von Adrian Lobe

US-Medien: Nach Trump ist vor Trump

Donald Trump hat in der politischen Landschaft der USA verbrannte Erde hinterlassen. Die Gesellschaft ist gespalten wie nie zuvor, politische Beobachter sehen die USA auf einen Bürgerkrieg zusteuern. Im Hinblick auf eine mögliche erneute Präsidentschaftskandidatur von Trump stellt sich die Frage, ob US-Medien die Demokratie vehementer verteidigen sollten.

Die Untergangssatire «Don’t look up», mit der Netflix jüngst für Furore gesorgt hat, führt vor Augen, was passieren kann, wenn in einer dauererregten Öffentlichkeit Fakten nichts mehr gelten: In dem Film entdecken zwei Astronomen einen Kometen in der Erdumlaufbahn, der in sechs Monaten auf die Erde stürzen wird. Nur: Damit dringen sie in der Öffentlichkeit nicht durch. Die irrlichternde Präsidentin, grossartig gespielt von Meryl Streep als trumpeske Egomanin, denkt nur an die Wahlen, im Fernsehen und in sozialen Netzwerken redet man nur über Befindlichkeiten. Was der Film auch zeigt: Es gibt zwei Amerikas. Das eine, helle, das in den Himmel schaut und der Wahrheit ins Auge sieht («Look up»). Und das andere, dunkle, das die Augen vor der Realität verschliesst und die Wahrheit leugnet («Don’t look up»). Der Film ist eine Anspielung auf den Klimawandel, aber man kann ihn auch als Allegorie auf die Krise der Demokratie deuten.

Die Realität ist von der Fiktion nicht weit entfernt. Gut ein Jahr ist es her, dass ein wütender Mob von Trump-Anhängern das Kapitol in Washington stürmte. Donald Trump, der Abbruchunternehmer der amerikanischen Demokratie, der die Massen zuvor in einer Rede aufgewiegelt hatte und sich den Sturm in seinem privaten Dining Room im Weissen Haus genüsslich im Fernsehen anschaute, verbreitet bis heute die Lüge, dass die Wahl «gestohlen» worden sei. Der friedliche Machtübergang, ein konstitutives Merkmal von Demokratien, hat in den USA alles andere als reibungslos funktioniert. Das FBI hatte am 5. Januar 2021 in einem internen Bericht vor einem «Krieg» am Kapitol gewarnt.

Vor wenigen Tagen ist ein Buch der US-Politologin Barbara F. Walter mit dem Titel «How Civil Wars Start» erschienen, über das gerade in den USA heiss diskutiert wird. Die Autorin identifiziert darin bestimmte Muster wie schwache Institutionen, soziale Ungleichheit und bewaffnete Milizen, die in den Anfängen eines Bürgerkriegs zu beobachten seien.

Die US-Gesellschaft ist gespalten wie nie zuvor. Über 40 Prozent halten Joe Biden nicht für den legitimen Präsidenten.

Sonst warf immer die Alt-Right-Bewegung das Drohszenario eines Bürgerkriegs an die Wand. Doch nun legt eine Konfliktforscherin eine zahlengesättigte Analyse vor, die den Zustand der amerikanischen Demokratie mit politischen Systemen in Ruanda oder Bosnien vergleicht – und erstaunliche Parallelen findet. Die US-Gesellschaft ist gespalten wie nie zuvor: in Impfbefürworter und Impfgegner, in Waffennarren und Waffengegner, in Klimaschützer und Klimaleugner. Gemäss einer aktuellen Umfrage halten über 40 Prozent der US-Amerikaner Joe Biden nicht für den legitimen Präsidenten. Dass Trump 2024 erneut bei den Präsidentschaftswahlen antreten will, wirkt in diesem Licht wie ein revanchistisch-restaurativer Akt. Seine Chancen, erneut ins Weisse Haus einzuziehen, stehen nicht schlecht. Nach Trump ist vor Trump.

Die Sorge vor einer Rückkehr Trumps ist in einigen Redaktionen kleiner als die Sorge vor einem Rückgang der Anzeigen.

