von Adrian Lobe

Eric Zemmour als französischer Trump: aus dem TV in den Elysée-Palast?

Der rechtsextreme Publizist und Polemiker Eric Zemmour schickt sich an, die kommenden Wahlen in Frankreich aufzumischen. Seinen fulminanten Aufstieg zum Präsidentschaftskandidaten in spe verdankt er massgeblich den Massenmedien, die er eigentlich verabscheut. Er sagt, er nutze das System gegen das System.

Eric Zemmour – Journalist, Buchautor und Präsidentschaftskandidat in spe – spielt auf vielen Kanälen: Radio, Fernsehen, Print. Sein neues Buch «La France n’a pas dit son dernier mot» ist auf Platz 1 der Bestsellerlisten eingestiegen. Fast 200’000 Exemplare sind schon verkauft. Umfragen sehen Zemmour mit bis zu 18 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl, die im kommenden Frühjahr stattfindet. Offiziell erklärt hat Zemmour seine Kandidatur noch nicht. Doch schon jetzt ist der polarisierende Publizist die Projektionsfläche der französischen Rechten, die nach der Präsidentschaft des mittlerweile unter Hausarrest stehenden Nicolas Sarkozy heillos zerstritten und zersplittert ist. Auch Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National (RN) muss um ihre Monopolstellung als Anti-System-Kandidatin bangen.

Der Affront, der kalkulierte Tabubruch, gehört zum Geschäftsmodell des Medienphänomens Zemmour.

Zemmour sieht sich selbst in gaullistischer Tradition, wenngleich er sich politisch dezidiert am äussersten Rand der souveränistischen Strömung positioniert: Er will muslimische Namen verbieten, kriminelle Ausländer des Landes verweisen und die Anti-Rassismus-Gesetze abschaffen. Dass der Sohn jüdisch-algerischer Eltern selbst einen Berbernamen trägt, scheint ihn dabei ebenso wenig zu stören wie sein stattliches Vorstrafenregister (unter anderem wurde er im vergangenen Jahr wegen Beleidigung und Anstiftung zum Hass zu einer Geldstrafe von 10’000 Euro verurteilt). Die Todesstrafe hält er für «philosophisch gerechtfertigt», die «Entmännlichung» (Dévirilisation) der Gesellschaft für eines der zentralen zivilisatorischen Übel.

Zemmour gefällt sich in der Position des reaktionären Intellektuellen, des «Polémiste», wie man in Frankreich sagt. Er rauft sich öffentlich mit anderen Intellektuellen wie Michel Onfray oder Bernard-Henri Lévy und scheut dabei auch nicht vor Rechts- oder Moralverletzungen. Ihn streitbar zu nennen, wäre eine masslose Untertreibung. Der Affront, der kalkulierte Tabubruch, gehört zum Geschäftsmodell des Medienphänomens Zemmour.

Zemmour hat an der renommierten Hochschule Sciences Po ein Diplom erworben, scheiterte aber zweimal an der Aufnahmeprüfung der Kaderschmiede Ecole nationale d’administration ENA. Seine ersten Sporen als Journalist verdiente er sich beim «Quotidien de Paris». Nach der Auflösung des Blatts 1994 trat Zemmour über einen Umweg bei «Info-Matin» 1996 in die Redaktion des konservativen «Figaro» ein, wo er rasch Karriere machte und sich mit geharnischten Rezensionen in der Literaturbeilage profilierte. Es folgten Engagements bei Radio und Fernsehen, unter anderem in der TV-Sendung «On n’est pas couché» auf «France 2», wo er häufig zu Gast war und einem breiteren Publikum bekannt wurde. Auch als Buchautor trat er in Erscheinung: Sein Werk «Le Suicide français», die französische Entsprechung zu Thilo Sarrazins Untergangspolemik «Deutschland schafft sich ab», avancierte 2014 zum Bestseller. Der Defätismus gehört zum Markenkern Zemmours.

Dass der Publizist einen Feldzug gegen die «wohlmeinende» Kulturelite im Land – oder wie er sagt: «Bien-Pensants» – antritt, zu denen er ausdrücklich auch die Medien zählt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, schliesslich verdankt er seinen Aufstieg Radio und Fernsehen.

Die Medien stecken in einem Dilemma: Soll man einem Provokateur, der gegen ethnische und religiöse Minderheiten agitiert, eine Bühne geben?

Schon vor einigen Jahren gab es eine Debatte darüber, ob man den Provokateur boykottieren sollte. In einem offenen Brief an die Medienaufsicht CSA riefen mehrere muslimische und antirassistische Verbände 2014 dazu auf, den Islamkritiker aus dem Programm zu streichen. Der Fernsehsender LCI musste 2019 einräumen, dass die Live-Übertragung von Zemmours Rede bei der «Convention de la droite» mit Marion Maréchal nachträglich ein Fehler war. Der «Diskurs», liess der Sender in einer dürren Erklärung verlauten, passe nicht zum Programm. Über sein ambivalentes Verhältnis zu den Medien hat Zemmour selbst einmal gesagt: «Ich entscheide, das System gegen das System zu nutzen.»

