von Eva Hirschi

Geld für die Vielfalt: Romandie setzt auf kantonale Medienförderung

Nahezu alle Westschweizer Kantone haben Massnahmen zur Medienförderungen ergriffen oder aufgegleist. Jetzt stellt sich die Frage: Braucht es eine kantonsübergreifende Koordination? Betroffene und Fachleute sind sich nicht einig.

Mit insgesamt 6,2 Millionen Franken will der Kanton Waadt in den nächsten fünf Jahren die Medien unterstützen. Damit ist der grösste Westschweizer Kanton ein Vorreiter in Sachen kantonale Medienförderung. Nach dem Nein zum Medienpaket suchen nun vermehrt Kantone nach Fördermöglichkeiten. Dass Medien staatliche Hilfe brauchen, ist in der Romandie weitgehend unbestritten. Überhaupt scheinen hierzu die Sensibilitäten grösser zu sein als in der Deutschschweiz. So haben alle Westschweizer Kantone (mit Ausnahme des Wallis) das Eidgenössische Medienpaket angenommen.

Indirekte Fördermassnahmen wie etwa durch den Kauf von Inseraten oder mittels vergünstigter oder kostenloser Zeitungsabos für Jugendliche gehören zu den meistdiskutierten Förderformen. Der Kanton Waadt hat sie bereits umgesetzt. Auch von kantonalen Stiftungen für die Verteilung von Geldern an Medien ist die Rede. Die Krux: Die Kantonsgrenzen entsprechen nicht unbedingt den Einzugsgebieten der Medien. So wird die Freiburger Tageszeitung «La Liberté» auch im waadtländischen Payerne gelesen, die Genfer Zeitung «Le Temps» auch im Rest der Westschweiz. Es drängt sich also die Frage auf: Braucht es allenfalls ein Medienpaket für die gesamte Romandie?

«Cinéforom hat sich bewährt, warum also nicht ein analoges Modell für den Journalismus?»
Frédéric Gonseth, Journalist und Filmemacher

Erfahrung mit einer überregionalen Förderung hat die Westschweiz im Filmbereich. Die Stiftung Cinéforom (Fondation romande pour le cinéma) haben 2011 die Kantone Genf, Waadt, Wallis, Freiburg, Neuenburg und Jura sowie die Städte Genf und Lausanne gemeinsam gegründet. Das jährliche Budget von rund 10 Millionen Franken finanzieren zu zwei Dritteln die öffentliche Hand und zu einem Drittel die Loterie Romande. Ein Teil dieser Gelder fliesst direkt in Filmprojekte. Über deren Verwendung entscheiden Kommissionen bestehend aus Fachleuten (und ohne die Geldgeber). So bleibt diese Form der Filmförderung trotz Kantonsgeldern unabhängig.

Wäre die Westschweizer Filmförderung ein mögliches Vorbild für die Medienförderung? Ja, findet Frédéric Gonseth. Der Journalist und Filmemacher hat Cinéforom ins Leben gerufen und engagiert sich auch im Medienbereich. So hat Gonseth etwa den Verein «Médias pour tous» (Medien für alle) gegründet und ist in verschiedenen Vereinen für die Förderung von Medien aktiv.

«Cinéforom hat sich bewährt, warum also nicht ein analoges Modell für den Journalismus?», sagt er auf Anfrage der MEDIENWOCHE. So könnten Gelder vom Kanton und allenfalls von Gemeinden in eine unabhängige Stiftung fliessen und so verteilt werden. «Damit besteht auch kein Risiko der Einflussnahme auf die Medien.»

Der Bericht «Aider la presse» stellt fünf Mechanismen vor, die bereits in der einen oder anderen Form bestehen, und die ausgebaut werden könnten.

Mit möglichen Fördermodellen hat sich Gilles Labarthe, Journalist und Medienforscher, im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie auseinandergesetzt. Zusammen mit Denis Gay und Daniel Beck der Universität Freiburg ist er im Auftrag des Vereins «Association Nouvelle Presse» der Frage nachgegangen, welche Mechanismen notwendig sind, um Medien in der Romandie zu unterstützen.

«Wir haben zuerst eine Bestandsaufnahme gemacht und realisiert: Im europäischen Vergleich hinkt die Schweiz hinterher, teilweise mit einer Verspätung von bis zu 20 Jahren. In zahlreichen Ländern – von Skandinavien bis zu den Nachbarländern – sind staatliche Medienförderungen bereits seit Jahren Teil der Finanzierung von Journalismus», sagt Labarthe im Gespräch mit der MEDIENWOCHE.

