von Nick Lüthi

Christian Zeier von Reflekt: «Wir erzählen nicht einfach Geschichten, wir wollen Fakten schaffen.»

Seit drei Jahren gehört «Reflekt» zu den ersten Adressen für die ganz grossen Recherchen im Schweizer Journalismus. Anders als die meisten Neugründungen geht das Kollektiv erst jetzt mit einem soliden Leistungsausweis auf Geldsuche mittels Crowdfunding.

Das Gespräch hallt durch das überhohe Untergeschoss in einer historischen Gewerbeliegenschaft. Hier in einem Berner Wohnquartier hat «Reflekt» seit Kurzem seinen Redaktionssitz eingerichtet. Die genaue Adresse kommunizieren sie nicht. «Wir brauchen keinen ungebetenen Besuch», scherzt «Reflekt»-Gründer Christian Zeier. Wobei die Vorsichtsmassnahme durchaus berechtigt erscheint. Schliesslich führen die Recherchen von «Reflekt» mitunter ins kriminelle Milieu, aktuell etwa in die Halbwelt des illegalen Glücks- und Geldspiels.

Aber warum nimmt eine Mini-Truppe diesen Aufwand und solche Risiken auf sich, wo es doch grosse Redaktionen gibt, die über angemessene Ressourcen verfügen? «Wenn es die Migros gibt, braucht es dann noch einen Spezialitätenladen?», fragt Christian Zeier rhetorisch zurück. Für ihn steht ausser Frage, dass es «Reflekt» braucht, diesen Spezialitätenladen für investigativen Journalismus.

Gerade etwas weniger klar ist ihm hingegen, ob sich das Angebot auch weiterhin finanzieren lässt. Darum sucht «Reflekt» Geld. Wie so viele andere Medienprojekte in den vergangenen Jahren setzt das unabhängige Recherche-Kollektiv auf ein Crowdfunding. Bis Ende September sollen so 65’000 Franken zusammenkommen, im Idealfall verteilt auf 650 Personen, die je 100 Franken zahlen. «Wir brauchen nicht nur Geld, sondern wollen auch unsere Community ausbauen», erklärt Christian Zeier beim Gespräch mit der MEDIENWOCHE. In den ersten drei Jahren seit der Gründung finanzierte sich «Reflekt» massgeblich durch Stiftungsbeiträge sowie durch die Honorare von Partnermedien, welche die Recherchen von Zeier und Co. bei sich veröffentlichten. Mitgliederbeiträge spielten eine untergeordnete Rolle.

Die Qualität der Arbeit von «Reflekt» erkannten auch die Jurys der beiden renommiertesten Medienpreise der Schweiz.

Eigentlich macht Christian Zeier mit «Reflekt» das, was er zuvor auch schon gemacht hatte: Er arbeitet als freier Journalist. Einfach nicht mehr allein, sondern zusammen mit anderen und angestellt beim von ihm gegründeten Verein. 2019, zum Start von «Reflekt», formulierte er seine künftige Mission so: «Unser Ziel ist es, mit einem kleinen und schlagkräftigen Team aufwändige Recherchen zu realisieren und die Resultate attraktiv zu produzieren, sowie über mehrere Kanäle zu verbreiten.» Nach drei Jahren hat «Reflekt» dieses Ziel erreicht.

Mehrere aufwändige Recherchen, die oft Skandale von internationaler Dimension offenlegten, konnte «Reflekt» in Zusammenarbeit mit Medien wie «Das Magazin», «Beobachter» oder «Republik» realisieren. Sei dies die Enthüllung der zentralen Rolle der Grossbank Credit Suisse bei der Kreditkrise, die Moçambiques Wirtschaft ins Verderben stürzte. Oder die Recherche, die zeigt, was mit Asylsuchenden aus Eritrea geschieht, welche die Schweiz ans Horn von Afrika zurückweist. Die Qualität dieser journalistischen Arbeiten erkannten auch die Jurys der beiden renommiertesten Medienpreise der Schweiz. So gewann «Reflekt» bereits zwei Mal einen Swiss Press Award und einmal den Zürcher Journalistenpreis.

Die Zusammenarbeit zwischen «Reflekt» und Partnermedien lohnt sich für beide Seiten, weil sie je allein solche Recherchen nicht finanzieren könnten. «Wir haben bisher nur gute Erfahrungen gemacht und sind eigentlich immer leicht ins Geschäft gekommen», so Zeier. Nicht nur, weil sie einen Teil der Kosten selber tragen, sondern auch deshalb, weil «Reflekt» exklusive und investigative Storys anbietet, die zudem immer einen Bezug zur Schweiz haben. «Wir erzählen nicht einfach eine Geschichte. Wir wollen Fakten schaffen», sagt Zeier. Und ergänzt mit einem Augenzwinkern: «Unsere Angebote kann eine Redaktion fast nicht ablehnen.»

Ein gedrucktes Magazin soll nun erstmals als Dankeschön und Gegenleistung für das gespendete Geld anlässlich des Crowdfundings erscheinen.

