Sport im Stream: Kamera-Boom am Spielfeldrand
Die Swisscom-Tochter Asport dominiert in der Schweiz den Markt mit intelligenten Kamerasystemen für Live-Streams von Sportveranstaltungen. Im Handball und Eishockey setzen zwei Profi-Ligen auf die automatisierte Übertragungstechnik von Asport. Ab dem Sommer will auch Ringier in diesem Boom-Geschäft mitmischen und startet mit dem Streaming der Spiele von zwei Fussball-Ligen.
Die «TV-Revolution», wie sie der «Blick» vor sechs Jahren für den «Provinz-Fussball» ausgerufen hatte, kam ziemlich handgestrickt daher. Oben auf einem Baucontainer am Spielfeldrand sassen zwei Jungs auf Plastikstühlen unter einem Werbesonnenschirm. Mit einem iPhone auf einem einfachen Stativ verfolgten sie das Spielgeschehen, schwenkten das Mobiltelefon hin und her, die Linse möglichst auf den Ball gerichtet. Was die Hobby-Kameramänner filmten, gelangte als Live-Stream ins Internet. Wer sich für Schweizer Erstliga-Fussball interessierte, konnte fortan die Spiele seiner Lieblingsmannschaft in Echtzeit online verfolgen. Mehr als eine Notlösung war das aber nicht. Der handgefilmte Stream war schlicht zu schlecht, als dass irgendjemand 90 Minuten drangeblieben wäre. Selbst wer sich nachträglich nur die Schlüsselszenen ansehen wollte, konnte den genauen Ablauf der Spielsequenzen kaum erkennen. Drei Jahre lang ging das so, ohne dass die «TV-Revolution im Provinz-Fussball» die Massen zu mobilisieren vermochte. Dann war Schluss.
Im kommenden Sommer soll es wieder losgehen. Aber anders und besser. Diesmal spuckte der «Blick» keine grossen Töne, von «Revolution» ist keine Rede mehr – vielleicht auch deshalb, weil man selbst mitdrinsteckt. Vor einer Woche kündigte Ringier an, zusammen mit der «Blick»-Gruppe und der eigenen Werbeabteilung ins Geschäft mit dem Live-Streaming von Sportanlässen einsteigen zu wollen. Wie vor sechs Jahren sollen ab dem kommenden die Spiele der 1. Liga Classic und der 1. Liga Promotion der schweizerischen Fussballmeisterschaft übertragen werden. Allerdings braucht nun niemand mehr auf einen Container zu kraxeln und dort sein iPhone zu schwenken. Die Kamera erledigt das autonom und automatisch. Einmal an einem Flutlichtmast oder auf dem Tribünendach montiert, folgt die bewegliche Linse dem Spielgeschehen ganz von selbst. Möglich macht das künstliche Intelligenz, dank der die Kamera «weiss», was ein Ball ist und wie der sich auf dem Feld (oder in der Halle) erfahrungsgemäss verhalten kann. Die aufgezeichneten Bilder gelangen via Mobilfunknetz auf eine Online-Platform. Zuschauerinnen und Zuschauer können dort den Stream mit ihren Endgeräten abrufen.
«Wir betrachten das kostenlose Live-Streaming als Werbung für den Besuch von Handball-Spielen vor Ort.»
Patrice Hitz, Präsident Quickline Handball League
Während bei Ringier das Live-Streaming mit intelligenter Kameratechnik erst in den Startblöcken steht, setzt sie Swisscom schon seit gut zwei Jahren ein. Das Tochterunternehmen Asport bietet heute eine pfannenfertige Lösung an für einzelne Vereine und ganze Ligen. Einen Pionierrolle spielt dabei die höchste Handball-Liga der Schweiz, die Quickline Handball League QHL. Seit dem Start der laufenden Saison im letzten September übertragen alle zehn Klubs ihre Spiele mithilfe von Asport auf der Online-Plattform handball.asport.tv. Einzelne Partien zeigen zudem der Fernsehsender «Sport1» und die TV-Kanäle der SRG.
Nach einem halben Jahr zieht Patrice Hitz, Präsident der QHL, eine positive Bilanz dieser Form der Medienpräsenz. «Mit unserer Streamingplattform erreichen wir vor allem ein jüngeres Publikum und die ‹Handball-Familie›. Über das klassische Fernsehen sprechen wir das breitere Sportpublikum an», sagt Hitz im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Als Rekordwert nennt er 8000 Zugriffe auf den Live-Stream bei einem Spitzenspiel. Im Durchschnitt lägen die Zahlen im unteren bis mittleren vierstelligen Bereich. Das Angebot ist kostenlos und soll es auch bleiben, erklärt Ligapräsident Hitz. «Wir betrachten das Angebot als Werbung für den Besuch von Handball-Spielen vor Ort. Schliesslich ist das Live-Erlebnis in der Arena immer noch viel eindrücklicher als via Stream zuzuschauen.»
Die Eishockey-Fans sollen mit dem Kauf einer Saisonkarte Zugang zur Streaming-Platform mit allen Spielen der Swiss League erhalten.
Kosten werden dagegen die Spiele der zweithöchsten Eishockey-Liga der Schweiz. Mitte Januar entschied sich die inzwischen als selbständige Körperschaft konstituierte Swiss League, ab der kommenden Saison ihre Spiele auch mithilfe von Asport live zu zeigen. Wie die Liga Mitte Januar mitteilte, sei vorgesehen, «dass die Fans mit dem Kauf des Saisonabonnements Zugang zur Plattform und allen Spielen erlangen sollen».
