von Nick Lüthi

Neue SRF-News-App: «Wir wollen nicht bemüht auf jung machen»

Die neue News-App von SRF nimmt hinter den Kulissen allmählich Gestalt an. Doch das Herzstück fehlt noch: Um ein jüngeres Publikum zu erreichen, will SRF die digitalen News zugänglicher aufbereiten. Das erfordere «tiefgreifende Veränderungen in unserem Denken», sagt Co-Projektleiter Maurice Velati.

Eigentlich sieht alles ganz gut aus. 2020 verzeichnete Schweizer Radio und Fernsehen SRF Rekordzugriffe auf sein Online-Angebot. Die News-App von SRF wurde täglich im Schnitt 477’000 mal besucht, was einem Wachstum von 160 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Damit könnte man eigentlich zufrieden sein.

Dennoch macht sich SRF daran, seine News-App in wesentlichen Punkten zu überarbeiten. Denn mit der aktuellen Version erreicht SRF nur ein Publikum, das SRF auch vom Radio hören und fernsehen kennen. Wer nur in der Online-Welt verkehrt, kennt das Angebot nicht. Bliebe das so, dann drohte der SRF-News-App das gleiche Schicksal wie den Radio- und TV-Kanälen: eine Überalterung des Publikums und damit ein kontinuierlicher Rückgang der Nutzung – bis irgendwann ihre Existenzberechtigung in Frage steht.


Verlage: 50 Prozent des Traffics via App

Egal, wie viele Apps jemand auf seinem Smartphone oder Tablet installiert hat: Regelmässig nutzen tun wir nur ein paar wenige davon. Seit Jahren wird die Zahl von drei bis zehn Apps herumgereicht, die sich im sogenannten «Relevant Set» befänden. Wer es mit seiner App dorthin schafft, findet treue Nutzerinnen und Nutzer.

Das beobachten auch Schweizer Medien. «App-Nutzer besuchen unser Angebot im Schnitt öfter und länger als jene, die unser Angebot via Browser in Anspruch nehmen», sagt CH-Media-Sprecher Stefan Heini. Bei den Tamedia-Zeitungen komme «ein erheblicher Anteil der gesamten Nutzung über die App, obwohl App-User nur einen relativ kleinen Teil der gesamten Nutzerschaft ausmachen», teilt Sprecherin Nicole Bänninger auf Anfrage mit.

Diese Entwicklung bestätigt der Vergleich der Zahlen von Mediapulse mit denen von NET-Metrix. 2016 erfolgten 80 Prozent der Zugriffe auf die Top-20 Schweizer News-Seiten noch via Web und nur 20 Prozent über deren Apps (Auswertung NET-Metrix). Heute, fünf Jahre später, generieren die Apps bereits die Hälfte des Traffics der 20 meistgenutzten News-Seiten (Auswertung Mediapulse). Diese Werte zeigen nur eine Grössenordnung. Der Online-Traffic in den Jahren 2016 und 2021 wurde nicht mit der gleichen Methode gemessen.

Diese Verlagerung der Online-Nutzung von Websites auf Apps dürfte weiter anhalten. Deshalb bemühen sich auch die Medienunternehmen, Anreize zu schaffen: «Wir wollen die Attraktivität unserer Apps weiter steigern», heisst es bei CH Media. Deshalb messe man dem Ausbau von Video-Inhalten besonderes Gewicht bei. Dabei kann das Unternehmen auf seine vielfältigen Aktivitäten im Bereich Bewegtbild zurückgreifen. Bereits ein grosses Video-Angebot findet man auf der «Blick»-App, zum einen mit dem Live-Stream von «Blick TV», zum anderen mit einzelnen Beiträgen aus dem TV-Angebot, die in den entsprechenden Artikel eingebunden werden. «Die App spielt im Zuge des veränderten Mediennutzungsverhaltens eine zentrale Rolle», schreibt Daniel Riedel, Mediensprecher der «Blick»-Gruppe, auf Anfrage. Bei der App-Nutzung liegt «Blick» unter dem schweizerischen Schnitt. So erfolgen 60 Prozent der Zugriffe über die Website und 40 Prozent via App.

Bei «20 Minuten» ist es genau umgekehrt. Insgesamt kommen dort über 60 Prozent des gesamten Traffics via App. «Die App ist der wichtigste Distributionskanal für 20 Minuten», teilt Eliane Loum-Gräser, Leiterin Kommunikation «20 Minuten», auf Anfrage mit. Ein wichtiger Treiber für die App-Nutzung ist auch hier das wachsende Video-Angebot.