Die Medien stecken in einem Dilemma: Soll man einem Provokateur, der gegen ethnische und religiöse Minderheiten agitiert, eine Bühne geben? Oder soll man ihm das Mikro entziehen und dabei riskieren, dass er aus dieser Einschränkung der Meinungsfreiheit Kapital schöpft? Denn eines ist klar: Zemmour bringt Quote, was vor allem bei Privatsendern zählt. Für die öffentlich-rechtlichen Medien ist die Sache fast noch heikler: Nachdem Gilles Bornstein, politscher Kommentator bei «France Info» sagte, Zemmour habe «kein Recht hierher zu kommen», giftete der Angesprochene auf Twitter zurück: «Wer sind Sie eigentlich, Gilles Bornstein, um mir zu verbieten, in den Öffentlich-Rechtlichen zu sprechen? Die Franzosen verdient es, dass Sie ihnen Ihre Steuern zurückgeben.»

Doch den Störer einfach abschalten geht nicht. Zemmour ist längst sein eigener Sender.

Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Die belgische Zeitung «Le Soir» kommentierte, Zemmour schlage aus der «medialen Naivität» Profit. Christophe Bourdoiseau, Berlin-Korrespondent der «Libération», wirft den Medien gar «Komplizenschaft» vor.

Auch in der Redaktion des «Figaro» wächst der Unmut über den sendungsbewussten Starautor. Sieben Redakteurinnen warfen Zemmour sexuelle Belästigung vor, die Journalistengewerkschaft sieht durch die verbalen Entgleisungen den Ruf des Blattes «beschmutzt». Seine wöchentliche Kolumne im «Figaro» schreibt Zemmour seit einigen Wochen nicht mehr, dafür hat er nun umso mehr Zeit in Radio und Fernsehen.

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So mancher Beobachter fragt sich schon seit längerem, warum man dem Agent Provocateur derart viel Sendezeit zugesteht, obwohl dieser noch nicht mal ein offizielles politisches Amt innehat. Die Medienaufsicht CSA forderte alle audiovisuellen Medien auf, Zemmour fortan als «Akteur der nationalen politischen Debatte» zu betrachten und folglich dessen Redezeit einzuschränken, was dieser prompt als «Zensur» bezeichnete. Der Hintergrund: Der CSA wacht neuerdings – ähnlich wie die öffentlich-rechtlichen Sender beim TV-Duell, beziehungsweise Triell der Kanzlerkandidaten in Deutschland – über die Redeanteile. Ausserhalb der Wahlperiode ist ein Drittel der Redezeit der Exekutive vorbehalten (etwa für Ansprachen des Präsidenten), die restlichen Anteile werden proportional unter den politischen Parteien aufgeteilt (Zemmour firmiert hier unter «divers droite»). Der Sender «CNews», wo er bis zuletzt eine eigene Sendung hatte, hat daraufhin die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Doch den Störer einfach abschalten geht nicht. Zemmour ist längst sein eigener Sender. Das Fernsehen, das er eigentlich verachtet, hat ihn gross gemacht.

Auf Trump angesprochen, zeigte sich Zemmour kürzlich in einem Interview mit LCI sehr angetan. Er sehe durchaus Parallelen.

Ist Zemmour nun der «französische Trump», wie manche behaupten? Der Vergleich drängt sich auf, weil sich auch Trumps Popularität zu grossen Teilen aus seiner TV-Präsenz speiste, bevor er auf Dauerwerbesendung in den sozialen Netzwerken schaltete. Auf Trump angesprochen, zeigte sich Zemmour kürzlich in einem Interview mit LCI sehr angetan. Er sehe durchaus Parallelen, etwa in der Allianz der Arbeiterklasse und «patriotischer Bürger» oder der Migration als Wahlkampfthema. Trump und Zemmour adressieren mit ihrem identitätspolitischen Diskurs dieselben Wählermilieus: Industriearbeiter in der Automobilindustrie, die durch die Globalisierung soziale Abstiegsängste haben, aber auch konservative Grossbürger, die sich durch die «Wokeness» der urbanen Milieus bevormundet fühlen.

Wie Trump ist auch Zemmour bestens in der Medienwelt vernetzt: Sein Haussender «CNews», den der Milliardär und Medienmogul Vincent Bolloré zu einem französischen «Fox News» aufgerüstet hat, trommelt seit Monaten für seine Kandidatur; Zemmours aktuelles Buch ist in einem selbst Literaturkennern unbekannten Kleinverlag (Rubempré) erschienen, der ebenfalls zu Bollorés Medienimperium gehört. Zemmour hat es durch seine Autorentätigkeit und TV-Auftritte zum Millionär gebracht: Doch hier hören die Gemeinsamkeiten mit Trump auch schon auf.

