Regionale Radio-/TV-Landschaft: «Leichte Anpassung» stösst auf starke Ablehnung
Den Vorschlag des Bundesrats für eine Neuzeichnung der regionalen Radio- und Fernsehlandschaft lehnen die Betroffenen einhellig ab – aus ganz unterschiedlichen, aber letztlich doch sehr ähnlichen Gründen; sie fürchten eine Schwächung ihrer Medien.
Neben den medienpolitischen Grossbaustellen, etwa dem millionenschweren Förderpaket, das im Februar zur Abstimmung gelangt, existieren weitere kleinere Baustellen. Und die sind nicht weniger komplex. Nicht zuletzt, weil sie mit den Hauptbauplätzen zusammenhängen. Was hier geschieht, wirkt sich dort aus und umgekehrt.
Anfang September kündigte der Bundesrat an, «die Versorgungsgebiete für Lokalradios und Regionalfernsehen leicht anzupassen» zu wollen. Bei einer oberflächlichen Betrachtung sehen die vorgesehenen Massnahmen tatsächlich nur nach geringfügigen Änderungen aus, nach ein bisschen Kosmetik und Justierung einer historisch gewachsenen Situation.
Formal handelt es sich um eine Teilrevision der Radio- und Fernsehverordnung RTVV. Anlass dazu gibt der absehbare Abschied von der UKW-Technologie und der Umstieg auf DAB+. Die Einteilung der heutigen Radio-Versorgungsgebiete ist stark geprägt von den technischen Bedingungen der UKW-Verbreitung.
Ein genauerer Blick zeigt nun, dass sich die geplanten Eingriffe stärker auf die regionale Medienlandschaft auswirken könnten als offiziell dargestellt. Denn es geht nicht nur um ein paar Federstriche auf der Landkarte, sondern auch um weiterreichende Weichenstellungen. Darum lehnen die Branchenverbände von Privatradio und -fernsehen die Vorschläge des Bundesrats unisono ab. Alle vier Interessenvertretungen erwarten eine Schwächung ihrer Sender, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die MEDIENWOCHE konnte die Stellungnahmen der Verbände einsehen, die sie im Rahmen der Vernehmlassung dem Bundesrat zukommen lassen.
Die Radioverbände VSP und RRR schlagen vor, die Verbreitungskosten der Sender zu subventionieren und nicht die Programmproduktion.
Die Verbände der kommerziellen Privatradios VSP und RRR kritisiert vor allem die acht zusätzlichen Konzessionsgebiete für Gebührenradios. Damit möchte der Bundesrat, analog zum Fernsehen, in allen Regionen der Schweiz einen Lokalsender mit Service-public-Auftrag ermöglichen und damit den regionalen Informationsjournalismus stärken. VSP und RRR rechnen mit dem gegenteiligen Effekt. «So besteht die Gefahr, dass neben den heute erfolgreichen Radiosendern flächendeckend neue subventionierte Zombieradios entstehen, die zu wenig Publikumserfolg zum Leben und durch die Subventionen zu viel zum Sterben haben», befürchtet etwa Roger Elsener, bei CH Media für Radio- und Fernsehen verantwortlich. Diese «Zombieradios», die sich zusätzlich zu den Gebühren auch mit Werbung finanzieren dürften, würden den Sendern ohne Subventionen das Leben schwer machen. Der Vorschlag des Bundesrats greife zu stark in eine «funktionierende Privatradiolandschaft» ein, schreiben VSP und RRR in einer gemeinsamen Stellungnahme. Stattdessen präsentieren die beiden Verbände ein Modell, mit dem die Verbreitungskosten der Sender subventioniert würden und nicht die Programmproduktion. «Für die vorgeschlagene Technologieförderung können sich bisherige und neue Privatradios bewerben», so VSP und RRR.
«Werden die Versorgungsgebiete der neun bestehenden komplementären Lokalradios so massiv verkleinert, gefährdet das diese Radios in ihrer Existenz.»
Radioverband Unikom
Auch der Radioverband, der die komplementären, nicht gewinnorientierten Sender vertritt, kann mit den Plänen des Bundes nichts anfangen. Unikom richtet seine Kritik insbesondere gegen die vorgesehene Anpassung der Konzessionsgebiete. Im Fall der Gemeinschaftsradios würden diese stark verkleinert – mit weitreichenden Konsequenzen, befürchtet der Verband. Da sich die Gebührenzuteilung auch an der Grösse das Gebiets bemisst, das ein konzessionierter Sender mit Informationen versorgen muss, würde sich eine Verkleinerung finanziell entsprechend negativ auswirken. Die vorgesehene Neuzeichnung der Versorgungsgebiete orientiert sich am Agglomerationsbegriff des Bundesamts für Statistik, das diesen 2012 angepasst hatte. Demnach hätten die Unikom-Radios künftig nur noch den «Agglomerationskern» zu versorgen. Der Einbezug der «Nebenkerngemeinden» hätte zu wesentlich grösseren Versorgungsgebieten geführt. Das will das Bakom nicht. Aber gerade dort wohnt ein wichtiger Teil des Zielpublikums der Gemeinschaftsradios, nämlich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund. «Werden die Versorgungsgebiete der neun bestehenden komplementären Lokalradios so massiv verkleinert, gefährdet das diese Radios in ihrer Existenz», schreibt Unikom in seiner Stellungnahme an den Bundesrat. Weiter bemängelt der Verband, der auch kommerzielle Start-up-Radios repräsentiert, dass diese Gattung in der vorliegenden Revision keine Rolle spiele. Dabei wäre es gerade für jene Sender wichtig, die ihr Programm über DAB+ verbreiten, dass sie «genügend grosse Versorgungsgebiete abdecken können», um ihnen «eine entsprechende kommerzielle Reichweite zu ermöglichen».