«Um dieser Entwicklung entgegenzuhalten, ist die Weiterentwicklung der News-App ein zentrales Projekt für SRF», sagt Maurice Velati im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Der Radiojournalist und Leiter des SRF-Regionaljournals Aargau Solothurn amtet als Co-Projektleiter für die Weiterentwicklung der News-App. «Mit der neuen News-App wollen wir ein jüngeres Publikum im Alterssegment zwischen 30 und 40 ansprechen», erklärt Velati und unterstreicht die strategische Bedeutung des Projekts: «Im Online-Bereich versuchen wir wo immer möglich die eigenen Kanäle zu stärken.» Das Publikum bis 30 erreicht SRF kaum mehr mit den eigenen Kanälen und vertraut darum stark auf die Dienste von Drittplattformen wie Youtube, Instagram oder TikTok.

Der ursprüngliche Fahrplan hätte vorgesehen, dass die neue Version bis Ende dieses Jahres veröffentlicht worden wäre. Inzwischen geht SRF vom kommenden Frühjahr aus. «Wir haben die Komplexität etwas unterschätzt, schliesslich tangiert unser Projekt fast jede Abteilung im Haus», gesteht Maurice Velati. Ausserdem leiste man in manchen Bereichen Grundlagen- und Pionierarbeit, von der spätere Vorhaben profitieren würden, etwa bei der Personalisierung. Einzelne Elemente der News-App sollen den individuellen Vorlieben der Nutzerinnen und Nutzern angepasst werden können. «Das ist natürlich ein sensibler Bereich, gerade wenn Algorithmen das Nutzungsverhalten analysieren. Darum wollen wir uns da sauber absichern», sagt Co-Projektleiter Velati.

«Beim Design bleiben wir nah an der heutigen App. Das kommt gut an.»
Maurice Velati, Co-Projektleiter neue News-App

Ein Bild vom Stand der Arbeiten liefert die Beta-Version der neuen News-App. Auf den ersten Blick sieht alles aus wie bisher. Die Grundstruktur und das Erscheinungsbild will SRF bewusst nicht verändern. «Beim Design bleiben wir nah an der heutigen App. Das kommt gut an und wir wollen nicht bemüht auf jung machen», erklärt Maurice Velati.

Zwei zentrale Neuerungen sieht man nicht, respektive noch nicht. Technologisch hat SRF die App komplett neu aufgesetzt. Und bei den inhaltlichen Neuerungen befindet sich die Projektleitung erst daran, mit den Redaktionen zu diskutieren, wie sie die Content-Strategie genau umsetzen wollen.

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Klar ist: Die Ansprache des Publikums soll sich ändern, nicht aber die journalistische Substanz. So will SRF mit der News-App künftig verstärkt auch Nutzerinnen und Nutzer erreichen, die sich nur einen schnellen Überblick zur aktuellen News-Lage verschaffen wollen und dazu einfach die Startseite der App durchscrollen ohne einzelne Artikel anzuklicken. Ebenso will SRF mit der App jene ansprechen, die einen Zeitvertrieb suchen, nach dem Motto: «Es ist mir langweilig, ich öffne deshalb mal eine App.» Dieses Bedürfnis will SRF mit lebensnahen Themen und unterhaltenden Formate besser befriedigen, unter anderem auch mit Videoformaten. Insgesamt will SRF mit seiner News-App künftig einen grösseren Themenmix anbieten. Befragungen ergaben, dass sich das Publikum sehr offen zeigt gegenüber einer thematischen Vielfalt. Man könne ja weiterscrollen, wenn einem etwas nicht gefällt, lautet der Tenor.

Die Herausforderung bestehe darin, «mit hoher inhaltlicher Qualität in der Oberfläche leicht und zugänglich zu wirken, in der Tiefe jedoch umfangreich und detailliert zu informieren». Diese Kombination könnte «zu einem erfolgversprechenden Differenzierungsmerkmal werden», weil das aktuell niemand sonst in der Schweiz so biete. Das steht in einer internen Marktanalyse, auf die sich SRF massgeblich abstützt bei der Weiterentwicklung der News-App.

Es geht nicht darum, ein paar unterhaltende und leichte Stoffe in den Newsfluss einzustreuen, sondern um Storytelling.

In der Theorie klingt die Content-Strategie für die News-App einleuchtend und einigermassen einfach. In der Praxis gilt es jedoch noch ziemlich hohe Hürden zu überwinden, wenn SRF diesen Weg gehen will. Das weiss auch Maurice Velati. Er spricht von «tiefgreifenden Veränderungen im Denken der Journalistinnen und Journalisten» als Voraussetzung dafür, dass SRF mit der News-App das selbst gesteckte Ziel erreicht. Denn es geht nicht nur darum, ein paar unterhaltende und leichte Stoffe in den Newsfluss einzustreuen, sondern um Storytelling im Allgemeinen und digitales Storytelling im Speziellen.

