von Marko Ković

Mangelhafte Corona-Kommunikation des Bundes: Das sind die sechs Dauerbaustellen

Der Bundesrat und die Bundesverwaltung müssen in der Pandemie klar und zielführend über die aktuelle Lage, über Massnahmen und über Pläne für die Zukunft informieren. An dieser für die Bewältigung der Pandemie essenziellen Aufgabe scheitert der Bund aber nach wie vor. Eine Kritik an der Behördenkommunikation in sechs Punkten.

Die Exekutive ist in der Pandemie an vielen Fronten gefordert. Eine davon ist die Kommunikation: Der Bundesrat und die Bundesverwaltung sind die zentralen Instanzen, wenn es darum geht, die Bevölkerung über die aktuelle Situation und über neue Entscheide und Entwicklungen zu informieren. Auch die Kantone sind in punkto Corona-Kommunikation wichtige Drehscheiben – aber der politische und damit auch der kommunikative Ball liegt in der Pandemie primär beim Bund.

In einer andauernden gesundheitlichen Ausnahmesituation erfolgreich zu kommunizieren, ist alles andere als einfach. Die Pandemie entwickelt sich dynamisch, der Verlauf lässt sich nicht vorhersehen, wie etwa unlängst das Auftauchen der Omikron-Variante des Virus zeigt. Während die Öffentlichkeit immer Gewissheit und eine möglichst lückenlose Information will. In seiner Krisenkommunikation muss der Bund zwangsläufig improvisieren. Pleiten, Pech und Pannen sind unvermeidbar.

Nach bald zwei Jahren Pandemie fällt der Bund aber auch mit fragwürdigen Kommunikationspraktiken auf, die sich nicht einfach als «Ad-hoc»-Pannen erklären lassen, die einmalig und in der Hitze des Gefechtes passieren können. Diese wiederkehrenden Probleme in der Corona-Kommunikation des Bundes sorgen für Verwirrung und Unsicherheit. Mit seiner anhaltend problembehafteten Kommunikation erschwert der Bund die erfolgreiche Pandemiebewältigung.

Sechs Dauerbaustellen

Der Stand des Wissens in der Pandemie verändert sich von Tag zu Tag, und der Bund muss entsprechend mit der Zeit auch seine Botschaften an die Öffentlichkeit anpassen. Es gab aber mehrere Episoden, in denen der Bund praktisch über Nacht inhaltliche 180-Grad-Kehrtwenden unternahm und damit eine Art kommunikatives Schleudertrauma bei der Öffentlichkeit verursachte: Zuerst wurde mit Nachdruck das eine behauptet, nur, um dann umbruchartig auf das andere umzuschwenken. Das stiftet Verunsicherung und Verdruss, zumal das Beharren auf der jeweils früheren Position mehr als einmal nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprach.

Ein frühes Beispiel für diese widersprüchliche Kommunikation war die Frage, ob Gesichtsmasken grundsätzlich nützlich sind, um Ansteckungen mit Covid-19 zu verhindern. In den ersten Monaten der Pandemie betonten sowohl der Bundesrat als auch «Mr. Corona» Daniel Koch, der ehemalige Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten des Bundesamtes für Gesundheit BAG, Gesichtsmasken seien unwirksam. Doch dann, im Juli 2020, kam mit der schweizweiten Maskenpflicht die grosse Kehrtwende. Gesichtsmasken, so die neue Botschaft, seien eine hochwirksame Massnahme, um Ansteckungen zu reduzieren.

Tatsächlich war es wissenschaftlich gesehen nie umstritten, ob Gesichtsmasken vor Ansteckungen schützen. Zwar konnte das genaue Ausmass des Effektes von Gesichtsmasken auf Covid-19-Ansteckungen erst nach einigen Monaten Pandemieverlauf gemessen werden, aber die biologische Natur des Corona-Virus und frühere Studien etwa zu Grippe legten von Anfang an den Schluss nahe, dass Gesichtsmasken ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen Covid-19 sind.

