Skandal am Communication Summit!
Skandalisierung und Emotionalisierung gehören seit jeher ins journalistische Repertoire. Gegenwärtig greifen Medien stärker zu diesen Mitteln als auch schon. Warum? In Zeiten verbreiteter Telefon- und Bildschirmrecherche aus dem unterkühlten Newsroom kann die Tuchfühlung zum Objekt des journalistischen Interesses schnell mal abhandenkommen. Die bleichen Inhalte bedürfen dann notgedrungen emotionaler Vitaminschübe, um sie geniessbar zu machen. Doch was steckt dahinter? Die „Medienwoche“ hat dem Tagungsthema des Communication Summit vorgegriffen und die beiden Referenten Peter Röthlisberger, Chefredaktor Blick am Abend, und Karl Lüönd, Publizist, zur Debatte eingeladen. Zwei wissenschaftliche Positionen zu Skandalisierung und Emotionalisierung finden Sie in den Beiträgen von Vinzenz Wyss (pro) und Kurt Imhof (kontra).
PRO
Peter Röthlisberger ist Chefredaktor Blick am Abend.
Der Leser hat Recht
Wem soll der Wurm schmecken? Dem Leser oder dem Soziologieprofessor? Finden Sie diese Provokation billig? Oder haben Sie schadenfreudig gelacht? Beides ist gut für uns. Hauptsache, der Einstiegssatz lässt Sie nicht gleichgültig. Ihre Reaktion ist uns Rechtfertigung, Emotionalisierung als journalistisches Werkzeug anzuwenden. Emotionalisierung, Personifizierung gefällt den Lesern und Zuschauern. Das ist einfach zu belegen, denn stark emotionalisierende Medien sind in der Schweiz jeweils die grössten ihrer Sparte. Der Blick ist bezüglich Auflage und Lesern die grösste bezahlte Tageszeitung, der Sonntagsblick mit Abstand die Nummer Eins am Sonntag, blick.ch die meistbesuchte Medienseite und der Blick am Abend ein Erfolgsmodell. Und dann der uneinholbare Branchenleader Schweizer Fernsehen. Was zeigt das Fernsehen anderes als Emotionen und Personifizierung? Es gibt keine Beiträge und Talksendungen ohne Regung, Rührung, Überschwang. Emotionen erreichen Menschen – deswegen wird dieses Rezept immer erfolgreich sein. Ich halte nichts davon, geschätzte 80 Prozent der Mediennutzer selbstgerecht auf den rechten Weg bringen zu wollen. Die Demokratie ist durch emotionalisierenden Journalismus nicht gefährdet. Der Leser und Fernsehzuschauer ist mündig. Boulevardmedien, gekauft oder gratis, helfen, die Welt zu begreifen. Sie reduzieren Komplexität. Im Idealfall missionieren sie auch nicht für eine Anschauung, nehmen die Nutzer auf allen Kanälen ernst und erklären nicht die Welt, wie sie sein müsste. Dieser Wurm schmeckt dem Leser. Und der Leser hat Recht.
CONTRA
Karl Lüönd ist freier Publizist und Buchautor
Kopf hoch! Halt durch! Hurra!
Näher, mein Leser, zu Dir! Texte aufladen, spannend machen, zuspitzen – das sehen manche Verleger und Journalisten als Überlebensstrategie, und dafür gibt es ein paar Basissportarten, zum Beispiel Lokalisieren, Personalisieren, Emotionalisieren. Letzteres geschieht durch konsequenten Abbau der Distanz zwischen Berichterstatter und Berichtsgegenstand. Je näher man dem betroffenen, ausrufenden, leidenden Menschen kommt, desto schwieriger wirds mit der Übersichtlichkeit. Halt durch, Lara Gut! Am Ende macht sich der Reporter mit seinem Gegenüber oder mit einer Idee, einer These, einer Initiative gemein. Im Überschwang der Gefühle wird der Berichterstatter gar zum Akteur. Dann kommt es zu Petitionen gegen Kampfhunde und Belohnungen für die Ergreifung eines flüchtigen Täters.
Varietät der Darstellungsformen ist etwas Wichtiges, also kann nicht jede journalistische Darbietung als nüchterner Bericht daher kommen. Doch abgesehen davon, dass gedruckte Emotionen immer ein bisschen papieren wirken werden: Das Kultursystem Zeitung ist eigentlich im Gefolge der Aufklärung entstanden. Es wurde eingerichtet, um den Menschen die Dinge zu erklären, nicht um zu applaudieren oder zu lamentieren. Wohl wurden im 19. und im frühen 20. Jahrhundert manche Zeitungen – denn viele von ihnen waren damals Plattformen der Parteien – auch als Agitationswerkzeuge benützt. Aber diese Funktion hat sich längst überholt. Dass sie nun im verschärften Wettbewerb um die Aufmerksamkeit wiederkehren soll, hat mit dem Trugschluss zu tun, dass Lautstärke und Wirkung miteinander einhergehen.
Klaus Koch 03. Februar 2011, 11:57
Mal generell zu diesem Abend: Herr Lüönd kann einem nur Leid tun, wenn er als alter Journalisten-Haudegen und heutiger Berater Blick und Ableger schön reden muss; Herr Röthlisberger muss ja seine Brombeer-Postille schönreden, hat aber mit seinem Vortrag irgendwie das Thema verfehlt; erfrischend war der Moderator Reto Lipp und leider bekam Frau Marlies Prinzing als Medienprofessorin (wo eigentlich?) viel zu selten das Wort; am schlimmsten gerierte sich allerdings der PR-Berater Sacha Wigdorovits! Er hielt seine Zuhörer (immerhin Berufskollegen und/oder vom Fach) für noch blöder als das breite Publikum, denen er den Quatsch vom armen, unschuldigen Söhnchen zuvor verklickern wollte. Carl Hirschmann war fürs gandenlose Draufprügeln der Journaille ein gefundenes Fressen wie McDonald’s als eine seiner Bonsaimädels sich beschwerte, bloss hat wohl vorher darauf keiner die rechte Lust gehabt, schliesslich kriegt auch ein Journalist nur ungern eins in die Fresse…