von Marko Ković

Amber Heard, Johnny Depp und das mediale Halbwissen

Amber Heard ist eine hinterlistige Psycho-Bitch, die den unschuldigen Johnny Depp ruinieren will: Diesen Eindruck konnte gewinnen, wer den Prozess der beiden Hollywood-Stars auf Social Media verfolgte. In abgeschwächter Form fand dieses Deutungsmuster auch Einzug in die journalistische Berichterstattung.

Wir geben es vielleicht nicht gerne zu, aber es gibt kaum etwas Packenderes als einen richtig dramatischen Rosenkrieg. Wenn private, intime Konflikte öffentlich ausgefochten werden, springen unsere voyeuristischen Instinkte an. Vor allem, wenn die Protagonist*innen zu den Schönen und Reichen gehören. Wie zum Beispiel bei dem spektakulären Verleumdungsprozess der Hollywood-Stars Johnny Depp und Amber Heard.

Amber Heard veröffentlichte 2018 einen Gastbeitrag in der «Washington Post», in dem sie sich als Opfer häuslicher Gewalt zu verstehen gibt (ohne Depp namentlich zu nennen). Depp verklagte Heard auf Verleumdung. Nach über sechs Wochen des Prozessierens entschied die Jury Anfang Juni, dass Heard sich der Verleumdung schuldig gemacht habe. In Heards Gegenklage wurde Depp wegen Aussagen seines ehemaligen Anwalts seinerseits auch in einem Punkt der Verleumdung schuldig gesprochen.

In vielen Online–Kommentaren hiess es, dass das Urteil ein Wendepunkt für die MeToo-Bewegung sei: Man dürfe Frauen nicht pauschal Glauben schenken.

Die Meinungen ausserhalb des Gerichtssaals waren aber schon lange vor der Urteilsverkündung gemacht. Unter Hashtags wie «AmberHeardIsALiar» haben Millionen von Menschen auf Social Media ihren Unmut über die angeblich psychisch labile Lügnerin Amber Heard kundgetan. Sie spiele sich als Opfer auf, aber in Tat und Wahrheit habe nicht Depp sie, sondern umgekehrt sie Depp misshandelt. In vielen Online–Kommentaren hiess es zudem, dass das Urteil ein Wendepunkt für die MeToo-Bewegung sei: Man dürfe Frauen nicht pauschal Glauben schenken. Diese Sicht der Dinge floss teilweise auch in die journalistische Berichterstattung ein. Etwa in der «Weltwoche», wo die Schriftstellerin Cora Stephan das Gerichtsurteil als «Abschied von #MeToo» und dem damit verbundenen «feministischen Opferkult» deutet.

Der «Weltwoche»-Artikel war nicht der einzige unvollständige Blick auf den Gerichtsprozess. Michèle Binswanger vom «Tages-Anzeiger» bemerkte im Mai, dass Heard ihre angeblichen Misshandlungen viel zu wenig gut fotografisch dokumentiert habe. Als ob es für Menschen, die Opfer körperlicher Gewalt werden, Routine sei, ihre Misshandlungen minutiös fotografisch zu dokumentieren. Im gleichen Text erklärt Binswanger weiter, es sei «auffällig», dass Heard im Gerichtssaal zwar «weinte und schluchzte, aber keine Tränen vergoss» – ein Vorwurf, der suggerieren soll, Heard spiele nur etwas vor.

Lara Knuchel griff bei «Watson» die Vorwürfe von Depps Anwaltsteam auf, Amber Heard leide an Persönlichkeitsstörungen. Im Artikel «An diesen Persönlichkeitsstörungen soll Amber Heard leiden – wir erklären sie dir» werden die Krankheitsbilder ausführlich beschrieben, was unweigerlich den Eindruck erweckt, Heard leide tatsächlich an besagten Krankheiten. Dass die Psychologin, die diesbezüglich zugunsten Depps aussagte, Geld damit verdient, bei Gerichtsverfahren für die höchstbietende Seite günstige, klinisch fragwürdige Diagnosen zu erstellen, um damit die Geschworenen zu beeinflussen, wird im Artikel nicht erwähnt.

Das Fehlen von Informationen wird zu einer pseudo-skandalösen, verschwörungstheoretisch aufgeladenen Geschichte aufgebauscht.

Nach der Urteilsverkündung fragte sich Aline Klötzli bei «Nau», wer während des Gerichtsprozesses auf Heards einjährige Tochter aufgepasst habe. Heard habe sich während des Prozesses «eine teure Hütte mit Kino, Gym und Spa» gegönnt, aber es sei unklar, ob auch ihre Tochter dabei war. Obwohl – oder gerade weil – jegliche Informationen fehlen, entsteht so eine pseudo-skandalöse, verschwörungstheoretisch aufgeladene Geschichte, die Heard in ein schlechtes Licht rückt.