Die Figur des Polemikers hat in der französischen Intellektuellengeschichte eine lange Tradition.

Im Gegensatz zum früheren US-Präsidenten bedient sich Zemmour aber keiner Gossensprache, er betreibt auch keinen offenen Anti-Intellektualismus, im Gegenteil, er kleidet seine anti-islamischen, misogynen Positionen in das Gewand der Wissenschaftlichkeit. So doziert er über den Universalismus, das Christentum und die griechisch-römische Tradition des Westens und zitiert Rousseau und Renan. Manchmal glaubt das Publikum in einem philosophischen Seminar gelandet zu sein, wobei seine vulgärhistorische Perspektive sein krudes Welt- und Menschenbild nicht zu kaschieren vermag.

So schwadroniert er regelmässig vom «Grossen Austausch» («Grand Remplacement»). Das Referenzwerk zu dieser Verschwörungstheorie stammt vom französischen Renaud Camus, Philosoph und Vordenker der rechtsextremen Rechten. Demnach existiere ein geheimer Plan, wonach die weisse, christliche Mehrheitsbevölkerung gegen muslimische oder nicht-weisse Einwanderer ausgetauscht werden solle. Auch der strammrechte «Fox-News»-Moderator Tucker Carlson, dem Ambitionen auf das Weisse Haus nachgesagt werden, vertritt die rassistische These vom «Great Replacement», wenn auch weniger intellektuell und deutlich krawalliger.

Die Vorbereitungen für Zemmours mögliche und wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatur laufen auf Hochtouren.

Dass Zemmours Thesen so viel Aufmerksamkeit erzeugen, hat auch mit länderspezifischen Eigenheiten zu tun. Die Figur des Polemikers hat in der französischen Intellektuellengeschichte eine lange Tradition. Man denke an den Romancier und Antisemiten Henri Béraud, der für die rechtsextreme Zeitung «Gringoire» schrieb und bei dem die Jurymitglieder des Prix Goncourt keine Berührungsängste hatten, ihm 1922 die höchste literarische Würde des Landes zuteil werden zu lassen. Gewiss, das waren andere Zeiten. Aber es erklärt auch, warum Zemmours Denken in Frankreich nicht a priori geächtet wird. Der Islamkritiker ist kein Schmuddelkandidat, sondern ein Salon-Intellektueller – das unterscheidet ihn von seiner Konkurrentin Le Pen, die trotz ihrer «Dédiabolisation»-Strategie in bürgerlichen Kreisen weiterhin als ungehobelt und rüpelhaft verschrien ist. Seine Ambitionen als Präsidentschaftskandidat begründen sich wiederum literarisch, weil in Frankreich das ungeschriebene Gesetz gilt, dass nur derjenige präsidentiabel ist, der auch gut schreiben kann.

Der Schriftsteller-Politiker («Ecrivain Politique») hat in der französischen Geschichte eine lange Tradition: Die Präsidenten de Gaulle, Mitterand und Pompidou waren anerkannte Autoren, grosse Schriftsteller wie François-René de Chateaubriand (1823/1824 Aussenminister), Victor Hugo (Abgeordneter und Bürgermeister des achten Pariser Arrondissements) und André Malraux (Informations- und Kulturminister unter de Gaulle) waren auch Politiker.

Egal, ob Zemmour seinen Hut in den Ring wirft oder nicht – die Scheinwerfer sind schon jetzt auf ihn gerichtet.

Die Vorbereitungen für Zemmours mögliche und wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatur laufen derweil auf Hochtouren. Die Organisation «Amis d’Eric Zemmour» hat bereits einige Gönner und Wahlkampfstrategen hinter sich versammelt, ein Sprecher sagte gegenüber «Libération», man erhalte täglich mehrere Schecks mit vierstelligen Eurobeträgen.

Obwohl Frankreich und die USA beides Präsidentialsysteme mit einer starken Personalisierung des Wahlkampfs sind, ist der Weg vom Fernsehen in den Elysée-Palast dennoch steiniger als jener ins Weisse Haus. Das liegt zum einen an der Wahlkampffinanzierung, die in Frankreich gedeckelt ist (Ex-Präsident Sarkozy ist jüngst wegen eines Verstosses verurteilt worden). Zum anderen daran, dass das Politainment in Frankreich weniger ausgeprägt ist als in den USA. Doch egal, ob Zemmour seinen Hut in den Ring wirft oder nicht – die Scheinwerfer sind schon jetzt auf ihn gerichtet.