Warum sich die Online-Werbung neu erfinden muss
Es wird je länger, je schwieriger personenbezogene Daten im Web zu sammeln. Das zwingt die Online-Werbung zu einem Umdenken. Für die Nutzerinnen und Nutzer ist das grundsätzlich gut. Doch von der Entwicklung profitieren auch die Datengrossmächte Google und Facebook.
Die Situation sorgt regelmässig für Ärger. Man sucht online nach einem neuen Staubsauger – und noch Wochen später sieht man Staubsauger auf Werbeflächen aller möglichen Webseiten. Dass einen die Werbung verfolgt, dafür sorgen sogenannte Third Party Cookies (siehe Glossar). Das sind Dateien, welche Werbevermarkter und Online-Werbedienstleister im Browser der Internet-Nutzer:innen speichern. Sie ermöglichen es Unternehmen, basierend auf dem Verhalten und den Aktivitäten von Nutzer:innen Personenprofile zu erstellen und darauf basierend personalisierte Werbung auszuspielen.
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Glossar
Cookies sind Datenpakete, die von Webbrowsern und Webseiten erzeugt werden, um Nutzerdaten zu speichern. Dabei wird zwischen First- und Third-Party-Cookies unterschieden. First Party Cookies werden von der Webseite erzeugt und verwendet, die man gerade nutzt, und speichern beispielsweise Login-Daten oder den Warenkorb bei Shoppingseiten – sie machen also das Nutzererlebnis angenehmer.
Third Party Cookies werden von Drittparteien gesetzt und speichern das Surfverhalten von Nutzern über verschiedene Seiten hinweg ab – auch wenn diese sich nirgendwo angemeldet haben. Damit lässt sich ein umfassendes Nutzerprofil erstellen.
Single Sign On (SSO) ist eine Software-Lösung, die es Nutzern ermöglicht, sich nur einmal einloggen zu müssen, um verschiedene Websites oder Online-Dienste zu nutzen.
Walled Gardens sind geschlossene Plattformen. Die Betreiber teilen die Nutzerdaten, die sie innerhalb dieser Plattform sammeln, nicht direkt mit den Werbetreibenden, ermöglichen es aber diesen, gezielte Werbekampagnen zu fahren. Oft genannte Beispiele dafür sind Google und Facebook, aber auch Verlage wie etwa die New York Times betreiben solche Plattformen, bei denen sich die Leser einloggen müssen.
Damit soll es nun aber endgültig vorbei sein. Mozillas Browser Firefox blockierte solche Third Party Cookies bereits seit 2019, Apples Safari zog im letzten Jahr nach. Und bis Ende 2023 will auch Google in seinem Chrome Browser keine Cookies von Dritten mehr akzeptieren. Die drei Browser decken über 80 Prozent der Seitenaufrufe in der Schweiz und weltweit ab. Die digitalen Werbemöglichkeiten werden sich deshalb radikal wandeln müssen. Medien, die sich heute massgeblich mit Online-Werbung finanzieren, müssen neue Wege finden.
Hinter der Aktion der Browseranbieter stehen Datenschutzüberlegungen. Denn aus Sicht der Endnutzer sind die Cookies heikel. Die Nutzerdaten, die gesammelt werden, lassen tief in die Privatsphäre blicken. Die besuchten Websites, angeklickten Links und eigegebenen Suchbegriffe ermöglichen es, detaillierte Profile zu Interessen, Vorlieben und demografischen Daten wie Alter, Wohnort und Familienstatus zu erstellen.
Datenmissbrauchs-Vorfälle wie der Skandal um die britische Firma Cambridge Analytica, die Facebook-Daten von 87 Millionen Nutzern für psychologisches Profiling einsetzte und damit mutmasslich politische Wahlen und Abstimmungen beeinflusste, haben bei den Usern das Bewusstsein über das Risiko solcher Datensammlungen zunehmend geschärft. Bereits heute blendet ein grosser Teil der Internetnutzer digitale Werbung mithilfe von Adblockern aus. Auch die Politik hat das Thema immer stärker auf dem Radar und verabschiedet neue Datenschutzgesetze wie die europäische Datenschutz-Grundverordnung DSGVO. Kein Wunder also, versuchen die Browseranbieter mit dem Versprechen, die Privatsphäre der Nutzer zu schützen, dem geschärften Datenschutzbewusstsein zu entsprechen.
Werbetreibende sind über den Wandel nicht glücklich, denn für sie bringen Third Party Cookies zahlreiche Vorteile.
Wenn sie ihre Werbung zielgerichtet an die passenden Personen schalten können, vermeiden sie Streuverluste und nicht zuletzt höhere Kosten. Kein Wunder, sind die Werbeauftraggeber unsicher, wie es weitergehen soll: Gemäss einer Umfrage der Werbemanagement-Plattform Adform aus dem Februar 2021 haben 88 Prozent der befragten Marketingfachleute aus der Schweiz noch keine Lösung für die Zeit nach dem Ende der Third Party Cookies.
