von Nick Lüthi

«Man unterschätzt völlig, was passiert, wenn die Konkurrenz von ‹Bund› und ‹Berner Zeitung› wegfällt»

Nur wenige blicken auf eine vergleichbar lange Zeit bei der «Berner Zeitung» zurück. 38 Jahre lang schrieb Jürg Steiner für die Tamedia-Tageszeitung. Doch der permanente Spardruck in den letzten 20 Jahren setzte ihm zu. Jetzt verlässt Steiner die BZ, aber nicht den Lokaljournalismus. Ein Gespräch über Abbau und Aufbau.

Als Jürg Steiner seinen ersten Artikel in der «Berner Zeitung» veröffentlichte, war die BZ gerade mal vier Jahre alt. Das war 1983 und der 19-jährige Gymnasiast verdiente sich als freier Mitarbeiter im Sportressort mit Zeilenhonorar ein Taschengeld. Auch während des Geografie-Studiums und den sieben Jahren als Journalist und Redaktor im Tessin schrieb Steiner immer wieder für die BZ, bis ihn die Zeitung 2001 als Redaktor für das Hintergrund-Ressort «Zeitpunkt» zurück nach Bern holte.

Seit 2017 arbeitet Steiner im Stadt-Ressort, nachdem der «Zeitpunkt» abgeschafft wurde. Doch jetzt ist Schluss. Sein letzter Artikel ist am 17. Mai erschienen. Die anstehende Fusion der Redaktionen der bisherigen lokalen Konkurrenzblätter «Berner Zeitung» und «Bund» mag der 57-jährige Journalist nicht mehr mitmachen und kündigte. Quasi als letzter Akt half er noch als Präsident der Personalkommission einen Sozialplan auszuhandeln.

Zusammen mit anderen ehemaligen BZ-Redaktorinnen und -Redaktoren wirkt Jürg Steiner nun in führender Rolle beim Projekt «Neuer Berner Journalismus», das zumindest in Teilen die Lücken zu schliessen helfen soll, welche die Tamedia-Monopol-Redaktion öffnen wird.

MEDIENWOCHE:

Wie ist dir zumute zwei Wochen nach deinem Austritt aus der BZ-Redaktion?

Jürg Steiner:

Schwierig zu sagen … Die Wehmut ist noch recht stark. Ich bin schon ein bisschen traurig, dass eine Zeit zu Ende gegangen ist, in der ich eigentlich immer sehr glücklich war, weil ich gerne als BZ-Redaktor gearbeitet habe.

MEDIENWOCHE:

Du warst bis zuletzt auch Präsident der Personalkommission der «Berner Zeitung». Warum bist du nicht bis zum Ende des Fusionsprozesses geblieben, um deine Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen?

Steiner:

Ich wollte meine Situation unabhängig vom ganzen Sparprozess klären, und der Frage, ob ein Sozialplan steht oder nicht.

MEDIENWOCHE:

Bis zu deinem Austritt warst du Teil der Verhandlungsdelegation und hast versucht, möglichst gute Konditionen auszuhandeln mit Tamedia. Mit welchem Ergebnis?

Steiner:

Der Sozialplan steht noch nicht, obwohl das nach dem normalen Zeitplan eigentlich der Fall sein müsste. Die Personalkommission aller Tamedia-Redaktionen und die Geschäftsleitung sind sich nicht einig geworden, weshalb wir ein Gesuch um Einsetzung der eidgenössischen Einigungsstelle gestellt haben.

MEDIENWOCHE:

Wo bestehen Differenzen?

Steiner:

Diese Verhandlungen sind vertraulich. Aber ich kann so viel sagen, dass wir uns recht nah gekommen sind, aber eben zu wenig nah. Es ist nicht mehr ein riesiger Unterschied, aber beide Seiten sahen keinen Spielraum mehr, an ihren Positionen zu schrauben.

MEDIENWOCHE:

Du kennst solche Verhandlungen von früheren Sparübungen. Was ist heute anders?

Steiner:

Mit Tamedia waren es die ersten Verhandlungen, bei denen ich dabei war. Früher bei Verhandlungen mit Espace Media war das Klima familiärer. Man ging zwar direkter und härter miteinander um. Aber dafür kam man recht schnell zu einem Resultat. Heute ist alles grösser, schwerfälliger und formaler. Es geht auch um grössere Summen. Ich habe die aktuellen Verhandlungen als sehr zäh wahrgenommen.

MEDIENWOCHE:

Ist es strukturell zäher geworden oder auch zwischenmenschlich?

