von Nick Lüthi

Zwitschern statt bellen

Die Liste der eingestellten und abgewickelten Watchblogs wird länger und länger. Das Modell der selbsternannten (und oft anonymen) Medienwachhunde konnte sich in der Schweiz nicht etablieren. Dafür fassen neue Formen der Selbstkontrolle Fuss.

Sie verlassen die Bühne so unauffällig, wie sie schon gekommen waren: ein letzter Text zum Abschied und dann Abgang. Manchmal schreibt noch jemand einen freundlichen Nachruf. Nach ein paar Wochen sind sie vergessen und bestenfalls noch eine Fussnote wert in der jüngeren Mediengeschichte oder Stoff für Seminararbeiten.

Watchblogs sind keine Erfolgsgeschichte. Zumindest in der Schweiz nicht. Lang ist die Liste der eingestellten und eingeschlafenen Projekte. Weder Pendlerblog, Blattkritik, Weltwochenschau, Gesammelte Bazismen und wie sie alle hiessen, haben es geschafft, länger als zwei Jahre durchzuhalten. Der letzte erfolglose Versuch, ein Medium kontinuierlich kritisch zu begleiten, endete im Februar mit dem Aus für das «Blick am Abend»-Blog.

Als Grund für den kurzen Atem geben die selbsternannten Medienwachhunde immer das gleiche an: Auf die Dauer wird der Aufwand zu gross. Beruf und Familie vertragen ein zeitaufwändiges Hobby nur schlecht. Ausserdem geht ihnen der Stoff aus, beginnen sich die Themen zu wiederholen. Bereits vor sechs Jahren schrieb Rainer Stadler in der NZZ: «Im Internet gibt es zweifellos originelle Akteure, aber als Einzeltäter fehlt ihnen der lange Atem. Jene, die sie kritisieren, halten es länger aus.»

Kein Zweifel, Watchblogs können einen wertvollen Beitrag zur Medienkritik leisten: Sie decken Ungereimtheiten auf, erinnern Medien an ihre selbst formulierten Ansprüche, legen den Finger auf wunde Punkte und regen zur Diskussion an; ein Angebot, das auch gerne genutzt wird, allerdings selten von den Kritisieren selbst. Und nicht zuletzt bieten Watchblogs bisweilen auch gute Unterhaltung. Das Pendlerblog verpackte seine Kritik an der Pendlerzeitung «20 Minuten» stets in Witz und Satire und auch die Texte im jüngst eingestellte «Blick am Abend»-Blog enthielten meist einen guten Schuss Ironie.

Noch vor wenigen Jahren fragte die Wissenschaft allen Ernstes, ob Blogs langfristig «traditionelle Foren der Selbstregulierung wie Presseräte, Ombudsleute und vor allem die Medienkritik in den etablierten Medien verdrängen» würden. Eine Frage, die in der Schweiz heute niemand mehr stellen würde; ihr ist schlicht der Gegenstand abhandengekommen.

Inzwischen lautet die Frage anders: Haben Watchblogs auch deshalb ihre Schuldigkeit getan, weil sich Medienschaffende neue Formen und Foren der Medienkritik angeeignet haben? Selbstkontrolle statt Fremdkontrolle. In der Tat: Vieles, was sich sich Watchblogs einst auf die Fahne geschrieben hatten, findet man heute auf Twitter: Hinweise auf Rechtschreibefehler, Ergänzungen zu unvollständigen Recherchen, Schelte für berufsethisch zweifelhaftes Gebaren, aber auch Lob und Komplimente für gelungene Stücke; geschrieben von Menschen mit Namen und Gesicht.

Natürlich kann es sich auch bei der anhaltend intensiven Twitternutzung von Medienschaffenden um ein vorübergehendes Phänomen handeln, ein Hype, der abklingt, sobald die nächste Sau durchs Internet getrieben wird. Momentan weist aber nichts auf eine Twitter-Fatigue hin. Im Gegenteil: Die Nutzungsfrequenz und Debattenintensität hält sich stabil und neue Gesichter tauchen im Tagestakt auf.

Die Vorteile der Selbstbeobeobachtung via Twitter gegenüber dem Fremdbeobachtungsmodell der Watchblogs sind offensichtlich: Kritiker und Kritisierte begegnen sich auf Augenhöhe, weil sie sich jederzeit in vertauschten Rollen wiederfinden können. Jeder kann austeilen, muss aber auch einstecken. Es gibt keine Zentralinstanz, die Zensuren verteilt. Der Diskussionskultur ist diese egalitäre Grundstruktur durchaus zuträglich. Gehässigkeiten, wie sie in Blogkommentaren immer wieder vorkommen, begegnet man auf Twitter selten.

Bei allem Gewinn für eine medienkritische Debatte weist die neu gefundene öffentliche Selbstbeobachtung und -kritik auch gravierende Mängel auf: Sie bleibt oft oberflächlich, bedingt durch die Beschränkung auf Wortmeldungen à 140 Zeichen. Das reicht bestenfalls für zwei Sätze und ein Argument. Entsprechend häufig kapitulieren Diskutanten, weil sie nicht das sagen können, was sie wollten, wenn sie dazu mehr Platz hätten.

