Abschied aus den Medien: Ich bin froh, dass ich raus bin
Journalismus war mein Traumberuf seit ich 15 war. Jetzt, mit 31 Jahren, verlasse ich diese Branche, die mir grandiose Erfahrungen, aber auch viel Frust beschert hat. Eine ernüchternde Bilanz über fehlende Führungskultur und andere strukturelle Defizite.
Prolog
Wenn mich jemand vor fünf Jahren gefragt hätte, ob ich mir einen Job ausserhalb des Journalismus vorstellen könne, hätte ich ohne zu zögern verneint.
Dabei wusste ich genau, worauf ich mich einlasse. Die Medien sind ein stressiges Berufsfeld, getrieben von Disruption und der tosenden Nachrichtenflut. Und dennoch zog mich dieser Strudel an. Ich wollte Teil der Veränderungen sein und die Zukunft des Journalismus mitprägen.
Nun, nach etwa zehn Jahren im Journalismus, habe ich ausgeträumt. Obwohl ich in jedem Medienunternehmen aufregende Möglichkeiten hatte, unvergessliche Momente erleben und mit faszinierenden Menschen zusammenarbeiten durfte, lege ich mit den folgenden Zeilen den Finger auf die Wunden.
Denn die Branche leidet unter systemischen Problemen, die vielen bewusst sind, die aber trotzdem niemand offen anspricht. . Zu gross ist die Angst, in der kleinen Medienschweiz als Nestbeschmutzer abgestempelt zu werden. Dabei wäre ein ehrlicher Dialog Grundlage für die dringend benötigte Transformation.
Erster Akt: Aufregende Anfänge
Mein Einstieg in den Journalismus entspricht dem Stereotyp. Ich wusste als Teenager nicht wirklich, was einmal aus mir werden sollte. Nur das Schreiben habe ich immer geliebt. Und es dämmerte mir, als ich bei der Schülerzeitung «kuss» der Kanti Wetzikon die ersten Gehversuche wagte: Journalismus ist ein Job. So hatte ich meine Berufung gefunden.
Gleichzeitig war ich ein fauler Teenager, flog aus dem Gymnasium und fand mit Ach und Krach eine KV-Lehrstelle. Trotzdem habe ich mein Ziel nie aus den Augen verloren: Neben der Ausbildung schrieb ich kurze Bandbiografien für einen Konzertfotografen und Kritiken als freier Reporter für Musikblogs und die Lokalzeitung. 2010 gründete ich mit meinem Bruder das Online-Magazin «Negative White».
Ich wusste: Für die guten Stellen braucht man ein gutes Netzwerk.
Diese frühen Jahre waren geprägt von Neugier, der Faszination für das Unbekannte, vielen Fehlern und «Learning by Doing». Vieles war planlos und experimentell, aber ich hatte Spass, folgte der Passion. Mein Magazin wuchs, erreichte mehr Menschen und beschäftigte zeitweise 30 ehrenamtliche Reporter:innen. Einer der Höhepunkte war das Interview mit Sir Paul McCartney im Jahr 2012. Schon hier lernte ich, wie wertvoll ganzheitliches und produktzentriertes Denken in den Medien ist – von der Idee bis zur Distribution.
Ich wurde Mitglied der Jungen Journalistinnen und Journalisten Schweiz (JJS), die damals noch Junge Medien Schweiz hiessen. Später auch noch beim Berufsverband «Impressum». Ich wusste: Für die guten Stellen braucht man ein gutes Netzwerk.
2013 gings dann richtig los mit dem Journalismus-Studium an der ZHAW in Winterthur. Im Praktikum folgte endlich die erste richtige Redaktionserfahrung beim Schweizer Fernsehen SRF und der Lokalzeitung «Der Tössthaler».
Zweiter Akt: Kratzer im Lack
Das SRF-Praktikum war ein wilder Ritt mit einem grandiosen Team. Eigentlich interessierte mich Fernsehen überhaupt nicht, aber beim News-Magazin «10 vor 10» lernte ich Video zu schätzen. Gleichzeitig bekam der glänzende Lack des Traumjobs erste Kratzer.