Steiner:

Früher sah man die Leute, mit denen man verhandelte, jeden Tag im Büro, es war eine andere Beziehung als heute. Klar kenne ich Marco Boselli, aber der ist in Zürich. Ich habe ihn noch nie physisch getroffen, jetzt mit Corona sowieso nicht. Die laufenden Verhandlungen finden nur per Videokonferenz statt. Das macht auch etwas aus. Wie kommen Voten rüber, die man in die Kamera sagt? Die tönen manchmal salopper als es gemeint ist. Das hat es nicht einfacher gemacht.

MEDIENWOCHE:

Es ist keine allzu gewagte Behauptung, dass du mit deinem Profil diesen Sparschnitt wohl überlebt hättest. Warum wolltest du nicht bleiben?

Steiner:

Das wäre schon eine Möglichkeit gewesen. Ich habe mit mir gerungen, was ich machen soll. Dass ich gehe, war nicht ein Entscheid 100 zu 0, sondern eher 52 zu 48. Mein Alter und die Situation auf dem Arbeitsmarkt machten den Entscheid auch nicht einfacher. Was aber letztlich den Ausschlag gab, war die Tatsache, dass ich zwanzig Jahre lang eigentlich nur Abbau erlebt habe. Es waren zwar gute Zeiten, aber Sparen war als Thema immer präsent. Und es wird so weitergehen. Ich habe gemerkt, dass mir das je länger je weniger guttut. Wäre ich geblieben, hätte ich wahrscheinlich diesen Schnitt überlebt, aber dann kommt in zwei Jahren der nächste und dann bin ich 59.

MEDIENWOCHE:

Was weiss man jetzt schon, wie die neue Berner Tamedia-Redaktion aussehen wird?

Steiner:

Ich weiss sehr wenig dazu, weil ich mich auch nicht mehr darum gekümmert habe, als klar war, dass ich gehen würde. Die Personalkommission kritisiert zu Recht, dass Mitarbeitende zu wenig wissen und immer nur tröpfchenweise und im Manager-Sprech informiert werden. Es müssen zwei Kulturen von zwei Redaktionen zusammengeführt werden, die bisher in einem Konkurrenzverhältnis zueinander gestanden haben. Das ist nicht so einfach.

MEDIENWOCHE:

«Bund» und BZ sprechen unterschiedliche Publika an. Wie bringt man diese Profile unter einen Hut?

Steiner:

Ob der Unterschied wirklich so gross ist, wie immer erzählt wird mit zwei komplett verschiedenen Publika, weiss ich nicht. Die extremen Differenzen der beiden Zeitungen zu betonen, war in den letzten zehn Jahren auch immer eine taktische Botschaft an Tamedia in Zürich, um gegen Sparschnitte und die Fusion zu kämpfen, mit der schon lange gerechnet wurde.

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MEDIENWOCHE:

«Bund» und BZ sind sich also ähnlicher als sie selbst sagen?

Steiner:

Die BZ hat in der Stadt Bern mehr Leser als der «Bund», der immer als die «urbane Zeitung» beschrieben wird. Die BZ ist also nicht einfach die «konservative Landzeitung». Das stimmt auch im Selbstverständnis der BZ-Redaktion nicht. Aber als Narrativ, um zwei Titel zu positionieren, ist es natürlich super.

MEDIENWOCHE:

Was geht verloren mit der Fusion der Redaktionen von «Bund» und BZ?

Steiner:

Vor allem ein journalistisches Selbstverständnis. Von all den Leuten, die jetzt für die beiden Zeitungen arbeiten, hat noch niemand erlebt, wie es ist, wenn man am Morgen aufsteht und nicht mehr schauen kann, was die Konkurrenz gemacht hat. Das muss man sich zuerst mal vorstellen. Wir haben uns bei der BZ fast immer überlegt, was wohl der «Bund» macht.

MEDIENWOCHE:

Die Konkurrenz als zentraler Antrieb?

Steiner:

Natürlich! Ich kenne nichts anderes. Man unterschätzt völlig, was passiert, wenn das wegfällt. Natürlich geht es irgendwie weiter. Aber eine wichtige Orientierungshilfe und Motivationshilfe fällt weg.

MEDIENWOCHE:

Im schlechteren Fall läuft das auf eine ambitionslose Monopolzeitung hinaus.

