von Oliver Classen

Kommunikation im «Gerichtssaal der Öffentlichkeit»

Im Spannungsfeld zwischen Krisenkommunikation und Reputationsmanagement hat sich mit der sogenannten Litigation PR eine neue Spezialdisziplin der Medienbeeinflussung entwickelt. Einblicke in die Potentiale und Probleme der von Medien und Justiz noch unterschätzten Öffentlichkeitsarbeit im Rechtsstreit lieferte kürzlich eine Veranstaltung in Winterthur. Highlight war ein selbstironischer Auftritt von Ex-«Bild»-Chef Kai Diekmann.

Auch der neueste Schrei im Kommunikationsgeschäft kommt aus dem Mutterland der Public Relations. «Litigation-PR» heisst die bereits in den 1980ern entstandene Spezialdisziplin, welche aber erst in den letzten Jahren aus den USA via Grossbritannien so richtig nach Kontinentaleuropa geschwappt ist. Der Begriff bedeutet in etwa «strategische Rechtskommunikation» und umfasst die gesamte Öffentlichkeitsarbeit vor, während und nach juristischen Streitigkeiten. Allmählich setzt sich auch bei uns die Erkenntnis durch, dass «Rechtsstreitigkeiten nicht mehr ausschliesslich im Gerichtssaal verhandelt werden, sondern auch im Gerichtssaal der Öffentlichkeit (‹court of public opinion›)». So wird der frühere US-Rechtsberater von Daimler Chrysler, Steven B. Hantler, in einem der Pionierbücher über Litigation-PR zitiert.

Wie alles, was aus dem Land der unbegrenzten PR-Budgets kommt, ist auch der «Gerichtssaal der Öffentlichkeit» ein Business Case. Böse Zungen sagen gar: vor allem sei es ein gutes Geschäft. So überrascht es nicht, wenn der Organisator der jüngst über die Bühne gegangenen Tagung über «Sustainability, Accountability & Litigation-PR» nicht nur Leiter des Zentrums für Wettbewerbsrecht und Compliance an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW ist, sondern auch Chef einer unter anderem auf Rechtskommunikation spezialisierten Kanzlei. Patrick Krauskopf ist deshalb so etwas wie der Schweizer Litigation-PR-Papst.




Das Eingangsreferat hielten Krauskopfs ZHAW-Kollegen Guido Keel und Vinzenz Wyss. Die Journalismus-Professoren mahnten die anwesenden Rechtsberater, Juristinnen und PR-Profis, in ihrer Arbeit «die Eigenlogik der Medien besser zu antizipieren», navigierten aber selbst auch nur auf Sicht im nebulösen Bermudadreieck zwischen Justiz, Redaktionen und Öffentlichkeit. Am Beispiel des Mordverdachts gegen den Urner Barbesitzer Ignaz Walker, der von 2010 bis 2018 verschiedene Schweizer Gerichte beschäftigte, entwickelten sie die These: «Litigation-PR ist zunächst das Mittel des Davids (Walkers Anwalt) gegen den Goliath (die Justizbehörden)», mit der Betonung auf «zunächst». Denn natürlich organisierten auch die unter Rechtfertigungsdruck geratenen Strafverfolger diskrete Medienbriefings. Im Gegensatz zum medial geschulten Verteidiger vertraten sie Wyss gegenüber allerdings die Ansicht, dass sich «die Aufgabe der Medien darauf beschränken sollte, zu berichten, was im Gerichtssaal gesagt wird». Gegen diese «in juristischen Kreisen immer noch weit verbreitete Naivität bezüglich dem Auftrag und der Arbeitsweise von Journalist*innen» helfen laut Guido Keel nur Kommunikationsfachleute an Gerichten oder bei Staatsanwaltschaften.

Die Wirksamkeit der Botschaft hängt auch in der Litigation PR direkt von der Glaubwürdigkeit des Absenders und der gelieferten Information ab.

Dass diese bei juristischen Institutionen zumeist Mangelware sind und diese deshalb zu häufig eine zu schlechte Presse haben, meinte auch der per Video zugeschaltete Carl Baudenbacher. Als langjähriger Präsident des EFTA-Gerichtshofs in Luxemburg und Partner einer renommierten Zürcher Wirtschaftskanzlei kennt er Schweizer und internationale Verfahren von beiden Seiten der Gerichtsschranken. Sein Plädoyer für eine professionellere Medienarbeit seiner Kolleg*innen begründete er mit dem Argument, dass auch das Rechtspersonal ein Teil der Öffentlichkeit und deshalb für mediale Meinungsmache erreichbar ist. «Auch Richter haben von jedem Fall ein Vorverständnis, das durch ihre Herkunft, ihre Überzeugungen aber auch durch ihre Zeitungslektüre geprägt wird», sagte Baudenbacher. «Und dieses Vorverständnis kann durch gute Litigation-PR durchaus beeinflusst werden.» Der auch in den USA praktizierende Anwalt wies zudem darauf hin, dass dort für angehende Jurist*innen längst auch «Trial Advocacy» auf dem Lehrplan steht, wo es um wirksame Rhetorik und taktische Kommunikation im, aber auch ausserhalb des Gerichtssaals geht. «Schweizer Anwälte hingegen lesen immer noch mit monotoner Stimme schriftliche Stellungnahmen ab und kommen gleich aus dem Konzept, wenn sie ein Richter oder Journalist unterbricht.»

