von Adrian Lobe

Medien als digitale Sammelstücke

Der Krypto-Boom ist in den Medien angekommen: Das «Time»-Magazin hat erstmals eine Digitalausgabe als NFT veröffentlicht, die NZZ verkauft digitale Tulpenbilder als Krypto-Kunst. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung – und wie können sich Medien die Blockchain-Technologie zunutze machen, die dem Hype zu Grunde liegt? Eine Vermessung.

Vor wenigen Wochen zierte den Twitter-Account der NZZ ein Tulpenstrauss. Das war kein Account-Hack, wie man zunächst hätte vermuten können, sondern Krypto-Kunst: Der deutsche Fotograf Michael Wesely hat in Kooperation mit dem anonymen Künstlerkollektiv Flowtys für die NZZ eine Kunstedition mit einem Tulpenstrauss als Motiv kreiert, der sich mit dem Fortschreiten der Zeit verändert und sichtbar altert.

NFT kehren eine wesentliche Eigenschaft des Digitalen um: aus Massenwaren werden Sammlerstücke.

Erwerben konnte man das Tulpenbild im NZZ-Shop als sogenannten NFT, also «Non Fungible Token» (deutsch: nicht ersetzbare Wertmarke). Dabei handelt es sich um einen kryptografisch abgesicherten Beweis für einen digitalen Vermögenswert. Dieser wird auf einer Blockchain hinterlegt und weist den Käufer als Rechteinhaber aus (nicht als Eigentümer, wie häufig zu lesen ist; Eigentum gibt es nur an Sachen). Solche digitalen Besitzurkunden verknappen die eigentlich beliebig oft kopier- und reproduzierbaren virtuellen Objekte künstlich. Damit kehren sie eine wesentliche Eigenschaft des Digitalen um; aus Massenwaren werden Sammlerstücke.

Der Verkaufsprozess der NZZ-Tulpen lief noch nicht alles rund. Die zweite Verkaufsrunde für ein weltweites Publikum musste «aus technischen Gründen verschoben werden», erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Es seien aber weitere Projekte im Bereich NFT geplant. Ausserdem habe die Redaktion der NZZ «umfangreiches Know-how in den Bereichen Blockchain, NFT und Metaverse aufgebaut und berichtet regelmässig darüber».

Die NZZ ist nicht das einzige Medienunternehmen, das mit Krypto-Kunst experimentiert. So hat der «Time»-Verlag im vergangenen Jahr eine eigene virtuelle Kollektion («TIMEPieces») herausgebracht. 4676 Kunstwerke kann man als NFT zu einem Preis von je 0,1 Ethereum (ca. 282 CHF) erwerben. Kürzlich hat das amerikanische Nachrichtenmagazin sogar ein ganzes Heft als NFT veröffentlicht – passend mit Ethereum-Gründer Vitalik Buterin auf dem Cover. Anders als bei der «normalen» Digitalausgabe wird der Heftinhalt in einer Blockchain gespeichert und an sogenannte Wallets ausgespielt, eine Art digitale Portemonnaies, über die Käufer Zugang zu den Dateien erhalten. Die NFT-Sonderedition ist mit einem kolportierten Preis von 0,54 Ethereum (ca. 1740 CHF) eher ein Sammlerstück. Man kauft die NFT-Version der «Time» nicht, um das Heft zu lesen, sondern um ein Kunstwerk zu erwerben.

Auch das US-Nachrichtenmagazin «Forbes» will demnächst eine eigene NFT-Kollektion auf den Markt bringen: Investoren können sich in eine Milliardärsliste («Forbes Virtual NFT Billionaires») einkaufen. Sie erhalten dann unter anderem auf der Webseite Forbes.com ein Profil mit einer eigens gestalteten Kunstfigur, vergleichbar mit den Profilbildern des Bored Ape Yacht Club – eine Sammlung digital verschlüsselter Affencartoons, die Prominente für hunderttausende Dollars zur Verzierung ihrer Social-Media-Accounts erwerben.

