von Nick Lüthi

Eine Stimme aus dem Bundeshaus verstummt

Nach 26 Jahren stellt das «Bundeshaus-Radio» den Betrieb ein. Dem von «Radio Zürisee» betriebenen Korrespondentenbüro liefen die Kunden davon; immer mehr Lokalradios kündeten ihr Abo. Von der Einstellung profitiert CH Media, das einen Teil der ehemaligen «Bundeshaus-Radio»-Kunden übernehmen kann.

Eine Praktikantin hält noch die Stellung. Bis Ende Jahr produziert sie aus dem Bundeshaus Radiobeiträge, die ein Dutzend Lokalsender aus der deutschsprachigen Schweiz und Liechtenstein für ihre Nachrichtenprogramme übernehmen. Als letztes Highlight warten am 7. Dezember 2022 die Bundesratswahlen. Die zuvor festangestellte Redaktorin hat das «Bundeshaus-Radio» bereits verlassen und der Redaktor geht Ende Oktober. Damit endet ein 26-jähriges Kapitel der schweizerischen Privatradiogeschichte. «Radio Zürisee», das die Korrespondentenstelle im Bundeshaus seit 14 Jahren betreibt, bestätigt die Einstellung aus finanziellen Gründen. Zu den genauen Umständen hat niemand Stellung genommen. Die verantwortlichen Personen weilen in den Ferien und waren für die MEDIENWOCHE nicht erreichbar.

Das absehbare Ende des «Bundeshaus-Radios» zeichnete sich schon länger ab. Heute zahlen noch ein knappes Dutzend Lokalradios für den Dienst. In den besten Zeiten, vor 15 und mehr Jahren, waren es um die zwanzig Stationen, welche die Beiträge aus Bern bezogen. Eine gewisse Dynamik in die Abwärtsspirale brachte in den letzten Jahren CH Media. Das Aargauer Medienhaus mit seinen inzwischen sechs (und demnächst acht) Lokalradios unterhält eine eigene, mit zwei Personen und 100 Stellenprozenten dotierte, Bundeshausredaktion und ist schon länger nicht mehr auf einen externen Dienstleister wie das «Bundeshaus-Radio» angewiesen. Ausserdem verfügen die CH-Media-Sender über eine Zentralredaktion, welche die einzelnen Sender mit nationalen und internationalen Stoffen versorgt. Diese redaktionellen Dienstleistungen können auch Dritte beziehen.

So hat «Radio Südostschweiz» aus Chur seinen Vertrag mit dem «Bundeshaus-Radio» noch vor dem Einstellungsentscheid gekündigt und bezieht die nationalen und internationalen News seither von CH Media, wie Stefan Nägeli, Leiter Audio/Video der Südostschweiz Radio AG, auf Anfrage bestätigt. Auch ein Teil der noch verbleibenden «Bundeshaus-Radio»-Kunden erwägen als Nachfolgelösung eine Kooperation mit CH Media. Derzeit evaluieren «Radio Freiburg» und «Radio Liechtenstein» eine mögliche Partnerschaft mit den Aargauern, wie die beiden Sender auf Anfrage mitteilen.

Mit wenig Geld und viel Elan machten sich die beiden Journalisten daran, ihr «Bundeshaus-Radio» aufzubauen.

CH Media führt damit weiter, was sein «Radio 24» bereits seit Jahrzehnten und als Konkurrenz zum «Bundeshaus-Radio» angeboten hatte. Pionier war aber Bruno Hofer. Der freie Journalist und spätere Mitarbeiter von Bundesrat Kaspar Villiger betrieb ab 1984 seinen «Radiodienst Bundeshaus» mit dem er zahlreiche Sender mit O-Tönen aus dem Parlament belieferte, darunter auch das damalige Berner «Radio extraBERN» (heute Bern1, CH Media). Dort arbeiteten Mitte der 1990er-Jahre die beiden Journalisten Adrian Grob und Christian Weber. Das Angebot von Hofer fanden sie zu teuer, zu umständlich und zu schlecht. «Bei einem Nachmittagsdienst», erinnert sich Grob, «schauten Christian und ich einander an und wir fanden: Das können wir besser.» Gesagt, getan. Mit wenig Geld und viel Elan machten sich die beiden Berner daran, ihr «Bundeshaus-Radio» aufzubauen. Mit Fertigbauelementen bastelten sie im Medienzimmer des Bundeshauses eine improvisierte Aufnahmekabine. Kunden für ihren Dienst hatten sie schnell ein paar beisammen. Mit ihrer Einschätzung zur Qualität von Hofers Radiodienst waren Grob und Weber offenbar nicht allein.

