von Nick Lüthi

Weniger Geld für die SRG = mehr Spielraum für die Privaten. Wirklich?

Die Spitze des Verbands Schweizer Medien VSM sympathisiert mit der «Halbierungsinitiative» der SVP. Von einer Reduktion des SRG-Budgets erhoffen sich die Verleger mehr Spielraum für die eigenen Medien. Doch die Milchbüechli-Rechnung hat mit der Realität wenig zu tun. Das zeigt ein Blick in die einschlägige Forschung.

Nach etwas Herumgedruckse und dem Nachhaken der Moderatorin formulierte Peter Wanner schliesslich den klaren Satz: «Es geht allen Medien besser, wenn die SRG sich auf ihre Kernaufgaben beschränkt.» Das sagte der Aargauer Verleger und Vizepräsident des Verbands Schweizer Medien am Swiss Media Forum 2022 auf die Frage, ob er die Volksinitiative «200 Franken sind genug!» zur Reduktion des SRG-Budgets unterstütze. Wie Wanner signalisierten auch NZZ-CEO Felix Graf und TX-Group-Chef Pietro Supino Sympathien für das Begehren aus SVP-Kreisen. Von den «grossen Vier» lehnt einzig Ringiers CEO Marc Walder die sogenannte Halbierungsinitiative ab.

Die Schweizer Verleger stehen mit ihrer Haltung nicht allein da. «Die Behauptung, dass öffentlich-rechtliche Medien in einem unlauteren Wettbewerb zu den kommerziellen Medien stehen, ist in vielen europäischen Ländern inzwischen weit verbreitet», stellte die Journalismusforscherin Annika Sehl von der Universität der Bundeswehr München vor zwei Jahren in einer Studie zum Thema fest. Auch der Bundesrat will die SRG zurückbinden und den Verlegern mehr Spielraum gewähren, indem er das Online-Textangebot der SRG weiter beschränkt.

Seit Jahren sind den Schweizer Verlegern die Online-Aktivitäten der SRG ein Dorn im Auge.

Seit Jahren sind den Schweizer Verlegern die Online-Aktivitäten der SRG ein Dorn im Auge. Ihre Annahme: Wer die abgabenfinanzierten Plattformen nutze, sei weniger bereit, für das Online-Angebot der privaten Verlage zu zahlen, weil Online-Nachrichten für diese Personen einen Referenzpreis von Null haben.

Genau diese Hypothese prüften 2016 Richard Fletcher und Rasmus Kleis Nielsen in ihrer Studie «Paying for Online News – A comparative analysis of six countries» (dt.: «Bezahlen für Online-News – Eine vergleichende Analyse von sechs Ländern»). Dazu analysierten die beiden Medienforscher die Situation in sechs Ländern mit sehr unterschiedlichen Medienmärkten, wie Japan, Spanien, USA, Frankreich, Deutschland und Grossbritannien. Entgegen den landläufigen Erwartungen stellten Fletcher und Kleis Nielsen fest, dass es in allen untersuchten Ländern mit Ausnahme von Deutschland «Belege für einen positiven Zusammenhang zwischen dem Zugang zu öffentlich-rechtlichen Nachrichten und der Zahlungsbereitschaft für Online-Nachrichten» gebe. Das schliesse negative Auswirkungen auf kommerzielle Anbieter nicht grundsätzlich aus. Dennoch halten Fletcher und Kleis Nielsen zusammenfassend fest: Wer kostenlose Online-Nachrichten von öffentlich-rechtlichen Medien konsumiere, sei nicht weniger geneigt, für andere Online-Nachrichten zu bezahlen.

Die Forscher verweisen zudem auf andere Untersuchungen, die zeigen, dass starke öffentlich-rechtliche Medien sogar einen positiven Einfluss auf den Medienmarkt insgesamt haben können. Konkret nennen sie die Studie «Public and Private Broadcasters across the world – The Race to the Top» (dt.: «Öffentlich-rechtliche und private Rundfunkanstalten in der ganzen Welt – Das Rennen um die Spitze»), welche die britische BBC in Auftrag gegeben und 2013 veröffentlicht hatte. Mit Blick auf den TV-Markt in 14 Ländern kommt die Studie zum Schluss, dass «Länder mit finanzstarken öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die in hochwertige, vielfältige neue Inhalte investieren, in der Regel auch kommerzielle Märkte haben, die hohe Einnahmen generieren und in hochwertige, vielfältige neue Inhalte investieren.» Dass die privaten Sender nicht verdrängt würden, rühre daher, dass ein starker öffentlicher Rundfunk eine Aufwärtsspirale in Gang setze und ein «Race to the Top» ankurble, interpretieren die Autoren die Ergebnisse ihrer Studie.

