von Nick Lüthi

Der gelbe und der blaue Riese mit immer stärkeren Seitentrieben

Post und Swisscom mischen schon länger im Werbe- und Mediengeschäft mit. Mit dem Kauf von Livesystems wurde die Post auf einen Schlag zu einem wichtigen Vermarkter von Aussenwerbung. Die privaten Mitbewerber zeigen sich irritiert ob der staatlichen Konkurrenz. Auch aus der Politik gibt es kritische Stimmen. Doch ändern wird sich wahrscheinlich wenig. Aus Gründen. Guten und weniger guten.

Hätte man einen Käufer für die Firma Livesystems suchen müssen, man wäre ziemlich schnell auf die Schweizerische Post gekommen. Und genauso ist es dann auch geschehen. Seit dem 1. Juli 2021 gehört der Vermarkter von Aussenwerbung dem gelben Riesen. Damit tritt der Staatsbetrieb auf einen Schlag als einer der grossen Anbieter auf im Geschäft mit Bildschirmwerbung und anderen Werbeflächen im öffentlichen Raum.

Werbung ist für die Post kein Fremdwort. Seit rund zwanzig Jahren gehört Direktmarketing zu einem Geschäftszweig des Unternehmens. Das liegt insofern nahe, als die Post mit dem Zugang zu den Briefkästen über einen direkten Kanal zu potenziellen Kunden der beworbenen Produkte und Dienstleistungen verfügt. Aber auch die Filialen dienen vermehrt als Werbekanal, was sich am Innenleben der verbleibenden Poststellen leicht ablesen lässt: Promotion hier, Plakat da, Bildschirm dort. Nicht anders in den Postautos. Auch dort prägen Bildschirme mit Infotainment und Werbebotschaften den Innenraum. In beiden Fällen vermarktet Livesystems die Screens. Post und Livesystems kannten sich also schon länger als Geschäftspartner.

Die Übernahme von Livesystems sei «ein logischer Schritt», kommentierte Johannes Cramer, Leiter des Bereichs Logistik-Services der Post. «Mit der Übernahme stärken wir unsere Position als Distributionskanal im Werbemarkt weiter und richten unser Angebot auf die Kundenbedürfnisse von morgen aus.»

Aussenwerbung ist gefragt. Von 2009 bis 2019 wuchs der Nettoumsatz der Aussenwerbung in der Schweiz von 350 Millionen auf 484 Millionen Franken pro Jahr.

Im Coronajahr 2020 sackte sie allerdings wieder auf 373 Millionen ab. Eine so deutliche Aufwärtsbewegung verzeichnete sonst nur noch die Suchmaschinenwerbung, die allerdings von der Werbestatistik nicht erfasst wird. Dass die Post auf der Suche nach lukrativen Geschäftsfeldern hier investiert, liegt also auf der Hand.

Die private Konkurrenz im Aussenwerbemarkt, die ohne Staatsbetrieb im Rücken wirtschaftet, sieht das freilich anders. Ein «gewisses Verständnis» bringt APG-CEO Markus Ehrle dafür auf, wenn die Post ihre eigenen Kanäle, wie die Bildschirme in Postauto und Poststellen, «insourcen», also selbst bewirtschaften, möchte. Aber das übrige Aussenwerbegeschäft, das die Post nun auch betreibt, habe «nichts mit dem Leistungsauftrag der Post sowie auch nicht mit dem bisher betriebenen Werbegeschäft der Post zu tun», findet Ehrle, der auch als Präsident des Branchenverbands Aussenwerbung-Schweiz AWS amtiert.

Tatsächlich umfasst das Portfolio von Livesystems eine breite Palette an Standorten von Werbeflächen in der ganzen Schweiz. Die reicht von Bildschirmen an Tankstellen bis zu Hängekartons in VBZ-Trams.

Die Vermittlung und Vermarktung der analogen Werbeflächen der Stadtzürcher Verkehrsbetriebe VBZ feierte Livesystems Anfang 2020 als «Paukenschlag». Damit sei «ein entscheidender Schritt in die analoge Werbewelt» gelungen. Bei den VBZ hat Livesystems die altehrwürdige Plakatgesellschaft APG ausgestochen.

