Ukraine-Experte Benno Zogg: «Russischen Staatsmedien gebe ich keine Auskunft»
Er ist der Experte der Stunde: Als Sicherheitsforscher mit Schwerpunkt Osteuropa erklärt Benno Zogg seit dem 24. Februar auf allen Kanälen den Ukraine-Krieg. Mit seinen 32 Jahren steht Zogg auch für einen Generationenwechsel unter den Sicherheitsexperten. Am liebsten spricht er am Radiosender «Monocle 24», der ihm auch den Weg in die Medien geebnet hatte.
Am 25. Februar, einen Tag nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, steht Erich Gysling in der «Arena» des Schweizer Fernsehens, neben ihm Benno Zogg. Dazwischen sind 53 Jahre. Gysling, der altgediente Journalist, 85 Jahre alt, war nicht erst seit seiner Pensionierung beim Fernsehen ein gefragter Experte, auch und gerade zu Osteuropa. Zogg, der junge ETH-Wissenschaftler, 32 Jahre alt, avancierte mit Putins Krieg gegen die Ukraine zum allseits gefragten Experten.
Ob Erich Gysling, Albert Stahel oder Kurt Spillmann: Ging es in den letzten Jahrzehnten irgendwo in der Welt drunter und drüber, standen die bekannten Gesichter den Medien Red und Antwort und erklärten, was da vor sich geht. Andere Experten, und noch weniger Expertinnen, für Strategie- und Sicherheitsfragen tauchten punktuell auf, erlangten aber keine kontinuierliche Medienpräsenz.
Ob in der «Appenzeller Zeitung» oder im «Zürcher Oberländer» – überall sind seine Aussagen zu lesen.
Benno Zogg dagegen steht seit dem 24. Februar im Dauereinsatz. Sehr oft sieht und liest man den Sicherheitsforscher bei SRF und «Blick», manchmal mehrmals pro Woche. Je rund zwanzig Auftritte absolvierte er allein bei diesen beiden Medien. Die Schweizer Mediendatenbank SMD findet seinen Namen in dieser Zeitperiode bereits über hundert mal. Ob in der «Appenzeller Zeitung» oder im «Zürcher Oberländer» – überall sind seine Aussagen zu lesen. Meist handelt es sich um ein paar wenige Zeilen von ihm. Eine grössere Plattform erhielt Zogg von der Tamedia-Redaktion, die seine Person auf einer ganzen Zeitungsseite ihrem Publikum vorstellte.
Dass ausgerechnet er nun so gefragt ist, dafür gibt es gute Gründe: Zogg forscht schon lange zur Sicherheitspolitik und Osteuropa kennt er nicht nur von der Landkarte, sondern von Aufenthalten in Russland, Belarus und der Ukraine. Und er bewegt sich gewandt auf dem Medienparkett. Das rührt zum einen von seinem Talent her, komplexe Vorgänge in einfache Worte fassen zu können, ohne unzulässig zu vereinfachen. Zum anderen gehört Öffentlichkeitsarbeit zu seinem Aufgabenprofil am Center for Security Studies CSS der ETH Zürich, wo er als Senior Researcher arbeitet und ein siebenköpfiges Forschungsteam leitet. «Wir betreiben angewandte Forschung und wollen den Dialog mit der Gesellschaft pflegen», erklärt Benno Zogg im Gespräch mit der MEDIENWOCHE.
«Wenn ich Auskunft geben sollte zu Sachgebieten, zu denen ich nicht forsche, sage ich ab. Da bleibe ich hart.»
Rund fünf bis zehn Prozent seiner Arbeitszeit sind für Medienarbeit vorgesehen. Über die letzten rund sechs Jahre, seit er am CSS arbeitet, sei das etwa aufgegangen. In den vergangenen Wochen habe es aber deutlich mehr ausgemacht. «Ich musste aufpassen, dass ich die anderen 90 Prozent nicht aus den Augen verliere.» Inzwischen hat sich das Verhältnis wieder etwas besser eingependelt. Um die Balance zwischen Forschung und Medienarbeit zu halten, lehne er auch Anfragen ab. «Wenn ich Auskunft geben sollte zu Sachgebieten, zu denen ich nicht forsche, sage ich ab. Da bleibe ich hart.»
