The Good, The Bad & The Ugly LXXIII
Tsüri.ch, No Billag 2, Weltwoche
The Good – Stabiles Stadtmagazin
Am Montag wurde bekannt, dass das Zürcher Stadtmagazin «tsüri.ch» 2021 erstmals schwarze Zahlen geschrieben hat. Sieben Jahre nach dem Start ist erstmals mehr Geld reingekommen als rausgegangen. «Es ist ein gutes Zeichen, dass unsere Idee stimmt und die Strategie funktioniert», sagt Chefredaktor und Verleger Simon Jacoby (Bild) gegenüber der MEDIENWOCHE. Im Jahr 2020 betrug das Minus – ohne jegliche Hilfsgelder – bereits bloss noch 11’000 Franken. Dank stabil um die 1500 zahlenden Community-Mitglieder, mehr Veranstaltungen und einem neuen Förderverein, der Zugang zu gewissen Stiftungsfinanzierungen ermöglicht hat, landete «tsüri.ch» nun erstmals im grünen Bereich. Doch für Euphorie ist es laut Jacoby zu früh: «Es ist eine Momentaufnahme. Wir müssen das Ergebnis wiederholen.» Zudem sind auch die bescheidenen Löhne von 4000 Franken brutto Teil der Rechnung.
«Jedes Jahr verschwinden fünf Zeitungen und es entstehen keine fünf neuen», sagt Jacoby, der auch Co-Präsident des Verbands «Medien mit Zukunft» ist. Das Ergebnis mache keine Hoffnung für die ganze Branche. «Es macht aber Hoffnung für ähnliche Projekte: Onlinemedien ohne grossen Verlag oder Mäzen:innen im Hintergrund, die sich dem Lokaljournalismus verschreiben.» Ein gutes Omen also für die «Hauptstadt», die am Montag in Bern loslegt.
The Bad – Mediensupport für SVP-Forderung
Am Dienstag präsentierten fünf Männer aus SVP und FDP eine Volksinitiative, welche die Medienabgabe rigoros kürzen will. Man könnte nun die fatalen Folgen schildern, die eine Annahme für die SRG hätte – doch bis zum Abstimmungskampf ist es noch lange hin.
Vor über 15 Jahren forderte die SVP erstmals die Halbierung der Billag-Gebühren, wie sie damals noch hiessen. Ihre Politiker:innen wiederholten die Forderung seither fleissig. Spätestens seit dem Abstimmungskampf zur «No Billag»-Initiative vor vier Jahren kam in jedem Interview mit SRG-Vertreter:innen die Frage «Und was ist mit der Halbierungsinitiative?» Die SVP sollte sich bei all diesen Interviewer:innen und Kommentator:innen bedanken: Noch nie verschafften Journalist:innen einer Initiative so viel Öffentlichkeit, bevor eine einzige Unterschrift gesammelt war. Und anscheinend hat das stetige Drohen – trotz mehr als 70 Prozent Nein-Stimmen zu «No Billag» – bereits Wirkung gezeigt.
2006 rechnete die SVP Schweiz: «1980 kosteten die Empfangsgebühren noch 207 Franken im Jahr, 2007 schliesslich 462 Franken. Würde man seit 1980 nur die Teuerung aufrechnen, müssten die Radio-/TV-Gebühren heute bei 360 Franken liegen.» Die Teuerung ging weiter. Trotzdem kostet die Medienabgabe heute nur 335 Franken pro Haushalt.
The Ugly – Der Krieg ist, was ich meine
Die «Weltwoche» hat bemerkt, dass sich eine Nachrichtenmagazin bei einem Angriffskrieg nicht auf Bewunderung für den maskulinen Stil des Invasors beschränken kann. In der aktuellen Ausgabe gelingt es ihr, gleichzeitig Neutralität zu fordern und rhetorisch zu eskalieren: «Wie Lokomotiven in dunkler Nacht rasen die Mächte aufeinander zu» – das tönt, als wäre es expressionistische Lyrik zum Ersten Weltkrieg. Köppel startet mit dem Vergleich zur Kubakrise 1962 und bringt auch noch Pearl Harbor mit rein. Weiter schreibt er: «Auslandschef Urs Gehriger widerspricht dem Chefredaktor, also mir, unter dem Titel ‹Sorry, Roger, du liegst falsch›. Möge das bessere Argument gewinnen!» Gehriger dann: «Ich sehe die Sache ganz anders.»
