Wenn der Inland-Redaktor im Ausland arbeitet
Immer mehr Medien lassen im Ausland Texte korrigieren oder Online-Kommentare moderieren. «Blue News», das Newsportal von Swisscom, geht einen Schritt weiter: Sogenannte «externe Redaktoren» schreiben aus Deutschland für das Schweiz-Ressort. Unter Fachleuten sind die Meinungen dazu geteilt.
Wer die E-Mail etwas genauer anschaut, merkt schnell, dass nicht das drin steht, was man erwarten würde, wenn einen eine Schweizer Redaktion kontaktiert. Die Absenderadresse endet auf .de und als Berufsbezeichnung steht «externer Redaktor» in der Signatur. Eine physische Adresse fehlt, doch die Vorwahl der beiden Telefonnummern weist auf die Herkunft aus Deutschland hin. Tatsächlich: Andreas Fischer arbeitet in Leipzig und schreibt regelmässig für «Blue News», das Nachrichten- und Unterhaltungsportal der Swisscom. Allerdings berichtet Fischer nicht als Korrespondent aus Deutschlands Osten, wo er aufgewachsen ist und seither lebt, sondern erfüllt das volle Profil eines Inland-Redaktors von «Blue News». Seine Artikel erscheinen denn auch hauptsächlich im Ressort Schweiz. So schrieb er in den letzten Tagen über den Raiffeisen-Prozess, die umstrittene Informationsbeschaffung des Nachrichtendiensts NDB oder über die Lockerung der Covid-Massnahmen in der Schweiz. Die geografische Distanz des Autors zu den Schauplätzen des Geschehens merkt man den Texten nicht an. Auch finden sich keine Germanismen oder andere Hinweise auf einen ausländischen Absender. Im Impressum sucht man seinen Namen vergeblich.
Gegenüber der MEDIENWOCHE will Fischer, der seit über 25 Jahren als Journalist arbeitet, keine Stellung nehmen zu seiner Arbeit für «Blue News». Er verweist auf seinen Auftraggeber, die Agentur «Teleschau» in München. Dessen Geschäftsführer mag sich nicht im Detail äussern. Nur so viel: Die Zusammenarbeit mit «Blue News» (vormals: «Bluewin») sei über einen Zeitraum von nunmehr fast 15 Jahren gewachsen. Die Pressestelle von «Blue News» gibt sich auskunftsfreudiger. Sie bestätigt, dass aktuell drei Journalisten als «externe Redaktoren» regelmässig aus Deutschland über Vorgänge in der Schweiz für das Schweizer Publikum von «Blue News» berichten. «Die Kollegen sind kompetente und langjährige Mitarbeiter der Agentur ‹Teleschau›», lautet die Antwort. Neben Unterhaltungsthemen biete die Agentur «auch journalistisch unabhängige Nachrichtendienstleistungen» an.
«Vom Publikum her gesehen bringt dieses Modell einen Mehrwert: Die Journalisten aus Deutschland tragen zur publizistischen Vielfalt bei»
Vinzenz Wyss, Professor ZHAW
«Blue News» scheint also nicht aktiv entschieden zu haben, einen Teil seiner Politikberichterstattung ins Ausland auszulagern, sondern profitiert vom vielseitigen Profil der «Teleschau»-Mitarbeiter. Die «externen Redaktoren», die heute grossteils über Schweizer Innenpolitik für «Blue News» berichten, lieferten anfänglich vor allem Texte zu Film-, People- und Unterhaltungsthemen.
Unterstützen Sie unabhängigen und kritischen Medienjournalismus. Werden Sie jetzt Gönner/in.
Journalismus braucht Herzblut, Zeit – und Geld. Mit einem Gönner-Abo helfen Sie, unseren unabhängigen Medienjournalismus nachhaltig zu finanzieren. Ihr Beitrag fliesst ausschliesslich in die redaktionelle und journalistische Arbeit der MEDIENWOCHE.
Der Schweizer Medienwissenschaftler und Journalistik-Professor Vinzenz Wyss erhielt kürzlich eine Interview-Anfrage von Andreas Fischer zur Abstimmung über das Medienpaket. Anfänglich sei er sich nicht bewusst gewesen, dass das Gespräch für ein Schweizer Medium geführt werden sollte. Der Name «Blue News», den das Portal erst seit gut einem Jahr trägt, sagte ihm spontan nichts. Wyss ging also davon aus, mit einem deutschen Journalisten für eine deutsche Publikation zu sprechen. Umso überraschter sei er über die Kompetenz seines Gegenübers bezüglich Schweizer Innenpolitik gewesen. Wyss konnte ja nicht wissen, dass sich Fischer inzwischen tagtäglich mit solchen Themen befasst.
