AUF DEM RADAR

Täglich lesen, was die Medien bewegt.
author-img

Von Montag bis Freitag vier aktuelle Lektüretipps aus schweizerischen und internationalen Publikationen zum Medienwandel. Ausgewählt und kommentiert von Nick Lüthiredaktion@medienwoche.ch Jetzt auch als Newsletter abonnieren.

Putsch im NZZ-Feuilleton: Rainer Stadler verliert Medienseite

Der letzte Medienredaktor einer Schweizer Tageszeitung wird intern degradiert. Rainer Stadler, seit 1989 bei der NZZ, verliert die Zuständigkeit für die wöchentliche Medienseite der Zeitung. Wie Claudia Blumer in den Tamedia-Zeitungen schreibt, tut Stadler dies nicht freiwillig, sondern auf Druck von oben. Die Medienseite liegt nun in der Verantwortung von Feuilleton-Chef René Scheu, der künftig die Themenplanung verantwortet.

Formal bedeutet dieser Schritt zuerst einmal nicht viel: In der NZZ wird auch künftig jede Woche eine Medienseite erscheinen. Inhaltlich dürfte sich die Themenwahl indes stärker dem politischen Profil des NZZ-Feuilletons unter der Leitung von René Scheu annähern, da er nun die redaktionelle Verantwortung für die Seite trägt. Es würde daher wenig überraschen, wenn auch auf der Medienseite künftig pointierte bis provokante Meinungsbeiträge aus dem liberal-konservativen Spektrum zu lesen sein werden. Darunter würde die thematische Breite und Vielfalt der Berichterstattung leiden, die Stadler bisher auf der Medienseite gepflegt hat. Stadler betrachtete die Medien sowohl aus inhaltlicher, ökonomischer, technologischer, als auch politischer Perspektive, mit einem regelmässigen Blick auf die Leitmärkte USA und Deutschland.

Die Gründe für diesen Schritt sind unter anderem darin zu suchen, dass Eric Gujer seit seinem Antritt als NZZ-Chefredaktor mit dem Profil der Medienseite unter der Leitung von Rainer Stadler nicht restlos zufrieden war und von Anfang an Veränderungen anstrebte. Insbesondere der starke Fokus auf die Medienwissenschaften schien ihm zu missfallen, obwohl dieser gar keinen so grossen Raum einnahm, wie behauptet. Auch suchte er nach jüngeren Autoren. Dass Rainer Stadler die Zuständigkeit für die Medienseite bereits jetzt, nur wenige Jahre vor seiner Pensionierung, entzogen wird, dürfte aber auch auf atmosphärische Verstimmungen und zwischenmenschliche Inkompatibilitäten im Feuilleton-Ressort zurückzuführen sein.

Als Redaktion am Puls bleiben oder auch das Zuhören wird digital

Die Rheinische Post RP ist eine überregionale Tageszeitung mit 25 Lokalredaktionen. Diese bestehen oft aus nur wenigen Journalistinnen und Journalisten. Damit diese mitkriegen, was um sie herum läuft, hat die RP ein sogenanntes «Listening Center» geschaffen. Das ist eine Software, die rund 40 Millionen digitale Quellen aus dem Einzugsgebiet der Zeitung im Blick hat. Dieser Themenradar ersetzt zwar das persönliche Recherchegespräch nicht, hilft aber, die richtigen Leute zu finden oder die Redaktion auf Themen zu bringen, die sie sonst verpassen würde. Ein gutes Beispiel für den Nutzen des «Listening Centers»: Dank der digitalen Fühler erfuhr die RP von einer lokalen Spitzenpersonalie der AfD, über die die Partei selbst nicht informierte hätte, und konnte so zum Thema reherchieren.

Zur «Spiegel»-Recherche zum Vergewaltigungsvorwurf gegen Cristiano Ronaldo

Das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» rollte in der letzten Ausgabe einen Vergewaltigungsvorwurf gegen den Fussballstar Cristiano Ronaldo neu auf. Einer der an der Recherche beteiligten Journalisten, der «Spiegel»-Reporter Rafael Buschmann, erzählt im Interview mit «Blick»-Fussballchef Andreas Böni wie er vorgegangen war und warum sie das Thema aufs Tapet brachten, obwohl der Fall fast zehn Jahre zurückliegt. Auf die Frage, ob er dem mutmasslichen Vergewaltigungsopfer glaube, antwortet Buschmann: «Als investigativer Journalist würde ich nie sagen, dass ich für eine Quelle meine Hand ins Feuer lege. Aber der Frage­bogen von Ronaldos Anwälten ist schon ein Indiz, das ihre Posi­tion stärkt.» Damit ist ein Dokument gemeint, in dem Ronaldo selbst zugab, dass die Frau ihn in der möglichen Tatnacht mehrfach bat, von ihr abzulassen.

