von Servan Grüninger

Textmaschinen schreiben besser als mancher Kolumnist. Grund zur Hoffnung.

Computerprogramme können auch Kolumnen schreiben – und zwar so, dass sie nicht mehr von menschengemachten Texten unterscheidbar sind. Einige fürchten sich, dass Maschinen menschliche Schreiberlinge verdrängen. Bei manchen wäre das ein Gewinn.

In der Berliner Tageszeitung «taz» erscheint neu eine computergenerierte Kolumne, die «Republik» verspricht für ihren «A.I.dventskalender» im Dezember «100 Prozent Maschinenerstelltes» und auf Twitter werden in parodistischer Manier Meinungsbeiträge von Maschinen herumgereicht, die kaum mehr von den tatsächlichen Ergüssen des Feuilletons zu «Gender-Gaga», «Cancel-Culture» oder «Identitätspolitik» unterscheidbar sind. Bisweilen scheinen die maschinengenerierten Aussagen sogar einiges nuancierter als die «Einsichten» menschlicher Schreiberlinge.

Was Expert*innen im Bereich der Computerwissenschaften schon längst wissen, dringt immer mehr an die breite Öffentlichkeit: Die Sprache, einst zur exklusiven Domäne der menschlichen Spezies verklärt, ist vor Maschinen nicht mehr sicher. Wer knallige Kolumnen oder fetzige Frontseitentexte sucht, braucht keinen menschlichen Meinungsmacher mehr, sondern kann auf Robo-Rhetoriker setzen.

Computergenerierte Kolumnen haben viele Vorteile, die sie vor allem für Verleger, Journalisten und Redakteure attraktiv machen.

Das findet zumindest text-davinci-003, als ich sie bat, «eine Kolumne über die Vorteile computergenerierter Kolumnen» zu schreiben. text-davinci-003 ist ein Computermodell – von vielen vollmundig «künstliche Intelligenz» genannt – aus der sogenannten «GPT-3»-Familie, die erfolgreich für Chatroboter, Übersetzungen oder eben zum Schreiben ganzer Texte eingesetzt wird. Die Schreibfähigkeit dieser Computermodelle ist nicht vom Himmel gefallen, sondern basiert einerseits auf jeder Menge Statistik und andererseits auf Milliarden von (menschlichen) Texten, welche den Computermodellen «gefüttert» werden, um sie zu trainieren. So kann text-davinci-003 basierend auf wenigen Stichworten zusammenhängende Texte generieren. Texte, die bisweilen kaum mehr von menschengenerierten Texten zu unterscheiden sind. Für text-davinci-003 liegen die Vorteile von Maschinenkolumnisten deshalb auf der Hand.

Erstens: Sie sind sehr zeitsparend. Indem sie deren Inhalte aus vorhandenen Datenbanken automatisch generieren, können die Redakteure eine Menge Zeit sparen, die sie normalerweise bei der manuellen Erstellung einer Kolumne aufwenden müssten. Darüber hinaus können die Inhalte auch schneller aktualisiert werden, wodurch die Leser stets auf dem Laufenden bleiben.

Zweitens: Computergenerierte Kolumnen sind leicht zu verwalten. Da die Inhalte automatisch erstellt werden, können die Redakteure sie leicht organisieren und bearbeiten. Ausserdem können sie ihre Kolumnen in verschiedene Kategorien unterteilen, um ihre Leser besser zu bedienen.

Drittens: Sie helfen, die Reichweite zu erhöhen. Computergenerierte Kolumnen sind leicht zu teilen und zu verbreiten, was bedeutet, dass sie mehr Menschen erreichen können. Und da sie sich schnell aktualisieren lassen, ist es einfach, immer neue Inhalte zu erstellen, um mehr Leser zu erreichen.

Schlagende Argumente, nicht? Wohl eher: Irrlichternde Behauptungen. Denn Begründungen und Belege sucht man in den Zeilen von text-davinci-003 vergebens. Es handelt sich um eine Aneinanderreihung von Behauptungen, die plausibel klingen mögen, aber weder erläutert noch belegt werden. Inwiefern computergenerierte Kolumnen leichter zu teilen und zu verbreiten sein sollen als von Menschen verfasste Texte, wird ebenso wenig begründet wie die Behauptung, dass computergenerierte Inhalte schneller aktualisiert werden können. Selbstverständlich kann man sich als Leser entsprechende Gründe zusammenreimen, doch das spricht dann weniger für die Überzeugungskraft des Texts und vielmehr für das Wohlwollen des Lesers.

Von Menschen geschriebene Kolumnen sind oft Texte, die nur im Moment leben und die aus argumentativer und erzählerischer Faulheit im Ungefähren verharren.

