von Adrian Lobe

Substack als Plattform für freischwebende Radikale

Publizieren ohne Redaktion geht im Internet schon lange. Substack hat daraus ein Geschäft gemacht: Gegen Geld kann man die Texte seiner Lieblingsautoren abonnieren und sie sich per Newsletter schicken lassen. Kehrseite des Modells: Einzelkämpfer ohne redaktionelle Kontrolle radikalisieren sich.

Vor einem Jahr verliess Glenn Greenwald im Streit die Investigativplattform «The Intercept», die er selbst mitgegründet hatte. Grund für seinen Abgang war die Nichtveröffentlichung eines Artikels über Hunter Biden, Sohn des später zum US-Präsidenten gewählten Joe Biden. Der Journalist stützte seine Recherche über dubiose Geschäfte der Bidens in der Ukraine auf einen Bericht des konservativen Boulevardblatts «New York Post». Dessen Quellenlage war unklar. Facebook und Twitter blockierten den betreffenden Artikel. Die Redaktion von «The Intercept» warf Greenwald vor, «dubiose Behauptungen» der Trump-Kampagne «recyceln» zu wollen und diese «als Journalismus reinzuwaschen». Greenwald sprach hinterher von «Repression» und «Zensur». Die angeblich zensierte Story veröffentlichte er später auf Substack, einer Plattform, wo sich Autorinnen und Autoren direkt von ihrem Publikum zahlen lassen können.

Substack hat sich in den letzten Jahren den Ruf als eine Art «Schwarzer Kanal» des Internets erworben. Zahlreiche prominente Journalisten und Autorinnen wie Matt Taibbi (vormals «Rolling Stone»), Andrew Sullivan («New York Magazine») oder Bari Weiss («New York Times») haben ihre Redeaktionen verlassen und sind zu Substack übergelaufen.

Gegen eine monatliche Gebühr abonniert man dort seinen Lieblingsautor und bekommt per Newsletter seine neuesten Artikel zugestellt. Newsletter von Stars wie Greenwald oder Taibbi, die zehntausende Leser abonniert haben, kosten fünf Dollar im Monat. Die Plattform behält davon rund zehn Prozent als Provision.

Wie viele Abonnenten die Autoren genau haben, gibt das Unternehmen nicht bekannt. Die «Financial Times» schätzt, dass Greenwald bei 20’000 bis 40’000 Abonnenten auf einen Jahresverdienst von ein bis zwei Millionen Dollar kommt. Das würde selbst sein fürstliches Salär von kolportierten 518’000 Dollar in den Schatten stellen, das er zuvor bei der von Ebay-Gründer Pierre Omidyar finanzierten Investigativplattform «The Intercept» kassierte.

Das Unternehmen hat es innerhalb kürzester Zeit geschafft, aus Newslettern ein Geschäft zu machen.

Gegründet wurde Substack 2017 vom ehemaligen Journalisten Hamish McKenzie sowie den Programmierern Jairaj Sethi und Chris Best, der den Messenger Kik mitentwickelt hat. Die Plattform profitierte vom Newsletter-Hype. So hat das Start-up in diesem Jahr bei einer Finanzierungsrunde 65 Millionen Dollar an Risikokapital eingenommen. Das ist sehr viel Geld, wenn man bedenkt, dass Substack 500’000 zahlende Kunden hat. Zum Vergleich: Die «New York Times» zählt über acht Millionen Abonnenten.

Zwar ist Substack noch nicht profitabel. Aber das Unternehmen hat es innerhalb kürzester Zeit geschafft, aus Newslettern ein Geschäft zu machen. Dank der Investoren kann die Plattform Honorare bezahlen, von denen Zeitungsverlage nur träumen können. So hat Substack dem Journalisten Matthew Yglesias, Mitgründer des Nachrichtenportsals «Vox», einen Vorschuss von 250’000 Dollar bezahlt für ein Jahr. Dafür muss er nur tun, was er bislang auch tat: Artikel schreiben.

Für Buch- und Zeitungsverlage bedeutet das Self-Publishing eine (weitere) Bedrohung ihres Geschäfts.

Die Verdienstmöglichkeiten haben sich auch im Literaturbetrieb herumgesprochen. So veröffentlicht der Schriftsteller und Booker-Preisträger Salman Rushdie seinen neuen Roman auf Substack. «The Seventh Wave» veröffentlicht Rushdie als Fortsetzungsroman in seinem Newsletter «Salman’s Sea of Stories». Wie hoch der Vorschuss für Rushdie war, ist unklar, aber für einen Autoren dieser Klasse dürfte er nach branchenüblichen Massstäben wohl im hohen sechsstelligen Bereich liegen. Die Newsletter-Plattform ist für die Zusammenarbeit mit Rushdie direkt an seine Agentin herangetreten.

Für Buch- und Zeitungsverlage bedeutet das Self-Publishing und der damit einhergehende Direktvertrieb von Inhalten eine (weitere) Bedrohung ihres Geschäfts. Zum einen senkt Substack ihre Margen, zum anderen wirbt die Plattform namhafte Autoren ab. Wie zuvor bereits Google und Facebook, hat auch Substack einen Fonds eingerichtet, um den Lokaljournalismus mit einer Million Dollar zu unterstützen. Gefördert werden aber nicht Redaktionen, sondern freie Journalistinnen und Reporter, die sich auf die mit bis zu 100’000 Dollar dotierten Stipendien bewerben können. Nach dem Vorbild von «The Mill» (Manchester), «The Rover» (Montreal) und «The City Hall Watcher» (Toronto) sollen lokaljournalistische Ein-Personen- oder Kleinstredaktionen entstehen, die ihre Inhalte exklusiv auf Substack publizieren. Die gut bezahlten Stadtblogger werden den Journalismus aber nicht retten, im Gegenteil: Die selektive Förderkultur schwächt bestehende Redaktionen weiter. Im Gegensatz zu Facebook oder Google holt Substack ja nicht nur Artikel, sondern auch Autorinnen und Autoren auf seine Plattform.