Es blieb nicht bei dieser einen abrupten kommunikativen Kehrtwende nach dem Festhalten an unsauberer Information. So empfahl das BAG noch im März ausdrücklich davon ab, FFP2-Gesichtsmasken zu nutzen; Stoffmasken hingegen erhielten das OK. In Tat und Wahrheit bieten FFP2-Gesichtsmasken einen ausgezeichneten Ansteckungsschutz, und die Behauptung, Menschen wüssten nicht, wie diese Masken zu tragen seien, hat sich nie bewahrheitet. Mittlerweile hat das BAG die Informationen angepasst und bemerkt nur noch, dass FFP2-Masken «nicht unbedingt» wirksamer als einfache Hygienemasken seien. Ähnlich verwirrend war die Kommunikation des Bundes bei der Frage, wie lange die Covid-Impfungen eine Schutzwirkung haben. Noch im Juni 2021 behauptete Gesundheitsminister Alain Berset, dass die Impfungen «mindestens 12 Monate» lang schützten – zu einem Zeitpunkt, als die Delta-Variante bereits um sich griff und Studien demonstrierten, dass die Wirkung der Impfungen bereits deutlich früher als erst nach 12 Monaten nachlässt.

Bis Ende Oktober beharrte der Bund zudem darauf, dass die «Boosterimpfung», also die Auffrischimpfung, um den Schutzeffekt zu erhöhen, nicht nötig sei. Es gebe zwar «erst wenig Evidenz» in dieser Frage, aber der bestehende Schutz sinke nur für «sehr wenige Personen». Diese Behauptungen kamen zu einem Zeitpunkt, als bereits grossangelegte Studien aus Israel vorlagen, aus denen klar hervorging, dass und wie sich die Booster-Impfung positiv auf die Eindämmung des Coronavirus auswirkte. Nur wenige Tage später kam vom Bund dann die Kehrtwende mit einer diametral entgegengesetzten Botschaft: Die Booster-Impfung sei wichtig und werde rasch für über 65-Jährige, dann für die ganze Bevölkerung eingeführt.

Diese widersprüchliche Kommunikation ist nicht nur verwirrend, sondern potenziell auch gefährlich. Nach halsbrecherischen Argumentationsmanövern sinkt möglicherweise ganz grundsätzlich das Vertrauen in die Informationen des Bundes – und damit auch die Bereitschaft, korrekte Informationen und Empfehlungen ernst zu nehmen.

Wie kommt es zu dieser widersprüchlichen Kommunikation? Die Wurzel des Problems könnten zum Beispiel lange Entscheidungswege in einer sklerotischen Verwaltung sein. Oder auch divergierende Expert*innen-Meinungen, die zum Teil wissenschaftlich nicht am Puls der Zeit sind. Oder auch, wie bei der Frage der Wirksamkeit von Masken, ein Ablenkungsmanöver, um die damals nur knapp verfügbaren Gesichtsmasken prioritär dem Gesundheitspersonal zukommen zu lassen. Das mögen im Nachhinein alles halbwegs nachvollziehbare Ursachen sein, aber das Problem wird nicht kleiner, nur weil dahinter keine böse Absicht steckt.

Einer der wichtigsten Kanäle des Bundes, um die breite Öffentlichkeit zu informieren und sie zu bestimmtem Verhalten zu motivieren, sind Kommunikationskampagnen in Form von Plakaten und Videos. Damit hat das Bundesamt für Gesundheit in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht, insbesondere bei der HIV-Prävention. Dass der Bund die Öffentlichkeit auch in der Covid-Pandemie mit visuellen Botschaften anspricht, liegt daher auf der Hand und ist grundsätzlich richtig und wichtig. Mit Bildern und Piktogrammen können sich die Behörden zudem leicht verständlichen Inhalten direkt an die Bevölkerung wenden. Doch bei manchen der bisherigen Corona-Kampagnen stellt sich die Frage, was genau die Idee dahinter war.

Im Oktober 2020 kündigte das Bundesamt für Gesundheit in Anbetracht explodierender Fallzahlen an, die Hintergrundfarbe der Plakate mit den Verhaltensregeln zu ändern. Anstatt blau waren die Plakate neu orange.

