von Nick Lüthi

Zukunft SRF/SRG: Niedergang oder Auferstehung

Eine grosse Recherche der «NZZ am Sonntag» zeichnete jüngst ein deplorables Bild vom Zustand des Schweizer Radios und Fernsehens SRF. Wie geht es weiter? Gibt es noch Hoffnung? Drei Szenarien.

Nach 35’000 Zeichen, verteilt auf zwei Artikel, endet der Text mit der wenig hoffnungsfrohen Aussage eines früheren Kulturchefs des Schweizer Fernsehens: «SRF sucht und irrt umher, ohne sich einzu­gestehen, dass es ohne radikales Umdenken nicht weitergeht. Was jetzt geschieht, ist ein Verwalten der eigenen Bedeutungslosigkeit.» Die «NZZ am Sonntag» recherchierte ein halbes Jahr lang und berichtet ausführlich über «eine Neuausrichtung, die nicht vom Fleck kommt».

Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF und seine Muttergesellschaft SRG stehen gleich mehrfach unter Druck: unter Spardruck, unter politischem Druck und unter Innovationsdruck. Glaubt man dem Führungspersonal, dann gibt es einen Plan, wie sich das Unternehmen und seine zahlreichen Tochtergesellschaften neu erfinden wollen.

Bei SRF heisst das Transformationsprojekt «SRF 2024». Der Veränderungsprozess verläuft bisher eher harzig. Es entsteht viel Reibungsverlust. Das Alte verschwindet, Sendungen werden gestrichen, Personal verlässt das Unternehmen. Mit den neu lancierten Formaten umgarnt SRF vor allem ein jüngeres Publikum. Ob die Summe dieser neuen Einzelteile je wieder ein Ganzes ergibt, ob ein digitaler Service public entsteht, lässt sich heute noch nicht erkennen; überhaupt liegt vieles im Unklaren.

Drei Szenarien für die nächsten Jahre:

Weiter wie bisher. Der schleichende Bedeutungsverlust ist nicht aufzuhalten.

Der gegenwärtige Reformprozess mit all seinen negativen Begleiterscheinungen droht sich in die Länge zu ziehen, ja, er könnte sich schlimmstenfalls als neuer Normalzustand etablieren. Eigentlich wäre vorgesehen, dass sich Schweizer Radio und Fernsehen bis in drei Jahren neu erfunden hat. Aber der Druck wird auch nach 2024 nicht nachlassen: Werbeerträge werden weiter sinken und neue Plattformen die Aufmerksamkeit des (jüngeren) Publikums absorbieren. Und auch nach 2024 werden Politik und private Medienunternehmen fordern, den Spielraum des öffentlichen Rundfunks einzuschränken. Auf die Reform folgt die Reform der Reform. Die Unruhe bleibt, das Unternehmen kann sich nicht stabilisieren. An allen Ecken und Enden schnippelt SRF mit der Sparschere. Hier eine beliebte Sendung weg. Das gibt Ärger mit dem Publikum. Dort zusätzliche Aufgaben für ausgedünnte Redaktionen. Das gibt Ärger mit dem Personal. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, das Publikum zu erreichen. Die unter 45-Jährigen, auf die SRF sein Online-Angebot massgeblich ausgerichtet hat, schaut nur punktuell und sporadisch vorbei. Gleichzeitig nimmt die Nutzung von Radio und Fernsehen weiter ab. SRF gerät zwischen Stuhl und Bank. Das Alte schwindet und das Neue kommt nicht zum Fliegen. Die anhaltende Sinnkrise bleibt natürlich auch der Politik nicht verborgen. Während die einen den Moment gekommen sehen, um den ungeliebten Service public weiter abzuwracken, dienen sich die anderen als Retter an. Bekanntlich kommt es selten gut, wenn sich die Politik einmischt. Und irgendwann muss man nicht einmal mehr die eigene Bedeutungslosigkeit verwalten.

SRF 2024 wird zu einem vollen Erfolg. Schweizer Radio und Fernsehen blüht digital neu auf.

