von Stefan Boss

«Bei uns waren kaum ein Prozent der Lesenden bereit, zu bezahlen. Das ist die harte Realität.»

Beat Glogger (62) zeigt sich im Interview enttäuscht, dass Stiftungen und Hochschulen nicht mehr Geld locker machten für «Higgs». Mitte Juli zieht Glogger seinem Wissensmagazin den Stecker. Den Rest gegeben habe «Higgs» das Volksnein zum Ausbau der Medienförderung. Doch Glogger gibt sich auch selbstkritisch.

MEDIENWOCHE:

Nach viereinhalb Jahren stellen Sie das Wissensmagazin «Higgs» bald ein. Was haben Sie falsch gemacht?

Beat Glogger:

Ich denke, wir machten vieles richtig – die Qualität und das Renommee stimmten. «Higgs» wurde sogar in Deutschland gelesen – gut die Hälfte der Zugriffe erfolgten von dort. Eine Fehleinschätzung war, dass wir meinten, es reiche, Inhalte in hoher Qualität zu liefern. Wir mussten erkennen, dass ohne ein grösseres Startkapital ein solches Projekt nicht zu stemmen ist. Das zeigt der Erfolg der «Republik», die zum gleichen Zeitpunkt startete wie wir und ein Anfangskapital von 2 Millionen Franken hatte. «Heidi.news» in der französischen Schweiz verfügte über 1 Million Startkapital, «Bajour» in Basel über 1 Million Betriebskapital, zugesichert über mehrere Jahre. Wer ein solches Polster aufweist und Qualität liefert – dies ist selbstverständlich notwendig – hat eine bessere Ausgangslage als wir.

MEDIENWOCHE:

Wieviel Geld fehlte am Schluss?

Glogger:

Nach dem Ende der Pandemie sind unsere Besucherzahlen eingebrochen. Dies brachte unser Abomodell, welches wir im letzten Oktober eingeführt hatten, ins Wanken. Dann stiegen Stiftungen und Sponsoren aus. Am Schluss hatten wir für dieses Jahr ein Loch von rund 350‘000 Franken. Dies entspricht etwa der Hälfte des Umsatzes von 2021 und etwa einem Drittel von dem, das wir für 2022 geplant hatten.

MEDIENWOCHE:

Warum machten Sie nicht nochmals ein Crowdfunding?

Glogger:

Vor zwei Jahren sammelten wir mit einem Crowdfunding 122‘000 Franken. Das hätte diesmal nicht gereicht. Zudem sahen wir damals, welcher enorme Aufwand damit verbunden ist. Man muss fast täglich News dazu veröffentlichen, um sich ins Gespräch zu bringen. Zudem muss man die Goodies, welche die Spenderinnen und Spender erhalten, auftreiben und nach Abschluss der Aktion verteilen.


MEDIENWOCHE:

Interessieren Wissensthemen das Publikum zu wenig?

Glogger:

Bei Umfragen stehen Wissensthemen immer ganz oben in der Gunst des Publikums. Im Verlauf der Pandemie stiegen unsere Nutzerzahlen auf das Vierfache. Nach der Pandemie brachen die Zahlen ein. Und der Ukraine-Krieg liess unsere Aboabschlüsse praktisch auf null sinken. Man kann also festhalten: Das Interesse wäre vorhanden. Die Bereitschaft, dafür zu zahlen, ist aber zu gering.

«Leider war mit wenigen Ausnahmen kaum jemand bereit, sich finanziell zu engagieren. Das finde ich sehr enttäuschend.»

MEDIENWOCHE:

Wie gross war denn diese Bereitschaft zu zahlen?

Glogger:

Laut medienwissenschaftlichen Untersuchungen ist die Bereitschaft, für Onlinemedien zu bezahlen, während der Pandemie von 10 auf rund 13 Prozent gestiegen. Von 100 Lesenden müssten demnach 13 bereit sein zu bezahlen. Im September 2021 hatten wir 108‘000 Unique Clients. Wir erreichten jedoch nicht einmal 1000 Abos. Bei uns waren also kaum ein Prozent der Lesenden bereit, zu bezahlen, das ist die harte Realität. Und dies bei einem Abopreis von 120 Franken, reduziert 60 Franken, pro Jahr.