Steiner:

Am Anfang wird man sehr viel unternehmen, dass dieser Eindruck nicht entsteht. Die Motivation wird auch noch da sein. Es werden weiterhin viele sehr gute Journalistinnen und Journalisten in der gemeinsamen Redaktion von «Bund» und BZ arbeiten. Ich sehe mehr die Gefahr, dass es sich in drei oder in fünf Jahren ausschleift und sich dann das Publikum auch nicht beklagt, wenn die Berichterstattung Lücken aufweist. Es wird ein schleichender Prozess sein, sowohl beim Publikum als auch bei den Leuten, die dort arbeiten.

MEDIENWOCHE:

Öffentlich wird nun vor allem das Ende des «Bund» beklagt, aber auch die BZ wird es nicht mehr als eigenständige Zeitung geben. Was geht verloren?

Steiner:

Die kulturelle Leistung der BZ seit der Gründung 1979 war es, dass sie kapillare Lokalberichterstattung mit hohen journalistischen Ansprüchen verband. Es reichte nicht mehr, dass pensionierte Lehrer als Hobby noch Lokalmeldungen einsandten. In der Stadt Bern und in Arnisäge kamen dieselben journalistischen Kriterien zur Anwendung. Das ist ein hohes Gut für den Kanton Bern, in dem der Stadt-Land-Graben politisch eifrig bewirtschaftet wird. Mit ihren Lokalausgaben hat es die BZ geschafft, lokale Identitäten zu erhalten. Diese Verankerung wird nun preisgegeben. Die neue Redaktion soll einen Lokaljournalismus machen, der auch national funktioniert.

MEDIENWOCHE:

Was geschieht mit den BZ-Redaktionen in Langenthal und Burgdorf?

Steiner:

Im Detail weiss ich nicht, was da genau geschieht. Oberaargau und Emmental sollen in ein grosses regionales Ressort integriert werden. Der Chefredaktor würde mir nun wohl widersprechen – aber die Aussenstellen verlieren ihre bisherige Eigenständigkeit. Die Büros bleiben zwar erhalten, aber ist noch eine Chefin dort? Nein, wahrscheinlich nicht. Die BZ wird nicht mit einem Knall aus Langenthal verschwinden. Es wird ein schleichender Rückzug aus den Regionen stattfinden. Wer dort arbeitet, wird dafür kämpfen müssen, dass der Lokaljournalismus mit seiner Nähe zu den Akteuren erhalten bleibt.

MEDIENWOCHE:

Du engagierst dich im Projekt «Neuer Berner Journalismus», das die Lücke füllen soll, welche die Fusion der beiden Berner Zeitungsredaktionen hinterlassen wird. Wo steht das Projekt?

Steiner:

Wir stehen an einem schwierigen, aber hochspannenden Punkt. Unsere Gruppe aus rund 15 Leuten kennt eigentlich nur einen Journalismus, der möglichst alle bedienen soll. Ein Start-up im Medienbereich muss genau umgekehrt denken: Sich klar auf eine bestimmte Zielgruppe fokussieren. Wir müssen lernen, Dinge wegzulassen, damit wir nicht einfach eine Zeitung ins Internet kopieren.

MEDIENWOCHE:

Woher soll das Geld kommen?

Steiner:

Natürlich ist es die grosse Frage, wie wir zu Geld kommen. Aber ich will jetzt nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Dass wir uns an «Republik» oder «Bajour» mit ihren Member-Modellen orientieren, liegt auf der Hand. Wir rechnen auch staatliche Medienförderung ein. Aus eigener Kraft, nur mit Abos oder Mitgliederbeiträgen, ist es wohl kaum zu schaffen. Wir haben einen ersten kleinen Unterstützungsbetrag von einer Stiftung erhalten. Damit können wir unsere Strukturen etwas professioneller aufstellen. Für die Entwicklung des Geschäftsmodells haben wir externe Experten beigezogen, die uns beraten.

MEDIENWOCHE:

Wie wollt ihr euch zur neuen Tamedia-Redaktion positionieren?

Steiner:

Wir kämpfen nicht gegen Tamedia. Die Fusion wird aber eine Lücke öffnen, die wir mit einem neuen Angebot besetzen wollen, das die Berichterstattung der Tamedia-Redaktion ergänzt. Dabei geht es auch darum, dass sich die Menschen in Bern wohl fühlen mit unserem Medium. Ein Vergleich: Es gibt längstens genug Biermarken, aber lokales Bier findet man cool, obwohl eigentlich nichts dafür spricht, drei Franken mehr dafür zu zahlen. Eine Non-Profit-Plattform, die vor Ort mit Herzblut gemacht wird, von Bern für Bern, kann eine Kraft entwickeln, die die Leute überzeugt, dabei sein zu wollen. Sofern die Qualität stimmt.