Rückblickend hatte ich üble Aufgaben als Praktikant. Damals befand sich der sogenannte Islamische Staat auf dem Höhepunkt seiner Macht in Syrien und im Irak. Ich musste einen ganzen Tag durch Propagandamaterial ackern, um sendefähiges Material zu finden. Acht Stunden voller Enthauptungen, Massenexekutionen und anderer zelebrierter Gräueltaten.
Trotzdem blieb ich auch nach meinem Praktikum beim «10 vor 10» und arbeitete am Desk als Unterstützung der Produzent:innen. Teil einer Livesendungen sein, das ist reines Adrenalin. Unter Zeitdruck Fakten checken, Schlagzeilen schneiden, Einblender prüfen, die Verbindung zu den Korrespondenten herstellen, Online-Texte schreiben: eine grosse Verantwortung.
Als Online-Journalist kämpfte ich stets mit Vorurteilen.
Aber es gab viel Fluktuation am Desk, und das wirkte sich natürlich auf die Qualität der Sendung aus. Es waren oft Student:innen oder angehende Journalist:innen, die bei «10 vor 10» ihre Storytelling-Skills verbessern wollten. Leider war es der komplett falsche Job dafür. Also schrieb ich ein Konzept für den Redaktionsleiter, das uns erlauben würde, ein bis zwei eigene Beiträge pro Jahr umzusetzen. Er winkte ab und meinte: «Das ist ein Support-Job und wird immer einer bleiben.»
Es war das erste Mal, dass ich in Kontakt kam mit diesem verstaubten Führungsstil, der sich Veränderungen entgegenstellt, Macht ballt und manchmal gar in grenzwertigem Verhalten mündet.
Als Online-Journalist kämpfte ich stets mit Vorurteilen. Ein älterer Kollege mit leitender Funktion meinte einmal, wir sollten «mehr mit Brüsten machen», damit die Klicks nach oben gehen.
Oder der Chefredaktor einer Lokalzeitung, der mich beim Vorstellungsgespräch nach meiner politischen Einstellung fragte. Nachdem ich der Frage mehrmals auswich, stelle er mich vor die Wahl: «Wenn Sie jetzt einer Partei beitreten müssten oder andernfalls gesteinigt werden, welche Partei wäre es?» – Ich antwortete: «Ich wähle die Steinigung.»
Nach ein paar Jahren als Journalist verspürte ich immer weniger Interesse, über Dinge zu schreiben, die mich nur mässig begeisterten. Hinzu kam das harte Umfeld, das kaum eine gute Life-Balance erlaubt. Viele Medienunternehmen tricksen bei der Zeiterfassung, zu der sie eigentlich verpflichtet wären: Anstatt die geleisteten Stunden sauber einzutragen, füllen die Systeme einfach die minimal notwendigen Stunden ein. Ich kenne kaum jemanden in einer Redaktion, der nicht krass Überstunden produziert.
Und trotzdem spürte ich trotz allem weiterhin eine Verbundenheit zur Medienbranche.
Der Job wird auch immer komplexer, erfordert ständig neue Fähigkeiten, aber ist weder wirklich gut bezahlt, noch hoch angesehen. Journalist:innen mussten lange nur eines tun: gute Geschichten erzählen. Heute wird erwartet, dass man gleichzeitig noch Fotografin, VJ und Social Media Manager ist. Das einstige Zerrbild der eierlegenden Wollmilchsau wurde zum realen Berufsprofil.
In vielerlei Hinsicht war ich immer fasziniert von diesem Facettenreichtum. Ich sah ihn als Möglichkeit, Neues zu lernen, zu experimentieren und mich zu spezialisieren. Tatsache ist aber auch: Redaktionen sehen aber nur den Zusatzaufwand und die Personaldecke gleicht eh mehr Seidenpapier als einem Daunenduvet.
Und trotzdem spürte ich trotz allem weiterhin eine Verbundenheit zur Medienbranche. Ich suchte nach einer Möglichkeit, eher im Hintergrund konzeptionell und strategisch an der Medienlandschaft zu wirken. Ich bekam das aufregende Angebot vom «Blick», als Projektmanager im Newsroom zu arbeiten. Später wurde ich Head of Community und zuletzt Product Owner.