MEDIENWOCHE:

Sie gründeten die Stiftung Wissen für alle, welche «Higgs» ebenfalls hätte unterstützen sollen. Hat dies nicht funktioniert?

Glogger:

Die Idee war, dass Hochschulen, das Bildungswesen und Teile der Wirtschaft ein Interesse an einer Wissensplattform haben sollten und sich in einer Sammelstiftung zusammentun. Leider war mit wenigen Ausnahmen kaum jemand bereit, sich finanziell zu engagieren. Das finde ich sehr enttäuschend.

MEDIENWOCHE:

Der Schweizerische Nationalfonds griff «Higgs» aber finanziell unter die Arme.

Glogger:

Ja, der Nationalfonds gab uns für 2020 und 2021 je 218‘000 Franken. Auch die Gebert Rüf Stiftung war mit einem kleineren Beitrag dabei. Allerdings bezahlt die Stiftung für Medienvielfalt «Bajour» eine Million pro Jahr. Wir erhielten von derselben Stiftung bloss 50‘000 Fränkli im Jahr 2021, im laufenden Jahr dann nichts mehr. Stossend finde ich, dass das mächtig unterstützte «Bajour» dann vom nicht unterstützten «Higgs» Inhalte zum Nulltarif übernehmen wollte. Sobald wir Geld für unseren Content verlangten, hat «Bajour» das Interesse verloren. Ich finde, die schweizerische Medienbranche ist krank. Hochschulen und staatliche Behörden waren nicht bereit, in die Bresche zu springen.

«Vielleicht hätten wir uns aufgerafft, das Jahr 2022 finanziell zu überbrücken, wenn eine Aussicht auf Medienförderung bestanden hätte.»

MEDIENWOCHE:

Hat auch das Volksnein im Februar zur Medienförderung zum Ende von «Higgs» beigetragen? Die Wissensplattform hätte ja von einer solchen Förderung durch den Bund finanziell profitiert.

Glogger:

Das Nein der Stimmbevölkerung machte unsere Perspektive aussichtlos. Vielleicht hätten wir uns aufgerafft, das Jahr 2022 finanziell zu überbrücken, wenn eine Aussicht auf Medienförderung bestanden hätte.

MEDIENWOCHE:

Sie haben sehr viel Engagement und auch finanzielle Mittel in das Projekt gesteckt. Wie stark schmerzt Sie das Ende der Wissensplattform persönlich?

Glogger:

Ich war einer der grössten Investoren und verliere ziemlich viel Geld, den genauen Betrag möchte ich nicht nennen. Andererseits bricht man nicht zu einem solchen Abenteuer auf, ohne sich bewusst zu sein, dass es schiefgehen kann.

«Wir sind stolz, was wir alles zustande brachten. Aber leider war uns kein Erfolg beschieden.»

MEDIENWOCHE:

War das Spektrum der Themen zu breit? Es gab zum Beispiel auch Beiträge über Gesellschaftsthemen oder über den Ukraine-Krieg.

Glogger:

Das Themenspektrum war eher zu schmal. Wir wurden vielleicht zu stark als Wissenschaftskanal wahrgenommen, der etwas nerdig ist. Mit Katrin Schregenberger als leitende Redaktorin ab Sommer 2019 öffneten wir uns für Gesellschaftsthemen. Wir sind stolz, was wir alles zustande brachten. Aber leider war uns kein Erfolg beschieden.

MEDIENWOCHE:

Kritiker bemängeln, dass «Higgs» auch Artikel des «Horizonte»-Magazins vom Schweizerischen Nationalfonds übernahm und so zum Gemischtwarenladen wurde. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Glogger:

Teilweise. Allerdings waren die Artikel klar gekennzeichnet. Man hätte sie allenfalls grafisch noch deutlicher von den anderen Inhalten abheben können. Aber wir machten dies gleich wie andere Medienhäuser.