Als problematischer erwies sich anfänglich die journalistische Arbeit. «Die Politiker hatten nicht auf uns gewartet», sagt Adrian Grob, der heute als Sprecher der Eidgenössischen Steuerverwaltung ESTV arbeitet, im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Zeitungen und Radio DRS genossen damals klar Vorrang bei den Politikerinnen und Politikern. «Wir hatten anfänglich recht zu kämpfen und mussten uns erklären. Erst mit der Zeit nahm man uns wahr und ernst.» Dabei wollten Grob und Weber die Politik einfacher und verständlicher vermitteln und auch mal Soft-News aus Bundesbern bringen.

Käsermann erwischte als neuer Besitzer einen guten Start. Die Nachrichtenagentur SDA hatte damals gerade ihren eigenen Radiodienst eingestellt.

Mit dem «Bundeshaus-Radio» liessen sich 100 Stellenprozent plus eine Praktikumsstelle finanzieren. Adrian Grob arbeitete nie Vollzeit als Journalist im Bundeshaus, sondern nebenher weiterhin für «Radio extraBERN». Nachdem er 2002 zum Lokalfernsehen «TeleBärn» als Sportchef gewechselt hatte, verkaufte sein Compagnon Christian Weber eine Weile später das «Bundeshaus-Radio» an Andreas Käsermann, der ebenfalls bei «extraBERN» gearbeitet hatte.

Käsermann erwischte einen guten Start. Die Nachrichtenagentur SDA hatte damals gerade ihren eigenen Radiodienst eingestellt. «So kamen neue Kunden auf den Markt», erinnert sich Käsermann, der heute als Mediensprecher beim Verkehrsclub der Schweiz VCS arbeitet. «Das hat uns geholfen und wir konnten die Stellenprozente hochfahren.» Damit bot das «Bundeshaus-Radio» mehr, als der Korrespondent von «Radio 24», der seine Töne ebenfalls auf dem Lokalradiomarkt weiterverkauft hatte.

Als sich Käsermann 2008 beruflich neu orientierte und als Mediensprecher zur SP wechselte, verkaufte er das «Bundeshaus-Radio». «Ich bot es zuerst ‹Radio Top› an, aber die wollten nicht», erinnert sich Käsermann. Dann meldete er sich bei ‹Radio Zürisee›. Dort ging es schneller. Innerhalb eines Tages wurde man sich handelseinig. ‹Radio Zürisee› wird das Korrespondentenbüro bis zur Einstellung Ende Jahr die längste Zeit seiner gut 26-jährigen Existenz geführt haben.

Die Beiträge des «Bundeshaus-Radios» zeichneten sich durch die Nähe zu den Protagonisten und den politischen Geschäften aus.

Mit dem «Bundeshaus-Radio» verschwindet eine unabhängige journalistische Stimme, die Tag für Tag seit dem 12. Februar 1996 aus dem Epizentrum des politischen Geschehens der Schweiz berichtete. Seine Radiobeiträge zeichneten sich durch die Nähe zu den Protagonisten und den politischen Geschäften aus. Dem Anspruch der Gründer, die Politik einfacher und verständlicher zu vermitteln und auch mal Soft-News zu bringen, konnten die zahlreichen Journalistinnen und Journalistinnen, die für das «Bundeshaus-Radio» gearbeitet hatten, über weite Strecken gerecht werden. Wenn in der Wandelhalle plötzlich Palmen zur Dekoration standen, dann war ihnen das ein Beitrag wert mit kontroversen Stimmen zur exotischen Begrünung. Eigentlich trockene Themen, etwa die Einschätzung zu einem wenig überraschenden Abstimmungsresultat, lockerten sie mit passenden Musikschnipseln auf. Porträts von Politikerinnen und Politikern gestaltete das «Bundeshaus-Radio» auch mal als kurzes und kurzweiliges Frage-Antwort-Ping-Pong.

