von Adrian Lobe

Studie: Starker Service public heisst gesunde Demokratie

Hat ein Land einen starken öffentlichen Rundfunk, steht es gut um die Demokratie. Diesen Zusammenhang belegt eine aktuelle Studie. Umgekehrt gilt: Wer die Gebührenfinanzierung abschaffen will, sägt an den Grundfesten der Demokratie.

Der BBC droht gröberes Ungemach. Die britische Regierung hat angekündigt, die Rundfunkgebühr 2027 auslaufen zu lassen. Von den 13,13 Pfund (gut 16 Schweizer Franken), die die britischen Haushalte im Monat an Gebühren zahlen, fliessen 6,42 Pfund in den TV-Bereich, 2,29 Pfund ans Radio. Der Rest wird unter anderem für Online-Aktivitäten und Lizenzgebühren eingesetzt. Wie der Sendeapparat mit einem Budget von zuletzt knapp vier Milliarden Pfund und gut 20’000 Mitarbeitenden ohne Gebühren überleben soll, ist noch völlig unklar.

Die Abschaffung der BBC in ihrer bestehenden Form würde nicht nur die britische Medienlandschaft verändern, sondern hätte politisch und gesellschaftlich weitreichende Folgen.

Die BBC, die bereits einige Sparrunden hinter sich hat, war in den vergangenen Jahren ins Kreuzfeuer der Kritik geraten: Rechte Boulevard-Medien und Politiker warfen dem Sender ein linkslastiges Programm und parteipolitisch motivierte Ideologisierung vor; die Brexit-nahe Organisation «Defund the BBC» trommelte zusammen mit dem Steuerzahlerbund Taxpayers Association gegen die Gebührenfinanzierung. Die konservative Kulturministerin Nadine Dorries, die in der BBC eine staatliche alimentierte Aussenstelle von Labour wittert, jubilierte auf Twitter nach dem Entscheid: «Die Zeiten, in denen alte Menschen mit Gefängnisstrafen bedroht werden und Gerichtsvollzieher vor der Türe stehen, sind vorüber.»

Die Abschaffung der BBC in ihrer bestehenden Form würde nicht nur die britische Medienlandschaft verändern, sondern hätte politisch und gesellschaftlich weitreichende Folgen. Das zeigt eine aktuelle Studie der US-Medienwissenschaftler Victor Pickard und Timothy Neff. Sie haben den Zusammenhang zwischen öffentlichen Medien wie der BBC und dem Zustand der Demokratie untersucht («Funding Democracy: Public Media and Democratic Health in 33 Countries»).
Es gibt einen robusten Zusammenhang zwischen öffentlicher Medienfinanzierung und dem Demokratisierung eines Landes.
Die Forscher sammelten zunächst Daten zu der Finanzausstattung öffentlich-rechtlicher Sender und dem Pro-Kopf-Kosten in 33 Ländern auf verschiedenen Kontinenten. Während in Grossbritannien die Öffentlich-Rechtlichen mit durchschnittlich 129 Dollar pro Kopf finanziert werden (der licence fee), sind es in den USA nur 3,16 Dollar, die dort an Radio NPR und Fernsehen PBS fliessen. Diese Pro-Kopf-Ausgaben für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk setzten die Wissenschaftler in ein Verhältnis mit dem Demokratie-Index EIU des «Economist», einem Mass, das anhand verschiedener Kriterien wie faire und freie Wahlen oder Grundfreiheiten die Demokratisierung eines Landes angibt.

Ergebnis: Es gibt einen robusten Zusammenhang zwischen öffentlicher Medienfinanzierung und der Demokratisierungsgrad eines Landes, der sogar noch stärker ist als jener zwischen dem Bruttoinlandsprodukt und der Demokratie. Skandinavische Länder wie Dänemark, Norwegen und Schweden bewegen sich auf einer Linie mit Deutschland und Grossbritannien. Ausreisser sind unter anderem Indien, Chile und die USA, die seit der Wahl von Donald Trump 2016 in dem Index als «fehlerhafte Demokratie» eingestuft werden.