Neben der pessimistischen Verlängerung des Status Quo in die Zukunft, wie in Szenario 1 dargestellt, gibt es natürlich auch die optimistische Sicht. Die SRF-Führung hat einen Plan und ein Projekt für die Zukunft. Und glaubt man den Verantwortlichen, dann befindet sich das Unternehmen auf Kurs; die Weichen in die digitale Zukunft sind gestellt. Aus Radio und Fernsehen wird Audio und Video. Eine neue Organisationsstruktur spiegelt die veränderten Anforderungen an eine Medienproduktion, die sich nicht mehr an Sendern und Sendezeiten orientiert, sondern an Plattformen und Communitys. Dass eine derart grundlegende Transformation nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne geht, liegt in der Natur der Sache. Die öffentliche Aufregung über abgesetzte Sendungen ist aber schnell vergessen, wenn erst einmal die neuen Formate erscheinen. Das gleiche gilt für das Bedauern über die prominenten Abgänge von langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. SRF brauchte die Blutauffrischung. Nur Personal, das selbst mit Online-Medien sozialisiert wurde, bewegt sich glaubwürdig darin. Ab 2022 zahlen sich die Investitionen in die neuen Online-Formate aus. Ob die neue News-App als zentrale Anlaufstelle für Informationshungrige oder Fussballländerspiele der Frauennationalmannschaft live auf Tiktok: SRF spielt gekonnt mit den eigenen und Drittplattformen. Irgendwann im Herbst 2024, fünf Jahre nach dem Start des Transformationsprojekts, wird sich Nathalie Wappler in den SRF-Newsroom am Leutschenbach vor das Personal stellen und verkünden: «Mission accomplished!»

Zwangsverkleinerung als Chance? Wohl kaum.

Seit Jahren geistert der Vorschlag als Drohkulisse herum und vielleicht bleibt das auch so. Aber genauso gut ist es möglich, dass die SVP und ihr zugeneigte Kreise in nächster Zeit ernst machen und die «Halbierungsinitiative» tatsächlich lancieren. Sie sagen zumindest, dass sie es jetzt ernst meinten. Mit diesem Vorschlag würde die Haushaltsabgabe auf 200 Franken reduziert und damit das Budget der SRG mehr als halbiert. Es blieben noch gut 700 Millionen Franken pro Jahr für ein Medienangebot, das weiterhin dem Anspruch eines Service public gerecht werden müsste. Heute sind es gut 1,5 Milliarden, davon gut 200 Millionen aus der Werbung. Damit dürfte nicht mehr zu rechnen sein. Ein Fernsehangebot, wie es heute ein Umfeld für TV-Werbung bietet, liesse sich kaum mehr betreiben. Unter diesen Voraussetzungen müsste sich die SRG neu erfinden. Zwingend erhalten blieben wohl Information und Kultur, also das, was schon heute den Kern des Service public ausmacht und was die privaten Medien immer weniger zu leisten vermögen. Unterhaltung und Sport könnten dagegen weg, schliesslich gibt es dafür ein grosses Angebot der kommerziellen Medien. So reizvoll das Szenario erscheinen mag, den Service public komplett neu zu erfinden: Mit Blick auf die aktuelle Befindlichkeit von SRG und SRF wäre der Neuanfang auf der grünen Wiese ein hochriskantes Unterfangen und nicht die zukunftsträchtige Option, als die sich ein Neustart auf dem Reissbrett präsentieren mag.

Natürlich wird keines der drei Szenarien genau so eintreffen wie hier beschrieben. Stand heute dürfte Szenario 1 das realistischste sein. Das sehen auch mehrere aktuelle und ehemalige SRF-Angestellte so, mit denen die MEDIENWOCHE diese Szenarien diskutiert hat. Dass schliesslich doch noch alles gut kommt, wie in Szenario 2 beschrieben, und die aktuellen Misstöne nur ein vorübergehendes Knirschen im Gebälk sind, glaubt man nicht mehr.