 

«Die Relevanz dieser Schnittstelle ist noch nicht auf den Redaktionen angekommen»

Patrick Krauskopf ist Jurist und Professor an der ZHAW School of Management and Law. Er kürzlich die Litigation-PR-Tagung 2022 mitorganisiert.

MEDIENWOCHE:

Trotz prominenter Referent*innen sind viele Stühle in der Aula der ZHAW leer geblieben. Ist das Thema noch nicht in der Schweiz angekommen?

Patrick L. Krauskopf:

Es gibt hierzulande sehr wenig Spezialisten auf diesem Gebiet. Auch zur grössten Veranstaltung dazu im deutschsprachigen Raum, die dieses Jahr in Frankfurt stattfand, kamen nur um die 100 Leute. Bis vor fünf Jahren war Litigation PR halt im gesamten DACH-Raum noch völlig unbekannt. Hinzu kommt die Corona-Gewohnheit, solche Tagungen zu Hause zu verfolgen. Deshalb haben wir das Ganze auch live gestreamt. Damit erreichen wir über den Veranstaltungstag hinaus ein grosses Publikum – insbesondere jene Leute, die sich neu für das Thema interessieren.


MEDIENWOCHE:

Immer mehr Konflikte werden vor Gericht ausgetragen, auch hochpolitische. Trotzdem stösst die Rechtskommunikation bei Medienschaffenden kaum auf Resonanz. Warum?

Krauskopf:

Das frage ich mich auch. Offenbar ist die massiv gestiegene Relevanz dieser Schnittstelle zwischen Juristerei und Öffentlichkeitsarbeit einfach noch nicht auf den Redaktionen und in den Journalismus-Schulen angekommen.


MEDIENWOCHE:

Könnte das auch am eher abschreckend wirkenden Anglizismus «Litigation PR» liegen?

Krauskopf:

Gut möglich, dass der Begriff etwas sperrig ist. Selbst unsere hausinternen Medienprofessoren dachten ja offenbar, dass sie hier primär zu Jurist*innen sprechen. Vermutlich, weil die Tagung von der Fakultät für «Business Law» organisiert wird (lacht). Das Verbesserungspotential ist aber erkannt: Die für 2024 geplante Weiterbildung, welche wir derzeit konzipieren, wird Rechtskommunikation heissen.


MEDIENWOCHE:

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Potenziale für Litigation PR im angelsächsischen Kulturraum und Rechtssystem bedeutend grösser sind als bei uns.

Krauskopf:

Nein, das Potential ist in Deutschland, Österreich oder der Schweiz genau gleich gross. Der ganze Kommunikationsprozess lässt sich ja in drei Phasen aufteilen: Vor, während und nach einem Gerichtsverfahren. Davor hat man hier in Europa wie in den USA dieselben Mittel und Möglichkeiten, wenn es darum geht, die eigene Position darzustellen und ein strategisches Narrativ zu etablieren – egal ob das Handelsgericht Zürich oder der District Court of New York zuständig ist. Unterschiede gibt es beim Verfahren selbst, dessen Verlauf in den USA grundsätzlich von grösserem öffentlichem Interesse ist und wo es deshalb häufig mehr um Wirkung als um Inhalte geht als bei uns. Man kennt das von Gerichtsfilmen aus Hollywood, wo das Plädoyer zur schauspielerischen Glanzleistung und rhetorischen Kunstform wird. Vor Schweizer Richtern geht es deutlich nüchterner zu. Aber auch im nachprozessualen Reputationsmanagement gelten dies- und jenseits des Atlantiks die gleichen Regeln und Potenziale.


MEDIENWOCHE:

Der Titel der diesjährigen Veranstaltung lautete «Sustainability, Accountability & Litigation PR», also noch mehr Anglizismen. Wie wirkt sich der politische und gesetzliche Druck in Sachen Nachhaltigkeit und Rechenschaftspflicht von Unternehmen auf Nachfrage und Praxis der Litigation PR aus?

Krauskopf:

Es findet grad eine starke Veränderung auf Seiten der Unternehmen statt, die sich ihrer rechtlichen Pflichten und gesellschaftlichen Verantwortung im Bereich der Nachhaltigkeit bewusster werden. Das gilt nicht nur für Konzerne, sondern auch für den Mittelstand. Und dabei geht es längst nicht mehr nur um die Kommunikation im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, also klassische Litigation PR, sondern um die Begleitung der gesamten Aussenwirkung in diesem immer wichtigeren Themenbereich, sei es gegenüber Journalist*innen, in den sozialen Medien oder bei Kunden und Partnern.