«Das jüngere Publikum hat einen anderen Anspruch an ein Nachrichtenmedium, als es unsere Eltern noch hatten», sagt der 41-jährige Velati. «Mit unseren Beiträgen müssen wir eine Antwort liefern auf die Frage: Was hat das mit mir zu tun?» Die Quartalszahlen von Roche interessieren nicht per se, nur weil das ein grosses Schweizer Unternehmen ist. «Wenn wir aber erklären können, dass Roche gut abgeschnitten hat wegen einem Medikament, das in allen Haushalten steht, dann haben die abstrakten Zahlen plötzlich etwas mit dir zu tun», sagt Velati.

Als Radiojournalist kennt er die Diskussion darüber, wie man eine Geschichte so erzählt, dass sie die Leute interessiert. Vor zwanzig Jahren hat Radio DRS ausgiebig darüber debattiert, ob bei einer Nachricht das Neueste zuerst gesagt werden soll, oder ob man den Zuhörerinnen und Zuhörern vor der Neuigkeit eine bekannte Information vermitteln muss, an die sie mit ihrem Vorwissen andocken können. Die Podcast-Welle der letzten Jahre hat das Radio erneut dazu gezwungen, sich grundsätzliche Gedanken zu machen, wie man das Publikum anspricht und abholt. Heute produzieren gestandene Radioleute digitale Audioformate. «Man kann das lernen», kommentiert Velati trocken und glaubt, dass das auch mit den Anforderungen an die journalistische Vermittlung für die News-App funktionieren wird.

SRF befindet sich bei der Weiterentwicklung der App in einem Spannungsfeld zwischen Nutzerbedürfnissen und regulatorischen Vorgaben.

Wahrnehmen wird man diese Neuerungen vor allem über die Texte auf der News-App. Zwar sagte SRF-Direktorin Nathalie Wappler im vergangenen Februar der NZZ: «Wir fokussieren ganz klar auf unsere Kernkompetenzen Audio und Video, auch bei der weiterentwickelten News-App.» Aber Text spielt auch in Zukunft eine wichtige Rolle, zumal das Publikum das erwartet. «Die News-App hat tatsächlich einen hohen Anteil an Audio und Video, aber ganz ohne Text kann man News nicht vermitteln», sagt Maurice Velati. Gleichzeitig ist sich der Co-Projektleiter aber bewusst, dass sich SRF in einem Spannungsfeld bewegt zwischen Nutzerbedürfnissen und regulatorischen Vorgaben. Von Politik und privater Konkurrenz ertönt seit je der Vorwurf, das Online-Angebot von SRF sei zu textlastig. Die erste Vermittlungsebene auf der SRF-News-App bleibt aber auch in Zukunft das geschriebene Wort. Wobei SRF weiterhin nicht komplett freie Hand hat, was die Textlängen angeht. Meldungen ohne Sendebezug dürfen nur maximal 1000 Zeichen lang sein.

Auch wenn schon heute in fast jedem Artikel ein Video- oder Tonbeitrag steht, braucht man die nicht zwingend, um die Nachricht zu verstehen; lesen reicht vollauf. Audio-Beiträge erhalten in der News-App von SRF anderweitig grösseres Gewicht als bisher. So steht künftig zuoberst auf dem Home-Screen ein Button, mit dem sich ein Audio-Stream aktivieren lässt, der einzelne Beiträge aus dem Info-Angebot von Radio SRF abspielt. Zudem erhält die App einen neuen Bereich, in dem spezifisch für die mobile Nutzung produzierte Kurz-Videos zu sehen sind.

Damit SRF zusätzliches und jüngeres Publikum an sich binden kann, muss die News-App nicht nur gut sein, sondern besser als die Angebote anderer Medien. «Signifikant wachsen können Marktteilnehmer nur noch, wenn es ihnen gelingt, Nutzer*innen von anderen Angeboten für sich zu gewinnen», steht in der Marktanalyse, die der Weiterentwicklung der News-App zugrunde liegt. «SRF will mit einer neuen News-App die Konkurrenz angreifen», titelte daraufhin die NZZ im September vor einem Jahr. Damit unterlaufe SRF das Bestreben des Bundesrats, die kostenpflichtigen News-Apps der privaten Medien mittels Fördergelder auf dem Markt zu etablieren. SRF-Direktorin Wappler hielt dem entgegen: «Die News-App wird sich auch künftig vom textlastigen Angebot der privaten Verlage unterscheiden.»

Ganz so einfach ist es nicht. Während Text in der SRF-News-App weiterhin eine wichtige Rolle spielt, rüsten die Privaten mit Video und Audio auf; die Angebote hüben und drüben gleichen sich immer mehr. Und mit den Gratis-Apps von «20 Minuten», «Blick.ch» und «Watson» sind sich die Verleger selbst eine grosse Konkurrenz zu ihren eigenen kostenpflichtigen Angeboten.