Was sollen die Medien tun? Welche Lehren haben sie aus der ersten Amtszeit Trumps gezogen? Senden und schreiben sie Trump erneut ins Weisse Haus? Wie kann man seriös über die Aussicht auf einen möglichen Bürgerkrieg berichten, ohne damit selbst Öl ins Feuer zu giessen? Zwischen Trump und den Medien existiert während seiner Amtszeit eine seltsame Symbiose. Obwohl der Präsident Medien, die ihm nicht genehm waren, pauschal als «Fake News Media» verunglimpfte, haben diese in enormem Masse profitiert. Zeitungen steigerten ihre Auflage, TV-Sender ihre Quote, unabhängig davon, wie sie zum US-Präsidenten standen. «Trump Bump» nennt man dieses Phänomen. Die Werbeeinnahmen der grossen Kabelsender («Fox News», CNN und MSNBC) sind zwischen 2015 und 2016 sprunghaft angestiegen, «Fox News» knackte 2017 sogar die Milliardenmarke. Der Senderchef von CBS, Les Moonves, brachte es auf den Punkt: «Es mag nicht gut für Amerika sein, aber es ist gut für CBS.» Auch Zeitungen wie die «New York Times» und «Washington Post» profitierten – die Zahl der Digital-Abos wuchs von 2016 bis 2020 um das Dreifache.

Doch jetzt, wo der Alleinunterhalter von der grossen Bühne verschwunden ist und der Nachfolger ein eher dröges Programm abliefert, verpufft der Effekt. Das Abo-Wachstum der «New York Times» hat sich seit dem Abgang Trumps deutlich verlangsamt. Die Sorge vor einer Rückkehr Trumps ist in einigen Redaktionen kleiner als die Sorge vor einem Rückgang der Anzeigen.

Muss der Journalismus angesichts eines drohenden Bürgerkriegs aggressiver, aktivistischer werden, seine Ton- und Gangart verschärfen, gar Alarm schlagen?

Manch einer mag sich die Rückkehr Trumps insgeheim wünschen, weil sie das Geschäft wieder ankurbeln würde. Frei nach dem Motto: «Make Media Great Again.» Schon vor der Wahl 2016 soll der Nachrichtenchef von NBC News, Andrew Lack, seine Kollegen gewarnt haben, dass bei einer Wahl Hillary Clintons der Werbeumsatz um 30 Prozent zurückgehen würde. Fox News hatte keine Skrupel, sich zum Sprachrohr von Trump und damit Geld Kasse zu machen. Für liberale Sender wie NBC war es jedoch ein Dilemma, ein Phänomen zu bewirtschaften, das man eigentlich beseitigt wissen wollte.

Dass man heute, fünf Jahre nach Trumps Amtseinführung, noch immer darüber debattiert, welche Aufmerksamkeit man einem notorischen Rassisten und Faktenverdreher schenkt, zeigt, dass sich die Diskussion im Kreis bewegt – und man noch nicht viel weiter gekommen ist. Doch was wäre zu tun? Muss der Journalismus angesichts eines drohenden Bürgerkriegs aggressiver, aktivistischer werden, seine Ton- und Gangart verschärfen, gar Alarm schlagen? Der Journalismusprofessor Jay Rosen hat kürzlich in seinem Blog «PressThink» dazu aufgerufen, dass die amerikanische Presse ein «New Leadership», einen neuen Führungsstil, brauche. «Sie muss einen Weg finden, Pro-Wahrheit, Pro-Wahlen, antirassistisch und aggressiv pro-demokratisch zu werden.» (Damit meint Rosen nicht die Demokraten als Partei, sondern die politische Form der Demokratie.) Wenn es um die Realität und Demokratie gehe, dann könnten Medien nicht neutral sein. Rosen sagte weiter in einem Podcast der «New York Times»: «Aber ich denke, wir brauchen eine Art Dringlichkeitsindex. (…) Ausgehend von der Katastrophe, die wir alle kommen sehen – dieser Zug, von dem wir wissen, dass er uns 2024 in den Ruin treiben wird, wenn er kandidiert und die Wahl knapp ausfällt, was wahrscheinlich ist. Wir brauchen einen Weg, um zu wissen, wie weit wir von diesem Zusammenbruch entfernt sind. Ist es bereits 11.59 Uhr? Haben wir noch ein wenig Zeit? Werden die Dinge besser? Was sind die wichtigsten Indikatoren für einen demokratischen Zusammenbruch? Ich sollte in der Lage sein, die New York Times aufzuschlagen oder die Nachrichtensender einzuschalten und zu wissen, wo wir uns im Katastrophengebiet befinden.» Doch das aktuelle Mediensystem, so Rosen weiter, sei nicht imstande das zu leisten. Es sei so aufgebaut, dass es einen Inhalt nach dem anderen produziert und jeden Tag wegwischt, um die Nachrichten eines weiteren Tages zu erhalten.