Dritter Akt: Management, nicht Leadership
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«Nicht der Journalismus ist scheisse, es sind die Arbeitsbedingungen und Perspektiven», sagte Simon Schaffer von JJS kürzlich. Die Aussage ist so brutal wie ehrlich und akkurat.
Besonders die freien Journalist:innen darben am Ende der Nahrungskette. Karin Wenger, eine befreundete Nahost-Reporterin, erzählt mir, dass sie einen erheblichen Teil ihres immer kleiner werdenden Honorars für Spesen hergeben muss. Die Redaktionen haben das Budget für Reisekosten oder Übersetzer:innen schon lange zusammengestrichen. Ein Wahnsinn.
Viel zu oft rede ich mit Reporter:innen, die sagten: «Ja, der Journalismus ist meine Berufung» – und wenige Jahre später denken viele über einen Berufswechsel.
Ich habe schon einmal über die Mental-Health-Probleme in der Branche geschrieben. Und ich habe sie selbst erlebt, bei mir und bei anderen. Ohne zu überlegen, kann ich locker zehn Kolleg:innen aufzählen, die um die 30 ein Burnout erlitten oder zumindest professionelle Therapie in Anspruch nahmen. Andere begannen, Alkohol zu missbrauchen.
Wer ist verantwortlich für die Bedingungen, die Menschen krank werden oder sie aus ihrem Traumberuf aussteigen lassen?
Das Management. Und ja, ich benutze hier bewusst diesen Begriff, weil es an echter Führung, an Leadership fehlt. Das ist der Hauptgrund für meinen Abgang.
Ich muss nicht ins Detail meiner Erfahrungen in den verschiedenen Medienhäusern gehen. Es geht nicht um einzelne Personen, sondern um ein systemisches Problem. Wenn ich die Erfahrungen von Freunden, Kolleginnen und Studierenden am an der Journalistenschule MAZ, wo ich unterrichten durften, mit meinen eigenen vergleiche, dann zeigt sich ein klares Bild: Es fehlt dem Management an Vertrauen gegenüber den Angestellten, es fehlt an Visionen und Strategie.
Dies äussert sich unter anderem so:
• Echte Experimente sind selten.
• Die Frage, worauf man verzichten könnte, wird nie ernsthaft gestellt.
• Gute Ideen werden in endlosen Diskussion verwässert.
• Es gibt keine Strategie, wie man mit neuen Dingen (z.B. mit TikTok) umgehen soll.
• Die Arbeit von Internen muss von teuren Berater:innen «gechallenged» werden.
• Berichte dienen dazu, Schuldige zu finden und nicht um aus Fehlern zu lernen.
• Fachwissen zählt oft weniger als das Bauchgefühl.
• Macht und Kompetenzen werden selten verteilt und Hierarchien auf- statt abgebaut.
Immer wieder fand ich mich inmitten interner Machtkämpfe wieder. Darauf hatte ich überhaupt keine Lust; es ist pure Zeitverschwendung.
Echte Leadership bedeutet, ein Umfeld zu schaffen, das die Menschen fördert und es ihnen erlaubt, ihr Bestes zu geben. Ein Beispiel: Wenn ein Medienhaus eine UX-Designerin anstellt, sollte man idealerweise auf ihre Inputs hören. Wieso hat man sie sonst überhaupt angestellt?
Der Wandel ist die neue Konstante und erfordert ein neues Führungs-Mindset.
Natürlich ist mir klar, dass die Medien in einer misslichen Situation sind: Einnahmen sinken, und obwohl alternative Geschäftsmodelle existieren, gibt es kein Schema F. Die breitere Medien- und Informationslandschaft wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder über den Haufen geworfen von neuen Technologien und Plattformen. Der Wandel ist die neue Konstante und erfordert ein neues Führungs-Mindset, neue Strukturen und eine frische Unternehmenskultur. Aber: Verlage werden geführt wie vor 30 Jahren.
Wie wollen diese Medienhäuser, denen nicht nur das Geld, sondern mit dem Vertrauen auch das Fundament ihrer gesellschaftlichen Aufgabe wegbricht, diese Herausforderung meistern, wenn sie es nicht schaffen, das Vertrauen intern aufzubauen?