«Das Bakom verkauft hier buchstäblich das Fell des Bären, bevor es ihn erlegt hat.»
Regionalfernsehverband Telesuisse
Obwohl das Regionalfernsehen nur geringfügig von der Teilrevision der Radio- und Fernsehverordnung betroffen zu sein scheint, zeigt sich auch dessen Verband Telesuisse unzufrieden und lehnt die Pläne des Bundesrats ab. Ein zentraler Punkt der Kritik betrifft die geografische Festlegung der künftigen Konzessionsgebiete. Heute überlappen sich diese, so dass mehrere Sender den Auftrag haben, über das gleiche Gebiet zu berichten. Solche Überlappungen sollen nun verschwinden und die Sendegebiete trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Telesuisse findet das realitätsfern: «Gerade in den Randregionen der Kantone interessieren sich die Menschen immer auch für das Geschehen im Nachbarkanton», schreibt der Verband. Es sei deshalb durchaus sinnvoll, «dass über diese Regionen zwei Regionalfernsehen – aus jeweils unterschiedlichem Blickwinkel – berichten». Weiter rechnet Telesuisse mit weniger Geld für seine Sender. Zum einen, weil die Finanzierung der neuen Gebührenradios zu Lasten des Regionalfernsehens erfolgen könnte. Zum anderen, weil die vorgesehene Erhöhung des Abgabenanteils für Privatradio und -fernsehen noch gar nicht unter Dach und Fach ist. Die zusätzlichen Mittel sind Teil des Medienpakets, das im kommenden Februar zur Abstimmung gelangt. Überhaupt komme die Vernehmlassung zur «Unzeit». Man hätte besser die Abstimmung über das Medienpaket abwarten sollen. Erst dann sei klar, ob der Anteil aus der Medienabgaben für Lokalradio und Regionalfernsehen erhöht wird. Die vorliegenden Pläne fussten «auf der Annahme, dass das Medienpaket der eidgenössischen Räte umgesetzt» werde. «Das Bakom verkauft hier buchstäblich das Fell des Bären, bevor es ihn erlegt hat», findet darum Telesuisse.
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Eine andere offene Baustelle in der Radiolandschaft ist der nun offenbar wieder in Frage gestellte Abschalttermin für UKW. Erst diese Woche hat der Bundesrat eine Motion von Ständerat Ruedi Noser (ZH/FDP) zur Annahme empfohlen, die «keine voreilige Einstellung von UKW» verlangt. Der von der Branche nach einigem Hin und Her auf Ende 2024 festgelegte Abschalttermin könnte also nach hinten rücken. Damit würden sich auch die vorgesehenen Anpassungen der Rahmenbedingungen für die regionale Radio- und Fernsehlandschaft entsprechend verzögern, weil länger als geplant alles beim Alten bliebe.
Bei so viel Kritikpunkten und Unwägbarkeiten überrascht es nicht, wenn die Direktbetroffenen die geplanten Änderungen einhellig ablehnen. Dieses Signal wird auch beim Bundesrat ankommen. Ob er seine Pläne gleichwohl durchzieht oder noch einmal über die Bücher geht, entscheidet er nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist, die am 9. Dezember 2021 endet. «Der Bundesrat wird seinen definitiven Entscheid zu den künftigen Versorgungsgebieten und den entsprechenden Konzessionen unter Würdigung aller Stellungnahmen der Vernehmlassung treffen», erklärt das Bundesamt für Kommunikation das weitere Vorgehen.
Wenn selbst – vermeintlich – kleine Anpassungen auf so starke Ablehnung stossen, weil sie eben doch nicht so klein sind, wie sie aussehen, rückt dies auch die Rolle der Medienregulierung in den Fokus. Taugen die Instrumente und Rezepte der letzten rund 40 Jahre überhaupt noch für die Herausforderungen der Zukunft?
Ueli Custer 19. November 2021, 12:45
Die Frage am Schluss dieses Berichtes ist genau die Kernfrage. Irgendwie habe ich das Gefühl, die ganze Neuordnung basiert immer noch auf dem Gedanken der knappen UKW-Frequenzen und der beschränkten Anzahl der Kanäle in den Kabelnetzen. Mit den heutigen, wesentlich vielfältigeren Verbreitungsmöglichkeiten muss auch das alles neu gedacht werden. Als St. Galler in Solothurn kann ich ja heute problemlos Sendungen von TVO ansehen. Und das ist auch gut so. Genauso wie ich sämtliche regionalen Radioprogramme über Bluewin-TV sehen kann. Das sind neue Fakten, die es zu berücksichtigen gilt.