Allein die Existenz eines öffentlichen Mediensystems ist noch kein Garant für eine funktionierende Demokratie.

Neben den grossen Kabel-TV-Netzwerken wie «Fox News», CNN und CNBC und den reichweitenstarken privaten Talk-Radios spielen die öffentlich-rechtlichen Anbieter in den USA allenfalls die zweite Geige. Der Sender National Public Radio (NPR) finanziert sich grösstenteils aus Spenden und Beiträgen lokaler Radiostationen, nur ein geringer Anteil (30 Millionen Dollar) kommt aus Steuermitteln. Dabei geniesst der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den USA hohes Ansehen – laut einer Umfrage ist der «Public Broadcasting Service» PBS die Institution mit dem grössten Vertrauen der Bürger. Das will schon etwas heissen in einem Land, das manche Beobachter auf einen Bürgerkrieg zusteuern sehen.

Der Befund bestätigt einschlägige empirische Analysen. Danach bauen öffentlich-rechtliche Medien Wissensbarrieren und Vorurteile ab, weil ihr Programm erstens mehr Minderheiten anspricht und zweitens weniger sensationslüstern ist. Studien belegen, dass negative Ansichten über Migranten besonderes in Milieus ausgeprägt sind, in denen viel Privatfernsehen konsumiert wird. Insofern beugt bereits die schiere Präsenz öffentlich-rechtlicher Medien Populismen und Ausländerhass vor.

Die Studienergebnisse nehmen auch jenen Kritikern den Wind aus den Segeln, die meinen, sie müssten die «Zwangsgebühren» nicht bezahlen, weil sie die Inhalte ohnehin nicht nutzen.

Doch allein die Existenz eines öffentlichen Mediensystems ist noch kein Garant für eine funktionierende Demokratie. Es kommt stark auf die institutionelle Ausgestaltung an. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, fügten die Forscher fünf regulatorische Variablen (Rundfunkgebühr, mehrjährige Finanzierungsgarantie, unabhängige Institution, separate Aufsicht sowie pluralistische Zusammensetzung der Gremien) ein und setzten diese mit den Variablen des Demokratie-Index in Beziehung. Ergebnis: Der Demokratie-Index hat einen hohen Einfluss auf die institutionelle Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Weitaus überraschender: der enge Zusammenhang zwischen dem Funktionieren der Regierung und der Rundfunkgebühr.

«Unsere Forschung zeigt, dass Länder, die im EIU-Demokratieindex weit oben rangieren, solide finanzierte öffentliche Medien haben», resümieren Pickard und Neff in ihrer Analyse. Finanziell gut ausgestattete und institutionell stark abgesicherte öffentlich-rechtliche Medien könnten das «öffentliche Engagement mit politischen Prozessen vergrössern». Mit anderen Worten: Medienförderung ist die beste Demokratieförderung. Ein interessanter Befund, auch im Hinblick auf die anstehende Volksabstimmung zum Medienpaket in der Schweiz.

Die Studienergebnisse nehmen auch jenen Kritikern den Wind aus den Segeln, die meinen, sie müssten die «Zwangsgebühren» nicht bezahlen, weil sie die Inhalte ohnehin nicht nutzen. Pickard und Neff arbeiten in ihrer Untersuchung heraus, dass es weder um den individuellen Nutzen noch um die Nutzung an sich geht, sondern um den Nutzen für Demokratie und Gesellschaft insgesamt. Die Bezeichnung «Demokratieabgabe» trifft es daher gut, weil die gemeinschaftliche Finanzierung verlässlicher Informationen das «Rohmaterial» liefert für einen deliberativen Diskurs in einem demokratischen System.

Unterstützen Sie unabhängigen und kritischen Medienjournalismus. Werden Sie jetzt Gönner/in.

