Monopolzeitung, Medienmacht und Meinungsbildung
Eine SP-Politikerin beschwert sich bei den fusionierten Berner Tamedia-Zeitungen BZ/Bund über die einseitige Berichterstattung und fordert einen Gastbeitrag. Die Redaktion gewährt ihr ein Interview. Zeigt sich hier das schlechte Gewissen einer Monopolzeitung oder nur der Courant normal im Lokaljournalismus?
Dass sich Politikerinnen bei den Medien beschweren, wenn ihnen die Berichterstattung missfällt, gehört zum journalistischen Alltag. Dass eine Zeitung einer Politikerin, die sich beschwert, ohne Umschweife eine Plattform bietet, geschieht eher selten; so zum Beispiel kürzlich in Bern.
Am 12. November kritisierte die gemeinsame Redaktion der Tamedia-Zeitungen «Bund» und «Berner Zeitung» zum wiederholten Mal das Budget der Stadt Bern fürs kommende Jahr. In einem Leitartikel empfahl der zuständige Ressortleiter unter dem Titel «Nein zur Schuldenwirtschaft der Stadt Bern» die Vorlage in der kommenden Abstimmung abzulehnen. Geschnürt haben das Budget der SP-Finanzdirektor und die rot-grüne Mehrheit im Parlament. Das zweistellige Millionendefizit hält die politische Linke selbstredend für keinen Sündenfall, wie das die Zeitung schon mehrfach dargestellt hat.
Früher schrieben die beiden Blätter immer wieder in unterschiedliche Richtungen, auch um sich von der Konkurrenz abzuheben und ihr eigenes politisches Profil zu schärfen.
Nach der Abstimmungsempfehlung griff Lena Allenspach, Co-Präsidentin der lokalen SP, zum Telefon und rief den Autor des Leitartikels an. «Mein Problem sind nicht Meinungskommentare, die sich nicht mit meiner eigenen Ansicht decken», erklärt Allenspach auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Sie störe aber die einseitige Berichterstattung, dass die Argumente der befürwortenden Seite nicht oder zu wenig vorkamen und explizit zu einer Abstimmungsparole aufgerufen wurde. «Die Zeitungen tragen eine besondere Verantwortung für die Meinungsbildung», findet die Politikerin; umso mehr nach dem Zusammenschluss der Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» vor gut einem Jahr. Vorher schrieben die beiden Blätter immer wieder in unterschiedliche Richtungen, auch um sich von der Konkurrenz abzuheben und ihr eigenes politisches Profil zu schärfen.
Den Vorwurf der Einseitigkeit oder gar des Missbrauchs der Monopolstellung hört die Redaktion von «Bund»/BZ natürlich nicht gerne. Chefredaktor Simon Bärtschi betont gegenüber der MEDIENWOCHE, man achte auf eine ausgewogene Berichterstattung. «Das gilt auch für die Abstimmung über das Budget der Stadt Bern.» Trotzdem bot die Redaktion im vorliegenden Fall der Kritikerin eine Plattform. SP-Politikerin Allenspach forderte einen Gastkommentar, in dem sie ihre Sicht als Budget-Befürworterin darlegen könnte. «Im Interesse der Ausgewogenheit haben wir aber mit Frau Allenspach ein kritisches Interview geführt», erklärt der Chefredaktor. Eine weitere Erklärung für das gewährte Gespräch fand sich in einem Textkasten zum Interview. Dort steht: «Im Sinne einer optimalen Meinungsbildung darf sie hier die Position der SP zur rot-grünen Finanzpolitik verteidigen.» Die beiden Erklärungen lassen sich auch als Eingeständnis lesen, dass die Berichterstattung zur Berner Budget-Abstimmung doch nicht ganz so ausgewogen gewesen wäre ohne das Interview mit der SP-Politikerin.
Mit der Kritik von links und rechts sieht sich die Redaktion in ihrem Vorgehen bestätigt.
Bei der Deklaration der Entstehungsgeschichte stand die Redaktion vor einem Dilemma. Hätte sie das Making-of verschwiegen, wäre der Vorgang wahrscheinlich irgendwann als Gerücht in Umlauf und die Redaktion dadurch in Verruf geraten. Die nun geschaffene Transparenz erweckt wiederum den Eindruck, dass man sich nur laut genug über die Berichterstattung beschweren muss und dann ein Interview «geschenkt» erhält. Ein lokaler FDP-Politiker schrieb denn auch prompt auf Twitter: «Eine Woche vor der Abstimmung zum #Schuldenbudget2023 erhält das Ja-Lager die grosse Bühne.» Wobei das Nein-Lager zuvor die noch grössere Bühne erhalten hatte von Berner Tamedia-Blättern.
Mit der Kritik von links und rechts sieht sich die Redaktion in ihrem Vorgehen bestätigt. «Das ist aus publizistischer Sicht stets ein gutes Zeichen», folgert Bärtschi. Zwar bemüht sich der Chefredaktor das auf Druck hin gewährte Interview als Courant normal im Lokaljournalismus darzustellen. Man kann die Vorgänge aber auch kritischer beurteilen. Ist es die Aufgabe einer Monopolzeitung eine Abstimmungsparole auszugeben, nachdem bereits zuvor zwei Kommentare mit der gleichen inhaltlichen Stossrichtung erschienen waren und die Berichterstattung sich insgesamt kritisch mit dem Gegenstand befasst hatte? Wenn die Redaktion zwei Wochen vor dem Abstimmungstermin den publizistischen Vorschlaghammer auspackt, überrascht es nicht, wenn die kritisierte Seite eine angemessene Präsenz fordert.
Medien und Politik müssen sich zusammenraufen und sich ihrer gesellschaftlichen Rolle entsprechend verhalten.
Die Intervention der SP-Politikerin zeigt aber noch etwas anderes: Unabhängig aller Möglichkeiten der modernen Kommunikation die Bürgerinnen und Wähler direkt anzusprechen, erfüllen redaktionelle Medien weiterhin eine unverzichtbare Aufgabe. «Wir sind gegenseitig aufeinander angewiesen», sagt Lena Allenspach. «Eine unabhängige Presse und eine gelebte Medienvielfalt sind unabdingbar für die Demokratie.» Auch wenn der Umgang miteinander nicht immer einfach und konfliktfrei verläuft, müssen sich die beiden Seiten zusammenraufen und sich ihrer gesellschaftlichen Rolle entsprechend verhalten.