von Oliver Classen

Sara Schurmann: «Den Redaktionen fehlt es an naturwissenschaftlicher Grundbildung»

Klimajournalismus lautet die Antwort von immer mehr Medien auf den Klimawandel. Sara Schurmann hat in Deutschland das «Netzwerk Klimajournalismus» mitbegründet. Im Interview erklärt sie, welche Massnahmen und Methoden sie beim redaktionellen Umgang mit der wohl grössten Herausforderung der Menschheit für sinnvoll hält. Und was Redaktionen dabei aus der Corona-Krise lernen können.

MEDIENWOCHE:

Im aktuellen Erfolgsfilm «Don’t look up», einer satirischen Klimakatastrophen-Parabel, geben die Medien kein gutes Bild ab: Der drohenden Katastrophe sind die im Film dargestellten Medien überhaupt nicht gewachsen. Was halten Sie von dieser Zustandsbeschreibung des Journalismus?

Sara Schurmann:

Er ist sehr zugespitzt und beschränkt die Darstellung des Problems auf ein Qualitätsblatt und eine Frühstücks-TV-Show, aber die Kernbotschaft ist schon treffend. Das sieht man auch daran, wie intensiv und kontrovers der Film in den Redaktionen diskutiert wird. Der Mangel an grundsätzlichem Verständnis für die Klimakrise und notwendigem Fachwissen sind halt schon journalistische Hauptprobleme bei der Behandlung des Themas.


MEDIENWOCHE:

Inwieweit lässt sich redaktionell etwas aus dem Umgang mit Corona lernen?

Schurmann:

Corona hat uns zwar zwei Jahre der äusserst zeitkritischen Klimaberichterstattung gekostet, liefert dafür aber eine nützliche Schablone für die ressortübergreifende Auseinandersetzung mit und Kooperation bei solchen Megakrisen. Zudem zeigen beide Themen drastisch, dass es in Redaktionen an naturwissenschaftlicher Grundbildung fehlt. Ich machte 2015 meine Ausbildung an der besten deutschen Journalistenschule. Dort wurde über den journalistischen Umgang mit allen möglichen gesellschaftlichen Krisen diskutiert, aber über das im gleichen Jahr beschlossene Pariser Klimaabkommen fiel kein einziges Wort.

MEDIENWOCHE:

War Wissenschaftsjournalismus nicht Teil der Ausbildung?

Schurmann:

Doch, aber nur eine Woche lang. Und dort lernten wir, wie man spröde Wissensthemen gut lesbar als Reportagen aufbereitet, damit sich die Leute auch dafür interessieren. Wir haben nichts über «False Balance» gelernt oder die PLURV-Methoden der Wissenschaftsleugnung.

«Wer eindeutige wissenschaftliche Positionen vertritt, schlägt sich damit nicht auf eine politische Seite.»

MEDIENWOCHE:

Journalist*innen wird bei gesellschaftspolitisch brisanten Themen ja häufig vorgeworfen, entweder Aktivismus oder Lobbyismus zu betreiben.

Schurmann:

Wer eindeutige wissenschaftliche Positionen vertritt, und zwar bei Bedarf auch mit Vehemenz, schlägt sich damit nicht auf eine politische Seite. Wenn uns Corona etwas gelehrt hat, dann dass in solchen Fällen naturwissenschaftliche Erkenntnisse die Grundlagen für die Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft liefern. Aber eben auch, dass diese Erkenntnisse nicht in Stein gemeisselt sind, sondern sich schnell weiterentwickeln und auch mal fehlerhaft sein können.


==> Lesen Sie auch: Klimajournalismus in Schweizer Medien

MEDIENWOCHE:

Braucht es also einfach mehr Wissenschaftskompetenz in den Redaktionen?

Schurmann:

Ja, ganz sicher. Dann würden auch Gleichsetzungen von Wirtschaftswissenschaft und Naturwissenschaft, wie sie selbst Qualitätsblätter häufig noch betreiben, endlich aufhören. Wenn ein Ökonomieprofessor eine 3-Grad-Erwärmung als volkswirtschaftliches Optimum präsentiert, weil die Einhaltung der Pariser 1,5-Grad Grenze seinen Modellen nach einfach zu viel kostet, ist das grundsätzlich nicht auf eine Stufe zu stellen mit den Szenarien der von Hunderten von Klimatologen verfassten IPCC-Berichte. Solcher Blödsinn hat uns Jahre der wirklich ernsthaften Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Problem gekostet.