Mittels Gesprächen und Fragebögen hat das Forscherteam mit über 70 Expertinnen, Journalisten und anderen Medienakteuren über bereits bestehende oder schnell umsetzbare Mechanismen gesprochen, um deren Potential zu evaluieren. Der Bericht «Aider la presse», erschienen im Juni 2021, stellt insbesondere fünf Mechanismen vor, die bereits in der einen oder anderen Form bestehen, und die ausgebaut werden könnten:

• Recherche: Schaffung eines neuen Fonds oder Nutzung von Synergien bestehender Fonds (wie Recherche-Fonds von investigativ.ch oder JournaFONDS)
Ausbildung: Förderung der Medienausbildung (wie im Kanton Waadt)
Zugang: Online-Kiosk für verschiedene Medientitel (wie My Press in Genf, das jedoch nicht umgesetzt wurde) oder vergünstigter Zugang zu Medien für Jugendliche (wie in einigen Waadtländer und Genfer Gemeinden sowie neu im Kanton Waadt)
Neue Projekte: punktuelle Unterstützung neuer digitaler Medien (wie der Aufbau von «Heidi.news» oder der Kauf von «Le Temps» / «Heidi.news» durch die Stiftung Aventinus)
Infrastruktur: gemeinsam nutzbare digitale Tools für Publikation und Distribution etc. (Apps, Websites) über die Grenzen von Redaktionen und Verlagen hinweg (wie We.Publish oder Polaris)

Die Schlussfolgerung von Gilles Labarthe: «Es gibt Massnahmen, die man bereits umsetzen kann oder bereits umgesetzt werden. Längerfristig könnte eine kantonsübergreifende Koordination von Vorteil sein; zurzeit geht es aber mehr um das Experimentieren. Schliesslich ist die Situation nicht in allen Kantonen dieselbe, deshalb ist es so schwierig, eine Einigung zu finden.»

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Eine Möglichkeit, die in den meisten Kantonen diskutiert wird und die auch gemäss der Studie viel Potenzial hat: eine Stiftung zur Verteilung der öffentlichen Gelder. «Noch stellt die Definition der Kriterien das grösste Hindernis dar», sagt Labarthe. In Genf scheiterte ein Versuch schliesslich an der Umsetzung: Das Kantonsparlament versenkte 2021 den Vorschlag, weil die Förderkriterien viel zu komplex und restriktiv waren. «Schlussendlich hätte wohl nur die Tageszeitung ‹Le Courrier› von Geldern profitieren können. Da hat man am Ziel vorbeigeschossen», sagt Labarthe.

Ganz neu ist das Stiftungsmodell in der Romandie nicht: 2019 wurde in Genf die Stiftung Aventinus gegründet, die zum Ziel hat, den Qualitätsjournalismus zu fördern.

«So schwierig wäre es aber nicht», so Labarthe weiter. Einfachere Kriterien zur Definition förderungswürdigen Medien gäbe es durchaus, haben die Forscher bei der Analyse von 12 Ländern der OECD herausgefunden – Länder, die sogar direkte Presseförderung betreiben, indem sie Gelder für die Berichterstattung bereitstellen. Demnach werden Inhalte gefördert, die von allgemeinem Interesse sind und überwiegend selbst produziert und regelmässig aktualisiert werden, von Medien mit einer Mindestauflage und einer bestimmten Anzahl festangestellter Journalisten, die berufsethische Normen einhalten und den Presserat respektieren. «So ein Modell könnte in der Schweiz auch funktionieren», ist Labarthe überzeugt. Die Mehrheit der für die Studie befragten Schweizer Personen zeigten sich der Idee einer Stiftung gegenüber wohlgesinnt.

Ganz neu ist das Stiftungsmodell in der Romandie nicht: 2019 wurde in Genf die Stiftung Aventinus gegründet, die zum Ziel hat, den Qualitätsjournalismus zu fördern. Aufmerksamkeit erhielt Aventinus vor allem mit der Übernahme der Tageszeitung «Le Temps» im Jahr 2020. Doch auch andere Medienprojekte hat die Stiftung unterstützt – etwa insbesondere die Startphase von «Heidi.news». Aventinus hat ihr Kapital von verschiedenen Westschweizer Stiftungen und Mäzenen, unter anderem von der Hans-Wilsdorf-Stiftung, der die Uhrenmarke Rolex gehört.

Anne-Catherine Lyon, Mitglied des Stiftungsrats, zieht eine positive Bilanz der bisher finanzierten Projekte von Aventinus. Zahlen kommuniziert die Stiftung zwar keine, aber es hätten sehr unterschiedliche Projekte unterstützt werden können, sagt Lyon. Könnte also Aventinus die Rolle einer Dachstiftung für die Medienförderung in der Romandie übernehmen?

