von Nick Lüthi

Avenir Suisse zur Medienpolitik: Fantastereien im luftleeren Raum

Avenir Suisse schaltet sich in die medienpolitische Diskussion ein. Doch die beiden zentralen Vorschläge des liberalen Think Tanks für eine neue Medienordnung vermögen nicht an bestehende Diskussionsstränge anzuknüpfen und stehen etwas verloren im luftleeren Raum.

Wer sich länger mit Medienpolitik beschäftigt, kennt diesen Wunsch nach Klarheit, nach einer optimalen, oder zumindest idealen Medienordnung. Beim Blick auf die herrschende Medienordnung und ihre Leitplanken sieht alles ziemlich chaotisch und widersprüchlich aus. Da wünscht man sich Tabula rasa und einen Neuanfang, der klare Strukturen schafft. Von diesem radikalen Geist beseelt traten auch drei Autoren der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse ans Werk. Ihre Vorschläge stellen nach eigenen Angaben die heutige Medienförderung fundamental in Frage. «Aus unserer Sicht ist das unausweichlich», schreiben Jürg Müller, Basil Ammann und Laurenz Grabher.

Im Zentrum ihrer Studie «Eine Medienpolitik für das digitale Zeitalter» steht die Diagnose einer Wettbewerbsverzerrung. Insbesondere die SRG als mächtiger und mit mehr als einer Milliarde Franken an öffentlichen Mitteln alimentierter Koloss stelle die «grösste Bedrohung für die Medienvielfalt» in der Schweiz dar. Aber auch Massnahmen, wie die nationale Presseförderung oder kantonale Unterstützungsmassnahmen für die Medien, halten die Autoren für hinderlich hinsichtlich eines funktionierenden Wettbewerbs.

Da die Wettbewerbsverzerrung in der Argumentation der Autoren eine dermassen zentrale Rolle spielt, lohnt es sich, genauer hinzuschauen, was sie darunter verstehen. Leider erklären sie das nicht explizit. Die schiere Existenz der SRG ist ihnen Beleg genug. Wo und wie die SRG die Angebote privater Medien be- oder verdrängt oder wie die Presseförderung das Prosperieren subventionsfreier Zeitungen behindert, steht nirgends geschrieben auf den 97 Seiten des Debattenpapiers. Aktuelle Entwicklungen, die in eine andere Richtung weisen, werden ignoriert. Weder das Erstarken der TV-Sender von CH-Media, die im Live-Sport inzwischen eine echte Alternative zur SRG darstellen, noch die Pläne des Bundesrats, den Spielraum der SRG in der künftigen Konzession einzuschränken, finden Eingang in die Überlegungen des Think-Tanks.

Mit dem engen Fokus des Debattenpapiers erscheint die SRG als ein Moloch, den es um jeden Preis zurückzubinden gilt, bevor er noch grösseren Schaden anrichten.

Überhaupt scheint der Blick auf den Medienwettbewerb unvollständig. So gälte es auch die Rolle der SRG als publizistiche «Monopolbrecherin» zu würdigen. Internationale News aus Schweizer Perspektive gäbe es ohne die SRG nur noch von der NZZ. Sonst unterhält keine Medienorganisation mehr ein eigenes weltumspannendens Korrespondentennetz. Und in gewissen Regionen der Deutschschweiz bieten die Regionaljournale von Schweizer Radio SRF die einzige relevante Stimme neben dem dominierenden Lokalmedium.

Wenn die Autoren weiter schreiben, «Digitalisierung und Globalisierung haben auch in der Schweiz tiefe Spuren hinterlassen», dann müssten sie konsequenterweise nicht nur die Wettbewerbssituation innerhalb der schweizerischen Medienlandschaft würdigen, sondern auch den sehr ungleichen Wettbewerb zwischen den heimischen Medienunternehmen – private und SRG – mit den globalen Tech-Plattformen.

Mit dem engen Fokus des Debattenpapiers erscheint die SRG als ein Moloch, den es um jeden Preis zurückzubinden gilt, bevor er noch grösseren Schaden anrichten. So erscheint es nur als folgerichtig, die grosse Keule auszupacken und medienpolitische Massnahmen vorzuschlagen, die das Zeug hätten, die SRG de facto abzuschaffen. Könnte Avenir Suisse eine neue Medienordnung gestalten, dann stünde anstelle der heutigen SRG mit ihren eigenen Radio- und TV-Kanälen und den Online-Plattformen nur noch ein «Public Content Provider». Eine Idee, die der Think Tank schon vor acht Jahren formuliert hatte und jetzt wieder aufwärmt, ergänzt um das Element einer Auktion.

Die Idee mit dem «Public Content Provider», wie sie im Diskussionspapier steht, taugt nicht einmal als Gedankenspiel.

Dieser multimediale Nachrichtendienstleister würde selbst nur Inhalte produzieren und sie dann dem meistbietenden Medienunternehmen für die Distribution verkaufen. Die «Tagesschau» wäre dann beispielsweise beim «Tages-Anzeiger» zu sehen, der «Kulturplatz» bei der WOZ. Von diesem Modell mit einer Auktion erhoffen sich die Autoren, dass «bei gleichbleibendem Angebot die Medienabgabe gesenkt werden könnte».

