reaktionen. Der Zensur werde Tür und Tor geöffnet, finden Journalistinnen, Verleger, Reporter ohne Grenzen und Verlagsanwälte nahezu einhellig. Halten Sie diese Kritik für berechtigt?

Bertschi:

Ich kann nachvollziehen, wenn Medienschaffende keine Freude haben am Vorschlag aus dem Ständerat. Die prompten Reaktionen gewisser Fachleute halte ich allerdings für übertrieben. Von «Zensur» zu reden, ist in diesem Zusammenhang verfehlt. Denn «Zensur» im verfassungsrechtlichen Sinn meint eine systematische Vorzensur als präventive und generelle Inhaltskontrolle. Eine solche wäre auch mit der angedachten Änderung von Artikel 266 ZPO nicht gegeben.

MEDIENWOCHE:

Stein des Anstosses ist ein einziges Wort. Künftig könnte ein Gericht bereits dann die Veröffentlichung eines Artikels vorübergehend verbieten, wenn jemand dadurch einen «schweren Nachteil» erleiden würde. Heute muss der Nachteil «besonders» schwer wiegen. Was genau würde sich damit ändern?

Bertschi:

Der betreffende Artikel 266 ZPO ist eine Sondernorm für Medien. Sie werden damit privilegiert. Nun soll nach der Idee der Rechtskommission des Ständerates diese Privilegierung ein Stück weit abgeschwächt werden. Aber der «schwere Nachteil» ist im Kontext von Artikel 266 ZPO nur eine von drei Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit ein Gericht eine vorsorgliche Massnahme anordnet. Die anderen Voraussetzungen hat die Rechtskommission des Ständerats nicht angetastet. Insgesamt handelt es sich also nur um eine punktuelle Abschwächung von Artikel 266 ZPO.

MEDIENWOCHE:

Eingriffe in die Medienfreiheit sollten möglichst streng reguliert und nicht leichtfertig erfolgen. Warum halten Sie die geplante Lockerung trotzdem für angemessen?

Bertschi:

Ich würdige die angedachte Lockerung nur insofern, als dass ich die Stossrichtung nachvollziehen kann. Einen verbesserten Machtausgleich anzustreben zwischen Medien und Medienbetroffenen halte ich grundsätzlich für sinnvoll. Die Idee der ständerätlichen Rechtskommission scheint mir aber nicht wirklich durchdacht. Was aber auffällt: In der öffentlichen Debatte wird fast ausnahmslos die möglicherweise eingeschränkte Medien- und Meinungsfreiheit thematisiert. Doch was ist mit den Persönlichkeitsrechten der Medienbetroffenen? In diesem Spannungsfeld stand Artikel 266 ZPO schon immer.

MEDIENWOCHE:

Dennoch: Wenn es finanzstarken Akteuren leichter gemacht wird, gegen kritische Berichterstattung vorzugehen, dann ist das doch eine gefährliche Entwicklung.

Bertschi:

Das Gericht entscheidet anhand des Sachverhalts, nicht aufgrund der Finanzstärke einer Partei. Ausserdem gehe ich nicht davon aus, dass die vorgeschlagene Abschwächung von Artikel 266 ZPO eine Flut von Gesuchen für vorsorgliche Massnahmen gegen die Medien auslösen wird. Letztlich bleibt das ganze vorsorgliche Massnahmenverfahren weiterhin komplex und aufwändig.

MEDIENWOCHE:

Am Ende entscheidet ein Gericht über eine vorsorgliche Massnahme. Welches Signal hätte die geplante Änderung von Artikel 266 der ZPO an die Gerichte?

Bertschi:

Bei den Richterinnen und Richtern wird vermutlich ankommen, dass ein gewisser Machtausgleich erreicht werden soll zwischen Medien und Medienbetroffenen. Aber insgesamt glaube ich nicht, dass die vorgeschlagene Anpassung dazu führen würde, dass die Gerichte sehr viel mehr vorsorgliche Massnahmen gutheissen, weil eben weiterhin auch noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

MEDIENWOCHE:

Wie entscheiden heute die Gerichte über vorsorgliche Massnahmen?

Bertschi:

In der Schweiz ist es grundsätzlich sehr schwierig, vorsorglichen Rechtsschutz zu erhalten. Es sind zudem Unterschiede zu beobachten zwischen Kantonen und jeweiligen Gerichten. In Kantonen mit einem Handelsgericht, wie etwa in Zürich, müssen Massnahmengesuche erfahrungsgemäss stärker substantiiert werden als anderswo.

MEDIENWOCHE:

Gibt es Instrumente, die geeigneter wären, den Medienbetroffenen gleich lange Spiesse in die Hand zu geben wie den Medien?

Bertschi:

Griffiger und sinnvoller scheint mir, das Kostenrisiko für Medienbetroffene zu senken. Diesbezüglich sollte eine gewisse Erleichterung stattfinden, damit mehr Medienbetroffene Zugang zum Rechtsschutz erhalten. Ein anderer Vorschlag wäre, dass man wie ansatzweise in Zürich oder in England Pikettdienste einrichtet bei den jeweiligen Gerichten, damit der Rechtsschutz für Medienbetroffene rund um die Uhr gewährleistet ist. Medieninhalte können ja mittlerweile jederzeit publiziert werden und es ist meines Erachtens nicht schlüssig, wieso man gerade in dringlichen Fällen nur von Montag bis Freitag Rechtsschutz erhalten kann, am Samstag und Sonntag aber nicht. Da hinkt der Rechtsschutz heute hinterher.