«Das lässt sich nicht sagen»
Keine Katastrophe, kein Krieg ohne die Omnipräsenz von Experten in den Medien. Der Konflikt um Libyen beschert den «Strategieexperten» Spillmann und Stahel zahlreiche Auftritte in Schweizer Medien. Obwohl sie viel reden, haben sie nicht viel zu sagen.
Sie sind wieder wieder da. Man hatte sie schon fast vergessen. Doch für Experten gibt es kein Verfallsdatum. Einmal Experte immer Experte. Mit 68, respektive 73 Jahren kommen Albert A. Stahel und Kurt R. Spillmann noch einmal zu grossen Auftritten in Funk und Presse; Libyen sei Dank. Alte Männer erklären den Krieg. Am Fachwissen von Stahel und Spillmann besteht kein Zweifel. Als Wissenschaftler und ETH-Professoren haben sie sich ein Berufsleben lang mit Sicherheitspolitik und Geostrategie befasst. Wenn sie nun den Medien wieder Red und Antwort stehen und ihnen behilflich sind bei der Analyse der Ereignisse in Libyen, schlüpfen die rüstigen Rentner in eine altbekannte Rolle, die sie sichtlich gerne spielen. Nur hat diese Rolle mit ihrem erlernten Beruf reichlich wenig zu tun.
Denn Medien interessieren sich weniger für die Einordnung vergangener Ereignisse, wozu der Historiker befähigt ist, als für den Blick in die Zukunft. Doch selbst der kompetenteste Experte verfügt nicht über eine prophetische Gabe. Und so kommt es, dass ein Prof. Dr. Spillmann genauso daneben liegt mit seinen Prognosen, wie jeder Laie, der die Entwicklung des Kriegs um Libyen hätte voraussagen sollte. Ob die USA in den Konflikt in Libyen eingreifen würden, wollte «Blick am Abend» Anfang März von Strategieexperte Spillmann wissen. Das glaube er nicht, «die USA sind besorgt um ihr Image in der arabischen Welt.» Klingt zwar plausibel, ändert aber nichts an der Tatsache, dass inzwischen US-Kampfjets Ziele in Libyen bombardiert haben. Ob Spillmann mit seiner Einschätzung über den künftigen Verlauf des Konflikts richtig oder falsch lag, spielt eigentlich keine Rolle und interessiert später sowieso niemanden mehr. Ein Experte geniesst grundsätzlich Narrenfreiheit. Hauptsache er sagt etwas. Die ihm zugedachte Rolle ist es, Sendezeit, Zeitungsseiten oder Webspace zu füllen und das Medium zu adeln, weil es einen Herrn Professor vors Mikrofon gekriegt hat. Weit häufiger jedoch als zu Fehleinschätzungen, die immerhin von einer klaren Positionsnahme des Experten zeugen, kommt es zu Null-Aussagen, wie den Folgenden aus einem Interview von tagesanzeiger.ch mit Albert A. Stahel: «Das lässt sich nicht sagen», «Ausgeschlossen ist das nicht», «Das kann man praktisch nicht einschätzen». Der Informationsgehalt eines solchen Gesprächs tendiert gegen null. Immerhin wissen wir aus berufenem Munde, dass es eigentlich nichts zu sagen gibt. Auch das ist eine Aussage. Die jedoch nicht etwa dazu führt – im Wissen um die beschränkte Halbwertszeit von Expertenwissen – die Herren Stahel oder Spillmann etwas seltener aufzubieten.
Genauso Teil des Problems sind die Experten selbst. Sie haben ihre Rolle dermassen stark verinnerlicht, dass sie kaum mehr umhin können, eine Anfrage abzulehnen, selbst wenn sie wissen, dass sie eigentlich nichts zu sagen haben. Jede Medienanfrage schmeichelt und wirkt als Bestätigung dieser Rolle. Ein Experte ist ja gerade deshalb Experte, weil er in jeder Lebenslage eine Einschätzung abzusondern imstande ist. Kommt dazu, dass die Masse der Medien und ihre Journalisten sich immer seltener mit eigener Expertise zu profilieren vermögen. So erhält der Experte einen festen Platz im Medienalltag und ist nicht mehr die Ausnahme für jene seltenen Fälle, wo sich auf einer Redaktion keine Fachperson finden lässt, sondern die Regel in meinungsschwachen Medien.
Dieser Text erschien zuerst in der «Wochenzeitung» am 24. März 2011
peter eberhard 15. April 2011, 09:41
Diese Null-Interviews mit „Experten“ haben vor allem damit zu tun, dass die Journalisten entweder zu faul oder unfähig zum Denken sind. Das merkt man an den oft unbedarften Fragen, worin vor allem das unsägliche „10 vor 10“ Meister ist.
Thomas Läubli 21. April 2011, 21:39
Erstens ist die Meinung, Spillmann und Stahel hätten zum Thema nichts zu sagen, subjektiv. Ich konnte den Stellungnahmen einiges entnehmen. Zweitens ist die Rentnerfeindlichkeit im Artikel von Nick Lüthi Ausdruck einer blasierten Generation. Drittens ist die Induktion von einigen Aussagen aus einem bestimmten Gebiet auf den Experten als solchen unzulässig und widerspiegelt bloss einen gewissen Neid, auf Leute, die heute neben all dem Geplapper im Internet (Blogs, Twitter, Online-„Zeitungen“ etc.) noch Substantielles zu sagen haben – Geistessozialismus eben.
Nick Lüthi 22. April 2011, 22:54
Falsch verstanden: Ich sage nicht, dass Spillmann und Stahel nichts zu sagen haben. Im Gegenteil: «Am Fachwissen von Stahel und Spillmann besteht kein Zweifel.» Aber in der Rolle als Propheten, in die sie die Medien drängen, haben der Politologe und der Historiker nicht viel mehr zu sagen als Sie und ich, q.e.d.