von Nick Lüthi

Medienjobs: Viele offene Stellen, nur wenige bewerben sich

Für Medienunternehmen wird es zunehmend schwieriger, das passende Personal zu finden. Im Wettbewerb um die guten Leute versuchen die Verlage mit attraktiven Leistungen und Zusatzleistungen zu punkten. Wie die schweizerischen Medien auf den Fachkräftemangel reagieren.

Wie sich der Arbeits- und Personalmarkt entwickelt, beschäftigt Corinne Päper beruflich seit zehn Jahren. Als Chefredaktorin des Fachmagazins «HR Today» schrieb sie in letzter Zeit über Frauen im Verwaltungsrat, die Rekrutierung von Tech-Talenten und unterschätzte Personalkrisen.

Als unterschätzte Personalkrise erweist sich auch der Fachkräftemangel in der Medienbranche. Diese Entwicklung hat Päper jüngst selbst gespürt, als sie eine Stelle als «Onlineredakteur/Onlineredakteurin (80–100%)» für HR Today besetzen wollte. «Ich war schon etwas perplex», sagt die Chefredaktorin. Es sei das erste Mal gewesen, dass sie für eine offene Stelle so wenige Bewerbungen erhalten habe. Das Inserat für die Stelle musste sie zwei Mal schalten auf der Stellenplattform medienjobs.ch, um dann doch noch jemanden zu finden.

Corinne Päper ist nicht alleine mit dieser Erfahrung. Quer durch die Branche hört man das Gleiche. Schon länger harzt es etwa mit der Besetzung offener Stellen für die Wirtschaftsressorts. Inzwischen ist es insgesamt anspruchsvoller geworden, passende Leute zu finden. Der Rücklauf an Bewerbungen kommt nur noch als spärliches Rinnsal daher – oder versiegt gar gänzlich. Mit den neuen informatiknahen Stellenprofilen in den Redaktionen für die digitalen Angebote stehen die Medien zudem in direkter Konkurrenz zur IT-Branche, wo schon seit Jahren ein Fachkräftemangel besteht.

Bis ins dritte Quartal 2021 wies der Stellenmarkt-Monitor Schweiz der Universität Zürich noch ein deutliches Fachkräfteüberangebot für den Bereich «Medienschaffende und verwandte Berufe» aus. Doch seither nimmt die Zahl der offenen Stellen zu und schon seit Anfang 2021 geht die Zahl der Stellensuchenden zurück. Das zeigen noch unveröffentlichte Auswertungen des Stellenmarkt-Monitors. Den Befund kann auch Thomas Paszti bestätigen. Er betriebt mit seinem Verlag (der auch die MEDIENWOCHE herausgibt) die Stellenplattform medienjobs.ch. «Ich beobachte vermehrt, dass Verlage Redaktionsstellen zwei Mal ausschreiben», sagt Paszti. Seit Mitte 2021 registriere er zudem einen starken Anstieg an neu ausgeschriebenen Stellen. Der Tenor in der Branche: Aktuell können wir die Situation noch bewältigen, aber die Lage dürfte sich weiter zuspitzen.

Die Generation «Irgendwas mit Medien» hat abgedankt. Junge drängen nicht mehr automatisch in die Redaktionen.

Der Fachkräftemangel kam auch an einem Abend Mitte Juni im Seminarzentrum Hitzkirch zur Sprache, als sich das Aktionariat der SWS Medien AG versammelt hatte. Für die Herausgeberin der Regionalzeitungen «Willisauer Bote» und «Seetaler Bote» wird die Personalsituation herausfordernder. Neben der Digitalisierung und dem Gewinnen einer jungen Leserschaft beschäftige nun auch der Fachkräftemangel das Unternehmen, referierte Stefan Calivers an der Generalversammlung. Der publizistische Leiter und Chefredaktor des «Willisauer Boten» betonte, wie schwierig es inzwischen geworden sei, journalistischen Nachwuchs zu rekrutieren. «Es sind aber auch die gestanden Berufsleute, die wir nicht mehr so leicht finden», präzisiert Calivers ein paar Tage später im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. «Für die Zukunft bin ich schon etwas besorgt.» Auch deshalb, weil ein kleines Medienhaus kein umfassendes Gesamtpaket mit reihenweise Zusatzleistungen zur eigentlichen Anstellung bieten könne. «Da sind wir immer im Nachteil gegenüber den Grossen.»