«Ich steckte viel Geld in das Projekt, während sich die Unis und die Wissenschaft zurückhielten.»

MEDIENWOCHE:

Die Reichweite der Social-Media-Beiträge war eher bescheiden. Hätten Sie in diesem Bereich mehr Mittel und Energie investieren sollen?

Glogger:

Wir hätten zu Beginn eine Million Franken für Marketing gebraucht, dann hätten wir auch mehr Geld in Social-Media-Kampagnen stecken können. Wir investierten bloss kleine Beträge für Werbung auf Facebook.

MEDIENWOCHE:

Was geschieht mit dem Onlinearchiv – wird es langfristig erhalten und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich bleiben?

Glogger:

Diese Frage ist für mich schwierig zu entscheiden. Ich steckte viel Geld in das Projekt, während sich die Unis und die Wissenschaft zurückhielten. Angesichts dieses Ungleichgewichts weiss ich noch nicht, ob ich das Archiv mit etwa 4000 Artikeln erhalten werde.

MEDIENWOCHE:

Die «Tageswoche» hat offenbar eine günstige Lösung gefunden, um ihr Online-Archiv längerfristig zu bewahren.

Glogger:

Es geht nicht um die finanziellen Kosten der Archivierung. Aber ich frage mich ernsthaft, warum ich das Archiv quasi der Öffentlichkeit schenken soll angesichts der Tatsache, dass ich hohe finanzielle Mittel in das Projekt gesteckt habe. Es kann daher sein, dass «Higgs» im Herbst offline geht. Es baten mich Leute aus dem Bildungswesen, das Archiv online zu belassen. Es waren zum Teil die gleichen, die mir vorher ihre finanzielle Unterstützung verweigert hatten. Das finde ich stossend.

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MEDIENWOCHE:

Sie waren in den 1980er und 90er Jahren Moderator der Sendung «Menschen Technik Wissenschaft» des Schweizer Fernsehens. Wie hat sich der Wissenschaftsjournalismus seither verändert?

Glogger:

Grundsätzlich zum Positiven. In den 1980er Jahren waren wir stark belehrend. Seither wurden die Beiträge unterhaltender, und wir fragen mehr, was für Gesellschaft und Politik relevant ist. Nicht die Wissenschaft, sondern die Bedürfnisse der Leserschaft werden ins Zentrum gestellt. In den 90er-Jahren gab es in den Medien einen Wissenschafts-Boom, sogar der «Blick am Abend» hatte eine eigene Wissensseite. In den vergangenen 20 Jahren fielen allerdings zahlreiche Wissensseiten dem Spardruck zum Opfer. Und auch die Qualität leidet.

MEDIENWOCHE:

Sie plädieren in Ihren «Higgs»-Beiträgen stark für Fakten, Ihre Videokolumne heisst «Der Faktist». Nehmen wir das Beispiel Klimawandel: Sind denn die Fakten in diesem Bereich nicht längst zur Genüge bekannt und das Problem besteht vielmehr darin, dass es an Taten fehlt? Müssten die Medien nicht mehr Lösungen aufzeigen?

Glogger:

Ich verfasste vor 30 Jahren das Buch «Die Schweiz im Treibhaus». Was ich dort schrieb, ist alles noch gültig, das Problem hat sich jedoch verschärft. Die Frage ist einfach, weshalb der kurzfristige Nutzen der fossilen Industrie über den langfristigen Nutzen aller Menschen gestellt wird. Dies ist keine wissenschaftliche, sondern eine persönliche und eine politische Frage.

«Im Herbst erscheint ein Buch, das man von mir wohl nicht erwarten würde, weil es lustig ist.»

MEDIENWOCHE:

Sollten die Medien in diesem Bereich mehr Lösungen aufzeigen?

Glogger:

Ja, aber ich finde, sie machen es grundsätzlich nicht schlecht. Eine Ausnahme stellt der «Nebelspalter» dar, der sich die Klima-Berichterstattung durch die Erdölvereinigung Avenergy sponsern lässt. Generell verfolgen die meisten Medien einen recht klimafreundlichen Kurs. Natürlich könnten sie mehr tun, aber es darf keine Propaganda werden.