Seine Karriere als Medienpersönlichkeit begann vor fünf Jahren mit einem Gastkommentar in der NZZ. Benno Zogg hatte damals am CSS ein Paper verfasst zu den Friedensförderungsmissionen der Uno und fragte die NZZ, ob sie Interesse hätte an einer Kurzfassung; und sie hatte. «Eine solche Studie findet in der Regel keine grosse Aufmerksamkeit, aber die Ergebnisse sind auch für ein breiteres Publikum durchaus interessant.» Darum die Idee, via NZZ die Befunde in einer zugänglicheren Weise aufzubereiten.
Seit der Premiere 2017 hat Zogg sechs Gastkommentare in der NZZ veröffentlicht, sei es bereits 2019 zum vielfältigen, aber wenig bekannten Engagement der Schweiz in der Ukraine oder im Januar 2022 zur allgemeinen Dienstpflicht. Zum aktuellen Ukraine-Krieg sucht man indes vergeblich nach Zoggs Einschätzung in der NZZ. «Wenn man so viele Interviews gibt wie ich derzeit, dann bleibt wenig Zeit, um einen Gastkommentar zu schreiben», stellt der ETH-Forscher fest.
«Ich schätze die familiäre Atmosphäre bei Radio ‹Monocle 24› und spüre ein grosses gegenseitiges Vertrauen.»
Den zweiten Zugang zu den Medien fand Zogg über «Monocle 24», den Radiosender des gleichnamigen Magazins von Tyler Brûlé. Als das in London domizilierte Medienunternehmen vor vier Jahren in Zürich eine Aussenstation eröffnete, machte sich die Redaktion daran, ein lokales Expert:innen-Netzwerk aufzubauen. Dabei sind sie auch auf Benno Zogg gestossen, der damals schon das Gleiche tat wie heute. «Die haben wohl einfach gegoogelt und mich gefunden, da ich offenbar ihrem Profil entsprach», erinnert sich Zogg an die Kontaktaufnahme. Seither steht er regelmässig an der Zürcher Dufourstrasse hinter dem Mikrofon, wo sich im Lokal von «Monocle»-Shop und -Café auch das Radiostudio befindet. In Diskussionsrunden mit zugeschalteten Fachleuten aus aller Welt bringt Zogg zu Sicherheitsthemen seine Position aus der Schweiz mit ein. Hier spricht er in perfektem Englisch, aber mit dem genauso ruhigen und souveränen Duktus wie in seiner Muttersprache.
«Monocle 24» entwickelte sich zu seinem Lieblingsmedium. «Ich schätze die familiäre Atmosphäre und spüre ein grosses gegenseitiges Vertrauen», sagt Zogg. Die Zusammenarbeit geht hier weiter als mit anderen Medien. Der Sender führt Zogg als ihren «Security Correspondent» auf. In dieser Rolle schreibt er auch gelegentlich Artikel für das gedruckte «Monocle»-Magazin, etwa über den globalen Holzhandel oder die Neutralitätspolitik der Schweiz.
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Während er sich beim Radio von Tyler Brûlé an ein globales Publikum richtet, spricht er via SRF und «Blick» das einheimische Massenpublikum an. Dass es ausgerechnet die beiden Medien sind, wo Zogg mehrheitlich als Experte in Erscheinung tritt, liege nicht primär an deren grosser Reichweite. «Das ist auch ein Faktor», sagt Zogg, «aber nicht der wichtigste». Wichtiger sei die Chemie, die stimmen müsse zwischen ihm und einer Redaktion, sowie die Aussicht auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit, damit dieses Vertrauen wachsen kann. «Bei SRF beeindruckt mich die Professionalität.» Damit meint er die aktive Betreuung in Form von ausführlichen Vorgesprächen und Feedback nach den Auftritten. Was ihm bei SRF auch entgegenkomme, sei die Vielfalt der Formate: Ob auf der grossen Bühne der «Arena», im kompakten Expertengespräch in der «Tagesschau» oder ausführlicher im «Tagesgespräch» – Zogg erklärt in verständlicher Sprache, ohne Fachjargon und frei von Anglizismen, was vor sich geht. Von sich selbst sagt er: «Ich mache keine markanten Aussagen und versuche ausbalanciert zu bleiben.» Und er könne zu all dem stehen, was er bisher gesagt habe, auch wenn sich gewisse Prognosen nicht bewahrheitet haben.
