von Nick Lüthi

Programmaufsicht als Paragrafenreiterei?

Lokalradios reagieren unterschiedlich auf die strengere Programmaufsicht: Die Energy-Radios geben ihre Konzessionen zurück, die CH Media-Sender bessern ihr Programm nach. Das Bakom hatte zuletzt die Zügel angezogen und gegen ein Dutzend Lokalradios und regionale TV-Sender Aufsichtsverfahren wegen möglicher Konzessionsverletzungen geführt.

Am Ende mussten die fehlbaren Sender nur ein paar Tausend Franken Verfahrenskosten bezahlen. Sanktionen blieben ihnen erspart, obwohl sie nachweislich gegen konzessionsrechtliche Bestimmungen verstossen hatten. Zwei regionale Fernsehsender und zehn Lokalradios mussten sich einem Aufsichtsverfahren stellen, weil sie die in der Konzession geforderte Minimaldauer an relevanter lokal-regionaler Berichterstattung nicht erbracht hatten. Die übrigen rund 30 konzessionierten Sender erfüllten die Anforderungen problemlos.

Seit 2020 müssen die 13 konzessionierten regionalen TV-Sender pro Woche in der Hauptsendezeit von 18 bis 23 Uhr mindestens 150 Minuten journalistische Information zu ihrer Region ausstrahlen. Für die rund 25 konzessionierten Lokalradios gilt eine Mindestdauer von 30 Minuten pro Werktag. Diese quantitative Vorgabe ist quasi der harte Kern der geschuldeten Gegenleistung für das Geld, das die (meisten) Sender aus der Haushaltsabgabe erhalten. Wie die SRG für die ganze Schweiz sollen die konzessionierten Regionalsender und Lokalradios einen publizistischen Service public für ihr Verbreitungsgebiet erbringen. Ob sie dies tatsächlich tun, darüber wacht gemäss Gesetz das Bundesamt für Kommunikation Bakom.

Bis 2020 gab es keine vorgeschriebene Mindestdauer für die relevante Regionalberichterstattung. Der Auftrag bestand aus allgemein formulierten Erwartungen an die Service-public-Leistungen, die das Bakom in einem kontinuierlichen Dialog mit den Sendern überprüfte, allerdings ohne formalisierte Verfahren. Als Grundlage dieser Gespräche dienten ab 2012 wissenschaftliche Programmanalysen. Diese Studien massen zwar auch schon die Dauer an regionaler Information in den Programmen der einzelnen Sender. Geringe Werte zogen aber keinerlei formelle Konsequenzen oder gar Sanktionen nach sich. Die Verlängerung der Konzessionen 2020 nahm das Bakom zum Anlass, um eine quantitative Mindestvorgabe einzuführen für die relevante Regionalinformation. Nachdem nun die letzten Programmanalysen ergaben, dass zwölf Sender diese Anforderung nicht erfüllt hatten, eröffnete das Bakom im Juni 2021 Aufsichtsverfahren gegen die betroffenen Unternehmen.

«Wir wollten den Sendern die Möglichkeit geben, dass sie in einem formal definierten Rahmen zu ihrem Programmangebot und allfälligen Mängeln Stellung nehmen konnten», erklärt Samuel Mumenthaler. Der Medienjurist im Bakom stellt aber nicht in Abrede, dass es auch darum ging, die Zügel etwas anzuziehen. Das Bakom erklärte anlässlich der Verfahrenseröffnung, dass man keine finanziellen Sanktionen verhängen werde für den Fall, dass sich die Mängel aus der Programmanalyse bestätigen sollten. «Finanzielle Sanktionen sind in solchen Fällen ein heikles Instrument», gibt Mumenthaler zu bedenken. Einem Sender die Mittel zu kürzen, könne sich kontraproduktiv auswirken und trage nicht dazu bei, das Informationsangebot im Sinne der Konzessionsvorschriften zu verbessern, was ja eigentlich das Ziel des Verfahrens sei.

«Nach wie vor können wir die Vorgehensweise des Bakom nicht in allen Punkten nachvollziehen.»
Joël Steiger, Sprecher CH Media

Doch selbst dieses milde Vorgehen kam bei den betroffenen Sendern nicht besonders gut an. Sie stellten insbesondere die Methode der Programmanalyse in Frage, die zu den schlechten Befunden geführt und danach die Verfahren ausgelöst hatte. «Nach wie vor können wir die Vorgehensweise des Bakom nicht in allen Punkten nachvollziehen», teilt Joël Steiger, Sprecher von CH Media, auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Bei «Radio Bern 1» und «Radio 32», beide von CH Media, zählte die Studie anstatt der geforderten 30 Minuten Regionalinformation pro Werktag jeweils nur gut 20 Minuten. Noch schlechter schnitten die Energy-Radios in Bern und Basel ab mit nur gerade 12, respektive 15 Minuten.

