von Thomas Häusermann

The Good, The Bad & The Ugly XLVII

Boulevard, SRF Sport, Christoph Mörgeli

The Good – Selbstkritischer Boulevard

Der Presserat rügte die beiden Boulevard-Medien «20 Minuten» und «Blick», weil sie mit ihrer Berichterstattung zu einem Tötungsdelikt im Kanton St. Gallen Betroffene identifizierbar gemacht und ihre Privatsphäre verletzt hatten. Soweit, so ugly.

Dennoch gebührt den beiden Sündern an dieser Stelle ein Lob: Prominent und ungeschönt veröffentlichte sowohl «20 Minuten» als auch «Blick» Artikel zum Urteil und dem eigenen Vergehen. «20 Minuten publiziert Rügen des Presserats schon immer ausnahmslos, abgewiesene Klagen und Nichteintreten fallweise», erklärt Chefredaktor Gaudenz Looser gegenüber der MEDIENWOCHE.

Dabei wird eine Publikation in dieser Ausführlichkeit gar nicht erwartet. Seitens des Presserats besteht lediglich eine «moralische Verpflichtung», über die Stellungnahmen – «wenn auch nur kurz» – zu berichten. Wer ihr nicht nachkommt, wird im «Jahrheft» getadelt. Nebst «Blick» und «20 Minuten» wurden jüngst auch die «Basler Zeitung» und «Prime News» gerügt. Bei «Prime News» will man sich laut Co-Redaktionsleiter Oliver Sterchi nächste Woche dazu äussern, die «Basler Zeitung» liess eine Anfrage der MEDIENWOCHE bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

The Bad – Würdeloser Abtritt

Anfangs Woche der Knall: Tennis-Experte und Publikumsliebling Heinz Günthardt, seit 36 Jahren für das Schweizer Fernsehen tätig, muss gehen. 1985 als Kommentator gestartet, bildete er mit Stefan Bürer ab 1995 ein wortgewandtes Kompetenzzentrum. Die Schweizer Bevölkerung erlebte zusammen mit dem Kommentatoren-Duo den unvergleichlichen Aufstieg Roger Federers zum Jahrhundertspieler – das verbindet. Im Gegensatz zur polarisierenden Fussball-Abteilung genossen Bürer und Günthardt stets den Rückhalt der Tennis-Fans.

Bürer geht, wie viele SRF-Aushängeschilder in jüngster Vergangenheit, freiwillig. Günthardt hingegen wäre gerne geblieben – und zeigt sich gegenüber den Medien enttäuscht über die Art und Weise seines Abgangs. «Ich hätte gehofft, dass man nach 36 Jahren, in denen ich fast 10’000 Stunden auf Sendung war, mit mir das Gespräch sucht und schaut, wie man unter neuen Voraussetzungen zusammen weitermachen könnte», sagte er beispielweise gegenüber «Blick».

Derweilen dürften die Sorgen bei SRF ganz andere sein als mangelnde Wertschätzung bei der Verabschiedung verdienter Mitarbeiter. Mit Michael Stäuble verliert die Abteilung nämlich einen weiteren hochkompetenten Publikumsliebling. Der Formel-1-Kommentator stieg 1993 beim Schweizer Fernsehen ein, als Alain Prost noch mit Ayrton Senna um die Weltmeisterschaft kämpfte. Während die Legenden gehen, sitzen zumindest die Fussball-Haudegen Salzgeber und Ruefer fest im Sattel. Wie gross dieser Trost ist, liegt hingegen im Auge der sportbegeisterten TV-Betrachter:in.

The Ugly – Pietätloser Nachruf

Nicht nur die Medienwelt zeigte sich bestürzt über den Suizid von Balz Bruder, dem Chefredaktor der «Solothurner Zeitung». Auch viele langjährige Leser:innen trauern um den 53-jährigen Journalisten, der 1991 beim «Aargauer Tagblatt» seine Karriere begann. «Einsicht in seine seelischen Nöte, die ihn heimsuchten, gewährte er seinem Umfeld kaum. Seiner leidenschaftlichen Arbeit liess er erst recht nie etwas anmerken», heisst es im Nachruf, den seine Zeitung veröffentlicht hat.

Eine Art Nachruf schrieb auch Christoph Mörgeli in der «Weltwoche». Mit einem unangenehmen Nachgeschmack. Erst gibt der Ex-Nationalrat einer kruden Verschwörungstheorie, wonach Bruder Opfer eines Auftragsmordes geworden sein soll, eine Bühne – auch wenn er sie anschliessend als «groteske, zweifellos strafbare Behauptung» deklariert.

Am Schluss des Artikels instrumentalisiert Mörgeli den Todesfall, um schamlos eine politische Botschaft zu platzieren. Der Solothurner Regierung missfielen nämlich einige von Bruders Artikel, Staatsschreiber Andreas Eng wandte sich deshalb an CH-Media-Verleger Peter Wanner. Nach dieser Intervention seien die Artikel des Chefredaktors «merklich harmloser» geworden, will Mörgeli wissen. Diese «unschöne Vorgeschichte» habe «zumindest dazu beigetragen», dass Bruders Umfeld ihn «in den vergangenen Wochen und Monaten auffallend antriebslos und bedrückt wahrgenommen» habe, ist sich der Medizinhistoriker zudem in der vorab erschienenen «Weltwoche daily»-Version sicher. Der Fall werfe «auf jeden Fall die Frage auf, wohin der heute beschrittene Weg einer vom Staat finanzierten und damit vom Staat gegängelten Medienlandschaft führen kann». Mörgelis Artikel wirft derweil die Frage auf, ob es eine Steigerung von «pietätslos» gibt. Die Antwort: Auf jeden Fall.

Leserbeiträge

Ueli Custer 17. Juli 2021, 11:59

Über die Gründe eines Selbstmordes in Medien Mutmassungen anzustellen ist schlicht und einfach pietätlos. Allerdings beschäftigt mich als Leser der Solothurner Zeitung schon, warum die Zeitung Ihre Leserschaft zuerst nur sehr dürftig informierte und erst Tage später einen halbwegs würdigen Nachruf publizierte.