«Das sind ja nicht einfach billige Arbeitskräfte, sondern kompetente Journalisten.»
Vinzenz Wyss
Dass «Blue News» mit «externen Redaktoren» einen grossen Teil der Schweiz-Berichtertstattung abdeckt, findet der Medienprofessor einen gelungenen Ansatz. «Vom Publikum her gesehen bringt dieses Modell einen Mehrwert: Die Journalisten aus Deutschland haben einen Blick von aussen auf die Vorgänge in der Schweiz und tragen somit zur publizistischen Vielfalt bei», sagt Wyss. Gegen diese Form der Auslagerung journalistischer Arbeitsplätze habe er nichts einzuwenden. «Das sind ja nicht einfach billige Arbeitskräfte, sondern kompetente Journalisten.»
—
Korrektorat und Kommentarmoderation im Ausland
Mit seinen «externen Redaktoren» steht «Blue News» allein da in der schweizerischen Medienlandschaft: So weit geht sonst niemand bei der Auslagerung von redaktionellen oder redaktionsnahen Aufgaben. Aber auch andere Medienunternehmen setzen auf billigere Arbeitskraft im Ausland, nur nicht für die Berichterstattung an sich.
So lassen die CH-Media-Zeitungen seit 2017 einen Teil ihrer Artikel in Banja Luka (Bosnien und Herzegowina) korrekturlesen. Mit der Lösung scheint man zufrieden zu sein. «Die gehören schon fast zur CH-Media-Familie, sie stellen bisweilen auch Rückfragen oder geben Hinweise auf Widersprüche in Texten», würdigt ein Redaktor die Leistung des Korrektorats in Banja Luka. Einen anderen Kunden aus der Schweiz hat die Firma «Tool-e-Byte» dagegen verloren. Das Newsportal «Nau.ch» wechselte nach gut zwei Jahren im letzten Herbst zu einem anderen Anbieter in Deutschland. Auch «20 Minuten» lässt im Ausland korrigieren, allerdings bei Unternehmen aus dem eigenen Haus. Seit Anfang 2021 werde das Korrektorat für die deutschsprachigen Online-Beiträge bei «heute.at» in Wien durchgeführt, sagt Eliane Loum, Leiterin Kommunikation «20 Minuten». Die französischsprachige Ausgabe von «20min.ch» lässt ihre Texte in Luxemburg bei «L'Essentiel» korrigieren, an dem die «TX Group» beteiligt ist. Im Gegenzug kann das Gratisportal redaktionelle Inhalte aus der Schweiz beziehen. «Damit steigt die Qualität beider Partner, ohne dass zusätzliche Kosten anfallen», kommentiert Eliane Loum diesen konzerninternen Deal. Ebenfalls im Ausland lässt «20 Minuten» die Online-Kommentare moderieren; die deutschsprachigen ebenfalls bei «heute.at» in Wien, die französischsprachigen von der Firma «Netino», die zahlreiche renommierte Medien wie «Le Monde», «Le Figaro» oder «France Télévisions» zu ihren Kunden zählt. Das Korrektorat der gedruckten Gratiszeitungen «20 Minuten», respektive «20 Minutes», befindet sich allerdings in Zürich und Lausanne.
Die «Tamedia»-Zeitungen und die «Blick»-Gruppe setzen vollständig auf interne Lösungen. «Wir haben im Gegensatz zu anderen Medienhäusern alle redaktionellen Funktionen inhouse belassen», erklärt Daniel Riedel, Sprecher der «Blick»-Gruppe. Einzige Ausnahme sei das Freistellen der Fotos, das seit vielen Jahren in Indien erledigt werde. Dadurch seien damals in der Schweiz keine Stellen wegfallen, weil diese Aufgabe früher auch vom Layout übernommen wurde, erklärt Riedel. Auch die «Tamedia»-Zeitungen setzen grossmehrheitlich auf den Standort Schweiz. Einzige Ausnahme sei die Kommentarfreischaltung, die seit vielen Jahren grösstenteils aus dem Ausland erfolgt, so «Tamedia»-Sprecherin Nicole Bänninger.
