von Jens Mattern

Abgehängt

Weissrussland ist von der Weltkarte verschwunden. Aus der «letzten Diktatur Europas» vernimmt man seit geraumer Zeit wenig bis gar nichts mehr. Für die Medien im Land bringt die relative Ruhe eine gewisse Entspannung. Gleichzeitig ziehen sich ausländische Geldgeber von unabhängigen Medien zurück.

«Minsk» ist immer wieder mal ein Medienthema. Doch gemeint ist dann nicht die weissrussische Regierung und ihre Repressionen gegen die Bevölkerung, sondern die brüchige Übereinkunft der europäischen Mächte zu einem Waffenstillstand in der Ostukraine. Weissrussland hat die Rolle gewechselt – vom Buhmann Europas zum Mittler zwischen Russland und der Ukraine, ja zwischen Ost und West. Vor sechs Jahren stand das Land zuletzt selbst grösser in den Schlagzeilen. Staatspräsident Aleksander Lukaschenko hatte damals mit Polizeigewalt und Verhaftungen von Oppositionellen und Journalisten durchgegriffen und reagierte damit auf Proteste gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen.

«Es gibt keine Prügel und kein Gefängnis mehr», beschreibt Aleksej Dzikawicki den aktuellen Stand des unabhängigen Journalismus in Weissrussland. Für dortige Verhältnisse sind das gute Nachrichten. Dzikawicki, Nachrichtenchef des Satellitensenders «Belsat» empfängt uns in Warschau im Gebäude des polnischen staatlichen Nachrichtenkanals «TVP Info». Hier geniesst seit neun Jahren der von Weissrussen betriebene Sender Gastrecht.

Dank der derzeitigen Milde in der ehemaligen Sowjetrepublik konnte Dzikawicki dieses Jahr zum ersten Mal seit 15 Jahren selbst wieder in sein Heimatland zurückkehren. Durch die relative Ereignislosigkeit in «Europas letzter Diktatur» und dem Fokus der internationale Öffentlichkeit auf der Ukraine und auf Syrien, schwindet jedoch auch die Motivation des Auslands zur Unterstützung demokratiefördernder Strukturen in Belarus. Dies gilt auch für den Exilsender Belsat. Für 2017 ist erstmals kein europäisches Land mehr bereit, sich an der Finanzierung zu beteiligen, vor allem skandinavische Länder waren früher stark engagiert. Stand heute bleibt nur noch das polnische Aussenministerium, das weiterhin 70 Prozent der Kosten übernimmt. Wer den Rest zahlt, ist noch offen. Der Sender hofft auf die Hilfe des polnischen Staatsfernsehens TVP.

Belsat hat seinen Sitz in Polen, aber viele Journalisten arbeiten vor Ort in Weissrussland. Derzeit läuft gerade der vierte Anlauf von Warschau aus, diese zu akkreditieren. Denn legal können Journalistinnen und Journalisten nur arbeiten, wenn sie die Behörde akkreditiert. Dazu brauchen sie einen Arbeitsvertrag von einer Redaktion. Freie Journalisten gehen demnach grundsätzlich einer illegalen Tätigkeit nach, genauso wie Berichterstatter, deren Redaktion aus politischen Gründen die Akkreditierung verweigert wird. Dazu gehören auch die Belsat-Mitarbeiter. Sie arbeiten in Weissrussland ohne Erlaubnis. Als Folge werden sie nicht zu staatlichen Konferenzen zugelassen und die Behörden sind ihnen zu keinerlei Auskunft verpflichtet. Grundsätzlich gilt in Belarus der Gummiparagraph des «Staatsgeheimnisses» mit dem auch akkreditierte Journalisten hingehalten werden können.

Die Arbeit werde so beschwerlich und teuer. «Die Staatsanwaltschaft verfolgt die Berichterstattung und fordert dann jeweils bei Filmaufnahmen Strafgebühren, da die Akkreditierung fehlte», weiss TV-Journalist Dzikawicki. Belsat sei jedoch kein Anti-Lukaschenko-Kanal. Da die staatlichen Medien allein die Regierungslinie vertreten, fülle die kritische Berichterstattung von Belsat eine Lücke. Aber Belsat könne die Regierung durchaus auch loben, wenn es Grund dazu gebe – so habe man es begrüsst, dass die früher verfemte weissrussische Sprache stärker gefördert werde. In Weissrussland wird mehrheitlich Russisch gesprochen.