Streitpunkt ist und bleibt die Frage, was genau als regionale Information gilt. Das Bakom und das vom Amt beauftrage Forschungsunternehmen Publicom wenden hierfür eine enge Definition an. Das zeigt sich exemplarisch bei der Berichterstattung über Corona. Vermeldet ein Zürcher Lokalsender die nationalen Fallzahlen, dann zählt das nicht als relevante Regionalinformation, weil diese Informationen von den Bundesbehörden in Bern stammen. Die Senderverantwortlichen halten dem entgegen, dass diese Information für ihr lokales Publikum sehr wohl relevant sei. Man mache schliesslich das Programm fürs Publikum und nicht fürs Bakom, heisst es dann jeweils.

Eine Kritik, die das Bakom hinlänglich kennt. Schliesslich lässt das Amt die Berichterstattung der konzessionierten Sender schon seit 2012 nach der gleiche Methode beobachten. «Diesen Disput werden wir nicht so schnell los. Aber die Regeln sind klar und transparent und gesetzlich verankert», hält Bakom-Jurist Mumenthaler fest. Tatsächlich gibt es einen siebenseitigen Leitfaden, der im Detail erklärt, welche Art von Informationen als konzessionsrechtlich relevante Leistung gelten. Dabei geht es zum Teil um Nuancen. Vermeldet ein Radio einen Verkehrsunfall im Sendegebiet, dann gilt die Meldung erst dann als relevante Regionalinformation, wenn sie die Redaktion in einen politischen Kontext stellt, beispielsweise dann, wenn aufgrund des Unfalls Lokalpolitiker den Regierungsrat auffordern, zusätzliche Sicherheitsmassnahmen zu prüfen. Ohne diesen Zusatzinformation gilt die Unfallmeldung als reine «Bad News» und wird nicht gezählt.

Nun zwingt niemand einen Sender, sich diesen Regeln zu unterwerfen. Wer will, kann auch ohne Konzession senden. Das tut schon heute die überwiegende Mehrheit der Schweizer Privatradios. In der Vergangenheit waren die Konzessionen vor allem deshalb begehrt, weil sie den Zugang zu einem der knappen UKW-Sendeplätzen garantierten. Mit der für 2024 vorgesehenen Umstellung auf Digitalradio und der Abschaltung von UKW spielt dieses Argument keine Rolle mehr. Die digitalen Netze bieten Platz für mehr Sender als UKW. Das zweite gewichtige Argument für eine Konzession betraf das Geld. Von einer finanziellen Unterstützung aus dem Gebührentopf (und heute von der Haushaltsabgabe) profitieren allerdings nur Radiosender in wirtschaftlich schwachen Gebieten, also in Berg- und Randregionen. Das dürfte auch in Zukunft so bleiben.

«Wir werden selbstverständlich weiterhin relevante Regionalinformationen und lokalen Service bringen. Aber nicht nach quantitativen Vorgaben.»
Roger Spillmann, Chef Energy Radios

Für «Radio Energy», das in Zürich, Basel und Bern sendet, und nie Geld aus dem Gebührentopf bezogen hat, ergibt die Konzessionierung vor diesem Hintergrund keinen Sinn mehr. Auch darum hat Energy die Konzessionen für seine drei Sender zurückgegeben. Damit unterstehen sie nicht mehr der Programmaufsicht. Im Rückblick kann Energy den Verfahren aber auch Positives abgewinnen. Man lobt den «konstruktiven Dialog mit dem Bakom», wie Roger Spillmann auf Anfrage der MEDIENWOCHE erklärt. Der administrative Aufwand sei zwar hoch gewesen, «aber wir konnten auch einige spannende und wichtige Erkenntnisse fürs Programm und die News-Redaktion gewinnen». Diese Erkenntnisse führten allerdings nicht dazu, etwas zu ändern. Vielmehr bestärkten die Verfahren Energy in ihrem bisherigen Vorgehen. «Wir werden selbstverständlich weiterhin relevante Regionalinformationen und lokalen Service bringen. Aber nicht nach quantitativen Vorgaben, sondern – und wie bis anhin – für die Zielgruppe und die Hörerinnen und Hörer», kommentiert Energy-Chef Spillmann.