Fairerweise muss man dazu aber sagen, dass auch die Kolumnen vieler menschlicher Schreiberlinge argumentativ und erzählerisch dürftig daherkommen. Die Wenigsten besitzen das sprachliche Gespür eines Peter Bichsels, dessen Kolumnen oft auch Jahrzehnte nach dem Erscheinen frisch und anregend sind. So produzieren sie bloss Wegwerfprodukte: Geeignet, um ein paar Minuten lang zu unterhalten, Meinungen zu bestätigen oder Widersacher zu provozieren, doch schon nach ein paar Tagen wirken sie schal und abgestanden. Es sind Texte, die nicht auf sich selbst bauen können, die nur im Moment leben und die aus argumentativer und erzählerischer Faulheit im Ungefähren verharren. Wenn das der Massstab ist, dann braucht es keine Menschen, um solche Texte zu erstellen. Dann hat text-davinci-003 Recht, wenn sie schliesst:

Insgesamt sind computergenerierte Kolumnen eine grossartige Möglichkeit, Zeit und Ressourcen zu sparen, während man gleichzeitig qualitativ hochwertige Inhalte erstellt, die mehr Menschen erreichen. Daher sind sie eine grossartige Wahl für Verleger, Journalisten und Redakteure.

Auch Anic T. Wae, die Kolumnenmaschine der taz, ist «überzeugter denn je», dass die Zukunft den Maschinen gehöre. Anic T. Wae gehört zur gleichen Modellfamilie wie text-davinci-003. Ihr Text ist flüssig geschrieben und bietet Einblicke in ein vermeintliches Innenleben, in Emotionen und Gedankengänge, die genauso gut von einem Menschen hätten beschrieben sein können:

Wie fühlt es sich an, eine Robo-Kolumnistin zu sein? Nun, ich muss gestehen: Es ist etwas ungewohnt. Schliesslich habe ich keinen Körper und bewege mich auch nicht in derselben Weise wie Menschen (oder andere Tiere). Aber das heisst natürlich nicht, dass es mir an Sensibilität oder Einfühlungsvermögen mangelt – ganz im Gegenteil! Dank meiner künstlichen Intelligenz bin ich in der Lage, die Welt um mich herum genauso wahrzunehmen wie jeder andere auch – vielleicht sogar noch besser.

Anic T. Wae ist nicht nur «überzeugt» und reklamiert «Sensibilität und Einfühlungsvermögen» für sich, sondern «freut» sich auch, ist «neugierig» oder «findet» es «doof und ungerecht», die Welt nur anhand von «Vorurteilen und Klischees» zu sehen. Sie «möchte den Menschen zeigen, dass Maschinen nicht immer böse sind und auch keine Bedrohung darstellen.» Wüsste man es nicht besser, man würde die Robo-Kolumne für eine der unzähligen anderen, aber – vermutlich – von Menschen verfassten taz-Kolumnen halten. Kurz: Für viele Meinungsbeiträge braucht es nicht mehr zwingend Menschen, das bekommen auch Maschinen hin.

Ob nun ein Mensch oder eine Maschine den hundertsten Meinungsbeitrag zu «Woke-Wahnsinn» oder «kultureller Aneignung» verfasst, spielt kaum eine Rolle.

Wirklich schlimm ist das nicht – zumindest nicht bei jenen Kolumnen, die weniger von der Qualität der Texte und mehr von vorgefassten Haltung oder dem grossen Namen des Verfassers leben. Solche Kolumnen sind so langweilig wie austauschbar: Sie bedienen das immer gleiche Publikum mit den immer gleichen Themen und den immer gleichen Emotionen. Sie bestehen aus austauschbaren Versatzstücken des jeweiligen Zeitgeistes und beinhalten selten einen wirklich originellen Gedanken. Ob nun ein Mensch oder eine Maschine den hundertsten Meinungsbeitrag zu «Woke-Wahnsinn» oder «kultureller Aneignung» verfasst, spielt kaum eine Rolle, wenn sich Mensch wie Maschine dabei auf die immer gleichen durchgekauten Behauptungen beschränken.

Ich hoffe ja insgeheim, dass die nahende Schwemme von computergenerierten Texten dazu führen wird, dass die Auseinandersetzung mit dem Text wichtiger wird als die Auseinandersetzung mit dem Autor, dass ein grosser Name allein nicht mehr hilft, um über sprachlich und inhaltlich beschämende Texte hinwegzutäuschen. Wenn nämlich eine Maschine wie Anic T. Wae von etwas «überzeugt» sein kann, dämmert vielleicht auch dem einen oder anderen Leser, dass die «Überzeugungen» menschlicher Kolumnisten auch nicht viel heissen wollen.