Auch die Verlage sehen sich in einem Dilemma. «Nutzer möchten zwar nicht getrackt werden – aber für Inhalte wollen sie trotzdem nicht bezahlen», erklärte Daniel Hünebeck, Digitalbeauftragter des Schweizer Werbe-Auftraggeberverbands SWA an einer Online-Veranstaltung zum Thema Third Party Cookies. Das Geld muss also über Werbung hereinkommen – und je zielgenauer die Werbung, desto effizienter das Geschäft.
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Und die Verlage müssen sich gegen zwei starke Gegenspieler behaupten, die davon profitieren, dass sich die Nutzer anmelden müssen und damit zustimmen, Personendaten zu liefern. Google und Facebook teilen rund drei Viertel des Online-Werbemarktes unter sich auf. Google nutzt zwar bislang Third Party Cookies, um an Nutzerinformationen zu kommen, doch das will der Konzern ja nun künftig ändern. Das ist aber keine komplett selbstlose Aktion. Der Chrome-Hersteller treibt unter dem Titel «Privacy Sandbox» eine Lösung voran, die personalisierte Werbung und Privatsphäre vereinen soll. Herzstück davon ist eine Werbetechnologie, bei der Chrome zwar den Nutzer trackt, ihn aber basierend auf seinen Gewohnheiten einer spezifischen Gruppe zuordnet. Werbetreibende sollen dann mit ihrer Werbung auf diese Gruppe zielen statt auf den individuellen Nutzer.
Facebook ist ebenfalls nicht abhängig von Third Party Cookies. Der Tracker «Facebook Pixel» kann von Webseitenbetreibern als First Party Cookie gesetzt werden. Wer also einen Facebook-Share- oder -Like-Button auf seiner Webseite platziert, ermöglicht es Facebook gleichzeitig, Nutzerdaten zu sammeln.
Werbetreibende fürchten, dass sie durch die aktuellen Entwicklungen noch abhängiger werden von den Walled Gardens von Google und Facebook.
Denn indem die beiden Konzerne weiter detaillierte Informationen über ihre Millionen von Nutzern sammeln, diese aber nicht teilen, zwingen sie Werbetreibenden faktisch, ihre Plattformen für zielgerichtete Werbung zu verwenden.
Doch es gibt auch andere Optionen. Dazu gehört etwa eine mögliche Renaissance der kontextabhängigen Werbung – oder aber die Nutzung von First-Party-Daten.
Auf die Karte First Party Data wollen grossen Medienhäuser der Schweiz setzen. Sie haben sich bereits 2018 zu einer Allianz zusammengeschlossen. Ziel ist ein gemeinsames Login, mit dem sich die Nutzerinnen und Nutzer bei allen Newsplattformen einloggen können. Die Medienhäuser CH Media, NZZ, Ringier, TX Group und die SRG sind an der Allianz beteiligt. Technische Basis bildet OneLog, eine Single-Sign-On-Softwarelösung, entwickelt von Ringier.
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⇨ Interview mit Ringier-Strategichef Patrick Rademacher zur Digital-Allianz
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OneLog ist bereits bei zwölf Titeln von Ringier, respektive Ringier Axel Springer Schweiz im Einsatz. Als Pilotprojekt ist seit März nun mit «20 Minuten» das erste Pilotprojekt ausserhalb von Ringier hinzugekommen.
Mit der gemeinsamen Login-Lösung wollen die Medienunternehmen den Werbetreibenden ermöglichen, ihren Leserinnen und Lesern auch ohne Third Party Cookies relevante Werbung basierend auf deren Interessen auszuspielen, und gleichzeitig den Datenschutz der Nutzer zu gewährleisten. Wer ein Login erstellt, stimmt damit gewissen anonymisierten Nutzungsmöglichkeiten zu.
Auch in anderen Ländern sind solche Single-Sign-On-Lösungen im Aufbau – oder bereits weiter als das Schweizer Modell. In Deutschland etwa die NetID, gegründet von den Medien- und Internetunternehmen ProSiebenSat.1 Media SE, Mediengruppe RTL Deutschland und United Internet AG. Die branchenübergreifende Lösung ist datenschutzkonform organisiert und lässt die Übertragung von Nutzerdaten zwischen den verschiedenen Angeboten nur mit Einwilligung zu. Die Allianz hat heute bereits 38 Millionen Nutzer-Accounts – das entspricht rund 60 Prozent aller Internetnutzer in Deutschland.
Pietro 02. Juli 2021, 08:45
2001 hat der „Bund“ seine Website (eBund.ch) mit einem Login versehen. Die Benutzer konnte damit einstellen, welche Informationen sie in erster Linie konsumieren wollten. Damit war der Verlag anderen weit voraus. Die Werbewirtschaft war interessiert am sogenannten „Tartgeting“, weil gezielt Kundensegmente angesprochen werden konnten; jedoch war für die Werbenden die Anzahl der Empfänger (z.B. Führungskräfte) zu gering und das Angebot wurde nicht genutzt. Vor 20 Jahren war man im Denken noch nicht so weit, sondern setzte halt wie so oft auf Streuverluste …