MEDIENWOCHE:

Was tun Sie jetzt – sind Sie an einem neuen Projekt? Oder schreiben Sie einen neuen Kriminalroman?

Glogger:

Im Herbst erscheint ein Buch, das man von mir wohl nicht erwarten würde, weil es lustig ist. Es handelt sich um eine Kurzgeschichte, die ich während der Corona-Zeit verfasste. Eine Spinnerei, um den Geist auszulüften! Es lebt vom gesprochenen Wort, ich werde auch Live-Performances machen. Sicher werde ich kein Online-Wissensmagazin mehr machen, es sei denn, in letzter Minute taucht noch jemand auf, der mit einer Million Franken «Higgs» retten will. Der Betrieb müsste aber für drei Jahre sichergestellt sein. Journalistisch habe ich ein paar andere Projekte, darüber möchte ich aber noch nichts verraten.

Reaktionen: Bedauern – und Kritik an den Hochschulen

Was sagen Vertreter aus Journalismus und Wissenschaft zum Ende von «Higgs»? Martin Amrein, Präsident des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus und Redaktor bei der «NZZ am Sonntag»: «‹Higgs› hat sich seit der Gründung vor viereinhalb Jahren journalistisch weiterentwickelt und ist präsenter geworden.» Auch seien die Artikel tendenziell länger geworden. Er findet es schade, dass die Wissensplattform nun ihren Betrieb einstellt, zumal sie auch jüngeren Berufsleuten den Einstieg in den Wissenschaftsjournalismus ermöglicht habe. Wissensthemen fänden im Publikum grossen Zuspruch, aber vielleicht funktioniere dies besser, wenn sie in einer grossen Tageszeitung als Bestandteil eines Themenmixes angeboten würden. Was hätte «Higgs» besser machen können? Amrein bemängelt, dass auf der Wissensplattform auch Artikel von Geldgebern wie aus dem «Horizonte»-Magazin des Schweizerischen Nationalfonds übernommen wurden. «Dies erweckte allenfalls den Eindruck, ‹Higgs› sei kein rein journalistisches Produkt.»

Aufhorchen lässt die Einschätzung von Klimaforscher Reto Knutti, weil er ETH-Professor ist und die mangelnde Unterstützung von «Higgs» durch die Hochschulen scharf kritisiert: «Die Bildungsinstitutionen sind nicht bereit, der Schweizer Bevölkerung die Resultate von dem, was man mit Milliardenbudgets an Steuergeldern erforscht hat, auch nur mit einem Bruchteil von einem Promille für ein Wissensportal wieder zugänglich zu machen.» Das Zitat stammt aus einem Beitrag Knuttis für den ETH-Zukunftsblog mit dem Titel «Guter Wissenschaftsjournalismus hat seinen Preis» vom 20. Mai 2022. Direktes Sponsoring von Medien durch die Forschung sei wegen Interessenkonflikten zwar problematisch. Über die Finanzierung von Stiftungen, bei denen ein separates Gremium über die Förderung von Projekten entscheiden, wäre das Problem aber lösbar, schrieb er weiter. Angesichts mannigfaltiger Herausforderungen wie etwa der Klimakrise oder Big Data «sollte uns eine starke Stimme der Wissenschaft (…) etwas wert sein».

Leserbeiträge

Werner Müller 14. Juni 2022, 17:21

Ich bin selber als Verleger und Chefredaktor im Fachzeitschriften-Bereich aktiv. Es ist bedauerlich, dass dieses Projekt eingestellt wird. Sich aber auf Stiftungen und ähnliches zu verlassen ist in meinen Augen kein Geschäftsmodell. Ebenso die staatliche Medienförderung. Schlussendlich muss ein Medium, egal ob Print oder Digital Gewinn erwirtschaften. Und das geht nach meinem Verständnis nur mit Werbung (in welcher Form auch immer) oder mit Abos.  Im Idealfall beides gleichzeitig.