Natürlich müssen Medien demokratische Standards wie Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen, gerade in einer Zeit, in der auch in Europa Medienschaffende von Covid-Leugnern tätlich angegriffen werden.

Der «New York Times»-Kolumnist Ross Douthat gab in der Diskussion zu bedenken, dass die Dämonisierung Trumps zu weit gegangen und die Berichterstattung in Teilen überzogen gewesen sei. In einem Meinungsstück kritisierte er zudem, dass sich die US-Medien nach der Wahl Trumps als «Wächter der Demokratie und moralische Schiedsrichter» positioniert und damit den Anhängern des Präsidenten Nahrung geliefert hätten, die den Trump-kritischen Medien Parteilichkeit vorwerfen.

Zwar betonte Dean Baquet, Chefredaktor der «New York Times», man wolle «nicht Teil des Widerstands» sein. Doch der immer aggressiver geführte Meinungskampf in der Öffentlichkeit während der Amtszeit Trumps hat auch das Selbstverständnis der Medien verändert. Die «Washington Post», deren Eigentümer, Amazon-Chef Jeff Bezos, im Clinch mit Donald Trump liegt, hat seiner Zeitung 2017 mit dem Slogan «Democracy Dies in Darkness» ein eindeutiges Motto gegeben. Das Magazin «Atlantic» schreibt ganz offen, dass es seinen redaktionellen Fokus auf die «Krise der Demokratie» legt. Und die Rechercheplattform «ProPublica» hat kürzlich sogar den Posten eines «Demokratiereporters» geschaffen, den sie mit der Pulitzer-Preis-gekrönten Journalistin Alexandra Berzon besetzt hat. Das klingt bissiger, aktivistischer.

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Natürlich müssen Medien demokratische Standards wie Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen, gerade in einer Zeit, in der auch in Europa Medienschaffende von Covid-Leugnern tätlich angegriffen werden. Nur: Zwischen legitimen Mahnungen vor einem Zerfall der Demokratie und einer alarmistischen Berichterstattung, die Angstmachern in die Hände spielt, ist ein schmaler Grat.

Der irische Journalist Fintan O’Toole, Redakteur bei der «Irish Times», warnte in einem Beitrag für den «Atlantic» unter Verweis auf seine Kindheit in Dublin während der «Troubles» davor, dass das Geraune von einem Bürgerkrieg zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden könnte. Die «Doomsday-Mentalität» hätten auch normale Leute wie sein Vater damals in Irland angenommen. David Remnick, Chefredaktor des «New Yorker», hebt dagegen den Wert eines «Warnjournalismus» hervor: In einem Podcast kritisierte er, dass der Journalismus im Vorfeld des Irak-Kriegs 2003 «nicht aggressiv genug» gewesen sei. In den 1980er Jahren habe man Warnungen vor dem Klimawandel als Panikmache abgetan. Die Medien, so die implizite Kritik, hätten beide Male als Frühwarnsystem versagt. Egal, ob Klima- oder Demokratiekrise – an Kassandrarufen mangelt es heute nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die USA sehenden Auges in die Katastrophe steuern.