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Auch die Gestaltung von Überschriften und Bildern in der Berichterstattung hatte stellenweise einen latent Heard-kritischen Einschlag. In einem Artikel (ohne Autorenzeile) von 20min.ch beispielsweise steht in der Überschrift «Amber Heard gibt zu, Johnny Depp geschlagen zu haben». In viel kleinerer Schrift ist ergänzt: «Nicht als Erste» – im Artikel wird erwähnt, dass Heard bestreitet, jemals die erste gewesen zu sein, die zuschlug. In Kombination mit einer Fotografie, in der Heard in einer Momentaufnahme das Gesicht zornig zu verzerren scheint, entsteht der Eindruck, Heard sei die Täterin.

Die diametral unterschiedlichen Urteile von 2020 und heute hätten journalistisch zu reden geben müssen.

Die Anti-Heard-Stimmungslage schlug sich stellenweise also in der journalistischen Berichterstattung nieder, und zwar auf Kosten wichtiger Kontextinformationen. Zum Beispiel wurde nur spärlich diskutiert, dass Depp 2020 mit einer ähnlichen Klage im Vereinigten Königreich scheiterte. Der Richter entschied damals, dass zwölf Fälle, in denen Depp Heard misshandelt haben soll, erwiesen seien. Die diametral unterschiedlichen Urteile hätten journalistisch zu reden geben müssen. Hintergründe und kritische Analysen zu diesem Sachverhalt wären wertvoller gewesen als regelmässige oberflächliche Updates zum laufenden Verfahren in Live-Ticker-Manier.

Je mehr wir Social Media als Informationsquelle nutzen, desto weniger wissen wir tatsächlich über die Dinge, über die wir uns zu informieren glauben.

Die Dynamik der Meinungsbildung zur Heard-Depp-Schlammschlacht ist auch jenseits dieses einen Falles von Bedeutung. Zum einen fand online eine Stimmungsmache gegen Amber Heard statt, die nicht nur faktenfrei war, sondern teilweise fanatisch-hasserfüllte Züge annahm. Das hat nicht zuletzt mit dem Umgang mit Informationsquellen zu tun. Immer mehr Menschen beziehen ihre Nachrichten oder Informationen über das Weltgeschehen von Social Media. Das Problem dabei: Je mehr wir Social Media als Informationsquelle nutzen, desto weniger wissen wir tatsächlich über die Dinge, über die wir uns zu informieren glauben. Beste Bedingung, um schnell sehr starke Meinungen zu fassen, ohne sich differenziert mit der Situation auseinanderzusetzen.

Andererseits fanden sich die vorschnellen Deutungsmuster aus der überhitzten Online-Debatte zur Heard-Depp-Situation in leicht abgeschwächter Form in journalistischer Berichterstattung wieder. Teilweise geschah das subtil, teilweise recht explizit.

In der Kombination ergeben diese zwei Komponenten eine Art Kreislauf des Halbwissens. Sehr starke Meinungen werden gebildet und in einem rekursiven, auf sich selbst Bezug nehmenden Prozess verstärkt – weil alle etwas glauben, glaube ich es auch. Die zugrundeliegenden Fakten werden nur am Rande beachtet. In der Summe entsteht damit Schaden, der grösser ist als die Einzelteile des Kreislaufs. Im Fall von Heard und Depp besteht der Schaden vielleicht vor allem in der indirekten Verbreitung des Mythos des «perfekten Opfers». Wer nicht genug Tränen vergiesst, wer Missbrauch nicht lückenlos audiovisuell dokumentiert, wer Spuren des Missbrauchs wie blaue Flecken und Schwellungen nicht öffentlich zur Schau stellt, wer nach dem ersten Missbrauchsfall die Partnerin oder den Partner nicht verlässt, aber auch, wer irgendwann entscheidet, Missbrauch nicht mehr einfach hinzunehmen und sich wehrt, ist kein «richtiges» Opfer. Eine komplett realitätsferne Sichtweise, die fast alle Opfer häuslicher Gewalt – egal, ob Männer oder Frauen – regelrecht verhöhnt.

Update: In einer früheren Version stand geschrieben, die Psychologin habe eine Ferndiagnose gestellt. Das stimmt nicht. Sie hat 12 Stunden mit Heard verbracht.

Leserbeiträge

Sara Blaser 17. Juni 2022, 10:53

Sehr gute Analyse! Ich habe die Berichterstattung zu diesem Fall bewusst ignoriert, dieser Artikel hat mich aber neugierig gemacht und ich wurde nicht enttäuscht. Möglicherweise der einzige sinnvolle Artikel zu diesem Fall.