Die Anpassung mag gut gemeint gewesen sein (orange sollte signalisieren, dass sich die Lage zuspitzt), aber angesichts des Ernstes der epidemiologischen Lage wirkte diese minimale, symbolische Anpassung fast wie eine Art Parodie der zurückhaltenden Schweizer Corona-Politik.

Mit der breiten Einführung der Covid-Impfungen stieg auch die Bedeutung von Kommunikationskampagnen, weil diese einen zusätzlichen Hebel darstellen, um Menschen zum Impfen zu motivieren. Doch ausgerechnet bei Impfkampagnen tritt der Bund von einem Fettnäpfchen ins nächste.

In einer Serie von Kampagnen-Videos versuchte das BAG, vor allem jüngere Bevölkerungsschichten mit «hippen», für sie relevanten Botschaften zu erreichen. Den Anfang machte ein eher nüchternes «Nicht verpassen»-Video, das aufzeigen sollte, dass die Impfung das Leben bequemer macht. Mit der Impfung, so das Video, könne man «entspannter auf Reisen» gehen.

Die Botschaft, dass alles leichter geht, wurde mit einer «Lieber impfen lassen»-Kampagne zusätzlich betont, und dabei unfreiwillig fast ins Parodistische verdreht. In einem Kampagnenvideo sehen wir eine junge Frau, die frustriert den Zug verpasst. Die im Jugend-Slang gehaltene Botschaft: «Vor jeder Reise wegen Testen stressen?». In einem anderen Video sehen wir eine Gruppe junger Menschen, die sich in einem Musikclub mit wild gestikulierend die Seele aus dem Leib tanzen. Die Botschaft: «Vor jedem Ausgang testen lassen?».

In beiden Videos sowie in der begleitenden Plakatkampagne sind die Gesichter der Protagonist*innen eigentümlich verpixelt. Das irritiert. Verpixelt werden ja beispielsweise die Gesichter von Kriminellen, wenn sie im Fernsehen kommen. Machen diese Leute in den Videos und Plakaten also etwas Illegales? Oder sind sie Opfer? Eine Kampagne, die solche Fragen aufwirft, verfehlt ihr Ziel.

Der Höhepunkt der bizarren Impfkampagnen sind die «Fail»-Videos, die unter anderem auf Social-Media-Plattformen wie TikTok verbreitet wurden. In diesen Blödel-Videos wird ein bizarres Verhalten einer oder mehrerer junger Personen gezeigt, mit der Botschaft, dass die Impfung sicherer sei als eine Infektion mit dem Coronavirus und weniger schmerzhaft, cleverer und sicherer als das gezeigte Verhalten. In einem der drei Videos ist eine Person zu sehen, die sich ab einem Laufband auf Kakteen stürzt.

Die Botschaft: «Hier ist ein Mensch, der die möglichen Folgen einer Impfung zu schmerzhaft findet.» Das Video ist nicht nur ein ziemlich transparenter und dadurch unwirksamer Versuch der Anbiederung mittels lustiger Videos in «Meme»-Formaten. Die Kampagne macht sich auch ganz aktiv über Menschen, die mit der Impfung zögern, lustig – und greift damit just jene Zielgruppe an, die sie eigentlich positiv motivieren soll.

Im November führte der Bund, in einer Art kommunikativem Verzweiflungsakt angesichts tiefer Impfquoten, die «Nationale Impfwoche» durch: Eine einwöchige Kampagne, um das Bewusstsein für den Nutzen der Impfungen zu steigern. Die zentrale Botschaft der Kampagne war schlicht und appellierte an unseren Sinn für das Gemeinwohl: «Gemeinsam aus der Pandemie», bebildert mit einem Schweizerkreuz aus zwei Pflastern.

Ein zentrales Standbein der Kampagne war eine «Informations- und Konzerttour» mit dem Titel «Back on Tour», bei der Künstler*innen wie Stefanie Heinzmann, Stress oder Danitsa Auftritte hatten. Es mag gut gemeint gewesen sein, der Covid-Impfung mittels Popmusik zu einem besseren Image zu verhelfen.