Der Befürchtung einer unlauteren Konkurrenz liegt insbesondere die Annahme zugrunde, dass sich die Inhalte öffentlich-rechtlicher und privater Online-Medien zu wenig unterschieden.

Auch aktuellere Untersuchungen können die Verdrängungsthese nicht bestätigen, wonach der übermächtige öffentliche Rundfunk den privaten Medien keinen Platz lasse. So stellt die Studie «Crowding out: Is there evidence that public service media harm markets?» (dt.: «Verdrängung: Gibt es Beweise dafür, dass öffentlich-rechtliche Medien den Märkten schaden?») von 2020 fest, dass es in Ländern, in denen öffentlich-rechtliche Online-Medien grosse Reichweite erzielen – etwa Finnland oder Dänemark – relativ viele Menschen gibt, die für Online-Nachrichten bezahlen. Die Autorschaft um die deutsche Journalismusforscherin Annika Sehl stützt damit ähnliche Befunde wie jene von Fletcher und Kleis Nielsen oder auch aus der erwähnten BBC-Studie.

Der Befürchtung einer unlauteren Konkurrenz liegt insbesondere die Annahme zugrunde, dass sich die Inhalte öffentlich-rechtlicher und privater Online-Medien zu wenig unterschieden und das Publikum darum das kostenlose Angebot bevorzuge. Ob es solche inhaltlichen Überlappungen gibt und wie sie sich auf das Verhältnis zwischen privaten und öffentlich-rechtliche Medien auswirken, untersuchte 2019 ein Trio um die norwegische Medienwissenschaftlerin Helle Sjøvaag in der Studie «Is public service broadcasting a threat to commercial media?» (dt.: «Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Bedrohung für die kommerziellen Medien?»). Sjøvaag und Co. untersuchten die Verhältnisse in Norwegen, wo es mit NRK einen starken öffentlichen Rundfunkveranstalter gibt, dessen Angebote die Bevölkerung gut nutzt.

Letztlich bleibt es eine politische Frage, welches die «richtige» Grösse eines mit öffentlichen Geldern finanzierten Online-Angebots sein soll.

Die grösste Ähnlichkeit weisen die Online-Angebote von NRK und privaten Online-Medien in Norwegen vor allem in den Kernbereichen des Journalismus, also zu Politik, Gesellschaft, Sport und Kultur auf. Allerdings deuten die Ergebnisse der Studie auch darauf hin, dass sich die Angebote privater Medien untereinander noch stärker gleichen und sie nicht in erster Linie mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk konkurrieren. Das Argument der Verdrängung, das die privaten Medien vorschieben, um die politischen Entscheidungsträger davon zu überzeugen, die Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzuschränken, sei daher «nur schwach begründet», bilanzieren Sjøvaag und Co.

Nun lassen sich Studien, die sich nicht mit der spezifischen Situation in der Schweiz befassen, nur beschränkt als Argumentationshilfe für die heimische Diskussion beiziehen. Dennoch kann man deren Ergebnisse nicht einfach ignorieren. Die erwähnten Untersuchungen, die sich in den vergangenen Jahren mit dem Thema befasst haben, weisen alle in die gleiche Richtung: Der öffentliche Rundfunk und seine Online-Aktivitäten bedeuten nicht jene Bedrohung für die privaten Medien, wie sie die Kreise darstellen, die danach streben, den öffentlichen Rundfunk zurückzubinden.

Letztlich bleibt es eine politische Frage, welches die «richtige» Grösse eines mit öffentlichen Geldern finanzierten Online-Angebots sein soll. Bei der Beantwortung dieser Frage sollten aber keine diffusen bis falschen Annahmen den Ausschlag geben, sondern belegbare Befunde, wie sie die Medienwissenschaften in diesem Fall geliefert haben.