Das «Time»-Magazin hat mit dem Krypto-Kunstgeschäft bisher zehn Millionen Dollar Umsatz generiert

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Schon seit Längerem versuchen Verlage neben dem Mediengeschäft ihre Erträge aufzubessern, indem sie Kunst, Wein, Olivenöl oder auch Uhren und Kleider verkaufen. Mit dem Wegbrechen von Abo- und Inserate-Erträgen nimmt die Bedeutung solcher Zusatzgeschäfte zu. Auch darum versuchen Verlage neue Wege zu gehen. So hat das «Time»-Magazin nach eigenen Angaben mit dem Krypto-Kunstgeschäft bisher zehn Millionen Dollar Umsatz generiert und will im sogenannten Web3 Fuss fassen. Die Promotoren dieses digitalen Ökosystems wollen die bestehende Internet-Architektur neu organisieren und alles auf die Blockchain-Technologie verlegen: dezentral, verschlüsselt und eigentumsorientiert soll das Web3 funktionieren. Keith A. Grossman, der Präsident der «Time»-Verlag sagte, das erste als NFT angebotene Magazin sei «wie eine natürliche Erweiterung für unsere Marke». Um die Bedeutung zu unterstreichen, hat der Verlag auch einen neuen Vorstandsposten geschaffen, der sich um das Web3 kümmert.

Sollten andere Verlage dem Beispiel folgen? Oder bleibt das Ganze nur eine Technikspielerei und NFT, Blockchain und Web3 entpuppen sich früher oder später als ein weiterer Hype, dem ein paar selbsternannte Pioniere aufgesessen sind?

Johannes Klingebiel, Programm-Manager im «Media Lab Bayern» und Herausgeber des Newsletters «Zine», teilt auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit: «Experimente mit neuen Monetarisierungsmodellen sind in den Medien eine gute Sache.» Grundsätzlich gelte aber auch hier, dass jede neue Technologie in die bestehende Strategie eines Mediums passen sollte. Medienunternehmen sollten sich deshalb die Frage stellen, ob der Verkauft von digitalen Angeboten als NFT einen «tatsächlichen Mehrwert für das eigene Publikum über die reine finanzielle Spekulation hinaus» darstellen. Der Markt sei «voll mit unhaltbaren Versprechen, Betrügereien und anderen fragwürdigen Geschäftspraktiken», konstatiert Klingebiel. «Medien sollten sich also gut überlegen, ob die Kryptowelt das richtige Spielfeld für sie ist.» Doch die Problemidentifikation ist, gelinde gesagt, noch nicht allzu weit vorangeschritten. Das liegt einerseits an der Komplexität der Technologie, andererseits an der Unübersichtlichkeit des Krypto-Marktes mit seinen zahlreichen Akteuren und Währungen.

Als NFT wird das Abo zu einem Sammel- und Spekulationsobjekt, das man weiterverkaufen kann.

Verlage könnten durchaus von NFTs profitieren, findet dagegen Zach Wise. Der Journalist, der früher als Multimedia-Produzent bei der «New York Times» gearbeitet hat und heute am renommierten «Knight Lab» der Northwestern University lehrt, äussert sich auf Anfrage der MEDIENWOCHE optimistisch: Zwar gebe es eine Spekulationsblase, etwa bei den Profilbildern des Bored Ape Yacht Club. Der weniger spekulative Aspekt von NFTs nehme aber erst jetzt Konturen an. «Es gibt wirklich aufregende Möglichkeiten für den Journalismus», glaubt Wise. Eine Möglichkeit sei zum Beispiel, die Blockchain-basierten Echtheitszertifikate als Nachweis für Abo-Inhaber heranzuziehen. «Jeder, der das Abo der Zeitung in seinem Wallet hat, kann es weiterverkaufen, sogar mit Profit, und der Verlag erhält auf den Verkauf Lizenzgebühren.» Das Abo als Sammel- und Spekulationsobjekt.