Wie genau aber eine handvoll Konzerte, die maximal von je ein paar Hundert Menschen besucht werden konnten, die Impfbereitschaft in der breiten Bevölkerung hätte steigern sollen, bleibt ein Rätsel. Insgesamt scheint die Impfwoche eine schlecht (und vermutlich auch schnell) geplante Kampagne gewesen zu sein. Davon zeugt nicht zuletzt der Umstand, dass die Kantone, die bei der Impfwoche als Partner mitwirkten, von den insgesamt 96 Millionen Franken Kampagnenbudget nur gerade Mal 18 Millionen beantragt hatten. Im Zuge der Impfwoche war zwar ein Anstieg der Impfzahlen im Vergleich zur Vorwoche zu beobachten, aber das Ergebnis bliebt letztlich weit hinter den Erwartungen zurück.

Der Bund hat schon früh in der Pandemie die «Swiss National COVID-19 Science Task Force» ins Leben gerufen: Ein Gremium von Wissenschaftler*innen, die den Bund in wissenschaftlichen Sachfragen beraten und Empfehlungen aussprechen. Die Taskforce hat damit eine sehr wichtige Aufgabe, und der Umstand, dass der Bund ein solches Gremium geschaffen hat, zeugt von Umsicht. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung entsteht bisweilen der Eindruck, dass der Bund mit der eigenen Taskforce auf Kriegsfuss steht.

Im Herbst letzten Jahres begannen Bundesrat und Taskforce zunehmend aneinander vorbeizureden. Vor dem Hintergrund rasch steigender Fallzahlen kritisierte Taskforce-Mitglieder die Massnahmen-Strategie des Bundesrates öffentlich. Zu einem Eklat kam es im Dezember 2020, als der damalige Taskforce-Präsident Martin Ackermann die Corona-Politik des Bundesrates in einer Medienkonferenz ganz explizit ins Visier nahm. Noch mehr Scherben wurden im darauffolgenden Januar und Februar zerbrochen, als die Epidemiologen Christian Althaus und Marcel Salathé die Taskforce verliessen. Althaus begründete seinen Rücktritt mit der Kritik, dass die Politik der Wissenschaft nicht auf «Augenhöhe» begegne. Bundesrat Alain Berset seinerseits verkündete im Mai in einem nur leidlich verschleierten Seitenhieb gegen die Taskforce, er habe «die Wissenschaft zu wenig hinterfragt».

Ob sich Bund und Taskforce mittlerweile versöhnt haben, ist von aussen schwer einzuschätzen. Öffentlich ausgetragene Konflikte mit dem Bundesrat gibt es unter der neuen Präsidentin Tanja Stadler keine mehr. Die Taskforce publiziert nach wie vor «Policy Brief»-Papiere, in denen aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen und Studien behandelt werden, sowie wöchentliche epidemiologische Lagebeurteilungen. Zudem meldet sich die Taskforce ab und an mit Medienauftritten zum Beispiel in Form von Interviews der Präsidentin und der Vize-Präsident*innen zu Wort. Als unabhängige, kritische Stimme auch in der Debatte über zielführende politische Massnahmen ist die Taskforce aber weitgehend verstummt.

Am Ende bleibt der Eindruck, dass sich «Wissenschaft» und «Politik» nicht etwa einig wurden, sondern, dass sich der Bundesrat als die stärkere der zwei Parteien durchgesetzt hat und die Taskforce, vielleicht auch als Folge politischen Drucks von Wirtschaftsinteressen, zurückgepfiffen hat. Auch wenn dieser Eindruck täuscht und hinter den Kulissen vielleicht Friede und Freude herrscht: Das chaotische kommunikative Verhältnis zwischen Bund und Taskforce dürfte im Laufe der Pandemie zusätzlich zur allgemeinen Verunsicherung beigetragen haben.

Die Schweiz ist eines der am stärksten föderalistisch organisierten Länder der Welt. Das mag in vielerlei Hinsicht vorteilhaft sein, aber der kleinteilige Schweizer Föderalismus macht die Pandemiebekämpfung nicht einfacher. Die 26 Kantone führen 26 eigenständige Impfkampagnen durch, unterhalten 26 unterschiedliche Cocktails an nicht-pharmazeutischen Massnahmen – und haben 26 unterschiedliche Kommunikationsstrategien. In dieser Kakofonie der Behördenstimmen den Überblick zu behalten, ist schwierig.

