Darf man einen geständigen Beschuldigten «Täter» nennen?
Im Zusammenhang mit dem Vierfachmord von Rupperswil bezeichneten die Ermittlungsbehörden den Beschuldigten immer wieder als «Täter», obwohl noch kein rechtskräftiges Urteil gegen ihn vorlag. Zwar war der Mann geständig, aber entbindet das Polizei und Staatsanwaltschaft der Unschuldsvermutung? In einem Aufsatz für das rechtswissenschaftliche Magazin «Sui Generis» sehen der Zürcher Strafrechtsprofessor Marc Thommen und sein Assistent Martin Seelmann das Kommunikationsverhalten der Behörden in diesem Punkt kritisch. Die Juristen nennen Gründe dafür, warum auch ein Geständiger bis zur Verurteilung als unschuldig zu gelten habe. Mit dem Geständnis sei der Schuldnachweis ja noch nicht abgeschlossen, so Thommen und Seelmann. Wichtig auch: Ein Geständnis kann jederzeit widerrufen werden. Im gleichen Aufsatz untersuchen die Strafrechtler weiter die Frage, inwiefern die Behörden eine Amtsgeheimnisverletzung begehen, wenn sie Details aus der Untersuchung preisgeben, wie das beim Mordfall Rupperswil auch vorkam.
Ein Ausreisser aus der geschlossenen Front gegen den Studioumzug
Im Streit um die Zukunft des Radiostudios Bern schienen die Fronten bisher einigermassen klar und eindeutig zu verlaufen. Hier das Management von SRG und SRF, das einen Umzug von Bern nach Zürich als alternativlos darstellt. Auf der anderen Seite Belegschaft und Trägerschaft des Berner Studios, die im Verbund mit Politik und Behörden ebenso hartnäckig dagegen halten. Kurz vor dem Entscheid des Verwaltungsrats in der heiss diskutierten Standortfrage, meldet sich Beat Hayoz, Vizepräsident der Berner SRG-Trägerschaft, mit einem offenen Brief zu Wort. Die «Basler Zeitung» veröffentlicht eine bearbeitete und gekürzte Version davon als Gastbeitrag. Mit teils überzogen martialischer Wortwahl («stalinistische Methoden») kritisiert Hayoz die Diskussionskultur seiner Gremien bei der Standortdiskussion. Argumente, die für einen Umzug sprächen, seien ignoriert und abgeblockt worden. Dass Hayoz allein auf weiter Flur steht, überrascht nicht weiter und rührt nicht zuletuzt von seiner Vision her, die SRG auf je einen Radiostandort pro Sprachregion zu konzentrieren. Den Anspruch des Tessins auf ein eigenes Radiostudio stellt Hayoz gar zur Disposition. Die aktuelle föderalistische Struktur der SRG hält er für nicht mehr zeitgemäss. Einen Einfluss auf den Entscheid des Verwaltungsrats in Sachen Studio Bern, der heute gefällt werden soll, dürfte der Brief nicht mehr haben. Aber die Berner Trägerschaft sieht sich gefordert, adäquat auf die heftige Wortmeldung zu reagieren.
Facebook und die Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols
Eine auf den ersten Blick plausibel erscheinende und in letzter Zeit vermehrt vernommene Forderung geht dahin, dass Facebook das Grundrecht auf Meinungsfreiheit genau gleich gewährleisten solle, wie das für den Staat auch gilt. Für Malte Engeler, Datenschutzspezialist und Richter in Schleswig-Holstein, eine abwegige Vorstellung. «Um die Macht der Digitalkonzerne zu regulieren, ist eine solche verfassungsrechtliche Verrenkung nicht nur unnötig, sie wäre sogar ein wahrer Bärendienst an unserem modernen Demokratieverständnis», hält Engeler in einem Gastbeitrag auf netzpolitik.org fest. Denn: «Nur Gesetzgeber, Verwaltung und Justiz sollen Staatsgewalt ausüben und sind im Gegenzug der Achtung der Grundrechte verpflichtet. Private im Umkehrschluss ebenfalls den Grundrechten zu verpflichten, ist also nicht möglich, ohne Facebook gleichzeitig als der Staatsgewalt ebenbürtig anzuerkennen. Eine unmittelbare Grundrechtsbindung von Facebook & Co ist daher im Grunde nur eines: Die Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols gegenüber den Digitalkonzernen.»
Er diagnostizierte den «rasenden Stillstand»
Der französische Philosoph und Zeitdiagnostiker Paul Virilio prägte den Begriff des «rasenden Stillstands». Er meinte damit den Zustand einer Gesellschaft, die Zeit und Raum technologisch beherrscht, aber damit gleichzeitig sich selbst auszulöschen droht. Neben der Philiosophie galt die zweite grosse Leidenschaft Virilios der Architektur, wo er es als Autodidakt zu erstaunlichen Meriten brachte. Am 10. September ist Virilio im Alter von 86 Jahren gestorben. In einem Nachruf im Berliner «Tagesspiegel» schreibt Gregor Dotzauer, dass die von Virilio begründete Denkrichtung der Dromologie, eine «wilde, in viele Disziplinen ausgreifende Theorie, die er zusammenbastelte –, anregender war als so manche akademische Abhandlung.»