Believe all REAL victims 19. Juni 2022, 17:05

Was für eine gequirlte Scheiße. Sag der Welt, dass du den Prozess nicht gesehen hast, ohne zu sagen, dass du den Prozess nicht gesehen hast.

Amber Heard verstrickt sich immer wieder in ihren eigenen Lügen (in Interviews sowie im Zeugenstand): im Zeugenstand: *das Op-Ed hab ich über Johnny geschrieben*, im Interview: *das Op-Ed hab ich nicht über Johnny geschrieben*. Bei so vielen Lügen, Halbwahrheiten, Übertreibungenn kann niemand den Überblick behalten und sie selbst offensichtlich auch nicht.

Beide Parteien, Depp UND Heard, haben Psychologen und anderen Experten bezahlt, damit sie ihre Expertenmeinung im Gerichtssaal vorlegen. Daran ist nicht Schmieriges dran (und gang und gäbe in Gerichtssälen), es denn man unterstellt den Experten, dass sie für Geld Diagnosen erfinden.

Guckt euch den Prozess an und dann erzählt mir nochmal, dass die Berichterstattung unfair gegenüber Heard gewesen wäre. Einfach unglaublich, dass eine Gewalttäterin (sie hat nicht nur Depp geschlagen und psychisch drangsaliert, sondern auch andere Ex-Partner*innen) in den Medien immer wieder verteidigt wird. Da ich selber Feministin und ein Opfer von häuslicher Gewalt bin (24 Jahre lang!) macht es mich krank, dass Schundartikel eine Täterin in Schutz nehmen und den Sachverhalt komplett falsch darstellen (ironisch bei dem Artikeltitel). Nur mal ein Beispiel: Dass Heard keine Bilder ihrer angeblich erlittenen Misshandlungen vorlegen konnte, war eben NICHT das Problem, sondern, dass sie von unglaublich gewaltsamen Übergriffen seitens Herrn Depp berichtete, aber Fotos, die am darauffolgenden Tag gemacht wurden, keinerlei Verletzungen aufzeigten. Der Mann soll ihr mit dicken Goldringen an den Fingern das Gesicht eingeschlagen und die Nase gebrochen haben und am nächsten Tag zeigt sie sich mit perfektem Teint, kein Kratzer in Close-ups, in einer Talkshow. Oder was ist mit den 7 Millionen, die sie nicht haben wollte, weil sie ja kein Goldgräber sei (HEard in einem Interview in den Niederlanden), die sie laut eigener Aussage gespendet hat. Im Prozess hat sich das ebenfalls als Lüge herausgestellt. Wie oft lügt die Frau, ohne mit der Wimper zu zucken???

Ich hab fast den ganzen Prozess mitverfolgt (Gott-sei-Dank war der Prozess öffentlich, sodass man sich selbst ein Bild machen konnte und sich nicht auf Lügenartikel stützen muss) und Frau Heard ist immer wieder beim Lügen, Übertreiben und Manipulieren erwischt worden. Es tut mir leid, dass es männliche Opfer schwer haben, Glauben geschenkt zu bekommen und es tut mir leid, dass Frau Heard es weiblichen Opfern schwerer gemacht hat, Ernst genommen zu werden. Viele glauben der Presse nicht mehr, weil die Berichterstattung nicht das wiedergibt, was sie selber im Prozess gehört und gesehen haben. Wie man es dreht und wendet, hat sie es für alle (inklusive sich selber) vermasselt.

MeToo ist eine wichtige Bewegung, aber believe-all-women war schon immer ein unglücklich gewählter, weil schwammiger Slogan, den man immer nochmal erklären musste. Nein, es heiß eben nicht, dass man allen Frauen ohne Beweis glauben sollte, sondern, dass man alle Frauen ernst nehmen sollte, wenn sie von Misshandlungen berichten. Wenn aber die Beweislage aufzeigt, dass eine Frau (oder auch eine Mann) falsche Beschuldigungen vorbringt, d.h. Lügen erzählen, wie es Frau Heard getan hat, dann muss man das nicht blind glauben. Frau Heard hat immer wieder versucht, ihre Celebrity-Ehe größeren Narrativen anzuschließen, nämlich MeToo, Meinungsfreiheit und sogar BLM. So wichtig ist dieser Prozess einer gescheiterten Ehe aber gar nicht und ich hoffe, dass jemand mal Frau Heard verklickert, dass man sich nicht selbst zu einer Galionsfigur einer Bewegung ernennen kann, das entscheiden nämlich andere. Für mich spricht diese Frau jedenfalls nicht. Believe all real victims!