MEDIENWOCHE:

Das da wäre?

Schurmann:

Die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen und was der Journalismus dazu beitragen kann und muss.

MEDIENWOCHE:

Wann ging Ihnen die Dimension und Dringlichkeit dieser Aufgabe auf?

Schurmann:

Auch erst kurz bevor ich den offenen Brief an unsere Branche geschrieben habe. Diese Strategie schien mir erfolgsversprechender als den x-ten Kommentar dazu zu schreiben, den eh niemand liest, der sich nicht schon für Klimafragen interessiert.

MEDIENWOCHE:

Wieso?

Schurmann:

Weil der Text als Trojanisches Pferd gedacht war. Ich habe 500 Kolleg*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angeschrieben und um ihre Unterschrift gebeten – nicht in der Hoffnung, dass viele unterschreiben, sondern eher, dass sie ihn wenigstens lesen würden. Ausgangspunkt dabei war die Frage, warum auch ich so lange nicht verstanden habe, wie wir Journalist*innen den Ernst der Lage verdrängen und welche berufsethische und gesellschaftliche Verantwortung wir in der Klimakrise haben.

«Wenn man die Klimakatastrophe auf uns zurasen sieht, will man möglichst schnell und viel dazu beitragen, sie abzuwenden.»

MEDIENWOCHE:

In der Medienbranche fällt so eine Aktion aber schnell unter Aktivismus-Verdacht.

Schurmann:

Damit kann ich leben. Der «Stern» hat diese Diskussion mit seiner Kooperation mit «Fridays for Future» ja gezielt provoziert und auf ein neues Niveau gehoben. Ich hätte das zwar nicht gemacht, hatte aber kein Problem damit, weil die Sache völlig transparent war. Es war ein interessantes Experiment, auch weil es gezeigt hat, dass Aktivist*innen häufig viel mehr übers Klimathema wissen als Journalist*innen. Die taz hat ja eine ganze Ausgabe allein von Klimaaktivist*innen produzieren lassen und selbst in einer umweltbewussten Redaktion sieht man da unterschiedliche Prioritäten. Es gibt in Deutschland einige ehemalige Wissenschaftsjournalist*innen, die auf NGO-Seite gewechselt sind, weil sie in den Redaktionen zu wenig bewegen konnten.

MEDIENWOCHE:

Haben Sie Verständnis für solche Seitenwechsel?

Schurmann:

Persönlich schon. Wenn man die Klimakatastrophe auf uns zurasen sieht, will man möglichst schnell und viel dazu beitragen, sie abzuwenden. Für die Branche und unsere Gesellschaft finde ich es natürlich tragisch, dass sich solche Stimmen nicht früher stärker durchsetzen konnten.

«Die Schaffung eines Klima-Ressorts verleiht der Berichterstattung einen festen Platz und damit entsprechendes Gewicht im Haus.»

MEDIENWOCHE:

Was ist für deutsche Chefredaktionen aktuell der Königsweg, um dem Klimathema inhaltlich gerecht zu werden und damit zugleich beim Publikum und Anzeigenkunden zu punkten: die Aufstockung der Wissenschafts-Redaktion, die Schaffung einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe oder gleich die Gründung eigener Klima-Ressorts?

Schurmann:

Für kleinere Redaktionen gäbe es übrigens noch eine kostengünstige vierte Variante mit einem oder einer Klima-Chefin vom Dienst. Das ist jemand mit viel Fachwissen, der oder die in allen Konferenzen dabei ist, den Redaktor*innen Hinweise zur Verbindung ihrer Geschichte mit dem Klimathema gibt und auch bei Recherche oder Einordnung helfen kann. Das Ziel jeder Redaktionsstrategie muss aber die Etablierung der Klimaproblematik als Querschnittsthema sein.

MEDIENWOCHE:

Mit welcher der drei genannten Strategien?

Schurmann:

Alle drei Massnahmen sind grundsätzlich gut, aber letztlich kommt es immer darauf an, was umsetzbar ist. Die die ressortübergreifende Arbeitgruppe und das Klima-Ressort haben aber einen grösseren strukturellen Effekt. Die Schaffung eines Klima-Ressorts verleiht der Berichterstattung einen festen Platz und damit entsprechendes Gewicht im Haus. Zumindest übergangsweise kann das sinnvoll sein. Ziel muss es jedoch sein, Klima und die planetaren Krisen immer und überall mitzudenken, wo sie eine Rolle spielen.