MEDIENWOCHE:

Wo seht ihr euch im Vorteil gegenüber der übermächtigen Konkurrenz?

Steiner:

Ein Schwachpunkt traditioneller Medienmarken sind die starren Strukturen. Es ist schwierig, etwas zu bewegen. Wir hingegen müssen nichts tun, was man schon immer so gemacht hat. Mit diesem Ansatz können wir auch auf vorübergehende Bedürfnisse flexibel und schnell reagieren. Da hat eine Maschine wie Tamedia Schwierigkeiten. Sie ist schwerfällig. Ob dann unser Journalismus komplett anders ist, ist eine andere Frage.

MEDIENWOCHE:

Nun gibt es noch mindestens zwei andere Projekte für neue Lokalmedien in Bern. Was wisst ihr über diese Konkurrenz?

Steiner:

Wir finden es positiv, wenn sich so viele Köpfe für die Berner Medienzukunft engagieren. Wir hatten oder haben mit allen Exponenten Kontakt. Meines Wissens ist noch keines der Projekte ausfinanziert, deshalb ist es legitim, wenn unterschiedliche Ansätze entwickelt werden. Am Anfang dachten wir auch, man müsste doch alles zusammenbringen und gemeinsam vorgehen. Irgendwann wird man das sicher tun müssen. Aber jetzt ist ein gewisser Ideenwettbewerb gar nicht schlecht. Wir glauben an unser Projekt und treiben es mit aller Kraft voran. Sollten wir von einem besseren Projekt überflügelt werden, werden wir gratulieren. Selbst dann könnte unsere jetzige Arbeit von Nutzen sein, auch wenn es sicher weh täte, von einer eigenen Idee Abschied zu nehmen.

MEDIENWOCHE:

Mit dem Radiosender «Rabe» und dem «Journal B» gibt es bereits zwei alternative Medienplattformen in Bern. Warum etwas Neues erfinden und nicht Bestehendes stärken?

Steiner:

Mit «Rabe» haben wir noch nicht gesprochen, aber mit «Journal B» stehen wir in einem konstruktiven Austausch. Wenn ein neues Medium zu einer gehörten Stimme werden will, muss es deutlich grösser werden als «Journal B» heute ist. Mit etwas Neuem einfach an etwas Bestehendes anzudocken, ist zudem nicht wirklich eine Option.

MEDIENWOCHE:

Irgendwann braucht ihr einen Namen, eine Marke, die alle kennen. «Neuer Berner Journalismus» klingt etwas sperrig. Wie soll euer neues Berner Medium heissen?

Steiner:

Wir haben schon an Namen herumgedacht und waren recht stolz auf unsere Shortlist. Kürzlich haben wir mit einem Markenexperten gesprochen und ihm diese vorgelegt. Was wir cool fanden, fand er unbrauchbar. Er brachte uns auf den Gedanken, dass der Arbeitstitel «Neuer Berner Journalismus» ziemlich gut auf den Punkt bringt, was wir machen wollen. Eine Art Labor für Lokaljournalismus, das einzelne Produkte und Projekte lanciert.

MEDIENWOCHE:

Was könnte das konkret sein?

Steiner:

Zum Beispiel ein kuratierter Newsletter «Guten Morgen Bern». Wenn der läuft, kann er zur Marke werden. «Neuer Berner Journalismus» soll für hohe journalistische Qualität, aber auch für Beweglichkeit und Multimedia-Experimente stehen. «Bajour» in Basel geht ähnlich vor. Wir könnten noch stärker projektmässig arbeiten. Das wäre auch eine klare Alternative zu Tamedia mit den etablierten Marken «Bund» und BZ.

MEDIENWOCHE:

Was würde das für die inhaltliche Ausrichtung bedeuten?

Steiner:

Unser Ehrgeiz muss es sein, entweder den ersten oder den letzten Artikel zu einem Thema zu bringen. Wir können natürlich nie die Menge produzieren, wie sie Tamedia auch in Zukunft bieten wird. Dafür können wir schneller und präziser sein oder Themen aufgreifen, die nur in der Region interessieren. Ein Thema wie die Quartiermitsprache in der Stadt Bern werden «Bund» und BZ nicht mehr so stark verfolgen können wie heute noch. Für die Leute ist es aber relevant.

