Neuer RSI-Direktor: «Wir sprechen offen von einer Krise»
Seit dem 1. April ist Mario Timbal (43) neuer Direktor des Schweizer Radios und Fernsehens italienischer Sprache RSI. Im Gespräch mit der MEDIENWOCHE spricht Timbal über das angeschlagene Image der RSI und die Krise der SRG: Die Unternehmenskultur zu ändern, sei ein langer Prozess.
Im letzten Dezember hat der SRG-Verwaltungsrat Mario Timbal zum neuen RSI-Direktor gewählt als Nachfolger von Maurizio Canetta. Eine wichtige Rolle für diesen Entscheid spielte neben den anerkannten Manager-Fähigkeiten die Tatsache, dass mit Timbal eine valable externe Kandidatur vorlag. Die Favoritin für das Amt, die langjährige Vize-Direktorin und Programmchefin Milena Foletti, hatte als interne Kandidatin das Nachsehen. Sie hat das Unternehmen inzwischen verlassen. Als Sohn der früheren Bundesanwältin Carla del Ponte weckte Timbal auch in der Deutschschweiz das Interesse an seiner Person, wo man sonst von RSI kaum Notiz nimmt. Sein Büro befindet sich am RSI-Sitz in Lugano Comano, im sechsten Stock des Hauptgebäudes. Dort fand auch das Gespräch statt.
—
Zur Person
MEDIENWOCHE:
Während sich in der Regel Spitzenkräfte 100 Tage Zeit lassen bis zu einer ersten Bilanz, haben Sie bereits nach zwölf Tagen die lokalen Medien eingeladen, an einem Mitarbeitendengespräch teilzunehmen. Warum?
Mario Timbal:
Im Vordergrund stand die Kontaktaufnahme mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wegen der Pandemie konnte dieses Treffen leider nicht physisch stattfinden, sondern nur online. Viele Mitarbeitende befinden sich im Homeoffice. Mit der Öffnung für Journalisten der italienischen Schweiz wollten wir ein Zeichen der Transparenz setzen. Gemäss dem Grundsatz: Wir haben nichts zu verbergen.
MEDIENWOCHE:
So entstand aber der Eindruck, RSI verstehe sich in erster Linie als Kantonssender, nicht als nationaler Sender.
Timbal:
Dieser Eindruck mag entstanden sein, es war aber nicht unsere Absicht. RSI ist für mich ganz klar ein nationaler SRG-Sender italienischer Sprache.
MEDIENWOCHE:
Trotz dieser nationalen Komponente ist der starke Fokus auf das Regionale bei RSI augenfällig.
Timbal:
Das liegt einfach am Referenzraum. SRF hat viele Deutschschweizer Kantone als Referenzgebiet. Wir haben das Tessin und Italienisch-Graubünden, auch wenn wir auf viele Nutzer ennet des Gotthards zählen können. Das Interview mit einem Tessiner Staatsrat auf RSI hat im Verhältnis ein höheres Gewicht als beispielsweise das Interview eines Regierungsrats eines deutschsprachigen Kantons auf SRF. Das liegt in der Natur der Sache, zumal wir eine Sprachminderheit repräsentieren. Tatsächlich besteht in dieser Ausgangslage eine gewisse Gefahr zur Selbstschau, und deshalb ist es mir so wichtig, das Verhältnis zwischen der italienischen Schweiz und der restlichen Schweiz zu stärken.
MEDIENWOCHE:
RSI operiert zur Hauptsache in einem Kanton, der extrem mediatisiert ist. Zwei Tageszeitungen, privates TV, Radio, mehrere Internet-Plattformen, und RSI mit zwei Fernseh- und drei Radiokanälen sowie Internetangeboten mitsamt eigenen Kanälen wie «Spam». Ist das nicht ein medialer Overkill?
Timbal:
Das scheint mir nicht der Fall zu sein. Die privaten Anbieter reagieren auf die Nachfrage und existieren, so lange dies wirtschaftlich tragbar ist. Die Zahl der Tageszeitungen hat sich bereits reduziert. Das Online-Angebot ist gewachsen. Wir fügen uns als RSI in diesen Markt mit einer Sonderstellung ein, da wir ein öffentlich-rechtliches Unternehmen mit einem öffentlichen Auftrag sind und weitgehend von Gebührengeldern leben.
MEDIENWOCHE:
Umfragen haben gezeigt, dass die RSI-Sendungen vom Publikum grundsätzlich geschätzt werden, es aber um das Image des Senders nicht gut bestellt ist. Wie lässt sich Gegensteuer geben?
Timbal:
Ehrlich gesagt: Es steht um das Image der gesamten SRG und damit auch der RSI nicht zum Besten. Wir sprechen da offen von einer Krise. Wir befinden uns in einer sehr heiklen Phase, in der wir das Vertrauen zwischen dem Publikum und dem Sender wieder herstellen müssen. Daran müssen wir hart arbeiten.