Anders als Energy reagierten die Radios von CH Media. Zwar hat auch «Radio 32» seine Konzession zurückgegeben, aber nicht als Reaktion auf das Aufsichtsverfahren, sondern um sich administrativen Aufwand zu sparen. «Wir haben Anfang Jahr umfassende Massnahmen ergriffen, um den Leistungsauftrag unserer Sender zu erfüllen», teilt Unternehmenssprecher Joël Steiger mit. So hat «Radio 32» nach 19 Uhr eine neue Sendung eingeführt mit den regionalen Nachrichten des Tages. «Damit will der Sender die Vorgaben aus der Konzession erfüllen», schreibt Steiger. Hinter vorgehaltener Hand hört man aus der Branche, diese Massnahme zeige genau den Irrsinn der minutengenauen Programmvorschriften, weil sie einzig und allein dazu diene, das Bakom zufriedenzustellen; nach 19 Uhr höre kaum noch jemand Lokalradio.

Neben den Radioprogrammen lässt das Bakom auch das Informationsangebot der 13 regionalen Fernsehsender untersuchen. Bei ihnen präsentiert sich die Situation etwas anders. Sie sind stärker von den öffentlichen Geldern abhängig und daher auf Konzessionen angewiesen. Eine freiwillige Rückgabe käme für sie nicht in Frage; was auch heisst, dass sie weiterhin der Programmaufsicht durch das Bakom unterliegen. Ein Zustand, mit dem der Verband Telesuisse nicht besonders glücklich ist. Auch wenn nur «Telebärn» und der ostschweizer Fernsehsender TVO die quantitative Mindestvorgabe für relevante Regionalinformation nicht erfüllt haben und sich einem Verfahren stellen mussten, sieht ihr Verband die Aufsicht generell kritisch.

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André Moesch, Verbandspräsident und Chef von «Telebasel», hätte sich gewünscht, dass einer der betroffenen Sender das Verfahren ans Bundesverwaltungsgericht weitergezogen hätte, damit das Vorgehen des Bakom von einer unabhängigen Instanz geprüft worden wäre. «Aber ich verstehe, dass sie das nicht getan haben», sagt Moesch im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. «Schliesslich müssen die Sender demnächst beim Bakom ihre Gesuche für eine neue Konzession einreichen.» Hätten sie gleichzeitig noch ein Verfahren am Laufen, mit dem sie die Methode der Programmaufsicht infrage stellen, wäre das eine ungünstige Konstellation. «Das könnte ihre Chancen auf eine Konzessionserneuerung schmälern», mutmasst Moesch.

«Mit dem aktuellen System wird aber der quantitative Aspekt zu stark gewichtet.»
André Moesch, Präsident Telesuisse

Das Prinzip «Geld gegen publizistische Leistung», auf dem die Programmaufsicht basiert, stelle er nicht in Frage, sagt der Telesuisse-Präsident. «Wir anerkennen, dass es Kontrollen braucht», sagt André Moesch. Die Irritation ob der verschärften Gangart bei der Programmaufsicht rühre auch daher, dass diese in der Vergangenheit als sehr lasch wahrgenommen wurde. «Wir hatten immer den Eindruck, das Bakom lässt uns machen», sagt Moesch. «Mit dem aktuellen System wird aber der quantitative Aspekt zu stark gewichtet.» Ihm schwebe eine Kombination mit qualitativen Elementen vor, etwa mit Programmkommissionen, wie es eine bei «Telebasel» gibt. Der Basler Regionalsender unterhält ein solches Fachgremium mit externen Expertinnen und Experten, die regelmässig Sendungen beobachten und beurteilen und der Redaktionen einen kontinuierlichen Austausch zur Programmqualität pflegen.

Die anstehende Neuausschreibung der Konzessionen für Regionalfernsehen und Lokalradio in der Schweiz wären ein Moment, um auch beim Aufsichtsregime gewisse Anpassungen vorzunehmen. Doch Moesch winkt ab und sagt: «Das wird schwierig. Zurzeit beschränken sich die Kontakte zwischen Branche und Bakom auf ein Minimum.» Man will sich im Vorfeld der Konzessionierung keine allzu grosse Nähe zu den Bewerbern vorwerfen lassen – und sucht sie wohl auch nicht.

An den Aufsichtsverfahren wird sich vorläufig nichts ändern. Gegenwärtig erhebt Publicom die Daten für die nächste Programmanalyse. Sender, welche die Mindestvorgabe für die regionale Berichterstattung nicht erfüllen, müssen sich erneut einem Verfahren stellen. Ob sie auch künftig nur die Spesen berappen oder mit Sanktionen rechnen müssen, hat das Bakom noch nicht entschieden. Was aber schon heute klar ist: Es wird immer weniger Radiosender geben, deren Programm der behördlichen Aufsicht unterstehen und die sich an der (str)engen behördlichen Definition von Lokal- und Regionalinformation orientieren müssen. Ob weniger Regulierung und Kontrolle zu mehr Qualität im Sinne eines demokratierelevanten Journalismus führen, darf man indes bezweifeln.