Die Situation erweist sich als knifflig: Schon länger verlassen erfahrene Journalistinnen und Journalisten den Beruf. Zwischen 40 und 50 orientieren sich viele beruflich noch einmal neu und wechseln nach zwanzig, dreissig Jahren im Geschäft das Metier. Neu kommt dazu, dass der Nachwuchs nicht mehr einfach so nachrückt. Die Generation «Irgendwas mit Medien» hat abgedankt. Junge drängen nicht mehr automatisch in die Redaktionen. Verstärkt wird die Entwicklung durch das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben der geburtenstarken Jahrgänge der «Baby Boomer».

Generell müssen die Unternehmen Hürden abbauen und niederschwelligere Zugänge in den Auswahl- und Anstellungsprozess bieten.

Die Verlage sind nun in einem Bereich gefordert, der bisher nicht zu ihren Stärken zählte. Medien geht es immer um die anderen, selten um sich selbst. Nun müssen sie Werbung in eigener Sache machen, sich als attraktive Arbeitgeberinnen präsentieren und in manchem Fällen erklären, was eine Redaktion überhaupt macht und welche Job-Profile es da gibt. Das beginnt bei der Formulierung der Stellenanzeige. Als Corinne Päper mit einer ersten Ausschreibung für eine offen Online-Stelle bei HR Today keinen relevanten Rücklauf erzielte, schrieb sie das Inserat um, betonte Dinge, die sie für selbstverständlich hielt, etwa dass Home-Office möglich ist, dass es viel Gestaltungsfreiraum gibt, dass nicht nur geschrieben, sondern auch gefilmt werden kann. Das brachte den gewünschten Erfolg. «Ich fand es immer etwas peinlich, wenn Startups in ihren Stellenausschreibungen Banalitäten betonen und mit einem Früchtekorb werben», sagt Corinne Päper. Doch nun habe sie selbst gesehen, dass man mit Eigenwerbung nicht geizen sollte in diesen Zeiten. Sorgfältig und vollständig verfasste Stelleninserate sind nur eine von verschiedenen Möglichkeiten, um die Chancen zu erhöhen, passendes Personal zu finden. Generell müssen die Unternehmen Hürden abbauen und niederschwelligere Zugänge in den Auswahl- und Anstellungsprozess bieten.

«Es gibt sie schon noch, die guten Leute. Aber man muss sie suchen und sich um sie bemühen», sagt Simon Bärtschi, Chefredaktor der «Berner Zeitung» BZ und der Redaktion «Bund»/BZ im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Als Beleg nennt Bärtschi seine Erfahrungen in diesem Jahr: «Wir konnten vier offene Stellen und drei Ausbildungsplätze besetzen.» Der Aufwand dafür sei aber spürbar grösser geworden. Zum Beispiel mit dem Besuch von Schulen: Berufsschulen, Gymnasien, Universitäten. Das gehört inzwischen ins Repertoire der Werbemassnahmen von grossen und kleinen Redaktionen auf der Suche nach geeigneten Leuten. Das weiss auch Stefan Calivers, Chefredaktor vom «Willisauer Boten». Er sagt: «Für die Besetzung der Praktika-Stellen gehen wir an die Kanti und pflegen Kontakt zu den Lehrpersonen, die uns geeignete Leute empfehlen.» Wie Calivers im Kanton Luzern, steht Simon Bärtschi im Bernbiet vor Klassen. Er stelle immer wieder fest, dass die jungen Leute kaum eine Ahnung hätten, «dass es uns gibt, geschweige denn, was wir machen. Da müssen wir grosse Aufklärungsarbeit leisten». Die Erfolgschancen stünden aber nicht schlecht: «Wenn ich erst einmal erkläre, was unsere Arbeit alles beinhaltet, wie vielfältig das Berufsprofil ist, dann stosse ich bei den Jungen durchaus auf Interesse.» Im Fall von Tamedia sei sicher auch die Grösse des Unternehmens ein Vorteil. «Wir bieten Vernetzungsmöglichkeiten und Weiterbildungen, sowie berufliche Perspektiven innerhalb des Unternehmens.»

«Die Zeiten sind vorbei, in denen wir neue Mitarbeitende ausschliesslich über deren Bewerbungen bekommen.»
Malta Fazzari, Personalchefin von Ringier Axel Springer Schweiz.

Auch wenn die Rekrutierung bei der Tamedia-Redaktion in Bern bisher recht reibungslos verläuft, sieht das grosse Bild, das die Personalabteilung in der Zentrale in Zürich zeichnet, etwas trüber aus. «Derzeit sind insbesondere Stellen schwierig zu besetzen, bei denen nebst journalistischen auch überdurchschnittliche Digital-Skills gefragt sind, wie beispielsweise als Video-Journalistin», teilt Diana Krnja mit, die in der Personalabteilung von Tamedia das Talent Acquisition Center leitet. Nicht besser sieht es bei CH Media aus. «Wir haben derzeit überdurchschnittlich viele Stellen ausgeschrieben und erhalten unterdurchschnittlich viele Bewerbungen», fasst Unternehmenssprecher Stephan Heini die Lage zusammen. Eine Situation, wie sie in gleicher oder ähnlicher Form auch Ringier, NZZ und SRF kennen.