Bei der jüngsten Runde der vom Bundesrat empfohlenen Massnahmen von Anfang Dezember fielen die Reaktionen der Kantone komplett unterschiedlich aus. Wie bei einem Buffet wählten die Kantone mehr oder weniger willkürlich, welche Verschärfungen sie umsetzen wollen und auf welche sie gar keinen Appetit haben. Der Bundesrat seinerseits reagierte auf diese A-la-Carte-Mentalität düpiert und teilt in öffentlichen Stellungnahmen gegen die Kantone aus.

Das Ergebnis ist nicht nur eine ad absurdum geführte Massnahme-Politik – mit 26 unterschiedlichen Strategien kann man keine Pandemie bekämpfen – , sondern auch ein Kommunikations-Wirrwarr der Sonderklasse. Wie sollen etwa Zürcherinnen und Zürcher genau reagieren, wenn der Bund mit Nachdruck für eine Homeoffice-Pflicht plädiert, der Kanton Zürich eine solche aber mit genauso viel Nachdruck ablehnt? Die Tatsache, dass sich Bund und Kantone auch im zweiten Pandemiejahr öffentlich noch immer noch derart in den Haaren liegen, dürfte das Vertrauen der Bevölkerung in die Corona-Politik der Schweiz nicht stärken.

In ihrer Kommunikation nach aussen sollten die Mitglieder des Bundesrats das sogenannte Kollegialitätsprinzip befolgen: Intern streiten sie teils heftig, aber nach aussen sprechen die Regierungsmitglieder mit einer Stimme und vertreten die Haltung des Gesamtbundesrats. Dass das Kollegialitätsprinzip in der Praxis nicht ganz so gut funktioniert wie in der Theorie, ist seit Langem bekannt.

In der Pandemie wurde diese Spielregel gleich mehrfach verletzt. An einem Parteianlass der Schweizerischen Volkspartei SVP echauffierte sich Bundesrat Ueli Maurer über die Corona-Politik des Bundes, die er als Mitglied des Bundesrates eigentlich mittragen müsste. Mehr noch: Maurer bekundete seine Solidarität mit der rechtslibertären Gruppierung «Freiheitstrychler», indem er sich in deren Hemd ablichten liess. Die Episode war nicht die erste kollegiale Entgleisung von Bundesrat Maurer. Bereits im vergangenen Jahr bekundete er Sympathien mit radikalen Massnahmegegner*innen und verbreitete das Märchen, Menschen, die keine genehme Meinung hätten, würden weggesperrt.

Dass ausgerechnet Bundesrat Maurer die Corona-Politik der Landesregierung, zu der er selber gehört, untergräbt, ist kein Zufall. Die SVP, die grösste Partei der Schweiz, hat sich als massnahmenkritische Stimme positioniert, deren Exponent*innen die Anstrengungen zur Pandemiebekämpfung regelmässig als «Diktatur» und dergleichen bezeichnen. Maurers regelmässige Seitenhiebe gegen die eigenen Kolleg*innen im Bundesrat schwächen dessen Glaubwürdigkeit und lassen die Kommunikation der Regierung zumindest ein Stück weit ins Leere laufen.

Der Bundesrat und die Bundesverwaltung sorgen in der Pandemie für eine nicht endende Flut an öffentlichen Informationen. Fast täglich finden Medienkonferenzen statt, bei denen es um Lagebeurteilungen und Neuigkeiten rund um zu lockernde oder zu verschärfende Massnahmen geht. Journalist*innen berichten seit bald zwei Jahren mit Live-Tickern und mit nachträglichen Zusammenfassungen und Analysen über die aktuellen Informationen des Bundes. Wer will, kann damit zur Corona-Politik des Bundes bis ins letzte Detail auf dem Laufenden bleiben.