MEDIENWOCHE:

Du bist bei der «Berner Zeitung» einen ungewöhnlichen Weg gegangen: vom Magazin-Journalisten im Hintergrund-Ressort zum Lokalredaktor im Stadt-Ressort.

Steiner:

Freiwillig hätte ich das nie gemacht. Der «Zeitpunkt» wurde eingestellt, und ich stand vor der Wahl ins Inlandressort zu gehen, das kurz darauf das Zeitliche segnete, oder ins Lokale. Ich tat mich sehr schwer damit, noch schwerer als jetzt mit dem Kündigungsentscheid. Aber ich habe mich wirklich versöhnt damit und bin heute dankbar dafür. Es gelang mir, mich darauf einzulassen und Gas zu geben, und das gab mir auch die Energie, ein Buch über die rot-grüne Ära in der Stadt Bern zu schreiben. Und ich finde es eigentlich ganz gut, im persönlichen Reifestadium prestigemässig einen Schritt zurück machen zu können. Im Nachhinein war es eine Fügung, die mich glücklich machte.

MEDIENWOCHE:

In den zwanzig Jahren, die du bei der BZ gearbeitet hast, wandelte sich der Journalismus grundlegend. Alle Prozesse haben sich beschleunigt. Du hast dir aber immer wieder die Zeit genommen für langsamere Formate, hast ein Buch geschrieben. Was war deine Überlebensstrategie?

Steiner:

Ich habe mich immer getragen gefühlt von meinem Umfeld in der BZ. Das war auch sehr familiär. Ich fühlte mich immer sehr wohl und erlebte kaum Konflikte im Team. Das alles spielte eine grosse Rolle, dass ich nach aussen den Eindruck erwecken konnte, dass ich ruhig geblieben bin und auch die Themen ruhig angehen konnte.

MEDIENWOCHE:

Was machst du nun beruflich?

Steiner:

Das ist recht offen. Das Herzensprojekt ist der «Neue Berner Journalismus», dafür investiere ich derzeit mindestens zwei Tage pro Woche unentgeltlich, das zeigt, wie fest ich daran glaube. Daneben arbeite ich als freier Journalist, ich habe ein paar Aufträge. Meine Frau arbeitet als selbständige Kommunikationsspezialistin, sie lanciert zudem ein Projekt, um Lebensgeschichten älterer Menschen aufzuschreiben. Daran werde ich mich beteiligen. Aber ich halte mir auch offen, mein Leben richtig umzukrempeln und Geld mit Gelegenheitsarbeiten ausserhalb des Journalismus zu verdienen, zum Beispiel als Velokurier.

MEDIENWOCHE:

Wie hältst du es mit PR und Kommunikation?

Steiner:

Da hätte ich nicht allzu grosse Berührungsängste. Dass ich – im Journalismus oder im PR-Bereich – eine Stelle finde, ist in meinem Alter jedoch praktisch ausgeschlossen. Dafür bin ich zu teuer. Das ist eine Realität, der man einfach in die Augen schauen muss. Ich finde das bedauerlich, dass die Unternehmungs- und Veränderungslust von älteren Berufsleuten oft schon zum Vornherein an den hohen Altersvorsorgekosten scheitert.

MEDIENWOCHE:

Das Kapitel BZ ist für dich endgültig abgeschlossen?

Steiner:

Ich gehe mit guten Gefühlen. Wenn mir der Chefredaktor anrufen würde mit einem Angebot, könnte ich schon weich werden. Wie gesagt: Ich bin offen für alles und hätte null Probleme, wieder für die BZ zu schreiben. Aber jetzt gebe ich alles für den «Neuen Berner Journalismus», denn die Gruppe, die sich da gefunden hat, macht mir schon jetzt sehr viel Freude. Ich lerne so viel wie selten zuvor.

MEDIENWOCHE:

Was vermisst du schon heute am BZ-Redaktionsalltag?

Steiner:

Die Sicherheit, eine Idee schnell umsetzen zu können und eine Plattform zu haben mit Kolleginnen und Kollegen, die das unterstützen. Das ist das Tollste. Das war typisch BZ. Dass man eigene Ideen einbringen kann und nicht gebremst wird.

Bild: zVg/Nicole Philipp

Leserbeiträge

fliegenDruck 05. Juni 2021, 15:02

„Die Sicherheit, eine Idee schnell umsetzen zu können …“
„Heute ist alles grösser, schwerfälliger und formaler. ..“
na was nun ganz genau?
und die Aussage betr. Altersvorsorge: „… Dafür bin ich zu teuer.“
berichtet von etwas Kalk im Geldbeutel.