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MEDIENWOCHE:

Welcher deutschsprachige Verlag hat diesen Schritt schon gemacht?

Schurmann:

Die Wiener Wochenzeitung «Falter» zum Beispiel. Wobei die Gründung des Ressorts Natur, das sich vor allem der Klima- und Biodiversitätskrise widmet, interessanterweise nicht zur Ghettoisierung dieser Themen auf den grünen Seiten geführt hat. Im Gegenteil: Da die gesamte Redaktion das eigene Blatt liest, wirken die häufig auch investigativen Geschichten im Natur-Bund inspirierend auf die anderen Ressorts.

«Die erste und wichtigste Frage ist immer: Wie kriege ich den notwendigen Wandel im jeweiligen Medium am ehesten hin?»

MEDIENWOCHE:

Sie beraten in dieser Frage mit dem SWR auch eine der grössten deutschen Sendeanstalten und haben sich dafür angeschaut, wie international mit der Herausforderung umgegangen wird. Was haben Sie gelernt?

Schurmann:

Die erste und wichtigste Frage ist immer: Wie kriege ich den notwendigen Wandel im jeweiligen Medium am ehesten hin? Für strukturelle Änderungen braucht man erst mal motivierte Mitstreiter*innen und dann die richtigen Allianzen. Diese Kolleg*innen können in den unterschiedlichsten Abteilungen sitzen – auch in der Verwaltung. Wichtig ist, dass sie die Dringlichkeit verstanden haben. Und das geht oft einher mit einem emotionalen Zugang zur Klimakrise.

MEDIENWOCHE:

Journalistische Grundtugenden sind doch aber auf Faktenwissen beruhende Nüchternheit und Objektivität. Gilt das fürs Klimathema nicht ganz besonders?

Schurmann:

Jein. Denn Faktenwissen schützt nicht vor Verdrängung. Das ist zwar sehr menschlich, aber problematisch, weil wir Journalist*innen ein klares, greifbares Bild der Lage zeichnen müssen. Einige Kolleg*innen tendieren dazu, die Pariser Klimaziele als unrealistisch abzuschreiben, ohne sich und den Leser*innen die existentiellen Konsequenzen zu vergegenwärtigen, die bereits 1,5 Grad Erwärmung haben werden. Wer die wissenschaftlichen Timelines vorm inneren Auge hat und mit dem eigenen Leben oder dem seiner Kinder abgleicht, kann sich einer gewissen Emotionalisierung nicht erwehren. Und die braucht es, damit aus dem ja breit vorhandenen Klimawissen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft endlich Klimahandeln wird.


Sara Schurmann kommt aus Brandenburg und hat Sozialwissenschaften studiert. Die an der Henri-Nannen-Schule ausgebildete Journalistin arbeitete für den «Tagesspiegel», «Zeit Online», leitete das «F Mag» bei Gruner + Jahr und war Textchefin der «Vice»-Gesamtredaktion. Schurmann hat das «Netzwerk Klimajournalismus» in Deutschland mitbegründet, das Medienschaffende und Fachleute vernetzt. Schurmann berät heute diverse Medien in klimajournalistischen Fragen. Mitte März erscheint im Brandstätter-Verlag ihr Buch «Klartext Klima!».

Bild: zVg/Rebecca Ruetten

Leserbeiträge

Hans im Glück 26. Januar 2022, 20:04

Ihre (sinnvolle) Arbeit und ihr Engagement in Ehren:

Sozialwissenschaft studiert um im Namen der Naturwissenschaft Wirtschaftswissenschaft zu beurteilen?

Es wäre eben um einiges hilfreicher wenn mehr Personen mit MINT Hintergrund im Journalismus wären. Vielleicht könnten sie dann erklären warum die Energiewende auf (Beispiel:) Deutschland und EU Ebene „eher“ kompliziert ist

an dieser Stelle ein Kompliment an die Medienwoche, die Interviews sind immer sehr gut geführt!

wolf gerlach 28. Januar 2022, 09:41

Dem Mangel an Spezialisten-Wissen könnte zügig abgeholfen werden: In DE gibt es „WirtschaftsSenioren“, die ein (Jung-Unternehmen in Krise über die „Kammer“ buchen kann. Pensionierte Spezialisten helfen Dir dann gerne und „mit Herzblut“. Kostenlos – oder gegen akzeptable AufwandsEntschädigung.

Dies Verfahrensweise ist auf „fast Alles“ übertragbar !

Wolf Gerlach