Wenn nun die staatliche Post die Werbeflächen der städtischen Verkehrsbetriebe vermarkte, sei das «ordnungspolitisch äusserst bedenklich», erklärt Markus Ehrle. Es sei zu bedenken, dass sich praktisch alle grossen und wichtigen Aussenwerbe-Konzessionen in der Schweiz im Besitz der öffentlichen Hand befinden. «Wo führt das in Zukunft hin», fragt der AWS-Präsident rhetorisch, «wenn staatliche Betriebe mit staatlichen Garantien staatliche Verträge bewirtschaften – und diese bei etwaigen Verlusten mit staatlichen Zuschüssen decken?» Da entstehe ein grosses Ungleichgewicht gegenüber Unternehmen, die nur in diesem Geschäftsfeld tätig sind.

Vorerst skeptisch zeigt sich auch Christian Vaglio-Giors, CEO von Neo Advertising, einer Tochter der TX Group:

«Ob die jüngste Übernahme durch die Post die Wettbewerbsneutralität beeinträchtigt, hängt von der Strategie ab.»

Er erwarte deshalb von der Post, dass sie ihre neue Rolle im Markt mit der Aussenwerbung transparent erkläre. Die Post verweist dazu auf die Strategie des Bundesrats, der sie dazu verpflichte, «die modernen Kommunikationsbedürfnisse durch die Entwicklung zeitgemässer Angebote abzudecken». In dem Sinne entspreche die Akquisition von Livesystems den strategischen Zielen und Vorgaben. Ausserdem werde der Markt weiterhin geprägt sein durch verschiedene Akteure. Von einer dominanten Stellung der Post könne also nicht die Rede sein.

Wenn die Post den funktionieren Wettbewerb als Argument nennt für ihren Markteintritt, dann sieht das die private Konkurrenz genau umgekehrt: «Aus wettbewerbspolitischen Gründen sind wir erstaunt, dass ein Staatsbetrieb in einen höchst kompetitiven Markt eintritt. Meines Wissens gibt es international keinen ähnlichen Fall», erklärt Christian Vaglio-Giors von Neo Advertising auf Anfrage der MEDIENWOCHE.

Auch wenn Livesystems keine dominante Stellung hat, so doch eine vorteilhafte Position im Markt.

Schliesslich kann die Post, anders als ihre Mitbewerber, eine breite Palette an weiteren Werbe- und Kommunikationsdienstleistungen «aus einer Hand» anbieten. «Crossmediale Angebote entsprechen einem Kundenbedürfnis», hält eine Post-Sprecherin auf Anfrage der MEDIENWOCHE fest. Und mit den neuen Möglichkeiten im Bereich der Aussenwerbung könne man diesen Bedürfnissen besser nachkommen. Das ist ein handfester Wettbewerbsvorteil, der sich allein daraus ergibt, dass Livesystems jetzt unter dem Dach der grossen gelben Post steht.

Auch bei der Vergabe und Verlängerung von Konzessionen steht Livesystems als Teil eines Staatsbetriebs nun besser da als die private Konkurrenz. Da vor allem die öffentliche Hand, insbesondere politische Gemeinden und Verkehrsbetriebe, Standorte für die Aussenwerbung bereitstellen, dürfte es durchaus eine Rolle spielen, ob einer Gemeindebehörde die TX Group oder die Post gegenübersteht; gleich und gleich gesellt sich gern.

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Da der Markt mit der Aussenwerbung wohl wieder weiter wachsen wird nach der Corona-Delle, dürfte die Präsenz der Post nicht so stark ins Gewicht fallen wie dies in einem schrumpfenden Markt der Fall wäre. Dennoch wirft die Expansionspolitik Fragen auf.

«Die neue Post-Strategie wird definitiv noch zu reden geben», glaubt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Denn:

«Es ist offensichtlich, dass die Post überall neue Geschäftsfelder sucht und sich in klassisch private Märkte begibt.»

Bürgerliche Politiker erkennen darin eine grössere Tendenz. Nicht nur die Post, auch die Swisscom und die SRG würden sich «gestützt durch den Staat» ausbreiten, «und die Privaten werden zurückgedrängt», beklagt etwa Philipp Kutter, Nationalrat von «Die Mitte».

Auf der Linken zeigt man dagegen Verständnis für die expansive Strategie. SP-Nationalrätin und Medienpolitikerin Edith Graf-Litscher argumentiert mit Blick auf Post und Swisscom als Unternehmen, die «attraktive Arbeitsplätze für alle Generationen anbieten und in die Mitarbeitenden investieren» sollen. Die Digitalisierung führe zu grundlegenden Veränderungen: «Alte Geschäftszweige verschwinden, neue entstehen.»

Tatsächlich lässt sich auch bei der Swisscom beobachten, dass sie, ähnlich der Post auf dem Werbemarkt, im Medienbereich aktiv ist, wie man das von einem Telekomanbieter nicht unbedingt erwarten würde.