Epilog
Nach etwas mehr als vier Jahren entschied ich mich im vergangenen Frühjahr, den «Blick» zu verlassen. Ich war allgemein desillusioniert und frustriert von den Medien. Und ich war psychisch und physisch erschöpft, schaffte morgens kaum aus dem Bett und verspürte keine Freude am Beruf mehr. Das Burnout lauerte.
Ich wollte nicht mehr kämpfen. Obwohl ich talentierte und motivierte Menschen im Team hatte, konnte ich nicht mehr das geben, was ich von mir selbst erwartete. Das ist eine traurige Erkenntnis, gleichzeitig gab sie mir eine merkwürdige Ruhe.
Nach meinen Erfahrungen bei drei der grossen Medienunternehmen in der Schweiz, wollte ich nur raus aus dieser Branche, obwohl ich hart gearbeitet hatte um überhaupt reinzukommen. Und ich bin froh, dass ich raus bin, denn meine Leidenschaft für Journalismus und das Schreiben schmolz dahin wie die Gletscher in diesem Sommer.
Ich reihe mich nun ein in die lange Liste der Aussteiger:innen. Letztes Jahr verliess jede Woche jemand die Branche, wie die «Republik» nachzeichnet. Auf «persoenlich.com» läuft gerade eine Serie über Berufssussteiger:innen.
Das alles sollte ein schriller Weckruf sein für die Unternehmen, dass es ein ernsthaftes Problem gibt.
Ja, auch der Braindrain ist eine Herausforderung, die sich nur mit Unternehmenskultur und Vertrauen bewältigen lässt. Denn es wird immer schwieriger, Nachwuchs zu finden. Praktikumsstellen bleiben unbesetzt, und ein kurzer Blick auf medienjobs.ch zeigt, dass attraktive Stellen lange offen bleiben. Als ich noch meinen ersten Vollzeitjob suchte, war das Gegenteil der Fall.
Das alles sollte ein schriller Weckruf sein für die Unternehmen, dass es ein ernsthaftes Problem gibt. Der Autor und Unternehmensberater Simon Sinek sagte es treffend: «Die sogenannte Great Resignation ist Anklage gegen Jahrzehnte minderwertiger Unternehmenskultur und schwacher Leadership.»
Journalist:in wird ein aufregender Beruf bleiben. Aber das heutige Ökosystem der Medien versagt gegenüber dem Publikum und seinen Angestellten. Vielleicht müssen die grossen Alten verblassen um Raum für Neues zu schaffen, wenn sie sich nicht fundamental transformieren.
Ich werde den Journalismus sicher vermissen, aber nicht das System, das ihn heute produziert.
Luca Weilenmann 12. August 2022, 19:46
Journalisten waren schon immer Heulsusen. Nur von den Annehmlichkeiten profitieren (kostenlose Konzerte mit Presseausweis) geht halt nicht, man muss auch etwas leisten wollen.
Rudolf Burger 12. August 2022, 22:23
Sorry, junger Mann. Du jammerst zu viel.
Janosch Tröhler 12. August 2022, 22:38
Ok, Ruedi. Ich bin dir wirklich schon häufig in den Ohren gelegen. Aber ich lade dich gerne auf ein Bier ein, um mich zu entschuldigen. Du findest meine Kontaktangaben auf meiner Website. Ich freue mich auf das Treffen.
Larissa 16. August 2022, 06:57
Spannender Einblick, vielen Dank und alles Gute für deine Zukunft.
Markus 16. August 2022, 11:31
Das scheint die Antwort eines uralten Mannes zu sein. „Hör auf zu jammern, wir früher hatten es auch nicht besser, da muss jeder durch, die Arbeit auf einer Redaktion stählt fürs Leben…“ Dumm ist nur, wenn Junge immer erst warten müssen, dass Leute wie Sie irgeendwann wegpensioniert werden.
Brechbühl Roland 16. August 2022, 12:51
Lieber Herr Tröhler. Ich wünsche Ihnen Spass und Erfolg im neuen Beruf. Danke für die Offenheit. Leider sind die negativen Aspekte nicht so sehr Branchen spezifisch. Es ist auch ein Auswuchs unserer rastlosen Zeit, wo es oft nur noch ums Geld und nicht mehr so um die Sache oder um Qualität geht. Sie werden ähnliche Zustände auch in der Digitalisierungsbranche entdecken.