«Die Zeiten sind vorbei, in denen wir neue Mitarbeitende ausschliesslich über deren Bewerbungen bekommen. Wir müssen die Kandidaten auch direkt ansprechen», sagt Malta Fazzari, Personalchefin von Ringier Axel Springer Schweiz. Wenn die Unternehmen vermehrt von sich aus auf potenzielle Mitarbeitende zugehen, nennt sich das im Jargon des Personalwesens Active Sourcing. Und wenn man sie dann angesprochen hat, können sie das passende Angebot auswählen – oder ausschlagen, wenn es nicht ihren Vorstellungen entspricht. Eine Beobachtung, die auch Martina Fehr macht. Die Direktorin der Journalistenschule MAZ sagt: «Man wartet heute lieber, bis die Traumstelle frei wird, und nimmt nicht mehr das erstbeste Angebot, nur damit man mal drin ist in den Medien.»

Gleichzeitig sind auch die Ansprüche gestiegen. Geld spielt dabei nicht einmal die zentrale Rolle. Wichtigere Faktoren als die Höhe des Lohns sind Arbeitsklima, Arbeitszeiten oder Arbeitsweg. Gerade Jüngere würden ein stimmiges Gesamtpaket erwarten. «Im Vorstellungsgespräch hören wir zum Beispiel: Wenn ich nicht ausschliesslich im Home-Office arbeiten kann, dann ist die Stelle nichts für mich», sagt Malta Fazzari von Ringier Axel Springer Schweiz. Für sie ist klar: Nicht mehr die Unternehmen befinden sich in der stärkeren Verhandlungsposition, sondern die Stellensuchenden: «Sie sagen, was sie gerne hätten und wir können dann ja oder nein sagen.»

Die schwieriger gewordene Suche nach den besten Leuten führt zu einem Wettbewerb unter den Verlagen. Wer bietet mehr?

Genauso wichtig wie neue Leute zu finden, ist es, erfahrenes Personal zu behalten und nicht an die Konkurrenz oder an Branchen zu verlieren, die um die gleichen Leute buhlen. Das geschieht einerseits über eine faire und zeitgemässe Entschädigung (ab einem gewissen Alter spielt der Lohn eine wichtigere Rolle), Zusatzleistungen («Fringe Benefits»), berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten, sowie die allgemeine Ausgestaltung der Arbeitsumgebung. Nach Corona erwarteten die Mitarbeitenden eine grosszügige Home-Office-Regelung, weiss Malta Fazzari. Bei Ringier und Ringier Axel Springer können sie darum bis zu 60 Prozent ihres Arbeitspensums zu Hause leisten. Auch grosszügige Elternzeitregelungen und Vergünstigungen, etwa für Versicherungen, zählen bei Ringier und Ringier Axel Springer Schweiz zu den «Fringe Benefits», die offenbar die gewünschte Wirkung entfalten. Viele Neuangestellte würden das als wichtiges Argument für den Stellenentscheid nennen, weiss man bei Ringier. Auch solche, die schon länger auf einer Ringier-Redaktion arbeiten, sagen gegenüber der MEDIENWOCHE, dass das attraktive Gesamtpaket rund um die Anstellung sie bei Ringier halte.

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Die schwieriger gewordene Suche nach den besten Leuten führt zu einem Wettbewerb unter den Verlagen. Wer bietet mehr? Als Teil dieser «Aufrüstung» zugunsten der Arbeitnehmenden kann man auch eine neue Dienstleistung der NZZ Mediengruppe sehen. Das Unternehmen gab jüngst bekannt, für sein Personal eine Anlaufstelle für Fragen zur psychischen Gesundheit einzurichten. «Alle Mitarbeitenden der NZZ können sich bei Bedarf unter einer eigens eingerichteten E-Mail-Adresse anonym an ein Expertenteam von Pro Mente Sana wenden», teilte die NZZ Ende Juni mit. «Das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz hat durch die Pandemie zusätzlich an Dringlichkeit gewonnen», wird Nicole Rütsche, Leiterin HR NZZ, in einer Medienmitteilung zitiert.