Die wirklich relevanten und attraktiven Stoffe herauszudestillieren, erfordert aber viel Vorarbeit. Als Faustregel habe sich ergeben, so Zeier, dass das drei- bis vierfache an publizierbaren Geschichten vorrecherchiert werden müsse – ein Aufwand, den niemand berappt. Wenn also «Reflekt» im Jahr vier grosse Kisten bringen will, dann gehen sie vorher über einem Dutzend Hinweisen nach, teils wochenlang, um zu sehen, welche Spuren versanden und wo es sich dranzubleiben lohnt.

Wenn «Reflekt» mit grösseren Medien zusammenspannt, dann auch wegen der Sichtbarkeit. «Für uns ist es attraktiver, unsere Arbeit auf prominenten Plattformen veröffentlichen zu können, als auf der eigenen Website, die noch nicht so viele kennen», erklärt Christian Zeier. Auch auf der Website reflekt.ch finden sich sämtliche bisherigen Recherchen dokumentiert. Ein gedrucktes Magazin soll nun erstmals als Dankeschön und Gegenleistung für das gespendete Geld anlässlich des Crowdfundings erscheinen. «Klar wollen wir auch als Marke wahrgenommen werden», sagt Zeier. Das muss aber nicht auf Kosten der Kooperationsmodells geschehen, an dem «Reflekt» festhalten will. Schon bisher realisierte das Kollektiv auch grosse Recherchen, die sie auf der eigenen Website veröffentlichen, wie etwa «Wikipolitik». Damit zeigten Zeier und Co. auf, wie Schweizer Politikerinnen und Politiker ihre Wikipedia-Einträge frisieren. Die Ergebnisse präsentierten sie auf einer eigens dafür erstellten Wiki-Seite. Damit löste «Reflekt» ein breites Medienecho im In- und Ausland aus und brachte seinen Namen auf diesem Weg in die Öffentlichkeit.

Zur Zeit beschäftigt der Verein «Reflekt» sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Anstellungspensen zwischen 20 und 70 Prozent. «Bei mir sind es aktuell aber eher 120 als 70», relativiert Zeier. Die Stelle für eine Geschäftsführung sei vakant, die Fundraising-Aufgaben sind aktuell auf das Recherche-Team verteilt. Sollte der angestrebte Beitrag von 65’000 Franken zusammenkommen, würde das den Betrieb stabilisieren und wieder mehr Ressourcen für Recherchen freigeben. Klappt es nicht, fehlt rund ein Viertel der budgetierten 245’000 Franken Einnahmen.

«Ein Selbstläufer wird es so oder so nicht. Auch nach einem erfolgreichen Crowdfunding müssen wir uns weiter nach der Decke strecken», gibt Christian Zeier zu bedenken. Wer bei «Reflekt» arbeitet, erhält einen Lohn, der sich «zwischen WOZ und Republik» bewegt, bei einer gleichzeitig tiefen Stellendotierungen; Überstunden würden bei einem Start-up dazugehören.

Weniger als eine Woche nach Start des Crowdfundings haben bereits 260 Personen gezahlt, gesucht sind 650.

Auch wenn das Crowdfunding im Moment viele Ressourcen absorbiert, ruht die journalistische Arbeit nicht. Im Oktober wird «Reflekt» erstmals eine Recherche als Podcast-Serie veröffentlichen. Zusammen mit «SRF Investigativ» gehen sie dem illegalen Geld- und Glücksspiel in der Schweiz nach. Es handelt sich um die erste Audio-Produktion, bisher standen Video und Online im Vordergrund.

Ein Blick auf den Stand der Geldeingänge dürfte Zeier und Co. zuversichtlich stimmen, dass sie auch in Zukunft ihre Arbeit im bisherigen, ja sogar etwas erhöhten Takt weiterführen können. Weniger als eine Woche nach Start des Crowdfundings haben bereits 260 Personen gezahlt, gesucht sind 650. «Einen Plan B haben wir nicht», sagt Zeier. Aber Ausbaupläne. So liegt etwa die Westschweiz noch brach. Die meisten Recherchen liessen sich problemlos übersetzen. Und mit einen grösseren Publikum und zusätzlichen Publikationspartnern in der Westschweiz wäre es dann auch leichter, weitere Geldquellen zu erschliessen. Vielleicht wird «Reflekt» dann doch noch zum Selbstläufer.

Bilder: Florian Spring, Roland Lanz

Leserbeiträge

Ueli Custer 13. September 2022, 09:02

Reflekt füllt eine wichtige und immer grösser werdende Lücke im Schweizer Medienmarkt. Denn gerade die ergebnislose Vorrecherche bindet für die ausgedünnten Redaktionen ein zunehmendes Risiko. Meist wird dann trotzdem irgendeine Geschichte gemacht, die aber zu wenig Substanz hat und dadurch angreifbar ist. Und damit wird wiederum der Ruf der Medien insgesamt beschädigt. Deshalb bin ich ein überzeugter Unterstützer geworden.