Der Lead von Peter Bodenmanns Kolumne verbindet Ich und Wir: «Die meisten von uns – auch ich – haben sich in Putin getäuscht.» Köppel und Mörgeli beschwören ein schweizerisches «Wir». Der «Weltwoche» geht es beim Krieg in der Ukraine kaum um die Menschen in der Ukraine.
Mit Kurt Pelda schickte die «Weltwoche» einen Korrespondenten in die Ukraine. Am Donnerstagabend sagte Pelda im Interview mit Radio SRF mehr Relevantes über die Situation, als im ersten Text für seinen Arbeitgeber: In «Meine abenteuerliche Reise nach Kiew» erzählt er das Abenteuer und gegen Ende hin noch einiges zu Waffensystemen und Taktik. Auf der folgenden Seite suhlt sich Michael Bahnerth in Weltschmerz. Es gebe «keine Liebe ohne Schmerz, keine Welten ohne Welt, keinen Frieden ohne Krieg». Das einzige, was «uns» bleibt, sei das «Finden einer Balance zwischen der Leichtigkeit und der Schwere der Welt und des eigenen Ichs». Ich, ich, ich. Wir, wir, wir.
Hans Valer 05. März 2022, 10:31
Schade, gefällt sich die MEDIENWOCHE darin, Köppels WelkWoche mit einer Blattkritik zu pushen.
Christian Rentsch 05. März 2022, 17:38
Ich bitte um Nachhilfe: Wie würden denn Sie eine Medienkritik schreiben, ohne über das kritisierte Medium zu schreiben?
Victor Brunner 07. März 2022, 12:45
Dank dem Ukraine-Krieg wird Roger Köppel noch zum Kunstturner. Ein Flic-Flac nach dem anderen und immer landet er auf der Nase¨.
Lukas Vogelsang 10. März 2022, 18:11
Ich habe ein kleines Problem mit der Erfolgsrechnung von tsüri.ch: 1500 (stabil) bezahlende Members, und wie kommuniziert 2977 Members im Februar (? auf deren Webseite), und mit effektiv angegebenen 1491 tsüri-Members am 10. März, machen die ein Jahresbudget von 650’000 CHF. Ok, rechnet. Klar, jetzt haben die Werbeeinnahmen, obschon ich vor allem Werbung für Werbung entdeckt habe auf deren Seite. ABER: Sehr viel Themensetting-Verkäufe, die gemäss Simon Jacoby rund ca. 60’000 CHF kosten und nach langem durchsuchen auch auf der Webseite entdeckt werden können. Das sind dann so 10 und mehr Artikel zu einem Thema.
Sowas nennt sich Native Advertisement – kaum ausgewiesen, kaum zu erkennen. Und ist das dieses „Finanzierungsmodell“, welches sich „die Medien der Zukunft“ vorstellen? Ist das gut so? Loben wir tsüri.ch deswegen so wahnsinnig?
Ich bin nicht sehr begeistert, weil diese Finanzierung mir viel zu wenig transparent ist. Die effektiven Sponsoren und ZahlerInnen dieser Kampagnen werden nämlich nirgends aufgelistet – ok, vielleicht irgendwo, nach 2 Stunden Recherche …
Ich wäre aber einfach etwas vorsichtiger und würde diese Zahlen echt mal genauer überprüfen. So ist das mit dem 4’000 CHF-Grundlohn auch nur dann relevant, wenn man die effektiven Anstellungsprozente sehen kann. Steht auch nur klein geschrieben, dass dieser Lohn nur bei 100 % ist … was ist dann effektiv bei den Löhnen drin? …
Hmmm … Ich verstehe das alles echt nicht …