Aber genau hierin liegt das Problem: Der Bund informiert zwar am laufenden Band, in Medienkonferenzen und über seine Website, aber Bürgerinnen und Bürger müssen sich die Informationen selber aktiv zusammenklauben. All die Menschen, die keine Politik- und Medienjunkies sind und keine Ressourcen haben, um sich täglich die neuesten Informationen zusammenzusuchen, werden in einem Kommunikationsvakuum zurückgelassen, das sich schlimmstenfalls mit einfach zugänglichen, aber falschen Informationen füllt. Die oben unter Punkt 2 diskutierten eher missglückten Kampagnen vermögen dieses Vakuum jedenfalls nicht zu füllen.

Ein Beispiel hierfür ist das Informationsmaterial des Bundesamtes für Gesundheit. Auf der BAG-Seite zum Coronavirus gibt es eine Reihe von Flyern zum Herunterladen, auf denen wichtige Informationen kompakt zusammengefasst sind, nicht zuletzt zur Covid-Impfung. Aber die Flyer fristen ihr Dasein auf einer BAG-Website, die man als Nutzer*in kennen und aktiv ansteuern muss. Warum wurde der eine oder andere Flyer nicht schweizweit direkt an alle Haushalte verschickt? Mit so einer Aktion liessen sich auf einen Schlag Millionen von Menschen erreichen, die ihre Freizeit nicht auf der BAG-Website verbringen.

Das Ausbleiben einer direkten, klaren und einfach verständlichen Kommunikation mit den Einwohner*innen der Schweiz ist auch bei der ständig wechselnden Situation rund um die Massnahmen ein Problem. Um zu wissen, welche Massnahmen aktuell gelten, müssen sich Menschen aktiv anstrengen: Medienkonferenzen mitverfolgen, Erklärungen in journalistischen Medien konsultieren, oder direkt die (nicht besonders benutzer*innenfreundlichen) Seiten der Bundesverwaltung durchstöbern. Das ist doppelt schlecht: Einerseits verzögert diese Holschuld die Adoption des gewünschten Verhaltens– bis wir alle kapiert haben, was wo ab wann gilt, vergehen wertvolle Tage oder gar Wochen. Und andererseits wird der Bund damit der Idee des Service public nicht gerecht. In einer Krise müsste sich der Bund ganz besonders anstrengen, wesentliche Botschaften aktiv und klar an die Bevölkerung heranzuführen.

Bei diesem Problem spielen auch die Kantone eine wichtige Rolle. Angesichts der föderalistisch gehaltenen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen (und der damit einhergehenden, in Punkt 4 kritisierten Kakofonie) müssten die Kantone in Absprache mit dem Bund koordiniert direkt zur Bevölkerung sprechen. Ein guter Anfang wäre zum Beispiel ein wöchentliches Schreiben in Flyer-Format an alle Haushalte, in dem die aktuelle Situation rund um Massnahmen kompakt und klar erläutert und begründet wird. Auch das gute alte Radio könnte als breitenwirksamer Kanal genutzt werden, so wie das in den ersten Tagen der Pandemie auch schon gemacht wurde. Mit kompakten, wiederkehrenden Formaten könnte der Bund bei öffentlichen und privaten Sendern Sendezeit buchen und wichtige Informationen direkt und niederschwellig an die Bevölkerung herantragen.

Die Pandemie verlangt dem Bundesrat und der Bundesverwaltung viel ab, auch in Sachen Kommunikation. Angesichts der Neuartigkeit der Krise muss dabei zwangsläufig Vieles schiefgehen – der Pandemieverlauf ist nach wie vor ungewiss und reich an möglichen Wendungen. Einige der Probleme in der Kommunikation des Bundes sind aber nicht bloss einmalige Ausrutscher, sondern kommunikative Dauerbaustellen. Mit dem bald vollendeten zweiten Pandemiejahr stellt sich die Frage, warum diese weiterhin bestehen.

Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass sich informelle Routinen in die Kommunikationspraxis des Bundes eingeschlichen haben. Was der Bund zu Beginn der Pandemie gemacht hat, hat sich als Daumenregel verfestigt und jetzt verfolgt er es unkritisch und ritualisiert weiter. Aus den Mängeln und Fehlern der anfänglichen Ad-Hoc-Kommunikation lernten Bundesrat und Verwaltung nicht, und darum wirkt deren Kommunikation auch heute oft noch improvisiert und unsouverän. Vielleicht fehlen innerhalb des Bundes die kritischen Stimmen, die eine längst überfällige Grundsatzdebatte auslösen: Wie kann der Bund kommunizieren, um die Pandemie möglichst wirksam zu bekämpfen?

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Dass bei der Kommunikation «der Mensch im Mittelpunkt» stehen sollte, ist ein trivialer Allgemeinplatz, der mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits jetzt als Prinzip der Corona-Kommunikation beim Bund herumgeistert. In der Praxis gäbe es aber durchaus Möglichkeiten, «menschengerechter» zu informieren. Ein erster Schritt wäre, wie oben unter Punkt 6 erwähnt, das Schaffen bevölkerungsnaher Kommunikationskanäle wie zum Beispiel physisch verschickten Flyern oder regelmässigen Radiospots, mit denen wichtige Informationen breitenwirksam vermittelt werden können. Eine weitere sinnvolle Massnahme wäre, dass sich Bund und Kantone zusammenreissen und ihre Informationsarbeit koordinieren und aufeinander abstimmen. Die verwirrende Vielstimmigkeit könnte damit durch übersichtlich kanalisierte Informationen ersetzt werden. Drittens sollte sich der Bund in seiner Kommunikation stärker an aktueller wissenschaftlicher Forschung orientieren und auch Unsicherheiten betonen. Damit könnte der Bund vermeiden, sich vorschnell und zu stark in Behauptungen hineinzukaprizieren, die bereits dann, wenn sie gemacht werden, nicht mehr stimmen. Und viertens wäre es eine Überlegung wert, die Frequenz der Medienkonferenzen herunterzuschrauben. Fast täglich stattfindende Auftritte von Bundesrat und Behördenvertreter*innen erzeugen eine unnötige Nervosität und führen über die jeweils umfassende Medienberichterstattung zu einer Reizüberflutung. Dabei sind viele der Medienkonferenzen näher an Pseudo-Events als an relevanter Informationsvermittlung – wenn die dort vermittelten Informationen im Wesentlichen aus «wir beobachten die Lage» bestehen, ist die Medienkonferenz unnötig.

Mit solchen Anpassungen liesse sich viel Unsicherheit und Verwirrung abbauen – und ein Stück weit vielleicht sogar die viel beschworene «Spaltung der Gesellschaft», weil neutrale, sachlich korrekte Informationen ein kleines Gegengewicht zur Sogkraft des Falschinformations-Ökosystems im Internet bilden können.

Leserbeiträge

Urs Zumbrunn 09. Dezember 2021, 15:03

Wie kann man korrekt und effizient kommunizieren, wenn von Beginn weg die ganze Basis, auf der die Pandemiemassnahmen ruhen, wissenschaftlich und politisch manipuliert ist und die dazugehörige Kommunikation aus dem Politbüro einer Diktatur kommt? Schwierig da wieder herauszufinden.

Jan Holler 20. Dezember 2021, 16:06

Herr Zumbrunn, können Sie Ihre ungeheurliche Behauptung auch nachweisen oder müssen wir uns endgültig daran gewöhnen, dauernd in allen Leserforen solche Duftmarken lesen zu müssen? Wenn Sie nichts (Wahres) zu sagen haben, schweigen Sie bitte und belästigen Sie uns nicht mit Ihren Nichtigkeiten und Unwahrheiten. Danke!

Urs Zumbrunn 21. Dezember 2021, 14:38

@Jan Holler

Mit Ihrer Antwort auf meinen zugegebenermassen allgemein verfassten Kommentar geben Sie den Beleg für meine These, welcher Geist im Umlauf ist: Unerwünschte totschweigen, wegsperren, gegebenenfalls vernichten. Und nur soviel zu Ihrer Vorstellung von Wahrheit: Ist Peng Shuai nun wirklich missbraucht worden oder ist alles nur ein grosses Missverständnis?