Forschung zur Mediennutzung der Jungen: «Sieben Minuten sind weniger als 20 Minuten»
Junge Erwachsene verbringen auf dem Smartphone gerade mal sieben Minuten täglich mit News. Dieser Befund aus dem neuen Jahrbuch «Qualität der Medien» wirkt besorgniserregend. Aber eigentlich weiss man noch viel zu wenig über die wachsende Gruppe der «News-Deprivierten». Wissenschaft und Medien wollen zusammen mehr erfahren.
Der Witz liegt auf der Hand und darum hörte man ihn bei der Präsentation der aktuellen Ausgabe des Jahrbuchs «Qualität der Medien» nicht nur einmal: «Sieben Minuten sind weniger als 20 Minuten». Das ist nicht nur eine mathematisch korrekte Aussage, sondern auch das Ergebnis medienwissenschaftlicher Forschung. Gerade einmal sieben Minuten pro Tag verbringen junge Menschen in der Schweiz durchschnittlich mit News auf ihrem Smartphone. Dabei hielt man schon 20 Minuten für wenig. Aber es geht offenbar noch tiefer.
309 Personen zwischen 19 und 24 Jahren liessen den Datenverkehr auf ihren Handys während vier Wochen tracken und auf einen Forschungsserver der Uni Zürich übermittelten. Damit wollte das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft fög zusammen mit anderen Unis herausfinden, wie junge Erwachsene Medien nutzen. Das Resultat sei «ernüchternd», steht im Jahrbuch «Qualität der Medien», das die Untersuchung veröffentlicht hat. Durchschnittlich 7,2 Minuten konsumierten die jungen Männer und Frauen journalistische Medienangebote, wobei die Nutzung der Männer mit fast elf Minuten doppelt so hoch lag wie jene der Frauen. Woher diese Differenz genau rühre, wisse er nicht, sagt Daniel Vogler, Mitautor der Untersuchung und stellvertretender Direktor des fög. Einer der Gründe könne das unterschiedliche Interesse an News sein. So zeige der aktuelle Reuters Digital News Report, dass sich Männer häufiger stark oder sehr stark für Nachrichten (56%) interessierten als das bei Frauen der Fall ist (45%). «Fast alle Studien zum Thema kommen zu ähnlichen Befunden», sagt Vogler. Auch die Befragung der Teilnehmenden der Trackingstudie bestätigten dies.
Auch nicht ermitteln lässt sich die gesamte Nutzungszeit pro Tag und Person. Sieben Minuten News auf eine Stunde Gesamtnutzung ergeben ein anderes Muster als sieben Minuten auf sieben Stunden. Dass dieser Wert nicht bekannt sei, erklärt Daniel Vogler, liege daran, dass die übermittelten Daten nicht eindeutig darüber Auskunft geben, ob sie aufgrund einer aktiven Nutzung eines Users anfallen oder aufgrund automatischer Aktivitäten mancher Websites und Apps. Klar sei aber, und das überrascht wiederum niemanden, die Handy-Nutzung sei sehr hoch.
Der Anteil jener Menschen ist weiter gestiegen, die höchstens sporadisch oder gar keine journalistischen News nutzen.
Die grösste Schwäche der Trackingstudie liegt aber darin, dass die Inhalte, die ausschliesslich innerhalb von Instagram und TikTok genutzt wurden, nicht erfasst werden können, weil das die Zustimmung der Betreiber der Apps erforderte. Damit lässt sich ausgerechnet die Nutzung jener Plattformen nicht analysieren, die Medienunternehmen vermehrt mit speziellen News-Formaten bespielen, um der jungen Zielgruppe dort Journalismus zu bieten, wo sie sich gerne und häufig aufhält.
Am Ende bleibt die recht banale Erkenntnis: Junge Leute drücken zwar dauernd auf ihrem Smartphone herum, aber sehr selten auf ein Nachrichten-Angebot. Dieser Befund fügt sich in das grössere Bild ein, das inzwischen recht besorgniserregend aussieht.
Wie die aktuelle Ausgabe des Jahrbuchs «Qualität der Medien» zeigt, ist der Anteil jener Menschen weiter gestiegen, die höchstens sporadisch oder gar keine journalistischen News nutzen – und zwar in allen Altersgruppen. Heute zählen 38,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung dazu. 2009 waren es noch 21 Prozent. Das Jahrbuch nennt diese Gruppe «News-Deprivierte», also mit Nachrichten Unterversorgte, wobei die Forschung keine Schwelle definiert, wann eine angemessene Versorgung aufhört und wo die Unterversorgung anfängt. Feststellen lassen sich aber handfeste Auswirkungen auf die demokratische Partizipation: Wer sich weniger mit Nachrichtenmedien informiert, nimmt mit deutlich geringer Wahrscheinlichkeit an Abstimmungen teil. Das zeigt eine Teilstudie im Rahmen der Jahrbuch-Forschung.
Die Motive der einzelnen Personen, weshalb sie sich von den Medien abwenden, kennt die Forschung noch zu wenig. «Ein Teil klinkt sich bewusst aus, da sprechen wir von News-Avoidance», sagt Medienwissenschaftler Daniel Vogler. Mehrheitlich handle es sich aber um einen unbewussten Prozess. «Möglicherweise verdrängen andere Angebote und Aktivitäten die Newsnutzung. Vor allem Social Media zur Unterhaltung oder Streaming-Dienste und Games nehmen eine bedeutende Rolle ein», sagt Vogler.
Die Zunahme der «News-Deprivierten» in den Corona-Jahren dürfte zu Teilen auch dem Vertrauensverlust massnahmenkritischer Kreise in die Massenmedien geschuldet sein. Genauer erforscht ist dieser Zusammenhang aber nicht. Es handle sich höchstens um ein Randphänomen, glaubt Daniel Vogler und verweist auf die vergleichsweise bescheidene Nutzung sogenannter Alternativer Medien, wie sie eine Studie zu Desinformation in der Schweiz festgestellt hatte. Klar ist aber, dass die Gruppe der «News-Deprivierten» mit ihrem Anwachsen immer heterogener wird. «Daher könnte es sich lohnen, sie in Zukunft nicht mehr als eine einzige Kategorie zu behandeln in unserer Forschung.»
Inzwischen deckt sich der Fokus der Wissenschaft sich stärker mit den Interessen der Medien. Das schafft die Grundlage für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Interesse an präziseren Daten und genaueren Erkenntnissen hat nicht nur die Wissenschaft. «Wir erhalten so viele Anfragen von Verlagen und Redaktionen wie noch nie», sagt Vogler. «Sie wollen mehr erfahren über die Forschungsergebnisse, die sie betreffen.» Vor zehn und mehr Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen. Das fög mit seinem neuen «Jahrbuch» diente manchen Medienschaffenden als regelrechtes Feindbild. Was auch daher rührte, dass damals wenig rühmliche Befunde zur Medienqualität im Zentrum gestanden hatten.
Inzwischen hat sich die Medienqualität stabilisiert und der Fokus der Wissenschaft deckt sich stärker mit den Interessen der Medien selbst, sei es mit der Forschung zu Desinformation oder dem Nutzungsverhalten. Das schafft die Grundlage für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Oder wie im Jahrbuch steht: «Nicht zuletzt braucht es mehr Wissen dazu, mit welchen Inhalten und welchen Vermittlungsformen der Journalismus in der digitalen Ära sein Publikum findet. Hierfür ist eine intensivere Kooperation zwischen Medienschaffenden und der Wissenschaft sinnvoll.»