Kritisch sieht hingegen Stephanie Vonarburg, Vizeprädidentin der Mediengewerkschaft Syndicom, die Praxis von «Blue News». Die Auslagerung ins Ausland von redaktionellen Kernaufgaben hält sie aus verschiedenen Gründen für «problematisch», wie sie gegenüber der MEDIENWOCHE ausführt. «Zum einen ist die Entlöhnung für Medienschaffende in Deutschland tiefer. Zum anderen entgehen damit den in der Schweiz bestehenden Anbieterinnen wie der Keystone-SDA und vielen JournalistInnen wichtige Aufträge und Anstellungsmöglichkeiten.» Einheimische Agenturen und Medienschaffende seien mit den politischen und gesellschaftlichen Vorgängen in der Schweiz besser vertraut und könnten Qualität und Tempo mindestens ebenso gut garantieren, wenn nicht sogar besser. Nur: «Blue News» nutzt das Angebot von Keystone-SDA bereits sehr intensiv und veröffentlicht jeden Tag rund hundert Meldungen der Nachrichtenagentur. «Wir haben historisch gesehen schon immer stärker mit Agenturen gearbeitet als andere Medien der Schweiz», heisst es dazu von der Pressestelle.
Der staatsnahen Swisscom stünde es gut an, für das «Blue News»-Personal wieder einen GAV abzuschliessen.
Die Kritik der Gewerkschafterin betrifft aber nicht nur die Auslagerung substanzieller Aufgaben an ausländische Akteure, sondern auch die fehlende vertragliche Absicherung der Arbeitsverhältnisse bei «Blue News». Unter dem früheren Namen «Bluewin» war die Redaktion bis Ende 2018 dem Gesamtarbeitsvertrag GAV von Swisscom unterstellt. Seit der internen Neuorganisation sei dies formell nicht mehr der Fall, weiss Stephanie Vonarburg. Der staatsnahen Swisscom stünde es gut an, für die Angestellten ihrer Medienplattform zu einer sozialpartnerschaftlichen Regelung in Form eines Firmen-GAV zurückzukehren.
—
US-Lokalnews aus Indien und von den Philippinen
Dass Journalist:innen aus Distanz über Vorgänge in einem weit entfernten Land berichten, sorgte erstmals für Schlagzeilen als 2007 die lokale Nachrichtensite «Pasadena Now» (Kalifornien/USA) Mitarbeitende in Indien anheuerte. Vom Subkontinent aus verfolgten diese fortan via Webcam die Sitzungen der Kommunalbehörden oder verarbeiteten Medienmitteilungen zu Artikeln. Pro 1000 Wörter erhielt das indische Personal sieben Dollar. Zum Vergleich: Ein Kolumnist der «Los Angeles Times» erhielt damals mindestens 250 Dollar für 600 Zeichen.
Während schon das Modell von «Pasadena Now» für Stirnrunzeln und Kritik sorgte, geriet die zweifelhafte Praxis einer Agentur zum Skandal. «Journatic» setzte im grossen Stil auf ausgelagerten Lokaljournalismus. Dazu stellte die Firma neben Personal in den USA auch bis zu 150 Personen auf den Philippinen ein. Aus öffentlich verfügbaren Informationen schusterten die Schreibkräfte Texte für Lokalzeitungen in den USA zusammen, die ihre Redaktionen zusammengespart hatten. Als auskam, dass die Mitarbeitenden ihre Artikel mit erfundenen englischen Namen zeichneten, um zu verschleiern, dass die Texte von den Philippinen kamen, kündigten mehrere Zeitungen in den USA ihre Verträge mit «Journatic». Auch mangelhafte Qualität spielte dabei eine Rolle.
Diese Versuche haben nicht Schule gemacht. Die Auslagerung von Aufgaben ins Ausland mag für redaktionsnahe Prozesse wie Korrektorat oder Kommentarmoderaktion funktionieren. Billig-Lokaljournalismus aus der Distanz dürfte sich dagegen kaum je als Massenphänomen durchsetzen. Denn noch günstiger – und auch präziser – als Menschen in fernen Ländern arbeiten Algorithmen, die automatisch Texte generieren.
Nathalie Meier 04. Februar 2022, 10:50
Sehr fragwürdig. Als halbstaatliches Schweizer Unternehmen sollte Blue News bzw. Swisscom auf Schweizer Mitarbeiter zurückgreifen. Offenbar wurde einigen in den letzten Jahren gekündigt um billige deutsche Freie zu beschäftigen. Eine Sauerei.
Balz Bruppacher 04. Februar 2022, 11:51
Das erinnert mich an Diskussionen, die ich Ende 2009 mit den Eigentümern der Nachrichtenagentur dapd führte, die den deutschsprachigen Dienst der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) gekauft hatten. Einer von ihnen frage mich mit Blick auf die Pläne zur Übernahme auch des französischsprachigen AP-Dienstes, was ich davon hielte, die Redaktion von Paris und Bern nach Tunesien oder Algerien auszulagern. Das kam dann nicht zustande. Finanzielle Vorteile in mehrfacher Millionenhöge verschafften sich die dapd-Eigentümer hingegen, indem sie den Schweizer AP-Dienst entgegen ihren Versprechungen schlossen und die Lizenz für die AP-Meldungen der SDA verkauften.