von Nick Lüthi

«Ein Beitrag zum Erhalt des gesellschaftlichen Friedens»

Unter Corona wurde Medienkritik zum Volkssport. Presserat, Ombudsstelle und UBI erhielten 2020 eine Rekordanzahl an Beschwerden, wie ein Blick in ihre Jahresberichte zeigt. Auch wenn die Beschwerdeorgane an ihre Kapazitätsgrenzen stossen, tun sie alles dafür, um ihre Rolle als Blitzableiter zu gewährleisten.

Überall der gleiche Befund: Der Ton wird rauer, der Respekt geht verloren. Im vergangenen Jahr standen die Beschwerdeorgane der Schweizer Medien unter doppelter Belastung. Neben der Bewältigung einer nie dagewesenen Anzahl an Beanstandungen und Beschwerden sahen sich Presserat, Ombudsstellen und UBI vermehrt auch Anfeindungen und Unflätigkeiten ausgesetzt. «Auffallend ist zudem, dass (…) gewisse Beschwerdeführer bei ihnen nicht genehmen Entscheidungen die im Presserat zuständigen Personen teilweise unflätig kritisieren», hält Markus Spillmann im kürzlich erschienenen Jahrheft des Schweizer Presserats fest. Gleichzeitig betont der per Ende 2020 zurückgetretene Präsident des Stiftungsrates «Schweizer Presserat» die wichtige Rolle, die eine «unabhängige Beschwerdeinstanz im hiesigen Mediensystem» spiele.

In dem Sinn zeugt die grosse Anzahl eingereichter Beanstandungen auch vom Erfolg des Presserats – ein zweischneidiger Erfolg allerdings.

Die Beschwerdeflut führte das Gremium an seine Kapazitätsgrenzen. Darum seien Massnahmen nötig, um dieses Wachstum zu begrenzen, allerdings «ohne dass dabei das Prinzip einer möglichst niedrigschwelligen (und kostenlosen) Anrufung untergraben wird». Mittelfristig dürften die im Medienförderungspaket vorgesehenen Bundesmittel eine Entlastung bringen. Auch ist davon auszugehen, dass das Jahr 2020 mit 180 neu eingegangenen Beschwerden ein Rekordjahr war und die Zahl wieder auf plusminus 120 zurückgehen wird wie in den drei Jahren davor.

Mit dem Zehnfachen an Beanstandungen sah sich im Corona-Jahr 2020 die Ombudsstelle von Deutschschweizer Radio und Fernsehen konfrontiert. Die Zahl von 1161 relativiert sich allerdings insofern, als darin auch mehrfache Beanstandungen gegen ein und dieselbe Sendung enthalten sind. Dennoch brachte dieser Rekordwert die beiden Ombudsleute Esther Girsberger und Kurt Schöbi an ihre zeitlichen Grenzen.

Herausgefordert sah sich die Ombudsstelle auch in ihrem Selbstverständnis. Bei einem Grossteil der kritischen Reaktionen auf die Corona-Berichterstattung von Schweizer Radio und Fernsehen gehe es nicht nur um die beanstandete Sendung, sondern um ein grundsätzliches Unbehagen, beobachten die Ombudsleute. «Stellvertretend für das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft und der Politik müssen die Medien – vor allem auch die SRG-Produkte – dran glauben», steht im Jahresbericht der Ombudsstelle. Das äussert sich dann auch so, dass sich SRF und Ombudsstelle «besonders vielen Anwürfen und Beleidigungen ausgesetzt» sahen. Nichtsdestotrotz betonen Girsberger und Schöbi die Bedeutung des Dialogs:

«Nur durch Auseinandersetzung mit Andersdenkenden kann verhindert werden, dass der Dialog abbricht.»

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Die Bedeutung als Blitzableiter ihrer Institution betont auch UBI-Präsidentin Mascha Santschi Kallay. «Frustrationen über die bestehende Situation und die Rundfunkberichterstattung kann man quasi formell und kostenlos bei der UBI deponieren», schreibt Santschi Kallay im Vorwort zum Jahresbericht der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI. Wie bei Presserat und Ombudsstelle betrafen auch bei der UBI ein Grossteil der im letzten Jahr eingereichten Beschwerden die Corona-Berichterstattung. Und die waren teils so ausufernd oder ausfällig, dass die UBI erwägt, diese Beschwerden zur Verbesserung an die Absender zurückzuweisen. Eine Massnahme, die der Presserat schon beschlossen und im Reglement festgehalten hat. In diesem Zusammenhang wage sie zu behaupten, schreibt Mascha Santschi Kallay, «dass eine Behörde wie die UBI ein – zumindest klitzekleines – Stück weit auch zum Erhalt des gesellschaftlichen Friedens beiträgt».