MEDIENWOCHE:
Sie haben in diesem Zusammenhang bereits erklärt, die Unternehmenskultur müsse geändert werden. Was meinen Sie damit genau?
Timbal:
Denken wir nur an die 40 Anzeigen zu Mobbing und Belästigungen bei RSI, die zurzeit untersucht werden. Diese zeigen, dass irgendetwas nicht stimmt in unserer Firmenkultur. Wenn unsere Mitarbeitenden sich nicht wohlfühlen, haben wir ein Problem. Das muss verbessert werden. Mit Vorschriften und Richtlinien allein lässt sich das nicht machen. Wir müssen diese Firmenkultur leben und vorleben, angefangen bei den Kadern. Es ist ein langer Prozess, der nur gemeinsam gelingen kann.
MEDIENWOCHE:
Das öffentliche Image leidet auch darunter, dass RSI mit mehr als 1000 Mitarbeitenden in der italienischen Schweiz als Unternehmen gilt, in dem Vetternwirtschaft herrscht und die Posten zum Beispiel nach der Nähe zu einer politischen Partei vergeben werden.
Timbal:
Auf dieses Argument werden wir mit Fakten und vollkommener Transparenz antworten. Für meinen Teil kann ich sagen, dass nur die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden zählen. Was die erwähnten Belästigungsvorwürfe angeht, müssen wir auf die Ergebnisse der Untersuchung warten, die im Sommer erwartet werden. Erst dann können wir handeln.
MEDIENWOCHE:
Für die Zukunft entscheidend ist auch die Frage, wie viel finanzieller Spielraum gegeben ist. Bis 2024 müssen allein bei RSI acht Millionen Franken eingespart werden. Wie sieht das im Detail aus?
Timbal:
Das Sparprogramm hat bereits mein Vorgänger aufgegleist. Ich muss dieses Dossier nun analysieren und beurteilen, ob das mit meinen eigenen Visionen vereinbar ist. Aber keine Frage: Wir befinden uns auch hier in einer heiklen Phase. Wir müssen sparen und uns zugleich wandeln. Ich sehe in diesem Wandel jedoch auch eine Chance. Wir müssen Wege finden, effizienter zu arbeiten und etwa die Digitalisierung für unsere Zwecke besser zu nutzen. Es ist ein Optimierungsprozess.
MEDIENWOCHE:
Weniger Mittel, ausgeweitetes Angebot mit mehr Vektoren, sprich Kanälen. Das klingt nach der Quadratur des Kreises.
Timbal:
Es wird nicht einfach. Wir müssen transversaler werden und unsere Kompetenzen, Ressourcen und Qualitäten für mehrere Vektoren – die diversen Radio- und Fernsehkanäle sowie das Internet – nutzen.
MEDIENWOCHE:
Eine der grossen Debatten im Moment betrifft die Zukunft vom Kultur-Radiokanal «Rete Due». Viele erwarten, dass Sie den bisherigen Transformationsprozess stoppen. Werden Sie diese Erwartungen erfüllen?
Timbal:
Die Situation von «Rete Due» schauen wir sehr genau an. Dabei trage ich dem Umstand Rechnung, dass es zwischen «Rete Due» und der Kulturszene in der italienischen Schweiz eine sehr enge Beziehung gibt. Wir haben Redaktoren mit sehr hohen Fachkompetenzen. Diese wollen wir behalten. Wir müssen aber sehen, wie wir diese in das Gesamtangebot einbauen können, damit «Rete Due» als Kulturkanal nicht ein isolierter Elfenbeinturm ist. In diesem Sinne werden Gespräche geführt, um an dem Projekt der Audio-Revision namens Lyra weiter zu arbeiten.
MEDIENWOCHE:
Noch etwas Persönliches: Bei Ihrer Ernennung zum RSI-Direktor wurde immer wieder erwähnt, dass Sie Sohn von Carla Del Ponte sind. Ist es ein Segen oder ein Fluch, Sohn einer so bekannten Persönlichkeit zu sein?
Timbal:
Es gibt positive und negative Aspekte. Positiv war sicherlich in meinem Fall, dass ich in einem sehr anregenden Ambiente aufgewachsen bin. Ein Nachteil ist es, wenn die eigene Mutter unter Polizeischutz leben muss. Was mich aber wirklich sehr gestört hat, ist die Behauptung, ich hätte meinen Job wegen meiner Mutter erhalten, so wie es im Umfeld meiner Nomination zum RSI-Direktor zu lesen war.
MEDIENWOCHE:
Von Ihrem Vater, dem Anwalt Daniele Timbal, spricht man nie.
Timbal:
(Lacht) Das sagt mein Vater auch. Aber das ist natürlich normal, wenn die Mutter so bekannt ist. Ich kann Ihnen an dieser Stelle aber versichern, dass ich ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Vater habe.
Bild: RSI/Loreta Daulte