Da ging Jan Böhmermann zu weit

Der deutsche TV-Satiriker Jan Böhmermann mischt sich regelmässig und gerne in politische Debatten ein. Mit der Veröffentlichung eines sogenannten «Hassreports» ging er nun allerdings einen Schritt zu weit. In dem 129-seitigen Papier dokumentierte die von Böhmermann initiierte Netzbewegung «Reconquista Internet» exemplarisch fünfzig «Schmutz-Tweets» und Hassnachrichten. Doch darin finden sich auch Wortmeldungen, die durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind. «Es werden Namen und Profilbilder von Menschen verbreitet, die nur eine Meinung, frei von jeglicher strafrechtlicher Relevanz, kundtun», schreibt dazu die Netzinitiative «Hooligans Gegen Satzbau», die mit Satire und Ironie besonders menschenverachtende und nationalistische Aussagen im Netz aufgreift, im Kern also das gleiche Ziel verfolgt, wie Böhmermann es angeblich tut.

Weitere Beiträge dieser Woche

Zum Verhältnis von Medienförderung und Medienfreiheit

Der Verband «Medien mit Zukunft» als Dachorganisation mehrheitlich junger und unabhängiger Online-Medien, wie «Republik», Zentral+ oder Tageswoche, steht einer öffentlichen Medienförderung positiv gegenüber. Die Verbandsmitglieder könnten sich demnach vorstellen, ähnlich der heutigen Finanzierung von Privatradio und -fernsehen in der Schweiz, auch Gelder aus dem Gebührentopf anzunehmen. Ein Vorgehen, das heute vor allem die grossen Zeitungsverlage ablehnen mit dem Verweis auf einen Verlust der publizistischen Unabhängigkeit. Doch stimmt das auch? «Sprächen die Fakten gegen Medienförderung, würden wir sie nicht unterstützen. Nur: sie sprechen keineswegs dagegen», schreibt Robin Schwarz, Geschäftsführer des Verbands «Medien mit Zukunft». Bedrohlicher für einen Verlust der Unabhängigkeit als staatliche Medienförderung, sei die Medienkonzentration, wie dies etwa das Ranking von «Reporter ohne Grenzen» zeige. Ausserdem belegten auch wissenschaftliche Befunde, dass sich staatliche Gelder nicht negativ auf die Qualität auswirkten.

Ein Appell für mehr Sorgfalt im Umgang mit Umfragen

Wahlzeit ist Umfragenzeit: Bis zu den eidgenössischen Wahlen in einem Jahr wird die politische Landschaft noch unzählige Male vermessen werden. Mal mit verlässlicheren, mal mit weniger seriöse Methoden. Nicht zuletzt dank der Online-Umfrage als günstiger Erhebungsmethode drängen immer mehr Anbieter auf den Markt. Doch aufgepasst, warnt Michael Surber in der NZZ, mit Blick auf die Rolle der Medien, die nicht mehr nur Vermittler der Ergebnisse, sondern vermehrt selbst auch Auftraggeber der Umfragen sind: Es sei «eine der zentralen Aufgaben der Medien, solchen Umfragen mit der nötigen Sorgfalt zu begegnen und die entsprechenden Resultate kritisch zu vermitteln. Dies gilt natürlich gerade auch dann, wenn diese zum eigenen publizistischen Angebot gehören.»

Wie die «New York Times» den Mythos vom Selfmade-Millionär Trump entlarvte

Zwei Journalisten und eine Journalistin, 100’000 Seiten Dokumente, unzählige Gespräche, ein Jahr Recherche: Das sind die Eckwerte der Recherche der «New York Times» zum privaten Finanzgebaren von US-Präsident Trump. Das Ergebnis: Acht Zeitungsseiten, die den Mythos des Selfmade-Millionärs entlarven, indem Trump nachgewiesen werden kann, dass er einen Grossteil seines Vermögens von seinem Vater erhalten hat und die beiden dabei mit steuerrechtlich zumindest zweifelhaften Methoden vorgingen. In einem Making-of-Artikel erklärt die «New York Times», wie sie die Recherche vorantrieb. Eine zentrale Erkenntnis von David Barstow, der an der Enthüllung mitgearbeitet hat: «Es ist eine wichtige Erinnerung daran, dass selbst bei Dingen, von denen du denkst, sie seien gut beschrieben, es noch weitere, tiefere Schichten gibt.»

Der unerwartete Erfolg der «leichten Sprache»

Die sogenannte «leichte Sprache» soll Menschen helfen, Texte zu verstehen, «die aus unterschiedlichen Gründen über eine geringe Kompetenz in der deutschen Sprache verfügen». Behindertenverbände in den USA waren die Ersten, die in den 1990er-Jahren damit experimentierten. Inzwischen erfreut sich die «leichte Sprache» grosser Beliebtheit – auch in Kreisen, die ursprünglich gar nicht als Zielgruppe dafür vorgesehen waren. «Aus einer gutgemeinten Initiative für Benachteiligte erwuchs ein gesellschaftliches Phänomen», schreibt Burkard Strassmann im NZZ Folio. Gar nicht zur Freude von Sprachpuristen, die eine «Verunglimpfung der deutschen Sprache» sehen. Strassmann teilt diese Einschätzung nicht. Vielmehr sieht er in der «einfachen Sprache» – «so etwas wie eine Softversion der ‹Leichten Sprache›» – einen möglichen Weg, wie Bürgerinnen und Bürger die oft unverständliche Sprache von Unternehmen, Behörden und Organisationen besser verstehen könnten.