Die Schweiz und ihre doch nicht so freien Medien
Ob UNO oder Verlegerverband, Recherche-Lobby oder Gewerkschaft: Sie alle weisen zum Tag der Pressefreiheit auf medienfeindliche Gesetzesbestimmungen in der Schweiz hin und fordern die Politik auf, diese zu ändern.
Die Schweiz verliert auf der Rangliste der Pressefreiheit («Press Freedom Index») weiter an Terrain. Schon Rang 10 im letzten Jahr war kein Ruhmesblatt. Und nun Platz 14. Wobei diese Zahl mit Vorsicht zu geniessen ist. Zum einen weisen «Reporter ohne Grenzen», die seit 20 Jahren die Rangliste erstellen, auf einen Methodenwechsel hin. So sei jener Indikator, der die Medienvielfalt messe, stärker gewichtet worden. Darum sollte dieser Absturz «nicht überinterpretiert werden». Zum anderen lag die Schweiz 2015 auf Rang 20 der Liste mit 180 untersuchten Ländern. Für diese bisher schlechteste Platzierung sorgten damals zwei Gerichtsentscheide: Der eine verhängte eine vorsorgliche Massnahme gegen das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS, das zwei Reportagen über einen Weinhändler nicht ausstrahlen durfte. Im anderen ging es um den Quellenschutz. Eine Reporterin der «Basler Zeitung» sollte per Gerichtsentscheid die Identität eines von ihr porträtierten Drogenhändlers preisgeben.
Für die negative Entwicklung in der Schweiz nennt «Reporter ohne Grenzen» drei sehr unterschiedliche Gründe.
Während die genaue Platzierung im «Press Freedom Index» wenig aussagt, zählt die aktuelle Momentaufnahme umso mehr: Um die Pressefreiheit stand es auch schon besser in der Schweiz. Gemäss «Reporter ohne Grenzen» gilt die Lage der Pressefreiheit hierzulande nur noch als «eher gut», respektive «zufriedenstellend».
Für die negative Entwicklung in der Schweiz nennt die Organisation drei sehr unterschiedliche Gründe. Da wäre erstens die stetige Abnahme der Titelvielfalt insbesondere bei den Regionalmedien – und nach der Ablehnung des Medienpakets die fehlenden Instrumente, um diesen Trend aufzuhalten. Als zweiten Aspekt nennt «Reporter ohne Grenzen» gewisse gesetzliche Bestimmungen, die eine Berichterstattung zu knebeln vermögen. Konkret geht es um eine geplante Anpassung der Zivilprozessordnung, die es erleichtern würde, mit vorsorglichen Massnahmen missliebige Medienberichte am Erscheinen zu hindern. Weiter fällt ein bestehender Artikel aus dem Bankengesetz ins Gewicht, der besagt, dass mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann, wer Bankdaten weitergibt. Aufgrund dieser Bestimmung beteiligte sich die Tamedia-Redaktion nicht an den international koordinierten Recherchen zu den sogenannten «Suisse Secrets». Als dritten Grund für das schlechtere Abschneiden der Schweiz im «Press Freedom Index» nennt «Reporter ohne Grenzen» schliesslich die Übergriffe auf Medienschaffende während der Corona-Pandemie.
In der Schweiz bewegt sich die Lage der Pressefreiheit, gemessen an den Platzierungen im «Press Freedom Index», auf hohem Niveau auf und ab.
Die Diagnose, dass es um die Pressefreiheit in der Schweiz nicht zum Besten steht, kommt dieser Tage nicht nur von «Reporter ohne Grenzen». Auch die UNO-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit äussert sich besorgt. Die Kritik von Irene Khan, die sie in einem Schreiben an den Bundesrat formuliert hat, betrifft das Bankengesetz. Im Interview mit den Tamedia-Zeitungen hält sie fest, dass Artikel 47, der die Weitergabe von Bankdaten unter Strafe stellt, gegen internationales Recht verstosse. Ausserdem habe die Bestimmung «eine abschreckende Wirkung und veranlasst Journalisten zur Selbstzensur». In einer Antwort auf das Schreiben Khans verweist der Chef der Schweizer Mission bei der UNO in Genf darauf, dass aufgrund des kritisierten Artikels seit dessen Inkrafttreten 2015 keine Medienschaffenden verurteilt wurden. Weiter erwähnt der Botschafter, die zuständige Nationalratskommission habe angekündigt, noch in diesem Jahr die Auswirkungen der umstrittenen Bestimmung auf den Journalismus diskutieren und evaluieren zu wollen.
Mehrere Branchenorganisationen, vom Verlegerverband über Mediengewerkschaften bis zur Recherchelobby investigativ.ch nehmen den heutigen Tag der Pressefreiheit zum Anlass, um ihr Unbehagen über die aktuelle Situation zu äussern. Sie verlangen von der Politik, die Gesetzgebung medienfreundlicher zu gestalten.
In Norwegen, Spitzenreiter im «Press Freedom Index» seit sechs Jahren, herrscht generell ein medienfreundliches Klima.
Während sich hierzulande die Lage der Pressefreiheit, gemessen an den Platzierungen im «Press Freedom Index», auf hohem Niveau auf und ab bewegt (2010 stand die Schweiz sogar auf Platz 1 (ex aequo mit fünf anderen Ländern)), halten sich Norwegen, Dänemark und Schweden seit Jahren konstant an der Spitze. Obwohl sich die Schweiz und die skandinavischen Länder sonst in vielem gleichen, gibt es im Medienbereich ein paar Unterschiede, welche die Differenzen in der Rangliste der Pressefreiheit erklären könnten. Ein Faktor ist etwa die Medienförderung, die im Norden zu einer vielfältigen Presselandschaft beiträgt (in Dänemark mit weniger als sechs Millionen Einwohner:innen gibt es acht nationale Tageszeitungen). Zu stabilen Verhältnissen trägt auch die starke Stellung des öffentlichen Rundfunks bei, der nicht wie in der Schweiz abgeschafft werden soll oder von substanzieller Schwächung bedroht ist.
In Norwegen, Spitzenreiter seit sechs Jahren, herrscht zudem generell ein medienfreundliches Klima. Das lasse sich etwa daran festmachen, schreibt «Reporter ohne Grenzen», dass Politiker:innen im Grossen und Ganzen darauf verzichteten, unvorteilhafte Berichterstattung als «Fake News» zu bezeichnen und deren Autor:innen zu verunglimpfen, wie man das in der Schweiz seit ein paar Jahren beobachten kann.