SRF arbeite «kontinuierlich an attraktiven und modernen Rahmenbedingungen», teilt HR-Chef Gerhard Bayard mit. TX Group/Tamedia will «künftig noch besser nach aussen kommunizieren», dass das Unternehmen «sehr interessante Jobs» zu bieten habe. Und auch CH Media kann «aufgrund der Vielzahl an Berufsgattungen interessante interne Karrierepfade anbieten», wie die beiden Unternehmen der MEDIENWOCHE auf Anfrage mitteilen.

Der Karrierepfad beginnt mitunter im Unternehmen selbst. Wer den Nachwuchs gleich selbst ausbildet, kann jene Profile entwickeln, die das Geschäft erfordert. CH Media hat dazu eine «Academy» gegründet, Ringier setzt weiterhin auf die eigene Journalistenschule und organisiert Mediencamps für die ganz Jungen. Tamedia und SRF setzten zusammen mit weiteren Unternehmen auf die Schweizer Jugendmedienwoche YouNews.

Auch wenn sich die Verlage nun aktiv um ihr Personal bemühten und attraktivere Bedingungen schaffen müssen, liege noch einiges im Argen.

Für die Gewerkschaft Syndicom, die die Interessen der Medienschaffenden vertritt, sind das alles nur bedingt gute Nachrichten, obwohl der Fachkräftemangel die Position der Arbeitnehmenden ja eigentlich stärkt. Auch wenn sich die Verlage nun aktiv um ihr Personal bemühten und attraktivere Bedingungen schaffen müssen, liege noch einiges im Argen. Stephanie Vonarburg, Vizepräsidentin von Syndicom, nennt etwa den seit Jahren ausstehenden Teuerungsausgleich oder den fehlenden Gesamtarbeitsvertrag für Medienschaffende in der Deutschschweiz. «Die Stagnation bei den Löhnen führt zu einem Kaufkraftverlust», hält Vonarburg fest. «Kombiniert mit fehlenden Perspektiven und einer allgemeinen Arbeitsplatzunsicherheit, verwundert es nicht, wenn gestandene Berufsleute nach 40 aussteigen.» Die Gewerkschafterin hält den Fachkräftemangel in den Medien zum Teil auch für hausgemacht. Die Verlage hätten früher in die Weiterbildung des bestehenden Personals investieren müssen. Der Preis für dieses Versäumnis sei es, dass sie nun nicht mehr die passenden Leute fänden, während gleichzeitig erfahrene Kolleginnen und Kollegen das Pult räumten. Es brauche eine weitsichtigere Planung, um einen guten Altersmix in den Redaktionen zu erreichen.

Beim Verlegerverband steht der Fachkräftemangel noch nicht zuoberst auf der Traktandenliste, sagt Stefan Wabel, Geschäftsführer des Verlegerverbands VSM, gegenüber der MEDIENWOCHE. «Im Moment sind es vor alle die Medienhäuser selbst, die Massnahmen ergreifen.» Entsprechend hat der Verband bisher noch keine zusätzlichen Aktivitäten unternommen, um der heiklen Situation auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. «Ausser natürlich bei der Ausbildung», betont Wabel. «Aber da sind wir schon länger aktiv.» Als Mitträgerin des MAZ unterstützt der Verband die Journalistenschule finanziell und hilft, die Ausbildung weiterzuentwickeln. Im politischen Lobbying hatte die Ausbildung jedoch nicht die höchste Priorität. Bis zur Abstimmung über das Medienpaket stand für die Verleger die indirekte Presseförderung im Fokus, von der sie sich eine sofortige Linderung für die Branche erhofften. Die Investition in die Ausbildung zahlt sich erst mittel- und längerfristig aus.

Dass es anderen genauso geht, ist ein schwacher Trost für die Redaktionen, die händeringend nach passendem Personal suchen,. Der Fachkräftemangel hat längst zahlreiche Branchen erfasst und wirkt sich etwa im Gastgewerbe mit geschlossenen Restaurants wegen Personalmangels teils drastisch aus. Keine Zeitung musste dagegen ihren Umfang reduzieren, weil das Personal fehlt. Ganz so schlimm ist es also (noch) nicht. Die gute Botschaft lautet: Den Ernst der Lage hat die Branche erkannt. Die schlechte: vielleicht zu spät.

Leserbeiträge

Claudio Zemp 28. Juli 2022, 14:45

Interessanter Artikel, danke für diese Recherche bei den Lokalzeitungen und Fachverlagen. Besonders hübsch finde ich die Formulierung: „Die Generation «Irgendwas mit Medien» hat abgedankt.“ Und ja, auch wir suchen im Übrigen schlaue, junge Leute, die Journalismus „on the job“ lernen möchten. #activesourcing