Über die Jahre entwickelte sich das Angebot des «Bundeshaus-Radios» für manche Sender nur noch zu einem «Nice-to-have». Wenn sie – mit Blick aufs Budget – abwogen, was denn wichtiger sei, das Bundeshaus oder die eigene Region, dann entschieden sich die Radios stets für die Nähe. «Neo1» aus Langnau im Emmental kündigte schon vor Jahren sein «Bundeshaus-Radio»-Abo. «Im Lauf der Jahre fokussierten wir uns immer dezidierter auf die Regionalisierung der Inhalte», erklärt Programmleiter Jüre Lehmann auf Anfrage. Aus dem gleichen Grund beendete auch «Radio Rottu Oberwallis» RRO die Zusammenarbeit. «Da wir einen direkten Draht zu den Walliser Parlamentariern haben, decken wir die Berichterstattung aus Bundesbern selber ab», teilt RRO-Redaktionsleiterin Silvia Graber mit. Der Hauptgrund für die Kündigung, so Graber, sei aber gewesen, dass die Beiträge aus dem Bundeshaus nicht vom Bakom angerechnet worden seien. Konzessionierte Lokalradios wie «Neo1» oder RRO müssen als Gegegenleistung für Gelder aus der Haushaltsabgabe einen regionalen Service-public-Auftrag erfüllen. Dieser umfasst aber nur lokale Informationen im engeren Sinn. Eine Meldung aus dem Bundeshaus wird nur dann der geforderten Mindestdauer an relevanter Information angerechnet, wenn ein eindeutiger Bezug zum Sendegebiet besteht.

Manch einem Talent diente die Arbeit fürs «Bundeshaus-Radio» als Sprungbrett zu einer erfolgreiche Karriere in Journalismus und Kommunikation.

Die verschiedenen Faktoren, die zur Einstellung geführt haben, zeigen vor allem eines: Das Modell hat sich überlebt. Mitgründer Adrian Grob sagt darum: «Heute würde ich kein Bundeshaus-Radio mehr gründen. Damals war es aber eine Marktlücke.» Dennoch bedeutet das Ende des «Bundeshaus-Radios» einen Verlust. Zum einen für die Vielfalt der Berichterstattung aus Bundesbern, zum anderen gehen attraktive Arbeitsplätze verloren, die manch einem Talent als Sprungbrett zu einer erfolgreiche Karriere in Journalismus und Kommunikation diente.

Bild: Unsplash/Andreas Fischinger

Leserbeiträge

Bruno Hofer 21. Oktober 2022, 09:05

Vielen Dank für die Erwähnung von mir als Pionier. Gepasst hätte auch der Name von Vanda Düring, die meinen Dienst nach meinem Wechsel zu Bundesrat Kaspar Villiger übernahm und ihn danach an Thomas Abegglen (heute Bundeskanzlei) weiter verkaufte. Auch Sie haben – nachdem ich mein Business über 10 Jahre für alle Stationen in der Deutsschweiz betreiben durfte von Basilisk bis Grischa und Rottu bis Radio Aktuell – erfolgreich gewirkt für die politische Information

Martin Diriwächter 23. Oktober 2022, 13:21

Schade ums Bundeshausradio. Einmal mehr profitiert CH Media. Nur blöd, dass CH-Media seine beiden jahrelangen und profilierten Bundeshausredaktoren vergrault hat, und beide innerhalb weniger Monate zu  SRF gewechselt haben.