MEDIENWOCHE:

Aber nochmals: Wieso sollten sich Schweizer Medienschaffende für diese neue Kommunikationsdisziplin interessieren?

Krauskopf:

Weil sie sich bewusst sein sollten, dass sie nicht nur Informationsverarbeiter und Geschichtenerzählerinnen, sondern zunehmend auch das Ziel gezielter Beeinflussungsversuche sind. Litigation-PR-Experten wollen ja, dass ihre Mandantinnen im gewünschten Licht präsentiert wird. Die Ausbildung muss deshalb auch die Fähigkeit zur journalistischen Selbstreflexion fördern. In Zeiten mit stetig steigendem Produktionsdruck und Ressourcenmangel müssen Medienmitteilungen noch kritischer hinterfragt werden.

Die Wirksamkeit der Botschaft hängt auch in der Litigation PR direkt von der Glaubwürdigkeit des Absenders und der gelieferten Information ab. Entsprechend eröffneten Monica Fahmy und Sven Millischer ihren Tagungsbeitrag mit der Feststellung: «Je umfassender und gesicherter die Informationslage, desto zielgerichteter und nachhaltiger die darauf aufbauende Kommunikationsstrategie». Die beiden Ex-Journalist*innen arbeiten heute für die Investigativ-Firma «Assets Control», welche ihrer illustren Klientel aus Wirtschaft und Politik mittels «Open Source Intelligence» (OSINT) und anderer Forensik ein auf «Best-In-Class-Daten» beruhendes «gerichtsfestes Reporting» verspricht. Wie sich Informationsmangel kommunikativ auswirken kann, illustrierten sie am desolaten Auftritt von Heinz Tännler in der SRF-«Rundschau», wo der Zuger Finanzdirektor im März jegliche Zuständigkeit für die Umsetzung der Sanktionen gegen russische Oligarchen bestritt. Das daraus abgeleitete Rezeptbuch für bessere Behördenkommunikation zu Krisenzeiten lautete: Vorgängiges Issue Management, Beschaffung aller relevanten Fakten und dann deren professionelle Vermittlung, aber bitte schön durch Kommunikationsprofis (statt den direkt Verantwortlichen).

Ein Verfahren gibt häufig überhaupt erst Anlass zur Berichterstattung – und damit auch zur Ausbreitung von Fakten, die sonst gar nie bekannt würden.

Kai Diekmann findet denn auch «einfach so in eine TV-Kamera zu sprechen sei so ungefähr das Dümmste, was man machen kann. Das ist der völlige Kontrollverlust und ein absolutes No-Go.» Der als Stargast verpflichtete Ex-«Bild»-Chefredaktor weiss aus eigener Erfahrung, dass das Meinungsklima im Gerichtssaal der Öffentlichkeit manchmal viel entscheidender ist als der Ausgang des eigentlichen juristischen Verfahrens. «Man kann beim Richter klar gewinnen und trotzdem einen dramatischen Reputationsverlust erleiden.» Exemplarisch dafür steht Diekmanns legendärer Rechtsstreit um die im Mai 2002 in der Berliner tageszeitung (taz) erschienene Satire «Sex-Schock! Penis kaputt?». Deren Autor dichtete Diekmann eine missglückte Verlängerungsoperation an seinem besten Stück an, wogegen Diekmann zwar erfolgreich klagte. Sein Image als humorloser Presse-Potenzprotz war damit aber in Stein gemeisselt. «Da mich die taz schon jahrelang unter der Gürtellinie piesackte, fragte ich unsere Hausjuristen damals, ob ich diesen Prozess gewinne. Die Antwort war ja – und meine Entscheidung, vor Gericht zu gehen, einer der grössten Fehler meines Berufslebens.»

Womit wir zurück bei der David-Goliath-Logik wären: die kleine, freche taz gegen den grossen, feisten Springer-Konzern. Diekmann gab aber auch zu bedenken, dass ein Verfahren häufig überhaupt erst Anlass zur Berichterstattung gebe – und damit auch zur Ausbreitung von Fakten, die sonst gar nie bekannt würden. Eine strategische Chance/Risiko-Analyse ist folglich die DIE zentrale Aufgabe aller juristischen Berater und PR-Managerinnen. Dass der heutige Berater von Firmen wie Uber oder Palantir aus seinem Rechtskommunikations-GAU gelernt hat, zeigte sich 2009, als ein Relief des Bildhauers Peter Lenk an der Ostwand des gegenüber vom «Bild»-Verlag liegenden taz-Gebäudes montiert wurde. Die provokante Plastik heisst (nach einem Diktum von Friede Springer) «Friede sei mit Dir», wird im Volksmund aber «Pimmel über Berlin» genannt und zeigt eine Diekmann-Karikatur mit fünfstöckigem Penis. «Statt dagegen zu klagen habe ich mich diesmal mit breitem Grinsen drunter gestellt und die Bilder auf Instagram publiziert. Das war ein Knüller und hat mir viel mehr genützt als der taz.» Merke: Selbstironie hilft auch in aussichtslosen Lagen. Und manchmal vielleicht ja sogar vor Gericht.