«In der Schweiz stehe ich grundsätzlich allen Medien allen Red und Antwort.»
Auf die Gewichtung seiner Zitate in geschriebenen Medien und auf die Titelsetzung hat Zogg keinen Einfluss. Da kommt es schon mal vor, dass er nicht gerade glücklich ist, wenn die Redaktion den Fokus auf Aussagen legt, die nicht im Zentrum seiner Ausführungen stehen; zum Beispiel bei der Titelzeile «Putin-Mord würde nukleare Gefahr erhöhen» über einem thematisch breit gefächerten Interview Mitte März in den CH-Media-Zeitungen. «Das schien mir etwas zu effekthascherisch», findet Zogg im Rückblick.
Grundsätzlich mache er gute Erfahrungen mit Print- und Online-Medien, so auch beim «Blick». Hier sei die Zusammenarbeit «organisch gewachsen». Nach ersten Auftritten bei «Blick TV» anlässlich der Spannungen in Belarus und Kasachstan war klar, dass er auch für den Ukraine-Krieg als Experte taugt. Ja, mehr noch: Bei einem per Video-Call geführten Interview des «Sonntagsblick» sass Zogg zusammen mit Auslandredaktorin Fabienne Kinzelmann dem früheren Kreml-Berater Sergej Karaganow quasi als Journalist gegenüber; sein Name erschien dann auch in der Autorenzeile. «Beim Gespräch habe ich mich aber zurückgehalten und verstand meine Rolle mehr als Back-up, da ich das eine oder andere zu Karaganow wusste», erklärt Zogg die ungewöhnliche Konstellation.
Auf den ersten Blick mag die Medienpräsenz von Benno Zogg nach einer Ein-Mann-Show aussehen. Doch dahinter steckt mehr.
Wenn er nun etwas häufiger bei «Blick», SRF und «Monocle 24» als Experte auftrete als bei anderen Medien, bedeutet das nicht, dass er exklusiv an diese Medien gebunden sei. «In der Schweiz stehe ich grundsätzlich allen Red und Antwort», sagt Zogg. «Mein Massstab dafür ist einfach: Folgen die Medien journalistischen Standards?» Darum habe er auch schon Anfragen von chinesischen und russischen Staatsmedien abgelehnt. Nicht zu verhindern sei natürlich, dass Medien wie RT aus Forschungsberichten zitierten. «Da steht dann ‹Schweizer Experten sagen…›, aber sie picken nur jene Aussagen raus, die in ihr Framing passen.»
Auf den ersten Blick mag die Medienpräsenz von Benno Zogg nach einer Ein-Mann-Show aussehen. Doch dahinter steckt mehr. Die über zehn Forschenden am Center for Security Studies der ETH, die regelmässig den Medien Auskunft geben, koordinieren sich ein Stück weit hinter den Kulissen. «Wir nutzten während den ersten Wochen des Kriegs einen informellen Chat, dort vermitteln wir zum Beispiel Anfragen weiter oder geben einander Feedback auf unsere Auftritte.»
Während in Deutschland mehrheitlich junge Expertinnen das Kriegsgeschehen in der Ukraine in den Fernseh-Talkshows analysieren und kommentieren, sind es in der Schweiz zwar auch nicht mehr nur alte Männer, aber der Frauenanteil lässt klar zu wünschen übrig. «Die Forschung zu Militär und Osteuropa scheint in der Schweiz noch stark männlich geprägt», beobachtet Zogg und ergänzt: «Gerade bei uns am CSS beschäftigen sich viele junge Frauen mit Sicherheitsthemen.» Allerdings sei es auch im Wissenschaftsbetrieb so, dass sich Männer eher zutrauen öffentlich aufzutreten und viele Frauen im Zweifelsfall eher absagen. Nicht so Névine Schepers, die im Team von Benno Zogg arbeitet und zu Atomwaffenkontrolle und Non-Proliferation forscht und publiziert. Seit dem Ukraine-Krieg ist auch ihre Expertise bei Schweizer Medien gefragt. Ob Schepers oder Zogg: Die neue Generation von Sicherheitsexpert:innen tritt selbstbewusst auf und steht nicht im Schatten ihrer lange präsenten Vorgänger.