Da Minsk und andere Grossstädte gut verkabelt seien, wird der Satellitensender Belsat vor allem in kleineren und mittleren Städten gesehen, wo auch das Internet schwach und störanfällig ist. Dort wolle die Bevölkerung nicht zuviel Berichterstattung über die verfehlte Politik aus Minsk, sondern eine Auseinandersetzung mit regionalen Problemen, die sie unmittelbar betreffen. «In Minsk ist die intellektuelle Elite, aber wir dürfen die Provinz nicht vernachlässigen», erklärt der Nachrichtenchef von Belsat. Dort müsse demokratisches Bewusstsein gefestigt werden.

Das Regionale ist auch die Zuflucht anderer unabhängiger Medien. Ihre Mitglieder sind teils in der «Weissrussischen Vereinigung der Journalisten» (BAJ) vertreten. «Wir haben 1200 Mitglieder, nicht viel weniger als die staatliche Journalistenvereinigung», sagt Michal Janczuk, der stellvertretende Vorsitzende der Organisation. Auch er sieht das Überleben des unabhängigen Journalismus von finanzieller Unterstützung aus dem Ausland abhängig. Denn der Werbemarkt in Belarus umfasst nach Janczuks Angaben gerade mal etwas mehr als umgerechnet 16 Millionen Franken jährlich. Davon könnten sich die unabhängigen der gut tausend Medien des Landes unmöglich finanzieren.

Zu den Aufgaben der BAJ gehört die Verteidigung der Rechte von Journalisten, die Schulungen oder anderweitige Unterstützung der regionalen Medien. Benachteiligt seien die Lokalzeitungen auch durch die hohen Papierpreise, so Dzikawicki. Auch die Zustellung der gedruckten Presse stellt ein Problem dar. Es gebe nur einen staatlichen Vertrieb, von dem aber die unabhängigen Zeitungen ausgeschlossen sind. Der Verkauf an den Kiosken werde erschwert, so dass mittlerweile immer mehr Journalisten ihre Zeitung oder Zeitschrift selbst verkauften. Diese Restriktionen wirkten sich auf den Absatz aus. So sei die Auflage der «Slonimskaja Gaseta» (Zeitung der Provinzstadt Slonim) von Ende der 1990er Jahre bis heute von 150’000 auf gerade noch 3000 Exemplare gesunken.

Hoffnung setzt Michal Janczuk vom Journalistenverband in eine stärkere Verbreitung der sozialen Medien – doch die schlechten Internetverbindungen setzten der Verbreitung und Nutzung klare Grenzen. Lethargie sei ein grosses Problem der weissrussischen Gesellschaft, sagen beide Journalisten. Sie erfasse zunehmend auch immer mehr Intellektuelle. Und Lethargie ist kaum ein Thema, das ausländische Medien zur regelmässigen Berichterstattung aus Weissrussland anregt. Derzeit gibt es darum laut Janczuk keinen entsandten Journalisten aus einem westlichen Land. «Radio Liberty» und Euroradio, beide von Stiftungen finanziert, sollen jeweils zehn akkreditierte lokale Mitarbeitende haben. Akkreditierungen für auswärtige Journalisten, die das Land kurz besuchen wollen, sollen inzwischen schneller und formloser zu bekommen sein, die entsprechenden Behörden verfolgen jedoch die Berichterstattung genau und verweigern bei Nichtgefallen eine weitere Genehmigung.

Derzeit steht mit Juras Karmanau ein akkreditierter, einheimischer Journalist vor Gericht. Karmanau, der für Associated Press arbeitet, schrieb eine investigative Reportage, was aufgrund der Blockadehaltung der Behörden in Belarus schon an sich eine Ausnahme darstellt. Über ein Labor liess Karmanau die Milch eines Landwirtschaftsbetriebs untersuchen, der nahe der radioaktiv verstrahlten Zone von Tschernobyl liegt. Der Journalist stellte eine übermässige Verstrahlung der Milch fest. Nun wird er von der entsprechenden Molkerei verklagt, die prekärerweise das Gros ihrer Produkte nach Russland liefert. Seine Chancen auf einen fairen Prozess sind somit wenig aussichtsreich. Doch wäre das Gerichtsurteil mal wieder ein Anlass für ausländische Medien, um über das Land zu berichten.