Journalismus braucht Herzblut, Zeit – und Geld. Mit einem Gönner-Abo helfen Sie, unseren unabhängigen Medienjournalismus nachhaltig zu finanzieren. Ihr Beitrag fliesst ausschliesslich in die redaktionelle und journalistische Arbeit der MEDIENWOCHE.

[rml_read_more]

Mit Blick auf Grossbritannien steht zu befürchten, dass durch eine allfällige Abschaffung bei der BBC nicht nur Nachrichtenwüsten und kulturelle Brachen, sondern auch Flurschäden in der demokratischen Landschaft entstehen. Wenn für den Reporter in Schottland oder Nordirland kein Geld mehr da ist, schwindet nicht nur die lokale Öffentlichkeit – es fehlt dann auch ein Korrektiv für politische Entscheidungsprozesse vor Ort. Laut einer Analyse der «Press Gazette» mussten im Vereinigten Königreich 265 Lokalzeitungen seit 2005 den Betrieb einstellen. Das Siechtum der Presse bedroht die Demokratie. Gerade deshalb ist ein breit und stabil aufgestellter öffentlich-rechtlicher Rundfunk wichtig.

Wieso legt man an eine solche Institution die Axt an? Weil die Inhalte politisch nicht opportun sind?

Die Abschaffung der Rundfunkgebühr, wie sie die Regierung von Boris Johnson anstrebt, wird nicht das Ende der BBC bedeuten und auch nicht das Ende der Demokratie. Es gibt andere Einnahmequellen, etwa eine Steuerfinanzierung. Das birgt aber das Risiko einer Politisierung, wenn das Parlament regelmässig über die Höhe der Rundfunkfinanzierung befinden kann. Die Strategen der BBC werden sich über kurz oder lang mit anderen Erlösquellen auseinandersetzen müssen, etwa einem Abomodell oder einer stärkeren Werbefinanzierung.

Aus der Ferne staunt man über den Furor auf der Insel, die Wollust, mit der die Konservativen auf die BBC eindreschen. Der Journalismus der BBC gehört mit zum Besten, was es auf der Welt gibt, die BBC war Vorbild für die Gründung von ARD und ZDF. Und er kostet, pro Kopf gerechnet, bedeutend weniger als etwa die SRG. Wieso legt man an eine solche Institution die Axt an? Weil die Inhalte politisch nicht opportun sind? Weil die Öffentlich-Rechtlichen genau das nicht machen, was man ihnen auf Corona-Demos vorwirft, nämlich staatliche Propaganda?

Eine offene Streit- und Debattenkultur, derer sich die Briten zu Recht rühmen, kann die BBC allein nicht schaffen; eine geschwächte BBC kann es aber umso weniger.

Die BBC war in der Brexit-Diskussion eine Brandmauer gegen die Lügen, mit denen die Leave-Kampagne um ihre Anführer Nigel Farage und Boris Johnson ihr Land aus der EU führte – und ist mit ein Grund, warum auf der Insel noch keine Zustände wie in den USA herrschen.

Denkt man die Studie von Pickard und Neff weiter, dann ist die Abschaffung der Rundfunkgebühr auch ein Zeichen für eine Schwächung der Demokratie. Ein stabiler öffentlich-rechtlicher Rundfunk hängt ja nicht nur von institutionellen Garantien wie der Gebührenfinanzierung oder der Unabhängigkeit seiner Gremien ab, sondern auch von einer demokratischen Kultur, in der Medien nicht ständig unter Beschuss der Regierung geraten. Eine offene Streit- und Debattenkultur, derer sich die Briten zu Recht rühmen, kann die BBC allein nicht schaffen; eine geschwächte BBC kann es aber umso weniger. Wer den gebührenfinanzierten Rundfunk abschaffen will, sägt letztlich auch am Fundament der Demokratie.

Bild: mark phillips / Alamy Stock Foto