Der Eishockey-Kenner und «Watson»-Journalist Klaus Zaugg sieht in einer Liga, «die ihre TV-Bilder selbst produziert und vermarktet» gar ein «Zukunftsmodell», weil sie die Rechte nicht mehr an ein TV-Unternehmen verkauft. Die entfallenden Einnahmen könnten dank der neuen Gestaltungsfreiheit «bei weitem kompensiert» werden, glaubt Zaugg. Umso mehr, weil die aktuellen Erträge der Swiss-League-Vereine aus dem Verkauf der TV-Rechte an MySports sehr bescheiden seien.
Dass in der Schweiz immer mehr Sportvereine, sowohl im Profi- als auch im Amateurbereich, die Bildproduktion und -verbreitung selbst in die Hand nehmen, liegt vor allem an der Firma Staige aus Essen, Deutschland. Sie hat das Kamerasystem entwickelt, das die Swisscom-Tochter Asport verwendet.
Seit dem ersten Live-Stream eines Fussballspiels auf soccerwatch.tv vor fünf Jahren verbessert sich die automatisierte und intelligente Kameratechnik fortlaufend.
Wie jedes Unternehmen, das irgendetwas im Internet macht, kommt auch Staige nicht ohne Gründungslegende aus. Einer der Mitgründer wollte seinem Sohn auch dann beim Fussball zuschauen können, wenn er keine Zeit hatte, den Kleinen zum Spiel zu begleiten. Was tun? Kamera montieren und streamen. «Für unseren Prototyp haben wir im Baumarkt eine Plastikbox gekauft, ein Loch reingeschnitten, eine Kamera eingesetzt und das Spiel bei YouTube hochgeladen», erzählten die Gründer 2017 der «Wirtschaftswoche». Damals hiess ihr Unternehmen noch Soccerwatch.tv, weil es ursprünglich auf Fussball fokussierte. Bereits in einer frühen Phase beteiligte sich das Beratungs- und IT-Dienstleistungsunternehmen Adesso an dem Start-up. Es war dann auch Adesso, das die Kamera-Technologie Anfang 2020 in die Schweiz brachte und den FC Agno im Tessin die soccerwatch.tv-Technologie testen liess. Nach diesem Pilotbetrieb habe man eine schweizweite Partnerschaft mit Swisscom Broadcasting abgeschlossen, erklärt eine Sprecherin von Adesso Schweiz. Daraus ist Asport geworden.
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Seit dem ersten Live-Stream eines Fussballspiels in Deutschland vor fünf Jahren verbessert sich die automatisierte und intelligente Kameratechnik fortlaufend. Das nimmt auch Handball-Ligapräsident Fabrice Hitz wahr, der das System nun auch schon länger kennt. «In den Anfängen konnte es noch vorkommen, dass die Kamera einen schnellen Gegenstoss verpasst hat. Das geschieht jetzt nicht mehr», sagt Hitz. Das Kamerasystem werde von Spiel zu Spiel besser, weil es automatisch dazu lerne. Die Videoqualität sei inzwischen so gut, dass der Fernsehsender «Sport1» damit arbeiten könne bei seinen Übertragungen, nur ergänzt mit zwei eigenen Kameras. Ausserdem erkennt die Software Tore und andere Schlüsselszenen und markiert diese automatisch im Video, damit man die entsprechenden Stellen im Replay direkt ansteuern kann.
Profimannschaften können mit dem Live-Stream ein interessiertes Publikum zuhause und unterwegs vor den Bildschirmen erreichen. Ebenso wichtig, und zwar auch im Amateurbereich, ist die Bedeutung der Kameraaufzeichnung für die Selbstbeobachtung der Sportlerinnen und Sportler. «Das System von Asport nutzen die Vereine auch für die Analyse des Trainings», weiss Handballer Hitz, der selbst in einer Zweitliga-Mannschaft spielt. «Man hat freien Zugriff auf die Kameras und die Software und kann sie so nutzen, wie sie einem etwas bringen.»
Angesichts der Entwicklung in den letzten Jahren überrascht es nicht, dass nun auch weitere Unternehmen auf den Live-Streaming-Markt drängen. In der Schweiz gibt es um die 19’000 Sportvereine. Insbesondere Mannschaftssportarten bieten sich für das Geschäft mit den Videoaufzeichnungen an. Einmalige Installations- und jährliche Lizenzkosten von je ein paar tausend Franken können sich zwar nicht alle Vereine leisten, aber doch eine Anzahl, die es für weitere Akteure interessant macht, auch mitzumischen. Besonders attraktiv sind natürlich Verträge mit ganzen Ligen, wie das Asport nun bereits im Handball und Eishockey realisiert hat. Laut Fabian Häfliger, Chef Marketing und Verkauf der Swisscom-Tochter, steht Asport mit weiteren Ligen in Verhandlung.
Auch Ringier startet im Sommer mit dem Streaming von zwei halbprofessionellen Fussballigen, der 1. Liga Classic und der 1. Liga Promotion. Dazu wird Ringier aber kein eigenes Kamerasystem entwickeln, sondern eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Technologie-Anbietern eingehen, teilt eine Sprecherin mit. Ob man dazu mit Asport von Swisscom kooperieren werde, lässt Ringier offen. Fabian Häfliger von Asport sagt so viel: «Wir stehen allen Akteuren im Sportökosystem offen.» Namentlich nennt Häfliger auch Vermarkter «wie beispielsweise Ringier Sports». Gut möglich also, dass Asport dank Ringier seine Position im Schweizer Markt weiter stärken wird.