Wise experimentiert mit seinem Team am Knight Lab mit einem Erlösmodell, bei dem Abos künstlich verknappt, also zum Beispiel auf 1000 limitiert werden. «In unserem Experiment gibt es kein Zeitlimit. Sie haben ein Abo-NFT, das es Ihnen erlaubt, auf die Publikation zuzugreifen, solange es sie gibt und solange Sie den NFT besitzen. Weil es nur 1000 Abos gibt und die Nachfrage grösser ist, steigt der Wert jedes Abonnements.» Die Abos könnten wie digitale Kunstwerke auf NFT-Marktplätzen gehandelt werden.

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Christian Simon, Innovation Editor beim Media Lab Bayern und freier Journalist, sieht das Ganze eher skeptisch. «Die Dezentralität und die verschiedenen Aspekte im Kern vieler Blockchain-Ideen, etwa Fälschungssicherheit, sind in der Theorie auch für Medienunternehmen spannend», erklärt er auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Allerdings gebe es noch grosse Hindernisse bei der Umsetzung der Technik: Bestehende Blockchain-Versuche im Medienbereich seien meist noch «Lösungen auf der Suche nach einem Problem», so Simon. «Selbst aufsehenerregende Experimente wie das US-Startup ‹Civil›, das Journalismus und Blockchain zusammenbringen wollte, sind innerhalb kürzester Zeit gescheitert – auch am mangelnden Interesse der Nutzer.» Hinzu kämen «zahlreiche Kinderkrankheiten wie die «technisch anspruchsvolle Implementierung und der ökologische Fussabdruck». Schätzungen zufolge emittiert ein NFT in seinem gesamten Produktzyklus im Durchschnitt 211 Kilogramm CO₂. Das entspricht ungefähr einer 1000 Kilometer langen Autofahrt mit einem mittelalten Benziner. Bis auf Weiteres gebe es für Medienunternehmen sicher «akutere Innovations-Themen», sagt Simon.

Ist am Ende die vermeintliche Gelddruckmaschine gar nur ein billiger Kaugummiautomaut?

Die Aussicht, auf dem heiss laufenden Krypto-Markt das schnelle Geld zu verdienen, ist auch für Medienunternehmen verlockend. So sind die ukrainischen Nachrichtenseiten «Ukrainska Pravda», «Novoye Vremya» sowie der NGO-Sender «Hromadske» ins NFT-Geschäft eingestiegen, um ihre Kriegsberichterstattung zu finanzieren. In Kooperation mit der Krypto-Plattform Vault wurden 10’000 NFT-Schlüssel zu je 99,99 Dollar angeboten, mit denen die Käufer Zugang zu einem digitalen Tresor mit exklusiven Inhalten erhalten. Es handelt sich also quasi um eine kryptographisch abgesicherte Paywall. Gewiss, der Krieg rechtfertigt viele Mittel, um die freie Berichterstattung zu gewährleisten. Doch am Ende stellt sich nicht nur die Frage, welche Partner sich Medien ins Haus holen, sondern wie nachhaltig diese «Tokenisierung» von Medieninhalten ist – und ob sich die vermeintliche Gelddruckmaschine nicht doch am Ende als billiger Kaugummiautomaut herausstellt.

Gerade bei der Kriegsberichterstattung liegt das Potenzial der Blockchain woanders: nämlich in der Verifizierung von Dateien. Bei der «New York Times» laufen bereits einige vielversprechende Experimente mit der Blockchain, etwa um den Ursprung von Bild- und Videodateien nachzuverfolgen. Und anders als beim World Wide Web, dessen Entwicklung die Verlage weitgehend verschlafen hatten, bietet sich jetzt die Möglichkeit, die Entwicklung neuer digitaler Ökosysteme aktiv mitzugestalten. Der Trend gehe hin zu einem dezentralisierten Web, sagt Journalismusprofessor Zach Wise. «Ich denke, dass Journalismus an der Debatte und Entwicklung teilhaben sollte.» Der Grund, weshalb das Web3 entwickelt werde, sei derselbe wie bei Kryptowährungen: der Vertrauensverlust in etablierte, zentralisierte Institutionen. Ob sich dieses Vertrauen aber ausgerechnet mit hochspekulativen Krypto-Anlagen wiederherstellen lässt, ist mehr als fraglich.