Als Beispiele für Inhalte, welche dieser «Public Content Provider» produzieren würde, nennt Avenir Suisse ausschliesslich Radio- und Fernsehsendungen. Das mutet einigermassen sonderbar an in einem Szenario, das vorgibt, sich mit der Zukunft zu befassen. Eigentlich hätte man das Ganze auch und vor allem für digitale Formate durchspielen müssen. Dann wäre aufgefallen, dass sich bei der digitalen Produktion der Inhalt nicht mehr so leicht von der Distribution trennen und beliebig ausspielen lässt. Auch die Bedeutung von Persönlichkeiten, die einer Medienmarke ein Gesicht geben, unterschätzt dieses Modell.

Auf kürzere Sicht, innerhalb des aktuellen medienpolitischen Rahmens, sähe Avenir Suisse ein «Gebührenmodell 2.0» als Mittel gegen die Wettbewerbsverzerrung. Für den «problematischen Online-Bereich» der SRG sollten Gebühren, respektive ein Abo-Modell eingeführt werden, um so die Haushaltsabgabe senken zu können. Diese Form der Finanzierung komme besser dem Grundsatz nach, dass nur jene zahlen müssen, die auch einen Nutzen davon haben. Die Autoren sehen auch Nachteile eines solchen Modells, etwa der Rückgang der Nutzung. Einen anderen gewichtigen Nachteil nennen sie aber nicht. Mit einer Gebühr für Online-Inhalte entstünde die schwer zu rechtfertigende Situation, dass ein und derselbe Inhalt, je nach Ausspielweg, zusätzlich kosten würde. Wer sich zum Beispiel einen SRF-Dok am Fernsehen anschauen würde, was ja heute auch am Computer erfolgen kann, könnte das wie bisher tun. Auf dem gleichen Gerät, aber auf der Website von SRF, würde man zur Kasse gebeten für den gleichen Film.

Das Papier enthält auch ein paar ganz konkrete Forderungen, die gut zu den laufenden Debatten passen.

Dieses «Gebührenmodell 2.0» steht gleichermassen im luftleeren Diskussionsraum wie der Public Service Provider. Mit beiden Vorschlägen vermag Avenir Suisse nicht an bestehende medienpolitische Diskussionen anzuknüpfen. Im Kontrast dazu enthält das Papier auch ein paar ganz konkrete Forderungen, die gut zu den laufenden Debatten passen.

So kritisieren die Autoren mit Blick auf die kantonale Medienförderung völlig zurecht, dass Anzeigen von staatlichen Stellen und Behörden schlecht als Förderinstrument taugen. Sie verweisen auf die einschlägigen Erfahrungen damit in Österreich, wo das System «zu einer problematischen Nähe von Medienschaffenden und staatlichen Entscheidungsträgerinnen und -trägern» geführt habe. Andere nennen es auch Anzeigenkorruption.

Einen wunden Punkt trifft das Papier auch mit der Kritik an zu viel Meinungsjournalismus bei der SRG. Tatsächlich fällt seit ein paar Jahren bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF auf, dass sogenannte «Analysen» oft als Kommentar daherkommen. Eine Entwicklung, so die Autoren, welche die Glaubwürdigkeit der SRG unterminiere. Sie schreiben dazu: «Publizieren öffentlich finanzierte Institutionen Meinungsbeiträge und Kommentare, hat das Auswirkungen auf jene gesellschaftlichen Gruppen, welche die Meinungen nicht teilen. Bei ihnen wird über kurz oder lang die Glaubwürdigkeit des medialen Service public unterminiert, was in der Folge dessen demokratiepolitische Wirkung verringert.»

Und last but not least nimmt Avenir Suisse Stellung gegen die Pläne des Bundesrats, ein sogenanntes Leistungsschutzrecht für die Presse einzuführen. Demnach müssten Social Networks, Suchmaschinen und News-Aggregatoren eine Gebühr entrichten, wenn sie Ausschnitte von Medieninhalten («Snippets») auf ihren Plattformen als Vorschau anzeigen. «Ein Unding», finden die Autoren, weil es «mit der Rechtslogik des Urheberrechtsgesetzes bricht». Sie hätten auch noch den bürokratischen Leerlauf erwähnen können, den die Einführung eines solchen Leistungsschutzrechts nach sich zu ziehen droht.

Ganz am Schluss des Papiers wird es noch einmal spannend, wenn die Autoren für einen breiteren Blickwinkel und für eine «Informationspolitik» anstelle einer auf den Journalismus fokussierten Medienpolitik plädieren. «Die Grenzen zu Kultur- und Bildungsinhalten dürften im digitalen Raum noch stärker verwischen», halten sie richtigerweise fest. Vermutlich wäre das Papier ergiebiger geworden, wenn es dort angesetzt hätte.