Als weiteres Defizit erweist sich die Flüchtigkeit von Twitter: Wer nicht im Moment dabei ist, findet die Diskussionsstränge nur mit einigem Aufwand und oft nur unvollständig. Eine Twitterdebatte mit all ihren Verästelungen abzubilden und zugänglich zu machen, erfordert einen Aufwand, den derzeit nur Wenige zu leisten bereit sind. Instrumente, die das erleichtern, wie zum Beispiel Storify, stehen zwar bereit, aber werden erst spärlich genutzt.

Der wohl wichtigste Vorbehalt gegenüber Twitter als Diskussionsplattform betrifft die Besitzverhältnisse der Infrastruktur: Man ist zu Gast bei einem Unternehmen und folglich gezwungen, dessen Hausordnung und Geschäftspraktiken zu akzeptieren. Wer dagegen Vorbehalte hat, drückt entweder beide Augen zu und ignoriert die AGB oder bleibt Twitter fern. Ein Dilemma, vor dem nicht steht, wer sich auf seinem eigenen Blog artikuliert.

Trotz dieser Mängel vermag die neue Form der (selbst)kritischen Debatte unter Medienschaffenden die Leistung der eingestellten Watchblogs weitgehend wettzumachen. Was natürlich nicht heisst, dass sich nicht auch in Zukunft bloggende Wachhunde vor den Toren der Medien postieren werden. Nur ist ihre Aufgabe nicht leichter geworden. Das wissen auch jene Medienblogger, die sich nicht als Watchdogs verstehen. Etwa Martin Hitz, der seit zehn Jahren mit seinem Blog medienspiegel.ch den Medienwandel dokumentiert. Ihm komme Twitter immer öfter in die Quere: «Was man früher in einem kurzen Abschnitt gebloggt hat, sondert man heute als kurzen Tweet ab.» Der Dynamik von Twitter kann sich offenbar niemand entziehen.

Leserbeiträge

Ugugu 23. Mai 2012, 14:46

Interessante Analyse. Immerhin gibt es aber auch immer mal wieder neue Pflänzchen wie etwa „Zorn & Zeitung“. Nicht zu vergessen: Die alten Haudegen, wie etwa „infamy“, die ihr Ding weiterhin durchziehen. Die kurze Pointe wird auf Twitter verbraten, das stimmt. Quantitativ existiert insofern eindeutig mehr Medienkritik, qualitativ wären medienkritische Blogs umso mehr gefragt.

Vinzenz Wyss 23. Mai 2012, 16:14

Die Medienwissenschaft beschäftigts sich auch heute noch intensiv mit dem Potenzial von Medienblogs. Seit dem oben zitierten Beitrag von Susanne Fengler ist hierzu viel geschrieben worden. Am besten beobachtet das Tobias Eberwein. Er schreibt im untenstehenden Artikel dazu:

„Medienblogs sind damit keinesfalls ein modernes Wundermittel der öffentlichen Medienbeobachtung. Sie können Defizite der Tageszeitungen in Teilen ausgleichen. Die vielfältigen Funktionen und Leistungen des medienjournalistischen Subsystems in ihrer vollen
Tragweite erfüllen – das können sie augenscheinlich nicht. Dies ist auch deshalb kaum möglich, weil ihnen dafür breite gesellschaftliche Aufmerksamkeit zuteil werden müsste. Im Vergleich zur Qualitätspresse mangelt es den Medienblogs bislang jedoch an Reichweite.“

Wir blieben dran. Und drücken z.B. der Medienwoche die Daumen.

http://www.springerlink.com/content/q1u376p458418364/fulltext.pdf

Mara Meier 23. Mai 2012, 17:05

Sehr elegant: „Twitter-Fatigue“.

bugsierer 23. Mai 2012, 19:25

die twitter diskussionen unter schurnis sollte man nicht überbewerten. sie finden meistens nur unter ihresgleichen statt, sie zeichnen sich all zu oft durch gegenseitiges loben aus oder verlieren sich in details, die der normale user nicht nachvollziehen kann.

mischt man sich als leser (aka kunde) mal etwas süffisanter ein als die herren es gewohnt sind, geht oft gar nix mehr. und wenns ganz dumm läuft, wird man als unflat oder weisswas abgekanzelt. hab ich in den letzten jahren x-mal erlebt.

ok, die kritikfähigkeit der schweizer schurnos hat in den letzten 12 monaten um sagen wir 10% zugenommen. aber das ist noch kein grund für jubelarien, sondern eher einer für jammerballaden. wir haben doch 2012… oder?

Mark Balsiger 30. Mai 2012, 22:06

Ein gelungenes Teil, congrats.

Imk Auge bezahlten sollten wir den Unterschied zwischen Medienblog und Watchblog. Das bloss am Rande.

Zentraler ist mir ein anderer Aspekt: Blogs sind wichtig für die Recherche, Google liebt Blogs und spühlt die Postings weit nach oben. Wer beispielsweise eruieren möchte, wie das im letzten Jahr mit einem Medienpreisträger und seiner nicht zitierten Quelle genau ging, wird auf den Blogs fündig. Kaum über Swissdox und schon gar nicht via Twitter.

Drum: Die kurzatmigen Ratzfatz-Dialoge auf Twitter sind im Moment vielleicht amüsant oder erhellend, aber für die Recherche kein Ersatz. Man findet sie kaum mehr.