Nein, sagt Lyon: «Unsere Statuten schreiben vor, dass wir nur in den Kantonen Genf und Waadt den Journalismus unterstützen dürfen.» Mit Blick auf die Förderung durch Cinéforom findet sie die Idee einer neuen Stiftung für die gesamte Romandie jedoch durchaus interessant: «Ich bin überzeugt: Einigkeit macht stark.»

Doch es gibt auch Vorbehalte. Serge Gumy, Verleger der St.-Paul-Gruppe in Freiburg (zu der die Zeitungen «La Liberté», «La Gruyère», «La Broye Hebdo» und «Le Messager» gehören), findet: «Die Debatte rund um die Medienförderung ist nicht in allen Kantonen gleich weit. Zuerst braucht es eine Lösung auf kantonaler Ebene, bevor man sich mit einem Modell für die ganze Westschweiz befassen kann.»

«Doch auch eine rein kantonale Lösung wird nicht reichen, um die Medien zu retten.»
Serge Gumy, Verleger Freiburg

Tatsächlich ist noch nicht klar, ob und wie die Kantone ihre Pläne umsetzen werden. Erst im Kanton Waadt ist die Medienförderung beschlossene Sache. Auch dürfte die Unterstützung für die Medien in den anderen finanziell schwächeren Kantonen bedeutend tiefer ausfallen.

Verleger Gumy befürchtet, dass es eine überregionale Lösung schwer hätte: «Die Kantone möchten ihre jeweiligen Regional- und Lokalmedien fördern – und nicht ein gemeinsames Kulturgut auf Ebene der gesamten Romandie.» Die eingestellten «Le Matin» und «L’Hebdo» seien Medien gewesen, die als Kitt für die ganze Romandie funktioniert hätten. Heute sei die Westschweizer Medienlandschaft viel mehr zerstückelt, die Interessen stärker regional geprägt. «Doch auch eine rein kantonale Lösung wird nicht reichen, um die Medien zu retten. Es braucht weitere Finanzierungsquellen», sagt Gumy. Womit er auch den – vorerst gescheiterten – Ausbau der Fördermassnahmen auf Bundesebene meinen dürfte.

Leserbeiträge

Schütz Christoph 05. Mai 2022, 23:59

Der Vorschlag, die öffentlichen Gelder via unabhängige Stiftung zu verteilen und aufgrund von qualitativen Kriterien primär in die Recherche, die Ausbildung und einen vergünstigten Konsum fliessen zu lassen, ist meiner Meinung nach genau jenes Modell, das nicht nur in der Westschweiz sondern gesamtschweizerisch angepeilt werden sollte. Vorausgesetzt man will tatsächlich, unabhängige, behördenkritische und damit demokratieförderne Informationsmedien. Wenn der Verleger Gumy der La Liberté meint, „die Kantone möchten ihre jeweiligen Regional- und Lokalmedien fördern“ hat er in Bezug auf den Kanton Freiburg (leider) Recht, nur hat das wenig mit einem von ihm ins Feld geführten „gemeinsamen Kulturgut“ zu tun. Die beiden Tageszeitungen „La Liberté“ und „Freiburger Nachrichten“ die ich seit einem Vierteljahrhundert lese, fühlen sich leider primär den Behörden verpflichtet, sie sind – etwas überspitzt formuliert – das Gegenmodell eines „Wachhundes der Demokratie“. Der ehemalige CVP-Staatsrat Beat Vonlanthen hat es an einer Generalversammlung der Freiburger Nachrichten einmal unmissverständlich ausgedrückt: die Medien seien dazu da, die Bevölkerung für die Anliegen der Behörden zu sensibiliseren. Das (bisherige) Freiburger Modell der Medienförderung lautet: Mit Kantonsgeldern, grosszügigen Inseraten und regelmässigen Mittagessen mit JournalstInnen sich die Lokalmedien als verlängerten Arm der Einflussnahme sichern. Es ist verständlich, dass Verleger Gumy mit Skepsis auf ein Fördermodell äugt, das für ihn und seine „Hintermannschaft“ in einem Kontrollverlust resultieren würde. Medienförderung braucht es dringend, dem Zerfall an journalistischer Qualität und dem Verlust an Vielfalt muss endlich Einhalt geboten werden. Medienförderung muss jedoch Demokratieförderung sein. Steuergelder sollen nicht zum Steuern von Meinungen missbraucht werden dürfen.