So verfügt Swisscom über zwei starke Standbeine im redaktionellen Medienbereich mit dem kostenpflichtigen Sportfernsehen und einer kostenlosen News-Plattform.

Vor vier Jahren landete Swisscom einen Coup, als sie sich die Rechte an der Übertragung der Fussball Champions League schnappte und die SRG als langjährige Rechteinhaberin ausbootete. Und auch bei Blue News (vormals Bluewin), das zu den fünf reichweitenstärksten Nachrichtenportalen zählt, knausert Swisscom nicht. Die Redaktion zählt gemäss aktuellem Impressum 50 Mitarbeitende. Vor drei Jahren standen dort erst 30 Namen. Swisscom-Medienchef Josef Huber relativiert. Man habe die Redaktion nicht ausgebaut, sie umfasse seit ein paar Jahren konstant rund 20 redaktionelle Stellen. Der Eindruck eines Ausbaus könne entstehen, «weil blue News heute eng mit der Sportredaktion von blue TV zusammenarbeitet.»

Was die Legitimtität des vielfältigen Engagements im Medienbereich angeht, verweist Huber auf die strategischen Schwerpunkte, die der Bundesrat zuletzt 2017 für die Swisscom festgelegt hat. «Aktivitäten in den Bereichen Medien und Unterhaltung sind dort explizit erwähnt», erklärt Huber. Wie dieses Angebot auszusehen hat, dazu sagt der Bundesrat nichts, nur dass er als Hauptaktionär «die Grundsätze der Staatsunabhängigkeit der Medien» beachte. Wobei das nicht ausschliessen würde, Auflagen in Richtung Service public zu formulieren. Auch die SRG ist staatsunabhängig.

Die Rolle der Swisscom im Medienbereich beschäftigte die Politik bisher kaum. Das war nicht immer so.

Vor sieben Jahren zeigte sich der Bundesrat «der Problematik des Engagements von Swisscom im Medienbereich bewusst». Die Interpellation, zu der sich die Regierung so geäussert hatte, wurde aber ohne Diskussion abgeschrieben, weil ihr Autor, der frühere FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger, in die Zürcher Stadtpolitik wechselte.

Dass es um die Aktivitäten von Post und Swisscom im Werbe- und Mediengeschäft so ruhig ist, hänge wohl auch damit zusammen, vermutet «Mitte»-Nationalrat Philip Kutter, «dass es noch einen grösseren gemeinsamen Konkurrenten gibt, nämlich die grossen internationalen Technologieplattformen wie Google, Amazon, Facebook».

Kommt dazu, das private Medienunternehmen von Swisscoms starker Präsenz in der Medienwelt handfest profitieren. So erhielt CH Media eine Sublizenz für die Ausstrahlung ausgewählter Champions-League-Fussballspiele und Ringier vermarktet die Werbung auf Blue News; man beisst nicht in die Hand, die einen füttert.

Leserbeiträge

Bruno De Bona 09. Juli 2021, 14:50

„DIE POST“ hat in diesen Geschäftsfeldern absolut nichts zu suchen. Einziger Aktionär der Post ist der Bund, und der Bund verzerrt den Wettbewerb massiv, wenn er sich in unterschiedlichsten Businessmodellen immer breiter macht, welche privaten Anbietern vorbehalten bleiben müssen. „DIE POST“ soll sich um ihr Kerngeschäft kümmern, denn dort besteht noch sehr viel Verbesserungspotential! Bruno De Bona

Ueli Custer 09. Juli 2021, 15:12

Die Kritik ist sicher berechtigt. Aber irgendwie muss die Post ja Geld verdienen. Einerseits steuert die ehemalige Cash Cow Postfinance inzwischen nur noch wenig Milch zum Gewinn bei. Andererseits sind die Erträge aus dem physischen Postgeschäft mit Briefen und Presseerzeugnissen konstant rückläufig. Eine Tariferhöhung dürfte da höchstens kurzfristig etwas Erholung bieten. Langfristig würde sie die Verlagerung in die immaterielle Kommunikation aber beschleunigen. Einziges Zuwachspotential bietet der Paketbereich wo aber ein starker Konkurrenzdruck herrscht. Dass die Post in dieser Situation Alternativen sucht, ist ihr daher nicht zu verargen. Der Bund als einziger Aktionär ist deshalb  aufzurufen, das Geschäftsmodell „Post“ ganz grundsätzlich in Frage zu stellen und alle Alternativen zu prüfen – inkl. einer vollständigen Privatisierung mit Leistungsauftrag.