Szenario 3, und das überrascht doch einigermassen, sehen SRF-Mitarbeitende als reizvolle Perspektive. Hinter vorgehaltener Hand heisst es sogar, dass wohl auch SRF-Personal für die «Halbierungsinitiative» stimmen würden. Was auch heisst: Das Vertrauen in den laufenden Veränderungsprozess ist offenbar so schwach, dass man für einen (radikalen) Neuanfang sogar grosse bis existenzielle Risiken in Kauf zu nehmen bereit wäre.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 05. November 2021, 16:31

Toller Bericht. Tatsächlich würde die Medienlandschaft mit einer auf den Kernauftrag reduzierten SRF (z.B. nur 1 Radio- und TV-Kanal pro Sprache, werbefrei und ohne Online-Angebot) erblühen. In Web, Print, Radio und TV.

SRF-Beamte (wie Gredig, Barbara Lüthi oder Brotz) würden nicht arbeitslos. Sie müssten einfach die Regeln der leistungsbezogenen Realwirtschaft akzeptieren.

Peter Brunner 06. November 2021, 13:38

Ach die SRG, oh nein „der/die/das“ SRF (um ja nichts falsch zu machen.

Allzuviel wird sich wohl nicht verändern, ausser weiter fortschreitender ideologischer Ausrichtung. Bekanntlich findet die Nivellierung ja stets nach unten statt.

Und da die sogenannten „Privaten“ nie in der Lage sein werden – es wohl auch nicht wollen -, eine auch nur einigermassen akzeptable sach- und faktenbezogene, sprich neutrale Qualität anzubieten, verbleibt in der helvetischen (helvetischen?) TV-Medienlandschaft mehr oder weniger der Status quo.

Selbstverständlich alles „in einfacher Sprache“ und Gendergerecht.

achmed bitzius 08. November 2021, 09:37

die politiker/innen/parlamentarier/innen fürchten das aus der staatlichen berichterstattung, weil sich dann in unserem land mit wohl bald 50% irgendwie (wenn auch nur sprachlich) aus dem ausland stammenden bevölkerung nur noch wenige für die politiker und ihre direkte demokratie interessieren werden. die srg hat die undankbare aufgabe, das informieren des stimmvolks durchzuführen, das  (bei den jungen) auf wenig interesse stösst. dazu kommt bei den deutschschweizer die dialektfixation, die ein ausgreifen der hörerschaft auf europa verunmöglicht – also teuer zu stehen kommt. dazu kommt die „gratis“-leistung der srg an die landeskohäsion. privaten medienhäusern ist diese meist wenig prioritär. wenn das alles wegfällt, kann man sich auch die ’sonnenstube‘ und teile der jurahügel ans bein streichen…

dann kommt es im besten fall wieder zur parteinahen mediensituation à la „vaterland“, gewerkschaften oder SVP – eine konstellation, von der wir uns hoffnungsvoll vor 40 jahren verabschiedet hatten.

die politik kann bei den tiefen auflagezahlen, die in der schweiz zwangsläufig erreicht werden können, und bei den unsäglichen komplikationen, die sich, thematisch meist wenig interessant, aus direktdemkratie und föderalismus ergeben, nicht auch noch ‚mehr markt‘ fordern. damit würde sie sich nur selbst ins knie schiessen. während der pandemie sind ja die medien plötzlich wieder gut genug, um ‚objektiv zu informieren‘. und all die tabus rund um die (meist nur im deutschsprachigen) erzwungene, in der hörerschaft aber wenig populäre politische korrektheit trägt auch wenig zum besseren verständnis der texte/audios/videos bei….

Agnès Laube 11. November 2021, 21:44

Von wegen es gibt keinen qualitativen Abbau (Brenn). Beispiel Radio SRF4: Früher habe ich hier ganztags reingehört und immer wieder neue Infos erhalten. Heute wiederholt sich alles ab 11 Uhr. Schade.