The Good, The Bad & The Ugly LVI
elleXX, Basler Zeitung, 20 Minuten
The Good – elleXX verbindet Fintech mit Journalismus
Blickfang der neuen Plattform «elleXX» ist die Laufschrift «Close the Gaps», schliesst die Lücken. Obwohl es sich um ein Finanzmedium handelt, sind auf der Seite kaum Geschäftszahlen, sondern vor allem solche zur Geschlechterungleichheit: Frauen erhalten global 23 Prozent weniger Lohn, Unternehmerinnen nur 2 Prozent des Risikokapitals – und die Frauenrenten in der Schweiz sind im Schnitt 20’000 Franken tiefer pro Jahr.
«Es gibt Fintech-Unternehmen, es gibt Medien. Beides zu verbinden, ist eine Weltneuheit», sagt Mitgründerin und Wirtschaftsjournalistin Patrizia Laeri auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Ob Journalismus oder eigene Finanzprodukte im Vordergrund stehen, ist auf «elleXX» gar nicht so klar: Zu «elleXX» gehört nämlich auch ein handverlesenes Aktienprodukt aus «frauenfreundlichen und nachhaltigen Firmen» in Kooperation mit der Migros-Bank. Die Gebühren tragen zur Finanzierung des Mediums bei, redaktionelle Berichterstattung und Finanzangebote sind laut Laeri aber strikt getrennt.
Es gehe nicht ums Spekulieren, sondern darum, Frauen mit langfristigen Investitionen finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen. «Mit Arbeiten allein kommst du auf keinen grünen Zweig», sagt Laeri. «Wir schauen aber das ganze wirtschaftliche Leben der Frauen an.» Auch Vorlagen für Ehe- und Konkubinatsverträge seien geplant. Die Schwelle beim «elleXX»-Anlageprodukt sei so angelegt, dass man bereits mit 50 Franken pro Monat einsteigen könne.
Wenn «elleXX» um Anleger:innen wirbt, spricht die Plattform also keine wohlhabenderen Milieus an als Medien, die um Abonnent:innen werben: Ein Kombi-Abo von NZZ und NZZ am Sonntag, print und digital, kostet 69 Franken pro Monat.
The Bad – Klagen der Wirtschaftskammer
Der «wohl grösste Medienrechts-Prozess im Kanton» («Onlinereports») fand diese Woche in Liestal statt. Die Wirtschaftskammer Baselland ist das lokale Pendant zum Gewerbeverband und gilt als klagefreudig. So sagte der stellvertretende Chefredaktor der «bz Basel» unlängst der «Schweizer Journalist:in»: «Beim Schreiben über die Wika hat man jederzeit die Konsequenzen im Kopf, die ein Beitrag nach sich ziehen könnte.»
Im Liestaler Prozess klagt die Wirtschaftskammer wegen unlauteren Wettbewerbs gegen eine Reihe von Artikeln des ehemaligen «Basler Zeitung»-Redaktor Joël Hoffmann. Das Urteil wird für kommende Woche erwartet. Die «bz Basel» war bei der Verhandlung und protokollierte unter anderem das doppelt bemerkenswerte Statement des Wirtschaftskammer-Anwalts: «Ja, wir haben auf den Mann gespielt, aber Herr Hoffmann macht das ständig und lässt seine Opfer zerzaust zurück. Jetzt muss eben er auch mal einstecken.» Der «BaZ»-Journalist sei hier zudem deutlich weiter gegangen als andere Wirtschaftskammer-kritische Journalisten in der Region.
Einerseits ist die Aussage bemerkenswert, weil es vor Gericht eigentlich um die Frage ging, ob der Journalist eine Kampagne gegen die Wirtschaftskammer geführt hat – nicht umgekehrt. Andererseits, weil die Wirtschaftskammer eben auch gegen «andere Wirtschaftskammer-kritische Journalisten» bis vors Bundesgericht klagt. Unlängst erhielt die Berichterstattung des «SRF Regionaljournal» einen «Freispruch mit Pauken und Trompeten» («Bajour») vor dem Handelsgericht und geht mit einer Beschwerde vors Bundesgericht.
The Ugly – Über die Strasse geschossen
20 Seiten dünn war die gedruckte Ausgabe «20 Minuten» an diesem Mittwoch – inklusive Werbung. Wenn seit Wochen über Zeitungspapiermangel geklagt wird, sollte man meinen, das alles, was noch gedruckt wird, tatsächlich relevant ist. Doch dem ist nicht so.
«Schiesstand hat Strasse im Visier» hiess die Mittwoch-Coverschlagzeile mit dem Foto einer befahrenen Strasse. Im Artikel geht es darum, dass der britische Youtuber Tom Scott ein fünfminütiges Video über eine Schiessanlage in der Schweiz veröffentlicht hat. Scott ist von Beruf Komiker – kein Journalist. Aber der Komiker titelt exakter als «20 Minuten»: «The shooting range where you fire over a busy road», der Schiessstand, bei dem man über eine befahrene Strasse schiessst, so der Titel des Videos. Damit ist auch klar, dass niemand «die Strasse im Visier» hat. Wer das Video schaut, erfährt, dass man in Schiessposition die Strasse nicht mal sieht.
Lässt man die irreführende Schlagzeile weg, bleibt von der «20 Minuten»-Story wenig übrig: Ein Youtuber hat ein Video gemacht, das innert eines Tages 1,5 Millionen Mal geschaut worden ist. «20 Minuten» erreicht drei Millionen Nutzer:innen täglich.
Doch man muss fast dankbar sein, wenn «20 Minuten» diese drei Millionen mit harmlosen Nicht-Storys lockt. Denn die Relevanzkriterien bei aufgeladenen Themen sind kaum besser: Die Seite 3-Geschichte der Mittwochausgabe war «Zertifikatgegner reden von Manipulation bei Abstimmung». Einen Monat vor der Abstimmung. Auf Telegram. Ohne Belege.
Marko Kovic 23. Oktober 2021, 13:51
Die wohlwollende Einstufung von elleXX als „Good“ sehe ich etwas kritischer. Die Kombination von Journalismus und Fintech ist in diesem Fall m.E. sehr problematisch, weil ein offensichtlicher Interessenkonflikt besteht: Das, worüber berichtet wird, sind letztlich direkt oder indirekt die Produkte, die verkauft werden. Nach meinem Dafürhalten kann hier von Journalismus nicht wirklich die Rede sein – es ist schlicht und einfach PR, die sich pseudo-journalistisch gibt, um potenzielle Kund*innen mehr oder weniger hinters Licht zu führen.