Substack ist mehr Social Media als Journalismus: Texte werden ungefiltert wie Tweets rausgehauen.

Substack mag die perfekte Form für Leser sein, die sich ihre Lektüre nach dem Baukastenprinzip zusammenbasteln. Es soll ja auch Leute geben, die etwa die «Zeit» nur wegen der Kolumne von Harald Martenstein kaufen. Wenn nun aber Substack gezielt Edelfedern abwirbt, gibt es weniger Gründe, ein gebündeltes Medienangebot wie eine (digitale) Zeitung zu abonnieren. Wer kauft noch den «Rolling Stone», wenn er Matt Taibi nur auf Substack lesen kann?

Kommt dazu: Eine Kolumnistin, ein Autor geniesst zwar eine gewisse Narrenfreiheit in dem, was sie schreiben. Aber sie sind in redaktionelle Abläufe eingebunden. Themen werden miteinander abgestimmt, Texte diskutiert, kritisiert und redigiert. Das ist Journalismus. Auf Substack findet das alles nicht statt. Texte werden ungefiltert wie Tweets rausgehauen. Wenn Bari Weiss schreibt, man würde heutzutage unter einem «crowdgesourcten McCarthyismus» leben, gibt es niemanden, der ihr widerspricht oder diesen Begriff kritisch hinterfragt. Self-Publishing bedroht die Redaktionen, die im Idealfall als moderierende Instanz für das Einhalten journalistischer Standards garantieren.

Ein Substack-Autor ist seiner zahlenden Leserschaft ungleich stärker verpflichtet als eine Zeitung ihrem Publikum.

Substack ist bloss eine Plattform. Das Unternehmen beschäftigt rund 20 Mitarbeiter, die sich um die Einhaltung der hausinternen Richtlinien wie Hassrede oder Pornografie kümmern, mehr nicht. Dass der ehemalige «New York Times»-Reporter und notorische Impfgegner Alex Berenson auf Substack Unwahrheiten über die israelische Impfkampagne verbreitet, scheint die Verantwortlichen der Plattform nicht zu stören.

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Substack verändert die Beziehung zwischen den Schreibenden und ihrem Publikum. Ein Substack-Autor ist seiner zahlenden Leserschaft ungleich stärker verpflichtet als eine Zeitung ihrem Publikum. Wer Alex Berenson abonniert hat, erwartet auch, dass in dem Newsletter Alex Berenson drin ist. Man ist nicht nur Leser, sondern vor allem Fan.

Diese Personalisierung des Journalismus fördert eine Polarisierung und Radikalisierung.

Diese Erwartungshaltung wirkt sich wiederum auf die Inhalte aus, deren Ton wird nicht nur werblicher, sondern auch emphatischer und zum Teil auch aggressiver. Die konservative Autorin Bari Weiss muss nicht mehr eine linksliberale Zeitungsleserschaft von ihrer Meinung überzeugen, sondern nur noch ihre Abonnenten in ihrem Denken bestätigen. Das ist eine ganz andere Herangehensweise als für ein Weltblatt eine Kolumne zu schreiben. Weiss ist mittlerweile ihre eigene Medienmarke, neben ihren Substack-Kolumnen betreibt sie auch einen erfolgreichen Podcast.

Diese Personalisierung des Journalismus leistet nicht nur einer Polarisierung und Fragmentierung der Öffentlichkeit Vorschub, sondern auch einer Radikalisierung von Positionen. Der Selfpublisher ist gerade unter den Bedingungen einer digitalen Öffentlichkeit ein Aufmerksamkeitshändler.

Es bleibt unklar, nach welchen Kriterien die Plattform Autoren für sein lukratives Pro-Programm auswählt.

Substack war zuletzt in die Kritik geraten, weil die Plattform verstärkt Anti-Transgender-Autoren akquiriert haben soll. Einige Autoren haben Substack aus Protest verlassen. Substack dementierte den Transphobie-Vorwurf. Man sei eine Plattform «für unabhängige Autoren», stellten die Gründer klar. Es bleibt aber unklar, nach welchen Kriterien die Plattform Autoren für sein lukratives Pro-Programm auswählt – und ob es entgegen aller Beteuerungen nicht doch so etwas wie eine verborgene redaktionelle Linie gibt. Verfolgen die Geldgeber – unter anderem der mächtige Risikoinvestor Andreessen Horowitz – politische Interessen?

So viel ist klar: Printveteranen, die bei traditionellen Medienhäusern keine Anstellung mehr finden, kommen nun bei einer Plattform unter, die als Zukunft des Journalismus gehandelt wird. Aber welche Zukunft? «Wenn sie ausgereift ist, könnte die subskriptionsbasierte Nachrichtenindustrie viel grösser sein als das Zeitungsgeschäft jemals war – so wie die Fahrdienstleister-Industrie in San Francisco grösser ist, als es die Taxiindustrie vor Lyft und Uber war», frohlocken die Substack-Gründer. Doch die Uberisierung des Journalismus bietet kein tragfähiges Modell für eine kritische Öffentlichkeit.